Der Herausgeber der “Zeit”, Josef Joffe, foltert seine meist unschuldigen Leser mit einer Gnadenlosigkeit, vor der ich in die Knie gehe. Hier einige Anmerkungen zu einem Meilenstein kreuzdämlicher Kapitalanbetung, abgelegt unter der Rubrik “Zeitgeist”:
Das eiserne Gesetz der Kapitalismuskritik besagt: Je weniger einer von diesem System versteht, desto lustvoller geißelt er es. Umgekehrt gilt: Je höher die Kenntnis, desto geringer die Lust, die Marktwirtschaft zu preisen.
Gehen wir souverän über die erbrochene Metapher “eisernes Gesetz” hinweg. Fragen wir also: Was ist ein “Gesetz der Kapitalismuskritik”? Was überhaupt ein “Gesetz” einer “Kritik”? “Kritik” bedeutet nichts anderes als Distanzierung, mithin das Gegenteil einer Gesetzmäßigkeit.
Der Unterschied zwischen Kenntnis und Unkenntnis des Kapitalimus ist also die Lust bzw. Unlust. Soll uns sagen was? Kenntnis macht keinen Spaß? Die einen haben Spaß an der Geißelung, die anderen keine Lust, sie zu preisen? Wo wäre da jetzt genau der Unterschied?
Die Ökonomie baut keine Luftschlösser der Erlösung, die erst zerbrechen und dann zum Kerker werden (wie im Realsozialismus)
Luftige Metaphern zu einem Kerker aus zerbrochenen Mauern. Dem mühsam Inhalt entnehmend, hieße das, die “Ökonomie” kenne keine Ideologie. Das Manuskript lag vermutlich schon Jahrzehnte in der Schublade und konnte daher das Phänomen “Neoliberalismus” bis zum Redaktionsschluß leider nicht berücksichtigen.
Und doch hat kein anderes System so viele Segnungen gezeugt wie der »Kapitalismus«, der heute längst eine hochregulierte Marktwirtschaft mit etwa hälftigem Staatsanteil ist. Adam Smith und David Ricardo waren die besseren Menschenfreunde als Stalin und Che. Dieses Urteil gilt selbst für den »Manchester-Kapitalismus«: Von 1750 bis 1900 haben sich die Reallöhne in England mehr als verdreifacht.
Was ist ein “hälftiger Staatsanteil”, was “hochreguliert”? Die Hälfte der Regulierung? Des Geldes? Gehört die Hälfte dem Staat? Und wo genau? Was genau? Ist da eine Hälfte reguliert? Der Finanzmärkte etwa?
Smith und Ricardo waren bessere Menschenfreunde als Stalin. Na immerhin.
Von 1750 bis 1900 haben sich die Reallöhne in England mehr als verdreifacht, ja leck mich fett, in 150 Jahren verdreifacht, einmal Industrialisierung dazwischen, und schon geht’s aufwärts. Schmerzen, schreckliche Schmerzen!
Arme Gesellschaften sind selten demokratisch, und reiche sind selten autoritär (Ausnahmen heute: Russland oder Arabien, wo die Bodenschätze Staatseigentum sind). Welche Rechte hatte denn der Knecht im Feudalismus, der Proletarier im Ständestaat? Was war denn demokratisch am Sowjetsystem, wo nicht der Mensch mit dem Rubel, sondern der Kommissar mit der Knute bestimmte, was zu produzieren sei?
Was ist ein reicher Staat? Gehört China dazu? die ganzen Ölbohrinseln im Nahen Osten mit einem Fähnchen darauf? Welche Staaten werden in 10 Jahren “reich” sein? Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen Demokratie und Reichtum im 21. Jahrhundert? Ist es das beste Argument für den Kapitalismus, daß er besser ist als der Feudal- oder Ständestaat? Ist die kapitalistische “Demokratie” die aktuelle Alternative zum “Sowjetstaat”?
Tatsächlich sind die Exzesse dieses Jahrzehnts nichts im Vergleich zur Zivilisierung durch den Kapitalismus. Dass einer reich werden konnte, ohne zu rauben und zu morden, war der erste Schritt in die Zivilisation. Michelangelo ist ohne »Mehrwert« (im marxschen Sinne) genauso unvorstellbar wie die Met und das MIT.
Michelangelo war demnach eine Kulturleistung des demokratischen Kapitalismus? Immerhin, reich ohne zu rauben und zu morden. Da muß ich aber doch mutig widersprechen und feststellen, daß es schon immer einträglicher war, Rauben und Morden zu delegieren. Der Zusammenhang zwischen Raubmord, Michelangelo und Mehrwert erföffnet sich vermutlich nur Patienten, die unter demselben Syndrom leiden. Der technologische Fortschritt ist die Kulturleistung, von der Joffe eigentlich spricht. Diese schreibt er dem Kapitalismus zu. Merke: Geld macht schlau, und ohne Geld keine Evolution.
Dieser »Turbokapitalismus« konnte, welche Ironie, nur mit der Ermunterung durch den Staat entstehen. Dass der nun für die Folgen geradesteht, ist irgendwie folgerichtig.
So wir das denn gelten ließen, hieße das: Der Anstifter soll hängen, der Täter findet keine Erwähnung. “irgendwie folgerichtig”, ein bißchen schwanger und für den Rest Weingummi, bitte!
Regulieren, aber nicht regieren. Wie die blutenden Landesbanken zeigen, ist der Staat im Geldgeschäft noch dümmer als selbst der gierigste Spekulant.
Der Staat soll nicht regieren? Das ändert sich also nicht, immerhin. Dümmmer als der gierigste Spekulant ist der Staat, weil er als Anstifter haftet? Wie viele Banken müssen Konkurs anmelden, bis die Dummheit der Spekulanten für groß genug erachtet wird? Schwamm drüber!
Dies war nur der Schnelldurchlauf. Jemand, der sich wirklich Mühe gäbe, den Artikel zu zerpflücken, hätte noch viel mehr Arbeit mit diesem monströs depperten Machwerk, das sprachlich und inhaltlich eine preiswürdige Inkompetenz zelebriert. Ich weiß gar nicht, woher ich die Muße nehme, mich mit einem solchen journalistischen Sondermüll zu beschäftigen.