Archiv

September 2012


 
peerstDie SPD braucht Parteispenden? Da hat sie eine kluge Wahl getroffen. Ihr Chefneoliberaler und Profiplauderer, der es zum “Nebeneinkommensmillionär” gebracht hat, gab schon einmal eine Bundestagswahl verloren, um sich gegen jeden zaghaften Linkstrend in der Partei zu stemmen. NRW hatte er schon an Schwarzgelb verloren, was ebenfalls seinen Verdienstmöglichkeiten sehr zuträglich gewesen sein dürfte. Er steht prototypisch für die SPD der Mitte, deren Funktionäre sich bereichern und vom Kapital aushalten lassen, während sie ihre ehemalige Klientel leiden lassen. Selbstverständlich ist Steinbrück ein Liebling der Medien.
Ich habe schon genug über ihn geschrieben, daher folgt eine leicht adaptierte Zweitverwertung:

“Das Ende der Arroganz” glaubte die “ZEIT” vor exakt 4 Jahren sehen zu können, weil Peer Steinbrück nach dem Beinahe-Kollaps der Hypo Real Estate nicht mehr so großmäulig auftreten könne wie noch eine Woche zuvor. Fragt sich, wo der Autor, Philip Faigle, in den Jahren davor war. Fragt sich alternativ, ob die Anbetung der Neoliberalen in der SPD so ernst gemeint war, dass man sie zwischenzeitlich wirklich für kluge Leute gehalten hat.

Ich muss gestehen, dass ich selbst auf Steinbrück hereingefallen bin. Seine joviale Art, wenn er gerade eine Position vertritt, der man inhaltlich zustimmen möchte, hat etwas. Seine Rhetorik ist passabel, wenngleich etwas allgemein gehalten. Genau das aber treibt einen auf die Palme, wenn man es sich zu oft anhören muss. Steinbrück hat nämlich kein Problem damit, heute dies und morgen das zu vertreten und nervt mit den immer gleichen Versatzstücken, die am Ende exakt gar nichts sagen.

Reingefallen

Erhöht er die Steuern, spart er an allem, so ist das gut, weil es “kommende Generationen nicht belastet”. Senkt er die Steuern, begünstigt er jemanden, will er “sich nicht totsparen”, “die Konjunktur nicht abwürgen” und dass “Leistung sich lohnt”. Er ist einmal gegen Konjunkturprogramme, um kurz darauf eins aufzulegen (Die “Abwrackprämie”, kurz vor der Bundestagwahl 2009).

Als Wahlkämpfer verspricht er alles Mögliche, als Finanzminister verkündet er mit Inbrunst das Gegenteil. Er hat also immer recht, egal, auf welche Seite er sich stellt. Und stets bescheinigt er sich selbst und denen, die mit ihm sind, “Augenmaß”. Er hat also nicht nur recht, sondern tut auch immer das Richtige im richtigen Maß.

Was er hingegen vermeidet, sind jedwede konkrete und auf Sachverstand fußende Äußerungen, die wirklich erklären könnten, worum es ihm geht. Er ist völlig unberechenbar, weil er niemals seine Entscheidungsgrundlage erläutert. Er benennt eine Position und verziert sie mit Phrasen. Niemand weiß, ob er morgen eine völlig andere Meinung vertritt. Geschweige denn könnte jemand aus den Aussagen Steinbrücks eine Prognose für die Zukunft ableiten.

Beliebigkeit mit Augenmaß

Damit niemand auf die Idee kommt, ihn mit seinem Geschwätz von gestern zu konfrontieren, trägt er das von heute eben mit Verve und der ihm eigenen Arroganz vor. Das ist sein Stil. Wer etwas anderes von ihm erwartet, hat den Steinbrück nicht verstanden. Wie er argumentiert, ist inzwischen deutlich geworden. Ein weiteres Beispiel: Steinbrück und die SPD hatten in Wahlkampf heftig gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer polemisiert. Die CDU aber sei schuld, dass Steinbrück als verantwortlicher Minister die Steuer noch weiter erhöhte als die Union zuvor gefordert hatte:

Wenn wir oder rot-grün die absolute Mehrheit geholt hätten, wäre auch die Mehrwertsteuererhöhung kein Thema. Aber sie ist eine Kernforderung der Union. Die kann und wird sie nicht auch noch aufgeben.”

