Fortschritt durch Technik
Posted by flatter under WirtschaftKommentare deaktiviert
15. Mai 2009 0:14
Eine spannende Frage, die im Zusammenhang mit den “Errungenschaften” des Kapitalismus erstaunlicherweise selten diskutiert wird, ist die Rolle des technischen Fortschritts, sein Einfluß auf Warenverkehr, Verteilung und vor allem “Wachstum”. Tatsächlich wird der Fortschritt ebenso wie das Wachstum schlicht der “Marktwirtschaft” subsumiert, ganz so, als sei jede Entwicklung bloß Funktion von Ökonomie.
Die Selbstbezogenheit solchen Ökonomismus ist nachgerade psychotisch. Ein belustigendes Beispiel habe ich im vorigen September hier erwähnt:
“Dieses Urteil gilt selbst für den »Manchester-Kapitalismus«: Von 1750 bis 1900 haben sich die Reallöhne in England mehr als verdreifacht.” (Zeit.de)
[...] Von 1750 bis 1900 haben sich die Reallöhne in England mehr als verdreifacht, ja leck mich fett, in 150 Jahren verdreifacht, einmal Industrialisierung dazwischen, und schon geht’s aufwärts.”
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Anstatt die Bibeltexte der großen Ökonomen buchstabengetreu auszulegen, um Wachstum zu erklären, würde mich einmal brennend interessieren, wie es tatsächlich um den Zusammenhang zwischen Wirtschaften, technischen Innovationen und Wachstum steht.
Das hohle Starren auf ein “Wirtschaftswachstum”, das zum autistischen Zahlenspiel degeneriert ist, vernachlässigt ja längst schon den Unterschied zwischen ökonomischen Daten und realwirtschaftlichem Geschehen. Fluch und Segen des Kapitalismus werden daher systembedingt völlig falsch eingeschätzt.
Als das Internet massentauglich wurde, worin die letzte marktrelevante technische Umwälzung bestand, zog dies viel Geld in seinen Bann, was freilich nicht bedeutet, daß die Marktwirtschaft selbst hier irgend etwas geleistet hätte. Geld folgt halt aussichtreichen technischen Neuerungen, sofern es nicht einfach anderem Geld folgt. Dies kann in Zeiten brauchbarer Innovationen gut und richtig sein.
Bleiben solche aber aus, ist das Gegenteil der Fall. Die “Immobilienblase” und andere sinnlose Geldgeschäfte kann man daher als ein Phänomen betrachten, daß von gelangweilten Investoren losgetreten wird, die eben keine aussichtsreichen technischen Neuerungen finden, die ihnen Aussicht auf Gewinn bieten. Schlimmstenfalls können sogar vorhandene Entwicklungen verzögert werden, weil das Geld lieber ins Casino getragen wird, weil es dort vermeintlich weniger riskant vermehrt werden kann.
Kapitalismus kann jede Entwicklung beschleunigen, nicht zuletzt, wenn sie eine fatale ist. Was er offenbar nicht mehr kann, so er es je konnte, ist die Förderung einer sinvollen und zukunftsfähigen technischen Entwicklung.
Vor allem kann er dies nicht zielgenau. Selbst wenn jedes Kind weiß, was der Welt fehlt und sogar wenn es Entwürfe gibt, wie man dem beikommen kann, bleibt das Geld weg. Es wird nichts mehr wirklich investiert, und das große Sittengemälde des verantwortungsbewußten Unternehmers, der zum Nutzen der Gesellschaft Risiken eingeht, ist schiere Propaganda.
Dies hat mannigfaltige Konsequenzen, auf die ich im einzelen hier nicht eingehen möchte.
Lediglich die daraus resultierende Kernfrage will ich kurz aufwerfen:
Wenn es stimmt, daß ab einem gewissen Grad industrieller Entwicklung der technologische Fortschritt vom errechneten Wirtschaftswachstum abgekoppelt ist und der Fortschritt auch möglich sein muß, ohne unmittelbar profitabel zu sein, wäre dann ein System denkbar, das die technologische Entwicklung an sozialen und kulturellen Fortschritt bindet?
Dies wäre vor allem eine Frage des Bildungssystems. Dieses hat sich zuletzt zum äußersten Schaden seiner selbst den Anforderungen der ökonomischen Ideologie unterworfen. Hier ist eine radikale Kehrtwende vonnöten. Es wäre dann ggf. denkbar, technischen und anderen wissenschaftlichen Fortschritt von Eigentumsstrukturen abzulösen. Vor allem dort, wo proprietäre Verwertungszusammenhänge selbst keinen solchen Fortschritt hervorbringen, können Wissenschaft und öffentliche Forschung die soziale und kulturelle Entwicklung enorm fördern – und als Nebenprodukt sogar die reale Wirtschaft stärken, ohne in deren Abhängigkeit zu geraten.
