Wirtschaft


Lucas zeise hat für die FTD zusammengefaßt, was den Amerikanern und der EU so alles nicht einfällt, um Regulierungen durchzusetzen, die tatsächlich etwas an den asburden Verhältnissen ändern könnten. Es ist im Großen und Ganzen: Nichts.
Was da zukünftig unter “Aufsicht” firmiert, ist so zu verstehen, wie es heißt: Da schauen ein paar offizielle Autoritäten den ihnen Anvertrauten beim “Spielen” zu, wie überforderte Lehrer in einer Schule, die von jugendlichen Kriminellen beherrscht wird. Wenn irgendwo eine Nase blutet, sprechen sie vielleicht vorsichtig einen Tadel aus. Daß in sämtlichen Ecken aber längst die Messer kreisen und es bereits Tote gab, macht die Pausenaufsicht zur Lachnummer.
Wenn ein “europäischer Ausschuss für Systemrisiken” “früh vor Risiken warnen und Empfehlungen abgeben” soll, fragt man sich, warum das nicht schon immer jemand getan hat. Und wenn es denn jemand getan hat, warum das keine Konsequenzen hatte. Vor allen aber: Wie sich in der Zukunft daran etwas ändern sollte.

Derweil ist nichts reguliert d.h. verboten, was das Zeug hat, die “Stabilität zu gefährden”. Im Gegenteil wird den “Opfern” ihrer eigenen Blödheit das Geld nachgeschossen. Und zwar nicht nur, um ihre Haut zu retten, sondern auch noch, um mit dem geforderten Eigenkapital ausgestattet zu werden, das sie brauchen, um weiter zu zocken. Wozu aber wird eine höhere Eigenkapitaldecke gefordert, wenn am Ende eh der Staat dafür sorgt – und zwar bei den größten Versagern zuerst?

Ein rigides Einschreiten der Politik müßte dafür sorgen, daß eine ganze Reihe von Geschäften nicht mehr möglich sind. Vor allem eben solche, deren Risiko zu hoch ist und von den Beteiligten selbst nicht getragen werden kann. Das klingt nicht zufällig schwammig. Denn einerseits ist es selbstredend, was damit gemeint ist: Ähnlich wie die Fusion großer Unternehmen von Kartellbehörden genehmigt werden muß, müssen Kreditgeschäfte ab einem gewissen Volumen genehmigungspflichtig sein. Zweitens muß das Risiko massenhaft vergebener Kredite durch eine bessere Prüfung der Solvenz der Kreditnehmer verringert werden. Was aber, wenn es dennoch zu großen Schieflagen kommt?

Hier liegt andererseits das Problem. Daß derzeit nicht einmal die Risiken gedeckelt werden, die schon in die Krise geführt haben, ist eine Schande. Die Vorsorge für die Zukunft muß aber auch Fälle und Konstellationen absichern, die bislang noch gar nicht vorgekommen sind. Was zu verhindern ist, sind Notlagen bei “systemrelevanten” Marktteilnehmern. Was aber heißt “systemrelevant”?

“Systemrelevant” ist eine Einheit, die alternativlos erhalten werden muß, um nicht ganze Staaten ins Chaos taumeln zu lassen. Und wenn es solche Einheiten geben darf, von der die Politik also auf Gedeih und Verderb abhängt, dann gehören diese Einheiten ohne Vorbehalt unter die demokratische Kontrolle des zuständigen Staates gestellt. Ist das nicht möglich oder von Seiten der Wirtschaft nicht gewollt, so darf etwas Derartiges nicht existieren.

Die Finanzwirtschaft, von der sich die Staaten abhängig gemacht haben, muß nicht beaufsichtigt, sondern kontrolliert werden. So lange die Geschäfte in einem halbwegs produktiven Rahmen bleiben, sollen sie weitgehend frei bleiben. Alles, was die Integrität von Staat und Gesellschaft aber gefährden kann, darf nicht dem “Markt” überlassen werden. Dies ist ein Imperativ der sozialen Marktwirtschaft.
Was stattdessen an Gerette und Gewurschtel, an “Aufsicht” und Pseudo-Regulierung veranstaltet wird, hat ein Haltbarkeitsdatum, das schon vor Auslieferung der Mogelpackung überschritten ist.

Schon vor einigen Wochen las ich vom Projekt “Desertec”. Die Gleichnamige Stiftung, die in Afrika Solarstrom mit Großanlagen produzieren und ihn nach Europa exportieren will, wird von gemeinnützigen Einrichtungen wie Deutsche Bank, Siemens und RWE hofiert, die auch etwas Gutes für die Menschheit tun wollen.
Hermann Scheer, der übrigens immer noch SPD-Mitglied ist, kommentiert dieses Projekt in der FR ganz nüchtern und kommt zu dem Schluß, daß Großanlagen in Afrika ökonomisch und ökologisch unsinnig sind.