In keinem seiner selbstherrlichen Vorträge darf der Hinweis fehlen, dass jede andere Meinung ein “Kaputtreden” sei – der Märkte, der Wirtschaft und des Standorts. Zunächst waren es die “kerngesunden” deutschen Banken, sicher wie die Rente, denen man “keine Krise andichten” durfte. Danach hat er als erster Steuermilliarden “zur Eindämmung der Krise” aus dem Fenster geworfen. Das gilt dann natürlich nicht als Belastung der nachfolgenden Generationen. Symptome einer beispiellosen Hybris.

Dummheit und Stolz sind die Mischung, der solche Auftritte entspringen. Diese Arroganz kennt keine Grenzen und schon gar kein Ende.

Bildquelle: Peter Schmelzle

In diesem Dokumentarfilm sehen wir Genießer leistungslosen Wohlstands als Ein-Euro-Helfer für die Bundeswehr (am Ende des Films ist der zuständige Sachbearbeiter zu sehen, ein Zufallsopfer.). Das Projekt wurde aufgesetzt nach der erfolgreichen Erprobung von Asozialen als Minenräumkommando. Die Meldung erscheint mir zwar zweifelhaft, weil ich bei der Dresdner Morgenpost keinen diesbezüglichen Artikel finde und keine Lust habe, dort anzurufen. Der Witz liegt aber bereits darin, dass man es ihnen ohne weiteres zutraut.

[edit:] Hier gibt’s was
in der Presse (Danke, unschland).

 
7Auf allgemeinen Wunsch einer einzelnen Leserin werde ich anlässlich des siebten Geburtstages von Feynsinn einen kleinen Rückblick bieten und ein paar Zahlen durch die Arena murmeln. Letztere sind ganz auf dem Niveau der Demoskopen. Die Zahlen sind zwar alles andere als seriös, aber man kann daraus prima Geschichten stricken.

Eigentlich wollte ich das anständig machen – also den Rückblick zumindest – und ihn mit einem Screenshot vom Ur-Design des Blogs illustrieren. Dazu hätte ich allerdings eine Kopie der alten Baustelle finden müssen. Das war nämlich so:

2002 habe ich meine erste Domain bezogen, dort ein paar Texte und Bilder abgeladen. Ich hatte unabhängig davon schon immer vorgehabt, so etwas wie ein politisch-satirisches Tagebuch zu machen. Also fing ich damit an, um allerdings sehr bald festzustellen, dass das kein Mensch liest und es erst mal wieder eingestellt. Von so etwas wie Blogs wusste ich damals noch nichts.

Geschichte(n)

Davon erfuhr ich dann 2005 und habe nicht lange gefackelt, mir den nächstbesten Bloghoster gesucht und mich dort angemeldet. So etwas mache ich schon mal spontan und treffe Entscheidungen wie die Benennung ebenso. Damals dachte ich an die MAD-Comics und habe in Abwandlung von “Feynbeyn” eben Feynsinn gewählt und mich der Weltrettung gewidmet. “Feynsinn rettet die Welt” hielt das also, Untertitel “Satire womöglich”, unter feynsinn.blogg.de. Da müsst ihr jetzt nicht hinrennen, das gibt es schon ewig nicht mehr.

Ein gutes Jahr später ging mir das auf den Keks da, ich besorgte mir also diese Domain hier und “übertrug” die alten Artikel. Das ging so, dass ich mit einem kleinen Kniff bei blogg.de sämtliche gut 300 Artikel in eine html-Datei geladen habe. Die hatte ich auch noch eine ganze Weile, finde sie aber nicht mehr. Aus der musste ich dann alle Artikel einzeln in WordPress hinein kopieren. Hat tierischen Spaß gemacht! Nicht schlecht war dann auch die gestrige Suche. Ich habe meinen alten PC aus dem Exil geholt, der viele Jahre problemlos lief, das Ding eingeschaltet und festgestellt, dass nix mehr ging. Dann erst den Prozessor und dann das Board ausgetauscht (Hardware hatte ich auf Halde) und hochgefahren.