Mai 15th, 2009 at 01:33
Gerade heute hatte ich mit einem Freund genau diese Diskussion gehabt, allerdings ging diese in eine etwas andere Richtung, nämlich, dass der liberale Kapitalismus in Bezug auf technischen Fortschritt genau das komplette Gegenteil davon ist, als was er sich gern darstellt. Er ist eine richtige Fortschrittsbremse, denn allein schon dadurch, dass Millionen Menschen in den Entwicklungsländern ihrer Entfaltungsfähigkeiten durch Ausbeutung beraubt werden, gehen viele Fähigkeiten verloren, von denen niemand jemals etwas erfuhr. Auch in den Industrieländern beraubt Lohnarbeit die Menschen zunehmend ihrer richtiger Individualität und damit die Gesellschaft frischer Ideen. Das, was uns nämlich seit Urzeiten antreibt ist nämlich keine Ökonomie, sondern unser schierer Erfindungsreichtum. Folglich kann es also nur dann einen maximal möglichen Fortschritt geben, wenn ökonomische Aspekte keine Rolle spielen, denn sinnvolle Erfindungen und Technologien werden immer ihren Weg in den Alltag finden und der Fortschritt selbst wäre viel pragmatischer und zielgerichteter. Also im Prinzip das genaue Gegenteil von unserer 30-Rasierklingensorten-Marktwirtschaft…
Mai 15th, 2009 at 02:16
@Manul
Das, was uns nämlich seit Urzeiten antreibt ist nämlich keine Ökonomie, sondern unser schierer Erfindungsreichtum.
Eine ganze Menschheit hat es damit bis heute gebracht, nun wird sie verkauft.
Danke Mann für diesen Satz.
Mai 15th, 2009 at 03:29
Drüben bei Wgnx gehts gerade in eine ähnliche Richtung:
https://www.weissgarnix.de/?p=2194#comments
Mai 15th, 2009 at 07:21
Diese Vorstellungen umzusetzen bedeutet eine Politik, die den Menschen an sich wieder in den Mittelpunkt des allgemeinen Strebens setzt und ihn nicht als Mittel zum Zweck (von einigen betrachtet), der ausschließlich nach seinem Nutzwert bestimmt wird.
So lange allerdings Figuren wie z.B. Dieter Bohlen, Pam Anderson und Paris Hilton als Idole der Mainstream-Presse ihr Dasein fristen dürfen, sehe ich da eher schwarz, denn ein dümmliches Grinsen, ein großer (künstlicher) Vorbau und ein kurzes Röckchen scheinen allemal mehr Wert zu sein als die Leistungen vieler Menschen, über die nie ein Wort verloren wird, obwohl sie der Gemeinschaft millionenfach mehr nützlich sind als Champagner schlürfende VIPs., die sich zu Dutzenden schmarotzend auf den roten Teppichen dahin bewegen.
Wer wie Millionen andere in abhängiger Arbeit tätig ist (tätig sein muss), zählt in diesem System nicht viel, es sei denn, man gehört zur Spezies Ackermann & Co.., die es nach herrschender Vorstellung zu etwas gebracht haben.
Die Frage ist nur, wie kann man der Mehrheit ein neues Menschen bild einimpfen, ohne vorher eine Revolution anzuzetteln? Und wie bekommt man die Chefideologen von heute an die Kette gelegt? Wie kann man die Macht der Massenmedien einschränken?
Fragen über Fragen….
Mai 15th, 2009 at 07:29
Zitat: “Kapitalismus kann jede Entwicklung beschleunigen, nicht zuletzt, wenn es eine fatale ist.”
Der Spätkapitalismus will doch nur dorthin wo er schon einmal war, nämlich in die Barbarei. Mit einem Heer von frühdebilen Gewaltbereiten im Rücken glaubt sich die herrschende Klasse absolut sicher. Wenn ich die neuesten Ergüsse eines sogenannten “Sozialdemokraten”, namens Thilo Sarrazin vernehme, wird mir so schlecht, wie seinerzeit dem Maler Liebermann.
Mit einer so heruntergekommenen “Sozialdemokratie” brauchts wirklich keine Reaktion mehr. Die haben wir schon.