Das mag zwar sein, und ich habe mir dasselbe gedacht, aber es verschließt sich einigen Argumenten, die “Desertec” selbst anbringt:
Die Afrikaner brauchen nämlich auch Strom, und der kommt ja nicht von deutschen Dächern. Es sei also
nur fair wenn Europa die Einführung von Erneuerbaren Energien in MENA fördert
Und, ganz wichtig natürlich:
Dies führt zu Einkommen und dem Aufbau einer Mittelschicht.”
Und was macht die Mittelschicht? Richtig, sie bezieht Einkommen, sorgt dafür, daß sie mehr Einkommen erzielt und ist fortan denen dankbar verbunden, die auch etwas erzielen. Den Hauptgewinn nämlich.

Das sei keine “Ausbeutung”, weiß Desertec, weil ja die Sonne kein Bodenschatz ist und daher auch nicht versiegt.
Daß Kritiker mit “Ausbeutung” nicht den Boden meinen, sondern das Volk, hat sich bis zu den edlen Stiftern und ihren Fans aus der Industrie noch nicht herumgesprochen. Daß die zu erwartende Ausbeutung etwa darin besteht, daß Europäische Konzerne für etwas kassieren, was die Afrikaner auf andere Weise effizienter selbst hinbekämen, ist eine Sache. Vielleicht hätten die ja auch gar keine Lust und würden sich den Strom einfach sparen.
Eine andere wäre es aber, wenn zum Beispiel die dezentrale Erzeugung von Solarstrom nicht nur weniger gefördert, sondern nachgerade verhindert würde. Womöglich per Gesetz. Im ungemütlichen Europa ist es nämlich genau umgekehrt, da bricht den Großen gerade ein Markt weg.

Ein Schuft, wer behauptet, das einzige, das wirklich feststeht, wenn es zu Großprojekten kommt, sei der Gewinn der Großkonzerne. Die nämlich tun das alles nur aus Liebe zu sauberem Strom und Negerkindern.
Für Desertec darf man daher auch Spenden. Kunden der RWE können demnächst einfach ein paar Euro mehr mit der Stromrechnung überweisen und eine Spendenquittung anfordern. Sie können aber auch in der nächsten Filiale der Deutschen Bank ein paar Cent über die Glaswand werfen. Für einen guten Zweck bückt sich sogar Herr Ackermann gern.

“Hättest du geschwiegen, du wärst Philisioph Philosoph geblieben”. Sloterdijks Geschwätz in der FAZ ist weder ein Zeugnis ökonomischen Sachverstandes, noch ist es auf einem Niveau, das noch mit viel Mühe als “theoretisch” oder “philosophisch” betrachtet werden kann.
Das Problem bei solchen Texten ist, das man nicht weiß, wo man anfangen soll, weil sie durchtränkt sind vom Unsinn.

Es beginnt mit der Unterstellung, “moderne”, bald aber auch “linke” Theorien, zumal der Marxismus, seien geprägt von der
Respektlosigkeit vor dem geltenden Recht, insbesondere dem bürgerlichsten der Rechte, dem Recht auf die Unverletzlichkeit des Eigentums.”

Wirr. Die Moderne hat eine ganze Reihe völlig anderer Theorien parat. Also meint er doch die “linken”, “sozialistischen” oder “anarchistischen”? Die wären dann in diesem Sinne gleich? Und auf welches “Recht” bezieht er sich dann? Gibt es kein Recht in sozialistischen Staaten? Oder ist Recht nur dann eines, wenn es das Eigentum bedingungslos schützt?
Für letztere Interpretation spricht die Formulierung “Unverletzlichkeit des Eigentums”. Wo gibt es das denn? So weit gehen nicht einmal die radikalsten Neoliberalen, Eigentum zum Unantastbaren zu machen. Wovon redet der Mann?

In seinem Amokritt durch die Geschichte der Ökonomie wirft er Marx eine “klug konfuse” Werttheorie” vor. Konfus ist diese Formulierung wie auch viele andere in seinem Text. Eine klitzekleine Bemerkung, wie das denn zu verstehen ist, wäre hilfreich gewesen. Ich kann es mir zwar ggf. denken, aber genau so mag ich mich eben nicht auseinandersetzen.