Lob an XP (wat mutt, dat mutt): Das läuft jetzt schon mit dem 3. Board ohne Neuinstallation. Einmal musste ich schon austauschen, weil ich Grobmotoriker mal den PC umgetreten hatte. Wie dem auch sei: Weder dort noch auf dem Server habe ich die olle Datei bzw. den Ordner noch gefunden. Ich weiß, dass da auch die alte .css dabei war. Schade eigentlich, ich hätte euch gern das alte Design gezeigt.

So, nachdem damals also der ganze Kram portiert war – außer den Kommentaren der Anfangszeit, die sich auch in Grenzen hielten, gab ich dem Ding hier (so ich mich recht entsinne) den alten Namen. Den fand ich nach wenigen Wochen doof und habe das Blog in “Feynsinn” umbenannt, mit dem Untertitel “rettet die Welt”. Der wurde (soweit mich meine Amnesie trägt) noch einmal kurz in “Satire womöglich” und dann in “mehr Demokratie wagen” verändert. Inzwischen bin ich im Establishment angekommen, habe Realitätssinn entwickelt und helfe dabei, die Märkte zu beruhigen.

Zweckfreier Zahlensalat

Dem Zahlenfetisch will ich gern auch Genüge tun, weil es so herrlich sinnfrei ist. Mein Statistiktool wird seit Jahren nicht mehr aktualisiert und ich habe leider keinen adäquaten Ersatz gefunden. Ich halte es mir um der Illusion Willen, die Entwicklung im Auge zu behalten. Etwas seltsam ist der enorme Anstieg der Kommentarquote bei stagnierenden bzw. nur noch sehr langsam steigenden Leserzahlen. Mein Provider hat noch ein anderes Tool installiert, das andere Zahlen ausspuckt, an die ich aber nicht glaube. Fangen wir mal damit an:

Danach habe ich monatlich 210 – 225k Besucher, das macht täglich also ca. 7000. Mein Tool hingegen sagt etwas von 70 – 75k im Monat, also knapp 2500 am Tag. Die nehm’ ich.
Bis gestern waren 2193 Beiträge online, knapp 52000 Kommentare von gut 3400 Kommentatoren. Jeder zehnte davon ist inzwischen von ihr-wisst-schon-wem. 29 Namen stehen auf der Bannliste, in einigen Fällen mehrere von derselben Person. Sage also keiner, ich sei gnadenlos. Ich schreibe seit Jahren stabil 0,86 Beiträge pro Tag. Keine Ahnung, wer mir immer die 0,14 Beiträge klaut, aber wenn ich das Schwein erwische, werde ich es ohne Essen ins Bett schicken.
Aus all dem errechnet mein olles Tool übrigens “3 Ø-Besucher pro Tag”. Ich sag mal … ich könnte ein Update brauchen.

So, jetzt wisst ihr, mit wem ihr’s zu tun habt. Macht weiter so. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Und Danke für den ganzen Fisch!

edit: And here it is. Danke, R@iner.

 
psychdol

Eine Frage, der die meisten meiner Kollegen, die wie auch immer als “linksliberal” eingestuft werden, gern ausweichen, ist die oben genannte. Die Hauptrichtung ist aus meiner Sicht die, in der die ‘Marktwirtschaft’ als solche nicht zur Disposition gestellt wird. Vielmehr wird hier Keynes beschworen, da gegenversteuert und dort gar die finale Eurorettung besprochen, nach der alles wieder gut sei. Wie ich aus vielen Kommentaren – nicht zuletzt aus anderen Blogs – erfahre, haben es vor allem linke ‘Kritiker’ noch nicht bemerkt, aber ich selbst gebe dem Kapitalismus, auch im Ballettkleidchen “Soziale Marktwirtschaft” schon lange keine Chance mehr.