Nebenbei bemerkt: Was so die Parteiausschlußverfahren der SPD betrifft, verwundert es mich, daß “Genossen” die sogar die DVU bzw. die NPD noch rechts überholen wollen, nicht einmal gerügt, geschweige denn rausgeschmissen werden.
Vielleicht lautet der nächste Wahlkampfslogan der “SPD” ganz angemessen:
Für eine Barbarei mit menschlichem Gesicht?
Mai 15th, 2009 at 08:00
“Fortschritt” bedeutet in der kommerziellen Definition der Marktwirtschaft eben das Fortschreiten auf den Punkt des Maximalen Gewinns.
Zeitarbeit, Lohnsenkungen, Sozialstaatsabbau…
all das ist fuer den gewinnmaximierenden Unternehmer ein “Fortschritt”!
“Oekonomisch” ist das nur insofern, als man die einzelwirtschaftliche Sicht des “Leistungstraegers” als “Wirtschaft” betrachtet…
Mai 15th, 2009 at 10:11
Tatsächlich ist das einzige, was man dem Kapitalismus wirklich zu Gute halten kann, der technische Fortschritt. Früher, also vor dem K., ist schon mal Jahrtausende lang nicht viel passiert, wohingegen der K. in wenigen Jahrhunderten die Welt so umgeformt hat, dass wir unsere Zeit nun (zumindest zum Teil) mit dem Lesen von Blogs verbringen können. :-)
Die Konkurrenz zwingt einen Kapitalisten dazu, alles so billig und schnell produzieren zu lassen wie irgendwie möglich. Also investiert er nebenbei Geld in Lohnarbeiter, deren Arbeit darin besteht, herauszufinden, wie es noch schneller und billiger gehen kann. Unter dem Druck der Konkurrenz versuchen diese, sich möglichst schnell etwas einfallen zu lassen und erfinden reihenweise Arbeits(=Zeit/Kapital)-sparende Maschinen. Die Besten dieser Erfinudngen setzen sich durch – aber die Konkurrenz schläft nicht, und der Wettlauf um die billigere und schnellere Produktion geht weiter.
Der technische Fortschritt, der uns Nichtkapitalisten zu Gute kommt, ist nur ein Nebenprodukt des kapitalistischen Produktionsprozesses, aber ein sehr nützliches.
Die Annahme, technischer Fortschritt werde durch den K. gehemmt und die eigentliche Triebkraft wäre der menschliche Erfindergeist, passt mE nicht zur Wirklichkeit. Ich halte das für Idealismus.
Dazu kommt, dass dieser technische Fortschritt uns erst überhaupt die Freiheit ermöglicht, uns vom K. frei zu machen und auf eigene Faust zu basteln und zu erfinden. Auch vor dem K. haben die Menschen nicht aus Lust, Laune und Kreativität erfunden, sondern aus der (ökonomischen) Not heraus oder im Aufrtag irgendeines Herrschers. Der Grund für die Langsamkeit des technischen Fortschritts lag damals in der fehlenden Motivation zum “immer weiter, immer besser”. Diese haben wir heute in Form des durch den Kapitalismus erzwungenen Konkurrenzkampfs.
…achja: Das alles hat ein Typ namens K. Marx alles schon viel besser und umfassender beschrieben.
Mai 15th, 2009 at 10:30
Schade, dass solche Themen in den weiterverbreiteten Medien (zb.grosse Tageszeitungen) nicht auftauchen. Dort würden sie eventuell eine kritische Masse von Leuten zum Nachdenken anregen. Was der natürlich erste Schritt wäre, auf dem Weg in eine bessere, wie auch immer geartete Zukunft.
Doch da ist nur Schweigen im Walde des Stumpfsinns.
Mai 15th, 2009 at 10:59
@Ben: Ja, die falschen Vorbilder sind auch ein Teil davon. Viele VIPs sind aber auch richtige Marketinghuren, denen nichts zu peinlich und nichts zu schade ist, wenn es der eigenen Popularität dient. Unsere gleichgeschaltete Presse bietet sich willig als Plattform an und hier geht es auch nicht darum jemandem zu tadeln, weil er etwas Besonderes mit sich darstellt, sondern sich in schmutziger Wäsche zu suhlen, je dreckiger umso besser. So konzentrieren sich unter den VIPs Leute, von denen ich manchmal ernsthaft schon frage, ob sie überhaupt noch halbwegs psychisch gesund sind, aber auf der anderen Seite hat man auch hier längst Grenzen von absoluten Tabus überschritten und man kann einfach kaum noch etwas tun, was wirklich aufsehenerregend wäre – und genau hier beginnt aber auch der Niedergang der Presse, deren Geschäft immer die Sensation war, die man aber heute kaum noch wirklich befriedigen kann. (Das ist aber noch ein ganz anderes Thema, was aber hier ziemlich gut übergreift. Ich schneide es allerdings nur deshalb an, weil ich die Zusammenhänge insgesamt sehr wichtig finde, denn alles zusammen ergibt eine Einheit, die es künftig ins Gegenteil zu verkehren gilt.)