Die völlig unkritische Zitierung “liberaler” Theoreme, deren Herkunft meist schleierhaft bleibt, wird mit Halbsätzen garniert, die den Schluß zulassen, Sloterdijk stimme dem neoliberalen Mainstream zu. So malt er etwa die Krake “Staat” an die Wand und sieht eine “unerhörte Aufblähung der Staatlichkeit in der gegenwärtigen Welt“.
Fragt man sich zuallererst, ob das wirklich das gegenwärtige Problem der Wirtschaft ist. Historisch betrachtet, ist es aber erst recht völliger Mumpitz. “Staatlichkeit” in wirtschaftlicher Hinsicht kennt aus der Geschichte absolute Zinsverbote ebenso wie erdrückende Steuern. Staatlichkeit, die übers Ökonomische hinausgeht, war omnipräsent bereits in den antiken Weltreichen. Wo ist jetzt also die “unerhörte Aufblähung”, die Sloterdijk ausgerechnet in einer Zeit globaler Deregulierung erkennen will?

Das Böse schlechthin ist der weiter mit reichlich Seitenwind durchs Gelände torkelnden Weisheit die Einkommenssteuer, eine “Schröpfung”, an der “Wohlhabende” “zugrunde” gehen.
Wie der kleine Peter die Welt sieht, verrät er uns ganz ausdrücklich:

Voll ausgebaute Steuerstaaten reklamieren jedes Jahr die Hälfte aller Wirtschaftserfolge ihrer produktiven Schichten“.

Es gibt also produktive Schichten, die Wirtschaftserfolge erzielen. Selbst ein Simpel, der sich das so zurecht legt, dürfte fragen, wie denn die Unproduktiven produktiver werden könnten und ob das vielleicht etwas mit fehlenden Mitteln zu tun hat. Das ist aber wohl zu kompliziert für Talkshow-Philosophen. Sloterdijk beläßt es freilich nicht bei diesem miefigen Argument. Um sich inmitten einer gruseligen Attüde, die Vokabeln wie “pantagruelisch(e) Schulden” hervorbringt, dem Liberalala gänzlich anzuschmiegen, geht er noch einen Schritt weiter:
Die “Plünderung der Zukunft” ist ihm am Werke, wo solche Schulden gemacht werden.

Es wäre mir äußerst sympathisch, eine philosophische Anstrengung zu kommentieren, die sich des Problems von Zins und Schuld annähme. Aber auch hier ist einfach einfach einfach, und es ist, Abrakadabra, der Staat, dessen Schröpfungen uns die Zukunft nehmen. Nicht etwa ein Zinsmarkt, dessen Gewinnversprechen jede reale Produktivität lähmt, ist das Problem, sondern ein Staat, der Wohlhabende unproduktiv macht und die Zukunft zerstört.

Letzteres ist endgültig jeder Philosophie unwürdig. Der Staat, selbst wenn er dies wollte, wird die Zeit nicht anhalten. Sloterdijk preßt in eine seiner wirren Aufzählungen das Wort “Währungsreform” und zeigt damit eigentlich auf, daß “der Staat” im Zweifelsfall sogar die Möglichkeit hat, das ganze Schuldenkarrussell außer Kraft zu setzen. Theoretisch jedenfalls. Eine Währungsreform kennt der Autor aber nur als “Enteignung”.

Muß ich schließlich auch noch fragen, bei wem und unter welchen Umständen ein Staat sich verschuldet? Wer davon profitiert und wer das alles bezahlt, “enteignet” wird?
Ist der Mann so naiv, völlig bekokst oder hat er hat er andere Gründe, einen solchen Schwachsinn zu verzapfen?
Vielleicht treibt ihn ja seine ganz persönliche Zukunftsangst. Da richtet er sich lieber als Philosoph zugrunde und verdingt als sich Nützlicher Idiot derer, die noch immer ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben.

p.s.: Zum Thema “Landraub” werde ich mich in den kommenden Tagen noch äußern.

Eine spannende Frage, die im Zusammenhang mit den “Errungenschaften” des Kapitalismus erstaunlicherweise selten diskutiert wird, ist die Rolle des technischen Fortschritts, sein Einfluß auf Warenverkehr, Verteilung und vor allem “Wachstum”. Tatsächlich wird der Fortschritt ebenso wie das Wachstum schlicht der “Marktwirtschaft” subsumiert, ganz so, als sei jede Entwicklung bloß Funktion von Ökonomie.
Die Selbstbezogenheit solchen Ökonomismus ist nachgerade psychotisch. Ein belustigendes Beispiel habe ich im vorigen September hier erwähnt:

Dieses Urteil gilt selbst für den »Manchester-Kapitalismus«: Von 1750 bis 1900 haben sich die Reallöhne in England mehr als verdreifacht.” (Zeit.de)
[...] Von 1750 bis 1900 haben sich die Reallöhne in England mehr als verdreifacht, ja leck mich fett, in 150 Jahren verdreifacht, einmal Industrialisierung dazwischen, und schon geht’s aufwärts.”