Insofern halte ich mich für den Linksextremisten unter den Etikettliberalen, worin ich auch sehr bestärkt werde von jenen, die Marx für einen Sowjetgeneral halten und Sozialismus für eine Art Teufelsanbetung. Nicht nur um weiter zu verwirren, denn das hält wach, wage ich also den Versuch, den Kapitalismus doch noch zu retten. Alles, was ich dazu kann und muss, ist die entsprechende Frage zu stellen. Okay, ich werde sie auch erläutern.

Wer bleibt, der schreibt

Der Kapitalismus birgt offenbar drei Probleme: Erstens, er funktioniert nicht. Zweitens, das liegt an seinem Konstruktionsfehler und ist schon theoretisch nicht zu widerlegen. Drittens hat er das immer wieder empirisch belegt.
Leider ist es aber so, dass erfolgreich das Gegenteil behauptet wird. Dies wiederum hat teils nachvollziehbare Gründe. Vor allem ist da der zu nennen, dass die Überlebenden die Geschichte schreiben, in diesem Fall vor allem die USA – der ein echter Reset bisher erspart blieb als Sieger aus den zwei Weltkriegen.

Ansonsten lässt sich diagnostizieren und empirisch belegen, dass Marxens Analyse stimmt: Die Profitraten sinken periodisch, dagegen gibt es kein Mittel. Die Illusion, dass es anders sei, ist nur sekundär durch technische Umwälzungen und primär durch die Eroberung fremder Märkte aufrecht zu erhalten. Letzteres aber gelingt eben nur den wenigsten. Die meisten gehen dabei erst recht unter. Die einzige Chance, dass es irgendwann weitergeht, liegt im Zusammenbruch. Danach kann man bei Null anfangen und sich wieder so lange über ‘Wachstum’ freuen, bis wieder zu viel Kapital auf zu wenig Absatz trifft. Eine Situation, die wir in historisch einmaligen Dimensionen derzeit weltweit erleben.

Vom Ende zum Ende zum Ende

So stellt sich also die Frage, wie die Zukunft des Kapitalismus aussehen soll. Eine Variante, die man ernst nehmen könnte, die aber ausgerechnet die Fürsprecher der (alternativlosen) ‘Marktwirtschaft’ nicht anbieten, ist die der geplanten Resets. Der periodische Zusammenbruch müsste demnach so vorgesehen sein und der holde ‘Wettbewerb’ an einem Punkt x|y beendet werden, um alles wieder auf “Los” zu schicken. Wer das will, sollte das bitte sagen und sich mit den Folgen befassen. Dazu sei angemerkt, dass auf dem Niveau an Produktivität, das bereits erreicht ist, dieser Punkt sehr schnell wieder erreicht werden wird.

Wer das nicht will und glaubt es sei möglich, Kapitalismus so zu stabilisieren, dass die periodischen Krisen samt Zusammenbruch vermeidbar wären, soll mir bitte erklären wie. Bislang ist mir keine Theorie bekannt, die das auch nur annähernd zu leisten imstande ist. Am peinlichsten aber ist, dass der politisch-ökonomische Komplex sich diese Frage nicht einmal stellt. Meine linksliberalen Kollegen übrigens auch nicht. Sie müssten sich bei der Gelegenheit vielleicht klar machen, dass ein bisschen “Sozialismus” (die Art, vor der die FDP immer warnt) in der Marktwirtschaft zwar nicht das Schlechteste wäre, den Prozess aber auch bestenfalls verlangsamt. Oder kennen die einen Trick, der mir entgangen ist?

 
Weil sie zu dumm und zu uneinsichtig zum Sparen sind, haben sie jetzt schon wieder doppelt so viel Schulden. Dabei wäre es so einfach, wenn man nicht immer nur geschenktes Geld verprassen wollte:
Da geht man mal zum Lidl und kauft das Angebot, sagen wir die Limo für Minus fünfundzwanzig Prozent. Sparst du zwanzig Cent. Wenn du davon zehn Millionen kaufst, hast du schon wieder zwei Mios mehr in der Tasche. So kann man das mit vielen Sachen machen, nicht nur mit der Limo. Aber da musst du eben im Angebot kaufen und nicht bei der Edeka für teuer.