Mai 15th, 2009 at 11:13
@claw:
Ja, Marx schon einiges gesagt, aber hatte er immer recht? Ich sehe übrigens gar keinen so großen Widerspruch zwischen meinen Ausführungen und dem, was Marx so sagte, aber ich halte es oft nicht für so fruchtbar, daran anzuknüpfen. Man verstrickt sich dann doch nur in die FRage nach der (einzig) richtigen Lesart und verliert den Blick fürs Wesentliche.
Ich bin schon nicht der Ansicht, der Kapitalismsu sei für den Fortschritt verwantwortlich. Wie Du richtig feststsellt, hat er diesen beschleunigt, was ich ja auch nicht leugne. Kultur und Wirtschaft sind aber in einer Phase, in der solche Beschleunigung nicht mehr produktiv ist, sondern immer häufiger, immer schneller destruktiv. Es ist sicher nicht angeraten, den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts aus Dankbarkeit weiter wüten zu lassen, weil irgend ein Geldsack die Dampfmaschine optimiert hat.
Mai 15th, 2009 at 11:33
@claw und flatter
Der ‘Goldene Reiter’ hat es schon angedeutet – zu fragen ist nicht zuletzt, welcher Natur dieser ‘Fortschritt’ ist. ‘Höhere Produktivität’ generiert der Kapitalismus ohne Zweifel – nur ist das auch gleichbedeutend mit einem tatsächlichen ‘Fortschritt’ in Sachen Lebensqualität? Wenn man sich die Stupidität der in immer mehr Teilschritte zerlegten ‘Arbeit’ ansieht, ist das gelinde gesagt zumindest zweifelhaft. Auch das Arbeitsquantum derer, die (noch) Arbeit haben, hat sich ‘nicht wirklich’ verringert – ein Großteil muss sogar mehr und länger arbeiten als früher, um sich zu ‘reproduzieren’, wenn auch auf einem wenigstens teilweise höheren materiellen Level. Der allerdings auch nicht immer so viel hergibt, wie er verspricht, dazu ist zuviel ‘kapitalistischer Schrott’ unterwegs.
Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass man ‘wirklichen’ Fortschritt bekäme, indem man ihn von den ‘Eigentumsstrukturen’ ablöst. Abgesehen davon, dass das gar nicht geht, und bei Beibehaltung der Eigentumsstrukturen der ‘rationalisierende’ Fortschritt ohnehin nicht nur weiter ‘wüten’ wird, sondern auch weiterhin ‘Priorität’ geniessen wird. Wir sehen im Gegenteil, wie diese Eigentumsstrukturen sich immer mehr auch in den ‘Fortschritt’ hineinfressen, der sich eine gewisse Unabhängigkeit bislang noch bewahren konnte.
Mai 15th, 2009 at 11:42
@Peinhard: Völlig richtig, was genau als “Fortschritt” gilt, wäre zu diskutieren.
Was ich meine ist etwa folgendes (als Beispiel):
Wenn an Universitäten oder anderen öffentlichen oder öffentlich geförderten Einrichtungen Innovationen erarbeitet werden, bleiben die Rechte an den daraus resultierenden Produkten (z.B. Patente) in öffentlicher Hand. Wer davon profitieren will, muß das bezahlen. Das ist übrigens noch ein Thema für sich: Wie die Patentinhaber Knowhow klauen, das sie später als ihr Eigentum in Stellug bringen.
Dies ist nur eine Idee, es gibt sicher noch bessere.
Mai 15th, 2009 at 12:11
@ flatter
Ein Beispiel
Nicht die Samen im „ewigen” Eis – die Daten sind das Problem
Die Weltsaatgutbank auf Spitzbergen und ihre virtuellen Geschwister
[...]Wer profitiert vom Wissen der Welt?
Wem nützt es, wenn das Wissen über die pflanzen-genetischen Ressourcen der Welt so verfügbar gemacht wird, als würde man einen Suchbefehl bei Google eingeben? Wenn interessierte Züchter (oder Landwirte) also nicht mehr mühevoll vor Ort in einer Genbank recherchieren müssen, deren Material womöglich noch gar nicht katalogisiert ist? Wenn sie nicht mehr jede einzelne der 1.400 Genbanken abfragen oder sogar aufsuchen müssen, um besonders dürreresistenten Weizen oder besonders hitzeresistenten Mais züchten zu können?[...]