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Anstatt die Bibeltexte der großen Ökonomen buchstabengetreu auszulegen, um Wachstum zu erklären, würde mich einmal brennend interessieren, wie es tatsächlich um den Zusammenhang zwischen Wirtschaften, technischen Innovationen und Wachstum steht.
Das hohle Starren auf ein “Wirtschaftswachstum”, das zum autistischen Zahlenspiel degeneriert ist, vernachlässigt ja längst schon den Unterschied zwischen ökonomischen Daten und realwirtschaftlichem Geschehen. Fluch und Segen des Kapitalismus werden daher systembedingt völlig falsch eingeschätzt.

Als das Internet massentauglich wurde, worin die letzte marktrelevante technische Umwälzung bestand, zog dies viel Geld in seinen Bann, was freilich nicht bedeutet, daß die Marktwirtschaft selbst hier irgend etwas geleistet hätte. Geld folgt halt aussichtreichen technischen Neuerungen, sofern es nicht einfach anderem Geld folgt. Dies kann in Zeiten brauchbarer Innovationen gut und richtig sein.
Bleiben solche aber aus, ist das Gegenteil der Fall. Die “Immobilienblase” und andere sinnlose Geldgeschäfte kann man daher als ein Phänomen betrachten, daß von gelangweilten Investoren losgetreten wird, die eben keine aussichtsreichen technischen Neuerungen finden, die ihnen Aussicht auf Gewinn bieten. Schlimmstenfalls können sogar vorhandene Entwicklungen verzögert werden, weil das Geld lieber ins Casino getragen wird, weil es dort vermeintlich weniger riskant vermehrt werden kann.

Kapitalismus kann jede Entwicklung beschleunigen, nicht zuletzt, wenn sie eine fatale ist. Was er offenbar nicht mehr kann, so er es je konnte, ist die Förderung einer sinvollen und zukunftsfähigen technischen Entwicklung.
Vor allem kann er dies nicht zielgenau. Selbst wenn jedes Kind weiß, was der Welt fehlt und sogar wenn es Entwürfe gibt, wie man dem beikommen kann, bleibt das Geld weg. Es wird nichts mehr wirklich investiert, und das große Sittengemälde des verantwortungsbewußten Unternehmers, der zum Nutzen der Gesellschaft Risiken eingeht, ist schiere Propaganda.

Dies hat mannigfaltige Konsequenzen, auf die ich im einzelen hier nicht eingehen möchte.
Lediglich die daraus resultierende Kernfrage will ich kurz aufwerfen:
Wenn es stimmt, daß ab einem gewissen Grad industrieller Entwicklung der technologische Fortschritt vom errechneten Wirtschaftswachstum abgekoppelt ist und der Fortschritt auch möglich sein muß, ohne unmittelbar profitabel zu sein, wäre dann ein System denkbar, das die technologische Entwicklung an sozialen und kulturellen Fortschritt bindet?

Dies wäre vor allem eine Frage des Bildungssystems. Dieses hat sich zuletzt zum äußersten Schaden seiner selbst den Anforderungen der ökonomischen Ideologie unterworfen. Hier ist eine radikale Kehrtwende vonnöten. Es wäre dann ggf. denkbar, technischen und anderen wissenschaftlichen Fortschritt von Eigentumsstrukturen abzulösen. Vor allem dort, wo proprietäre Verwertungszusammenhänge selbst keinen solchen Fortschritt hervorbringen, können Wissenschaft und öffentliche Forschung die soziale und kulturelle Entwicklung enorm fördern – und als Nebenprodukt sogar die reale Wirtschaft stärken, ohne in deren Abhängigkeit zu geraten.

Wenn es um “Regulierung” geht, werden gemeinhin “Staat” und “Markt” gegeneinander ausgespielt – Der Staat sei zu bürokratisch und der Markt sei völlig unfähig, sich sinnvoll und vor allem sozial zu reglementieren. Zweiteres betrachte ich als unzweifelhaft, ersteres ist allzu häufig auch richtig.
Was sich tendenziell als praktikabel und sinnvoll erweist, sind Gütesiegel, die von unabhängigen Institutionen vergeben werden und Verbrauchern die Möglichkeit geben, etwas über die Produktionsbedingungen der Ware zu erfahren, die ihnen angeboten wird.