So, und natürlich weiß ich auch, dass man auch sparen muss, indem man nicht einkauft, sondern Sachen gar nicht kauft. Gehst du zum Beispiel zu der Edeka und lässt den ganzen Einkauf weg, das sind locker fünfzig Euro. Überleg mal: Wenn die Griechen das machen würden – das sind zehn Millionen Leute, dann müssten die nur ein Mal alle zur Edeka gehen und schwups hätten sie eine halbe Milliarde Euros gespart. Aber dafür sind die ja zu faul. Lieber unser Geld nehmen, das ist leichter.

Was sagt der Schmidt dazu?
Der Schmidt: “Wir brauchen mehr Führung. Wir brauchen wieder einen Führer!

Und der Steinbrück: “Die Griechen wollen nur Pils und Kippen. Wir haben in einen tiefen Abgrund geschaut, aber die Spareinlagen sind sicher. Ich werde die Banken im Alleingang retten.

Und die Merkel: “Wir müthen eine gemeinthame Löthung finndenn. Ich halte nichtth von Vermöögnthabgaben.

Nur eine große Koalition kann uns noch retten. Oder der Schmidt.

Guten Abend, das Wetter.

 
schrammEine “Partei” wie die Piraten fasert zwangsläufig an allen Ecken und Enden auf, weil sie nicht gewachsen ist. Das war schon immer ein Problem der Shooting Stars, so auch bei “Schill-” oder “Stattpartei”. Nicht nur das Tempo spielt da eine Rolle, weil sich Strukturen nicht in der Eile bilden können, wie Funktionen besetzt werden müssen, sondern auch ein Mindestmaß an Homogenität, gemeinsamer Substanz, fehlt.

Bei einer Themenpartei ist das Problem, dass zwar das Ziel feststeht: Weniger Steuern, kein Fluglärm, Ausländer raus et cetera. Aber die Wege dorthin sind schon sehr unterschiedlich, und da zeigt sich gern, dass die Einigkeit nur äußerst oberflächlich besteht. Hinzu kommt bei einer solchen natürlich, dass Politik und Parlamentarismus sich nicht mit einem einzigen Thema bestreiten lassen. Welche Militärpolitik kann ich z.B. von einer Partei erwarten, die den Euro abschaffen will? Und welche Wirtschaftspolitik von einer Tierschutzpartei?

Bildquelle: Bastian Haas

Das Problem potenziert sich, weil der schnelle Erfolg ganz spezielle Karrieren hervorruft. Menschen werden plötzlich prominent, kommen unerwartet an hohe Einkommen, es öffnen sich ihnen Türen, die für andere verschlossen bleiben. Der Reiz der Macht und des Geldes korrumpiert. Das ist nicht zu vermeiden und keine persönliche Verfehlung. Es ist aber Teil des Geschäfts, und wer wissen möchte, was ihn erwartet, muss das einkalkulieren.

Womit wir beim Exempel Julia Schramm sind. Die junge Dame ist nicht besonders unmoralisch unterwegs oder korrupter als andere. Sie ist halt ein Sellface, das in jedes Verlagskonzept passt und hat die Gunst der Stunde genutzt. Die Widersprüche, in die sie sich verwickelt, sei es bezüglich Urheberrechts oder Parteifunktion, hat sie nicht selbst hervorgerufen. Sie ist allerdings ein Symptom für den Webfehler der “Piraten”, einer Partei, die sich in den vergangenen Jahren gegründet und etabliert hat, ohne irgend ein Verständnis für die Regeln des kapitalistischen Betriebs zu entwickeln.

Korrumpiert, entlarvt, abgeschossen

Keinerlei Verständnis, dafür ein Gespür, das peinlichst im Titel ihres offenbar inhaltsarmen Buches zutage tritt. “Klick mich” sagt die junge Frau, die sich gerade an einen Großverlag verkauft hat. Die gewollte phonetische Assoziation zum “Fick mich” ist nicht bloß Kaufanreiz, sondern eine Offenbarung ihres Verhältnisses zum Kapital. Sie hat die Beine breitgemacht, es mit sich machen lassen und kassiert. Gut kassiert. Somit kann sie sich des schalen Respekts derer sicher sein, die für weniger mehr tun. Wäre da bloß nicht die Illusion der Freiheit, auf deren Verkauf ihr bisheriger Erfolg beruhte.