Mai 15th, 2009 at 13:16
Die Absurditäten der Entwicklung werden in linken oder linksliberal ausgerichteten Blogs gesehen aber noch längst nicht im Massenpublikum. Das Vehikel wird gerade repariert, um damit weiter zu rasen, wiederum nur, um an der nächsten Ecke erneut zusammenzukrachen. Aber auch das ergibt vermutlich noch nicht den Anlass, darüber nachzudenken, ob es so weiter gehen kann.
Wahrscheinlich brauchen wir die ultimative Karikatur. Wir brauchen das Pferd, das mit vier gebrochenen Beinen auf dem Asphalt liegt, den Reiter, der vermoderte Holzlatten an des Pferdes Beine nagelt, sich auf dessen toten Arsch setzt, „Hurra!“ brüllt, „Soziale Marktwirtschaft!“ und „Voran, voran!“ Dazu noch: „Mehr Kapitalismus wagen!“
Bis dahin Schnäppchen oder Silbereisen oder SUV oder Suff.
Mai 15th, 2009 at 13:28
Erinnert mich an eine alte Diskussion aus der Cyberpunkzeit, – über die Ethik bezüglich selbst agierender Roboter mit künstlicher Intelligenz.
Da kam so ein Salesmann dazu und meinte nur:
Booooh ja, – Kaufsklaven.
Mai 15th, 2009 at 16:35
Die Marxsche Analyse der Optimierung der Produktion durch den Konkurrenzmechanismus halte ich für sehr plausibel. Allein, die proletarische Revolution, die materialistische Offenbarung, die seiner Ansicht zwangsläufig kommen wird, schafft für werktreue Marxisten genügend Diskussionsstoff für die Restlebenszeit. (Wann kommt die Revolution, warum ist sie noch nicht da…?)
Aber zur eigentlichen Frage würde ich ‘mal in den Raum stellen, dass wir zwar in bestimmten Bereichen enormen technischen Fortschritt (Mikroelektronik etc.) haben, aber auf gesellschaftlicher Ebene eher Rückschritte machen, weil sich die ökonomische Ungleichheit immer weiter verschärft und wir so nach und nach in eine Art modernen Feudalstaat übergleiten.
Mai 15th, 2009 at 17:08
@flatter
Gerade Patente und die gesamte Konstruktion zum sog. ‘geistigen Eigentum’ halte ich nun wieder für einen der größten ‘Fortschrittsblocker’ überhaupt… Es tut mir ja fast schon leid, wenn ich immer wieder bei dieser im wahrsten Sinne des Wortes ‘alles vereinnahmenden’ Eigentumsfrage lande – aber wenn wir diese Frage nicht behandeln, können wir uns die anderen Fragen zwar natürlich nicht sparen, aber bestenfalls mit Teelöffeln die Felder zu bestellen suchen, auf denen das Eigentum längst ganze Maschinenparks einsetzt.
Mai 15th, 2009 at 17:39
Zum Thema “Fortschritt” gibt es eine unschlagbar treffende Definition, allerdings von einem Außenseiter:
“Der Fortschritt ist eine zweischneidige Waffe wie das Bier. Die Leute machen sich da dran und wissen nicht mehr wann sie aufhören sollen”
Jaroslav Hasek
Mai 15th, 2009 at 18:49
Wenn über Fortschritt geredet wird, geht es fast immer nur um Erfindungen und daraus resultierende technische Produkte.
Ist es dagegen kein Fortschritt, wenn der Mensch lernt, nicht mehr übereinander herzufallen und seine Urtriebe in so weit im Griff zu haben, diese spielerisch beim Sport oder vor dem Computer auszuleben, anstatt sich gegenseitig übertrumpfen zu wollen und keiner den anderen untertan macht?
Kann man nicht über ein Gesellschaftssystem nachdenken, dass viel mehr geistige Freiheit und Unabhängigkeit bietet, anstatt Billig- und Tagelöhner als normal zu empfinden?
Für mich ist das nur Rückschritt und hat mit Fortschritt nichts zu tun.
Unsere Politiker schreiten über rote Teppiche und diktieren den Menschen hinter den Absperrungen, was sie für das Leben ausgeben dürfen und für wen sie für einen Hungerlohn arbeiten müssen.
Fortschritt durch Technik? Vielleicht auf der einen Seite, auf der anderen Seite nur Rückschritt….