ausbeutung

Da ist zwar nicht alles Gold, was eine Medaille zeigt, aber es drängt zu eben der Transparenz, die weder Staat noch Markt wirklich herzustellen in der Lage sind. Ich habe häufiger das Problem, nicht mehr rechtzeitig zum Bäcker zu kommen und daher Brot kaufen zu müssen, von dem ich nicht weiß, wer es unter welchen Bedingungen gebacken hat. Da ich weiß, daß diese Branche gern Mitarbeiter ausbeutet, habe ich also die Möglichkeit, dies zu ignorieren oder ohne Brot auszukommen.
Für die “Entwicklungsländer” und einzelne Branchen oder Aspekte gibt es längst alle möglichen Siegel. Über Arbeitsbedingungen in Burkina Faso oder die Einhaltung von Ökostandards in den Industrieländern kann ich alles Mögliche erfahren, nicht aber über das Brot, das in Kaiserslautern gebacken wird oder die Jeans, die in der Türkei genäht wurde.

Ein Beispiel für solche Gütesiegel ist das Sozial-Label der Fair Wear Foundation (unter dem Link finden sich noch andere Labels). Unter den Kriterien sind “Keine extremen Überstunden”, “Sichere und gesunde Arbeitsplätze”, “Zahlung des Existenzminimums”.
Was das im einzelnen heißt, ist noch zu hinterfragen. Vor allem aber läßt es sich sinnvoll erweitern, wenn man wissen will, ob das Geld gut investiert ist. Würde man nämlich etwa die Zahlung ausweisbarer gerechter Mindestlöhne zum Kriterium machen, kann jeder Kunde wissen, ob er sich selbst das Wasser abgräbt, indem er Ware kauft, die von zwangsinsolventen Arbeitnehmern produziert wurde. Man muß kein Gesetz erlassen und kann jedem Ausbeuter die Freiheit lassen, sich mit Leuteschinderei eine goldene Nase zu verdienen. Liberaler geht es nicht.

Würde sich eine solche Verbraucherkultur entwickeln, wäre das Dilemma gelöst zwischen undurchführbaren Totalboykotts und der bequemen “Man kann ja doch nichts machen”-Mentalität der Diskounterkunden.
Wen kann man dafür gewinnen? Es gibt ja nicht so furchtbar viele Ideen zwischen Politik und verantwortungsbewußter Wirtschaft, die derzeit diskutiert werden. Ausnahmsweise bitte ich einmal ganz offiziell um zahlreiche Verlinkung. Die Bloggerei kann doch gelegentlich für etwas gut sein. Überdies wäre ich auch sehr erfreut über Hinweise auf Menschen und Institutonen, die derartiges fördern könnten.

Er bleibt, der Kampf geht weiter, und das ackerdämliche Viertel ist auch wieder da: 25 % Eigenkapitalrendite verspricht Victory-Ikone Joe Ackermann von der Deutschen Bank. Was dahinter steckt und was der Journaille dazu alles nicht einfällt, stellen Don Alphonso und Kommentatoren fest.

Diese magischen fünfundzwanzig Prozent, was wollen sie uns nur sagen? Ist dies die Grenze, die selbst ein unverschämter Zocker nicht übertreten darf, damit ihm die gierigsten Anleger noch glauben? Es ist ja nur ein Viertel, so wie ein Viertelstündchen oder ein Viertel Weinchen. Andererseits sind die fünfundzwanzig ein fetter Profit, ein ganz dickes Ding, ein Riesenschwanz, der Fünfundzwanziger!

Zu Zeiten, da ich den Banken noch solche Gewinne zugetraut habe, amüsierte ich mich schon über einen Medienkonzern, der eine Gewinnmarge in dieser Höhe versprach. Ich nannte das seinerzeit eine “Aufforderung zur Bilanzfälschung”, die dem Joe übrigens schon heute nicht ganz zu Unrecht unterstellt wird. Allerdings mußte ich kurz darauf widerrufen und mit dem “NAIV”-Schild um den Block wanken. Die Gewinnsteigerung blieb zwar ganz selbstverständlich aus, Dividende gab’s aber dennoch üppig, und es wurde deutlich: Das Geschwätz war von vornherein nicht ernst gemeint. Es sollten halt Deppen ermutigt werden, ihre Kohlen in eine brennende Lok zu werfen, in dem Glauben, es ginge dann schneller vorwärts.

Der Joe wird schon einen Kniff finden, wie er jedes Jahr blendende Bilanzen vorlegt. Das mit der Eigenkapitalrendite von 25% kriegt er auch hin, er sitzt nämlich immer am längeren Hebel, da ist die Rendite entsprechend größer und das Eigenkapital schön knapp. Wenn’s dann schief geht, kommt der Peer mit dem Koffer. Das haben wir ja jetzt gelernt. Und im Grunde, so hat es uns Joes Freund Hilmar ganz wunderbar ins Sparbuch geschrieben, reden wir doch von Peanuts.