Die Widersprüche des Systems, in dem die Piraten segeln, werden überall sichtbar, wo sie wirklich aktiv werden. Der eine negiert sich als Person, womit er erst recht verdeutlicht, dass er am Ende doch als beeinflussbarer Mensch sich selbst vertritt und nicht die Demokratie, sei sie fest oder flüssig. Die andere geht den Weg ihres eigenen kleinen Ruhms und zertrampelt das bisschen Inhalt, für das sie bislang stehen wollte. Urheberrecht? Drei zwei eins, meins. Das sind keine Zufälle, das ist alles, was von Piraten übrig bleibt, wenn das System sie wahrnimmt.

Die liebevolle Umarmung der Medien, die bislang noch keine neue Partei in dieser Herzlichkeit erlebt hatte, hat auch damit zu tun, dass sie mit Recht als harmlos eingestuft wird. Abgesehen davon, dass sie als starke Konkurrenz des Schmuddelkindes „die Linke“ nicht unwillkommen ist. Die Piraten, ihre versammelte Prominenz allemal, sind Kanonenfutter für das Establishment. Wo immer sie sich vorwagen, werden sie hier korrumpiert, da entlarvt und dort abgeschossen. Das wird so lange gehen, bis sie selig untergehen oder endlich begreifen, mit wem sie es zu tun haben auf der großen Bühne. Ich habe keine Zweifel, welcher Fall zuerst eintritt.

 
soldataDer Einsatz der Bundeswehr hat längst begonnen. Sie ist auf einem gnadenlosen Propagandafeldzug, vor dem selbst der bescheidenste Verstand, der seines Namens noch würdig ist, sich auf eine panische Flucht begibt.

Telepolis berichtete kürzlich von einer “Kooperation” einer Grundschulklasse (2. Schuljahr) mit der Bundeswehr. “Schutzengel für Afghanistan” nennt sich diese schamlose Verkitschung des Tötens. Wie “kooperiert” man als Zweitklässler mit der Bundeswehr? Nun, man betet. Man schult die “Friedensgesinnung” der Kinder durch religiös inszenierte Glorifizierung des Krieges. Dabei erwischt, ruderten die Verantwortlichen ein wenig zurück – oder auch nach vorn – und schließen die Helden an der Front nicht mehr ins Gebet ein, sondern nur mehr in die “Gedanken”.

Das Ministerium für Liebe informiert

Überhaupt stellen die Helden am Hindukusch zwar ab und an ein Gewehr vor malerischer Kulisse auf (siehe Abbildung), in erster Linie aber besteht ihr Job darin, Kinder im Arm zu halten oder auch schon mal eine Frau. Krieg ist Frieden. Krieg ist Liebe. Woher kenne ich das bloß? Krieg ist ein Vergnügungspark – immerhin mal etwas Neues, sieht man von Baudrillards schrägem Vergleich von Auschwitz und Disneyland einmal ab. Da war die Tendenz freilich eine dezent andere.

tosol

Chillen bis zum Abwinken: Beachparty 1944

Der Kracher schlechthin ist schließlich die andere Kooperation, die vom Bauer-Verlag mit den Abteilungen für Propaganda und Rekrutierung vorverblödeten Nachwuchses. Chillen am Strand, Abenteuer an der Wand (nein, noch nicht an der, wo man erschossen wird). Krass cooler Urlaub im “Adventure Camp” der Bundeswehr (Vorsicht, Eimer bereithalten!). Die Militarisierung der Jugend muss sich also auch endlich nicht mehr hinter gewissen Gepflogenheiten der DDR verstecken. Im Gegenteil: Sie ist professionell gestaltet, in Hochglanz bebildert und mundgerecht zubereitet.
Das mit dem Sterben lernen wir dann vor Ort. Im letzten und größten aller Abenteuer.