Mai 15th, 2009 at 22:38
“Wenn es stimmt, daß ab einem gewissen Grad industrieller Entwicklung der technologische Fortschritt vom errechneten Wirtschaftswachstum abgekoppelt ist und der Fortschritt auch möglich sein muß, ohne unmittelbar profitabel zu sein, wäre dann ein System denkbar, das die technologische Entwicklung an sozialen und kulturellen Fortschritt bindet?” -
Mit einer ähnlich lautenden Fragestellung hat sich John Maynard Keynes auch einmal beschäftigt in seinem Essay “Economic Possibilities for our Grandchildren” von 1930; verstanden wird er bis heute nicht richtig, auch nicht von namhaften Ökonomen unserer Tage:
https://mitpress.mit.edu/catalog/item/default.asp?ttype=2&tid=11658
Revisiting Keynes – The MIT Press
Mai 16th, 2009 at 05:47
@claw
Auch wenn man den Begriff auf den wissenschaftlich-technischen Fortschritt eingrenzt, sehe ich den Kapitalismus nur bedingt als fortschritsfoerdernd an.
wenn es um die reine Anwndung, die eigentliche “Technik” geht, mag ein derartiger Effekt sicherlich vorhanden sein. Plakative Beispiele waehren Leute wie Gates oder Edison.
Aber auch diese Technik ist nur die praktische Umsetzung tiefergehender Erkenntnisse, die ohne “kapitalistische” Interessen gewonnen wurden.
Ich wage mal die Prognose, dass wir, wenn Menschen wie Einstein, Galvani oder Kopernikus, in jedem Augenblick ihres Lebens gezwungen worden waehren, sich durch “Leistung” und “Produktivitaet” zu legitimieren, immer noch im Mittelalter leben wuerden. Selbst wenn es ein “kapitalistisches” Mittelalter waehre.
Die kapitalistische/marktwirtschafliche/kommerzielle Logik (wie immer man das nennen mag) hat sicher ihre Existenzberechtigung, wie Du es auch treffend umschreibst. Das aber nur in einem eng umgrenzten Rahmen, und nicht als universelle Ideologie, wie man das heutzutage beobachten kann.
Sicherlich sind die meisten MEnschen keine Idealisten, aber ein paar gibt es schon, und die sollte man nicht hemmen, wenn man wirklichen Fortschritt will ;)
Mai 16th, 2009 at 10:24
“Die kapitalistische/marktwirtschafliche/kommerzielle Logik (wie immer man das nennen mag) hat sicher ihre Existenzberechtigung, wie Du es auch treffend umschreibst. Das aber nur in einem eng umgrenzten Rahmen, und nicht als universelle Ideologie, wie man das heutzutage beobachten kann.”
Erstens – wirklich? Zweitens – wie müsste ein Rahmen beschaffen sein, in dem diese ‘Logik’ nicht ihren Anspruch auf Totalität geltend macht, wie wir das von Anfang an beobachten konnten? Wird ein solcher nicht die ganze Zeit schon vergeblich gesucht und von der Wachstums- und Ausdehnungslogik des Kapitals immer wieder durchbrochen?
Mai 16th, 2009 at 12:11
@Peinhard (11): Es ginge auch anders: Indem zum Beispiel an öffentlichen Einrichtungen erworebenes Wissen und vor allem dort entwickelte Ideen öffentliches Eigentum bleiben – im Sinne einer Open-Source-Lizenz. Dies wäre ungmein subversiv und stieße den Kapitalismus auf sein Grunddilemma: Daß nämlich alles, was nicht privates Eigentum ist, nicht in die Wertschöpfung eingeht und daher kein Wirtschaftswachstum schafft. Absurderweise könnte ein Paradies mit allem Luxus quasi pleite sein, weil es niemandem “gehört”. Das muß sich ändern, indem u.a. das “BIP” einem sinvolleren Index weicht bzw. anders berechnet wird.
Mai 16th, 2009 at 15:30
@Peinhard
Ein Problem mit dem “Kapitalismus” (im Grunde hasse ich dieses Schlagwort) haben wir ja da, wo sich eine Gruppe von “Grosskapitalisten” herausbildet. Also eine relativ eng umgrenzte Gruppe von Multimillionaeren und Milliadaeren, die ihren Reichtum ausnutzen, um demokratische Strukturen zu umgehen und Politik direkt zu machen und ihre Eigeninteressen durchzusetzen.
Und das es in Deutschland moeglich ist, derartig aberwitzige Privatvermoegen anzuhaeufen ist letztlich eine Entscheidung, die die Gesamtgesellschaft getroffen hat, indem sie Privateigentum hoeher wertet als gesellschaftliches Eigentum.