Ich lasse mich abwracken. Nach diesem Wochenende bin ich endlich so weit, daß ich erkennen muß: Zwofünf werden für mich nie wieder geboten, und es gibt Tage, da wünscht man sich den Frieden der Gruft. Nun wäre es der reinste Hohn, wenn ausgerechnet ich in der Schrottpresse verwertet werden würde. Daher belasse ich es beim übertragenen Sinn und trenne mich von meinem Auto. Ganz zufällig komme ich aktuell in den Genuß der Erfahrung, wie sinnig “der Markt” reagiert, wenn man ihm “hilft”.
Ich hatte mir nämlich vor vier Wochen aus einer Laune heraus ein Angebot von einem Autohaus machen lassen. Meine olle Mühle war schon zwöf Jahre alt und hatte 200.000 km runter, da dachte ich mir: Wenn ich eh mit meinen Steuern diesen Blödsinn finanziere, vielleicht zwingen sie mich ja, davon auch zu profitieren.
Der geschniegelte Schönsprecher, mit dem ich also ins Gespräch kam, machte mir ein akzeptables Angebot, das ich dann in Ruhe daheim studierte. Ich habe das durchgerechnet und bin zu dem Schluß gekommen: Muß nicht. Ich fuhr einen Toyota Starlet, den ich sehr mochte und der seit zehn Jahren nicht mehr gebaut wird. Ich beschloß, ihn zu behalten, bis er sich von selbst zerlegt.
Das Dumme kleine Ding! Keine vier Wochen später ging auf der Bahn das gelbe Lämpchen an und die Temperaturanzeige deutete auf den Himmel über mir. Dorthin wollte er also. Da er sich das sehr innig wünschte und mich davon überzeugte, indem er die Zylinderkopfdichtung und den Kühler platzen ließ und bei der Gelegenheit auch dem Zahnriemen die letzte Ölung gab, hatte ich ein Einsehen. “Meine Frau, mein Auto, mein Haus”, dachte ich nur. Nein, obdachlos bin ich noch nicht, aber das Jahr fängt echt gut an.
Zurück zum Thema: Ich rief also bei Schniegel an und erinnerte ihn an sein Angebot. Er druckste erst ein wenig herum und erklärte mir dann, daß es nicht mehr gilt. Der Rabatt ist gestrichen, die Karre soll jetzt 1500 Euro mehr kosten. Was soll man auch mit Rabatten, wenn es eine Abwrackprämie gibt? Der Staat finanziert’s doch – dann kann man die Kohle ja komplett einstreichen.
Dieses Marktverhalten ist nur noch jemandem nachvollziehbar, der sich für unwiderstehlich hält und “Kunden” für etwas weitgehend Entbehrliches hält, das lediglich dazu gut ist, bündelweise Geld in die Kasse zu werfen. Ich habe Schniegel diesen Umstand nicht weiter erklärt, ihm verdeutlicht, daß ich mich auch von ihm trenne und ihm “viele zufriedene Kunden” gewünscht.
Der Trend scheint sich derzeit duchzusetzen. Auch ein anderer Anbieter, den ich am Samstag aufgesucht habe, zieht seine Rabatte zurück, hat aber immerhin eine klare Frist gesetzt, innerhalb derer sie noch gewährt werden. Ich werde am Montag den Kaufvertrag zurückschicken und mir eben dort ein Auto bestellen.
Der Markt für Gebrauchtwagen ist derweil im Eimer. Ich hätte ja lieber ohne Händler ein KFZ erworben, aber was willste machen?
Die Konjunktur ist kräftig angekurbelt am Automarkt. So kräftig, daß sie schon völlig besoffen sind und nach ein paar Wochen Erfolg ihre Kunden von morgen verprellen. Wenn man gerade in Deutschland die Ursachen für Wirtschaftskrisen sucht, so sollte man nicht außer Acht lassen, daß die Verachtung der Endabnehmer, des Zahlviehs, des Kundenpöbels, genau so tief sitzt wie die der schwitzenden Kostenfaktoren in der Produktion. Wirtschaft könnte so schön sein, wenn die glänzenden Effizienz ausstrahlenden Produkte sich nur endlich selber kaufen würden. Aber das kriegen wir auch noch hin.