Es wird immer schlimmer. Die Faulheit grassiert. Womöglich haben Ausländer in den Großstädten die Deutschen angesteckt, zumindest kann man das aus den Ausführungen des aufrechten deutschen Bezirksmeisters Buschkowksy so deuten. Am Ende aber steht der Ruin unserer Wirtschaft. Durch faules arbeitsscheues Gesindel werden die Reichen immer reicher; das Geld fehlt dann, um Straßen und Gefängnisse zu bauen. Wenn wir nicht wollen, dass für wichtige Investitionen gar nichts mehr da ist, müssen wir also endlich die Sozialleistungen kürzen, besser ganz abschaffen. Sonst locken wir noch mehr faule Kreaturen an, Überlebenskünstler, die sogar mit Harttz IV noch über die Runden kommen. Jeder, der etwas von Wirtschaft versteht, weiß aber: Wo Armut ist, ist auch Reichtum. Eine Politik für die Mitte muss sich daher der Armen entledigen, sonst bleibt für die breite Mehrheit bald nichts mehr übrig. Das ist die bittere Wahrheit.

Ich gebe diesen Vortrag einmal weiter. Heinz-Josef Bontrup spinnt den Faden von der neoliberalen Lohnsenkungsreligion zur finalen Krise der Profitrate. In der ersten Stunde, die ich mir eben angehört habe, ist das Wichtigste zusammengefasst.
Ich werde nicht zuletzt diese Ausführungen zum Anlass eines gewagten Ausblicks in die Möglichkeiten eines aus dem Kapitalismus erwachsenden Sozialismus’ nehmen.

[edit: Der Vortrag geht bis 01:12, dann folgt die Diskussion.]
[edit 2: Die "Diskussion" (leider hört man die Fragen nicht, also die Ausführungen Bontrups,) ist ebenfalls höchst hörenswert.]

espd

Der Herr Bundespräsident hat die Systempresse gelobt. Es sei wichtig, eine freie Presse zu haben, die keine grundsätzliche Kritik an den Eliten äußert. In der DDR sei das böse gewesen, weil die falschen Eliten nicht kritisiert wurden, nunmehr aber sei alles gut. Fast alles. Denn es gibt heute das Internet, und dort werden nicht nur die richtigen Eliten fälschlich kritisiert, sondern obendrein unter Verzicht auf die Trennung von Nachricht und Kommentar. Wie gut also, dass wir einen Qualitätsjournalismus haben.

Herrn Gauck sei an dieser Stelle vergeblich geraten: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die präsidiale Neutralität üben. Beginnen wir also mit dem Schmarrn jener Trennung, die keine ist, was er auch wüsste, hätte er je ein deutsches Printprodukt auf den behaupteten Umstand überprüft. Den Kommentar vom Bericht zu trennen, ist eine auch nicht durchgängig gepflegte Tradition der angloamerikanischen Presse, eine Arbeitsteilung, die es in sich hat. Denn wenn der Bericht über politische Ereignisse sich mit Wertungen bemüht zurückhält, dann nur, um den Kommentator umso deftiger zulangen zu lassen. Eine Berichterstattung, die den Kommentar einfach ausfallen lässt oder ihn so windelweich verpackt, dass niemand ihn fürchten muss, ist damit gerade nicht gemeint.

Für den Kommentar als solchen gilt das ohnehin nicht. Das hieße ja, ein wertender Text dürfte keine Informationen enthalten. Es gilt ebenso wenig für den Essay. Die Möglichkeit, Berichte zu zitieren, die darin enthaltenen ‘Informationen’ anzuzweifeln, zu ironisieren und ggf. mit Spott zu übergießen, ist gerade in diesen Zeiten unerlässlich. Zeiten, in denen wir mit Versatzstücken, Neusprech und Propaganda untersten Niveaus eingedeckt werden – nicht zuletzt vom ‘Qualitätsjournalismus’ – der seine Informationen überdies in aller Regel keinen Deut besser absichert als die Schmierfinken “im Internet”.