Um da wirksam gegenzusteuern, wuerde (m.E.) bereits eine angemessen hohe Besteuerung von Vermoegen und Einkommen reichen.
In manchen Bereichen ist natuerlich auch eine Vergesellschaftung alles andere als unangebracht, nichts anderes sind ja u.a. die Open-Source-Lizenzen…
boeser, boeser Kommunismus
*Augenzwinker*
Mai 16th, 2009 at 16:46
@flatter
“Absurderweise könnte ein Paradies mit allem Luxus quasi pleite sein, weil es niemandem “gehört”.”
Wesentlich wahrscheinlicher, weil so partiell schon gesichtet und momentan auch wieder drauf zulaufend – weil es jemandem gehört, aber nicht profitabel zu betreiben ist…
@Goldener Reiter
Die Anhäufung irrwitziger Vermögen ist aber eben nichts neues, genausowenig wie die Nutzung der daraus resultierenden Macht. Und privates Eigentum wird nicht nur höher bewertet als gesellschaftliches – letzteres gibt es de facto gar nicht. Auch Staatseigentum oder öffentlich-rechtliche Konstrukte sind nur ‘Derivate’ des Privateigentums, der einzigen grundgesetzlich garantierten Variante. Deshalb wäre auch eine Debatte über den Eigentumsbegriff notwendig statt einer darüber, was von einer (‘privaten’) in die andere (‘öffentliche’) Hand wechseln sollte. Eines der zentralen Mißverständnisse bzw Versäumnisse des ‘Staatssozialismus’…
Mai 18th, 2009 at 00:03
[...] wie das in den Kommentaren hier angesprochen wurde, ein florierendes Land mit einer zufriedenen Gesellschaft bankrott geht, [...]
Mai 21st, 2009 at 07:55
Nur ein Satz zu den Kommentaren über die Presse und den VIPs:
Unterhalten ist unten halten!!!!
Mai 25th, 2009 at 01:38
Flatter, es ist m.E. sehr respektabel und nachvollziehbar, wenn Du Zweifel an der üblichen Ökonomenlogik äußerst, welche nahezu jeglichen technischen Fortschritt als Ergebnis von Marktprozessen ansehen.
Ich kenne mich z. B. mit der Medizingeschichte ein wenig aus, und – summa summarum – würde ich sagen, dass hier der Großteil aller Fortschritte (auch: technischen Fortschritte) nicht allzu eng mit dem Marktgeschehen zusammen hingen.
Aber:
Ganz so einfach ist das nicht. Ich denke, man kann die Gedankenarbeit/Analyse gut struktuieren und einer zumindest plausiblen Antwort annähern, wenn man von vornherein von “multiplen Quellen technischen Fortschritts” ausgeht, und sich dann im nächsten Schritt fragt, welches diese Quellen sind, und welches Gewicht sie jeweils haben.
Flüchtig, eher als Stichpunkte für Flatter zum Weiterüberlegen, fällt mir dabei Folgendes ein:
1. Technischer Fortschritt auf Basis eines intensiven, fairen ökonomischen Wettbewerbsgeschehens.
Dort, wo Märkte besonders gut funktionieren (Beispiel: Markt für Digitalkameras), wo eine hohe Kommunikationsdichte (z.B. Testberichte, gut informierte Konsumenten) herschen inklusive einer guten Signalqualität der Marktsignale (d.h. Preisinformationen, transparente Qualitätsinformationen u.ä.), wo zusätzlich die staatlichen Regularien (z.B. Umtauschrecht der Konsumenten, Garantieansprüche) den Wettbewerbsverlauf systematisch in Richtung einer Leistungssteigerung und Qualitätsverbesserung der Anbieter bewegen – zu Gunsten der Interessen der Nachfrager, dort beschleunigen Marktprozesse den technischen Fortschritt.
Vergleicht man z. B. den “technischen Fortschritt” in ehemaligen realsozialistischen Staaten (die in vielen Bereichen oft nur schlechte Kopierer der kapitalistischen Vorbilder waren), so gewinnt die These, dass ein intensives und faires Wettbewerbsgeschehen den technischen in Richtung Konsumenteninteresse steuert, ein erhebliches Gewicht.