In gleichlautendenden Artikeln infomiert die Qualitätspresse von Spiegel, FAZ und Sueddeutsche über die Versuche des Volkswagenwerks Baunatal, sein Gelände reinrassig zu halten. Der Volksgenosse dort fährt Volkswagen, “Fremdmarken” werden dort nur als Gastarbeiterwagen geduldet: Rein und schnell wieder raus, so haben wir die Fremden gern, wenn sie uns nützen. Wer bleiben oder wiederkommen will, hat sich in die Volkswagengengemeinschaft einzureihen.
Ich mag an dieser Stelle nicht lange über die Geschichte des “Volkswagens” räsonieren oder über sonstig fehlendes Feingefühl, das der Volksmarke sicherlich nicht zu Ehre und Image gereicht. Dennoch fasse ich mir fassungslos an die Birne und versuche ebenso bemüht wie erfolglos, meine Urteile über deutsche Wirtschaftler im Dunstkreis der Großkonzerne zu relativieren. Es herrscht hier eine Ideologie vor, deren Geschichtslosigkeit sich nicht erst am Vergleich zum tausendjährigen Reich blamiert. “Wir” haben ein Recht auf Wohlstand und Weltmeisterschaft.
“Wir” sind abonnierter Exportweltmeister. Wir schicken Truppen noch recht bescheiden in völkerrechtswidrige Kriege, aber bei unseren Waren kennen wir keinen Pardon. Diese haben die Fremden widerstandslos zu importieren, zu kaufen und sich damit gefälligst zu identifizieren. Es ist der Konsum der Anderen, den wir besorgen, dafür steht der größte Ökonom aller Zeiten, Hans-Werner Sinn, prototypisch. Daher mag der ungebrochene Zuspruch zu “unseren” Neoliberalen seit Otto Graf Lambsdorff rühren: Daß sie unseren Anspruch auf die Weltherrschaft so marktwirtschaftlich zivilisiert repräsentieren. Und wieder einmal verpassen wir den Untergang, den wir wie dunnemals ohne jeden Erkenntnisgewinn hinnehmen werden.
Diesmal muß immerhin niemand verbluten oder einmarschieren. Die Welt wird uns einfach kalt lächelnd die Arschkarte zeigen. Vielleicht wird sich dann wenigstens klären, wessen Wohlstand die verblichene Weltherrschaft stets gesichert hat.

“Der Westen” berichtet von der Kritik, die “Pro Bahn” an der Hatz auf “Schwarzfahrer” übt. Dort ist die Rede von einer “Prüftruppe“, die “von Zug zu Zug springt“. Einer aus dieser Jägertruppe gibt zu Protokoll: „Der verschärfte Ton bei den Kontrollen ist gewollt [...] Außerdem haben wir Anweisungen, nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Schaffner zu kontrollieren. Dadurch steigt der Druck und die Fehlerzahl.”

Der Konzern organisiert eine Treibjagd. Es kommt dabei überhaupt nicht darauf an, Schwarzfahrer von irritierten Kunden zu unterscheiden. Der gute Kunde kennt sich aus, macht alles richtig und hat daher ein gültiges Ticket. Alles andere ist Ausschuß, der gefälligst ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu bezahlen und das Maul zu halten hat. Dazu ein Bericht von Heiligabend:
Ein 23-Jährige Frau hat es nicht mehr geschafft, ihr Ticket am Bahnsteig abzustempeln und dachte übderdies, es gebe im Zug noch Stempelautomaten. Zumindest dachte sie, wenn sie den ungestempelten Fahrausweis vorzeigt, könne der Schaffner diesen entwerten.
Dieser war aber alles andere als zuvorkommend und beschuldigte die junge Dame sogleich des vorsetzlichen Erschleichens der Beförderung, was sie empört zurückwies. Daraufhin führte der Bahnbedienstete sie in ein leeres 1.-Klasse-Abteil, um dort mit ihr zu diskutieren, ob er sie nun auch noch als “unkooperativ” einstufen solle – was immer das bedeutet.
Die attraktive junge Frau kam offenbar gar nicht auf die Idee, darin eine sexuelle Belästigung zu sehen, weswegen sie womöglich nicht in den Genuß des Status “kooperativ” kam. Sie hat jedenfalls keine Angebote ihrerseits gemacht, sondern den nicht recht weihnachtlich gestimmten Uniformierten grob kritisiert.
Dies ist nur eine von zahlreichen Anekdoten, die niemand lesen möchte. Bei der Bahn ist das offenbar so gewollt. Wenn selbst an Heiligabend in einer leeren Bahn ein derart grenzwertiges Gewese gemacht wird, kann es auch nicht ums seriöse Geschäft oder ums Prinzip gehen. Was sich da so zuträgt, ist die schlichte Normalität auf den Weg zum “privaten” Großkonzern. Hier zahlt der Mensch und zählt nichts mehr. Dies ist der Kern einer Ideologie, die Gewinne heiligt und sich einen Kehricht darum schert, wie sie zustande kommen.