Die unterste Schublade

Und wo bitte ist sie denn, die Trennung von Bericht und Kommentar? Der Boulevard von Bild bis SpOn tritt das Prinzip schon in der Überschrift mit Füßen. Ansonsten wird pausenlos gewertet; der eine gilt da als “Experte”, der andere als “Populist”, Menschen sind mal “Mob”, “Chaoten” oder “Wutbürger”, und alle wissen ohne jede Distanz, dass “Wachstum” und “Arbeitsplätze” gut sind, der “Euro gerettet” wird und eine “Brandmauer” gebaut. Wie ausgesprochen wertneutral – und dann sind wir noch nicht bei den Texten, die gleich von PR-Agenturen oder sogenannten “Think Tanks” durchgedrückt werden.

Nun sind weder Blogger noch ihre Kommentatoren dafür bekannt, dass sie Nachrichten produzieren. Dies tun gemeinhin Agenturen. Von daher ist die Quote der Kommentare, Essays und Meinungsäußerungen entsprechend hoch. Die Nachrichten, die dort ausgegraben werden, sind wiederum kein Ruhmesblatt für den Q-Journalismus, denn der vergräbt sie im Zweifel eher. Wäre das anders, wäre Gauck nicht Präsident. Köhler wäre nicht gestrauchelt und Wulff nicht so ins Amt gekommen. Nur zur Erinnerung.

Was die unterste Schublade anbetrifft, kann niemand den großen Verlagen, allen voran dem Springer-Verlag, das jauchige Wasser reichen. Kampagnen gegen Einzelpersonen, Gruppen oder Staaten, wie sie dort losgetreten werden, kann sich hier draußen niemand leisten. Wir würden juristisch zerfetzt, ruiniert und vermutlich eingesperrt. Ähnliches gilt fürs Kommentariat. Für das, was bei der “Welt” zum Beispiel an Hetze von geifernden Lesern betrieben wird – und von der Redaktion goutiert, würde ich mich schämen. Die dürft ihr gern behalten.

Traurig auch, was Heribert Prantl jüngst wieder an Unsinn verzapft hat: “Für das Internet” gebe es “kaum Regeln”. Welch ein Griff ins Klo! Hat der Mann jetzt auch schon von Recht und Gesetz keine Ahnung mehr oder will auch er effektiv eine Zensur, eine “Regel”, die vor der Äußerung schon durchgesetzt wird? Das schiefe Beispiel Bettina Wulff, die mit dem PR-Feuer gespielt und sich daran verbrannt hat, ist doch selbst kein schlechtes: Sie klagt Gott und die Welt aus den Schuhen. Wie geht das, wenn es angeblich “kaum Regeln” gibt? Der Mann lügt. Er weiß genau, was “Abmahnwahn” bedeutet.

Regeln für die Unmündigen

Wozu dann also das Gewese? Weil das Internet nichts vergisst, dort jeder Quatsch irgendwo zu finden ist, der einmal veröffentlicht wurde? Gut, dass das bei den seriösen alten Holzmedien anders ist. Nein, warte – die sind doch ebenfalls im Internet, sogar ihre Archive. In denen man jede alte Verleumdung heute noch einmal lesen kann, wenn man sich noch nicht genug geekelt hat. Wo also ist der Unterschied?

Die fest mit ihren Sesseln verwachsenen Funktionsmöbel der Redaktionsstuben und der ganze politisch-publizistische Komplex haben sich daran gewöhnt, dass sie verkünden und ihr Publikum das glaubt. Schließlich haben sie alles hinreichend kritisch® in die angemessene Form gebracht und ihren Mündeln damit diese Arbeit abgenommen. Nun fürchten sie, dass die Gerüchte im Internet, die ja auch jemand aufgeschrieben hat, ebenfalls als verkündete Wahrheit angenommen werden. Die glauben schließlich alles.

Dieses Bild von den unmündigen Halbgescheiten eint den Verkündungsjournalismus mit den Zeremonienmeistern der politischen Wahrheitsproduktion. Lebte Gauck nicht geistig noch immer in der DDR und seinem seligen kalten Krieg, er würde die Unterschiede erkennen, weil er die Parallelen sähe. Wäre Prantl nicht ein verknöcherter Reaktionär der Medienmacht, er könnte ein großartiger Journalist sein. So ist er nur ein Talent, das die besten Zeiten hinter sich hat. Das Wichtigste hat er dann doch nicht gelernt: Kommunizieren ist mehr als senden.

Nächste Seite »