2. Staatliches Handeln als Quelle für technischen Fortschritt
Man kann lang darüber streiten, ob der Staat hier auch hemmend tätit ist, indem er (Beispiel USA) z. B. Wissenschaftler in den militärischen Bereich abzieht – in der Summe leistet der Staat einige Anreize für technischen Fortschritt, auch dadurch, dass er a) allgemeine (!) Bildung, b) Universitätsbildung und c) Forschung finanziert, sowie d) als Auftraggeber für fortschrittliche technische Produkte (Beispiel, allerdings leicht missglückt: Mautsyteme) in Erscheinung tritt.
3. Automatischer Erkenntnisfortschritt und Fortschritt durch Imitation
Ähem, nun: Eine der größten Quellen für technischen Fortschritt ist die Nachahmung…
4. Altruistisches bzw. von Spieltrieb geleitetes Handeln einzelner Individuen
Man sollte das m.E. nicht unterschätzen. Mitunter werden Individuen fern eines Marktgeschehens als Produktentwickler und Produktverbesserer tätig. Ich kenne das beispielsweise für bestimmte Bereiche im Synthesizerbau und auch im Softwarebereich, wo tatsächlich fern ökonomischer Märkte große Leistungen erzielt werden.
5. Technischer Fortschritt durch Arbeitnehmerintelligenz
Wird leider von etablierten Wirtschaftswissenschaftlern entweder ganz unterschlagen oder fehlerhaft analysiert. Tatsächlich finden innerhalb von Firmen viele Dinge statt, die nicht unmittelbar auf eine Marktgeschehen zurück zu führen sind, sondern eher mit Loyalität oder schlichter Erfindungslust zu tun haben.
6. Technischer Fortschritt durch Kohortenprozesse
Hmm – da müsste ich ausholen. Das schaffe ich in der Kürze nicht, aber in etwa: Es gibt einen massiven Effekt (bekannt u.a. aus “Silikon Valley), dass allein schon die räumliche Akkumulation und Spezialisierung bestimmter technischer Richtungen und Firmen erheblich zur Akzelerierung von technischen Fortschritt beiträgt. Ich nenne das: Kohortenprozesse.
Der Witz ist: Diese Prozesse müssen keineswegs rein marktbedingt sein. Japan hat in den 60er und 70er Jahren vorgemacht, dass derartige Prozesse durch staatliche Planungsbehörden strukturiert und geleitet werden können – und dies sehr zum Wohl einer Volkswirtschaft.
Das widerspricht herkömmlicher (v.a. wirtschaftsliberaler) Ökonomenlogik doch erheblich…
7. Technischer Fortschritt durch Schutzbereiche
Das wäre noch einmal eine völlig andere Sichtweise, zumal offen bleibt, was hier als Schutzbereich betrachtet wird.
Das kann sein: Reduzierung zerstörerischer ausländischer Konkurrenz (also: Verminderung (!) des Marktgeschehens) durch Schutz- und Erziehungszölle. Oder das Einräumen exklusiver Verwertungsrechte für Patente – was ggf. auf die Produktion technischer Erfindungen positiv einwirkt.
8. Gesellschaftliches Klima
Auch hier kurz: Eine sich für Technik und Fortschritt interessierende Gesellschaft, und mag dieser öffentliche Interessenfokus reinweg nur Ausdruck einer Mode sein, kann allein schon durch ihren Interessenschwerpunkt (sichtbar u.a. in der Berichterstattung) teschnischen Fortschritt in bestimmten Gebieten beschleunigen – und das sogar sehr deutlich.
Auch das ist imho primär kein Marktprozess.
Genauso interessant wie die (hier immer noch weit unvollständigen) begünstigenden Faktoren für technischen Fortschritt wäre vielleicht auch ein Quergalopp über Hemmfaktoren von technischen Fortschritt.
Mir fallen da ein:
1. Monopolstrukturen
2. Gesetzliche Verbote
3. Übersteigerte Immaterialgüterrechte (welche im Softwarebereich in Gestalt “geistigen Eigentums” in vielen Bereich de fakto fortschrittshemmend wirken)
4. Armut einer Gesellschaft bzw.
5. Allzu starke gesellschaftliche Ungleichheit
Die Punkte 1) und 3) – im internationalen Zusammenhang auch der Punkt 4 – lassen sich ggf. als Ergebnis von Marktzusammenhängen interpretieren, besonders im neoliberalisierten Staat, der bevorzugt mächtigen Wirtschaftsinteressen folgt.
Ein neoliberales Staatswesen folgt eben nicht schwerpunktmäßig den Interessen von Verbrauchern, Arbeitnehmern und Marktschwachen. Im Gegenteil, hier wird der Staat zur Beute der wirtschaftlich Starken und Übermächtigen.
So – ich hoffe, ich habe ein paar nützliche Stichworte geliefert.