Der Nobelpreisträger für Wirtschaft, Paul Krugman, pflegt nach wie vor die deutlichen Worte und nennt die Deutsche Regierung, namentlich Peer Steinbrück, “dumm”. Die faden Worthülsen des Finanzminis begründen wie immer alles und nichts, er und seine Kanzlerin schwafeln von “Augenmaß”, anstatt auch nur den Ansatz einer Strategie zur Lösung eines überwältigenden Problems zu erarbeiten. Sie haben keine Ahnung, betreiben weiterhin Lobbypolitik und zeichnen sich aus durch roboterhaftes Laborieren nach “Schema F”. Weil sie der Lage intellektuell nicht im entferntesten gewachsen sind, schotten sie sich gegen die Realität ab. Das geht so weit, daß sie sich weder mit der EU noch mit den USA oder sonstwem in der Welt koordinieren. Der Begriff “Vogel-Strauß-Politik” findet in diesen Tagen eine Manifestation in mythischen Dimensionen.
Die Folgen dieser irgendwie-weiter-so-Mentalität erläutert weissgarnix sehr anschaulich, der die Krise des Kapitalismus recht nüchtern analysiert, durchaus mit dem Blick für die Dramatik der Situation. Er legt dar, daß eine “Überakkumulation” zum Zusammenbruch der “Investitionsnachfrage” führt und bringt dies auf die Formel:
Geld wäre zwar da, aber wohin damit?
Ich erlaube mir, dies brachial zu vereinfachen:
Es ist kein Geld vorhanden, das zu Konsum führt. Es liegt Geld in unfaßbarer Menge herum, das darauf wartet, vermehrt zu werden. Es bestehen Gewinnansprüche bei den Besitzern dieses Geldes, die nicht mehr befriedigt werden können, weil es keine Märkte mehr gibt, die entsprechende Gewinne erwirtschaften könnten. Darauf zu setzen, daß dennoch igrendwie irgendwo solche Märkte wieder entstehen, um dem Exportweltmeister wieder seine fabulösen Produkte abzukaufen, ist purer Irrsinn. Stattdessen muß die Verteilung der Mittel in Richtung der Konsumenten stattfinden, und zwar in einem unerhörten Umfang.
weissgarnix formuliert es so:
Die Bundesregierung, wenn sie auch nur einen Funken Verstand besitzt, nutzt die aktuelle Zäsur für einen “Einstieg zum Ausstieg” aus der Nachkriegs-Architektur der deutschen Wirtschaft, und pumpt ihre Mittel primär in die Expansion des deutschen Binnenmarkts. Dort müssen Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden! Das ist nicht nur effizienter, es ist vor allem auch verteilungsgerechter. Und ermöglicht zudem in Sachen Sozialpolitik gänzlich neue, realistische Perspektiven, die aus dem Blickwinkel unseres aktuellen Systems als “utopisch” abgetan werden müßten“.
Angesichts der Dilettanten, die sich hinter der freundlichen Formulierung “Die Bundesregierung” verbergen, ist dieser Gedanke selbst utopisch. Der Geist von Hans-Werner Sinn ist das Gespenst, das in der noch stärksten Wirtschaftsmacht in Europa umgeht, ein Gespenst, vor dem man wahrlich Angst haben muß.
Wenn es um die Mittel geht, die da in den Binnenmarkt gepumpt werden müßten, kommt man an Spar Steinbrück nicht vorbei. Das könte sogar gut sein, denn wenn er zitternd den Staatsbankrott herausbeschwört, ist er zwar immer noch anhnungslos, behält damit aber eine durchaus reale Gefahr im Auge. Woher soll der Staat das Geld nehmen, das er für den notwendigen Umbruch benötigt? Sinnigerweise von dort, wo es herumliegt und damit die Gefahr des Zusammenbruchs birgt. Wie groß soll der Notstand werden, bis man endlich die FDP ernstnimmt und begreift, daß Steuern eine Form der Enteignung sind? Und was muß passieren, damit man diejenigen enteignet, die reichlich profitiert haben und inzwischen sprichwörtlich auf ihrem Geld sitzen (bleiben)?
Eine Erbschafts-und Vermögenssteuer, die so brutal ist, wie das schon immer von den Besserverdienenden an die Wand gemalt wird, tut not. Die Mittel zur Abwendung der Katastrophe sind da, es ist an der Zeit, daß der Staat sie sich holt. Das erbärmliche Gejammer der Betroffenen wird man aushalten, nicht zuletzt, weil deren Wohlstand und nacktes Leben damit zuallererst gesichert würde.
Das sei utopisch? Na klar. Aber wenn schon, denn schon.

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