Media Markt
Januar 2007
Während Journalisten immer angestrengt recherchieren -schließlich legen ihnen die Praktikanten jeden Mittag mindestens drei unterschiedliche Agenturberichte zurecht- können Blogger diese aufreibende Zusatzarbeit gar nicht leisten. Abgesehen davon, daß der Textmarker schon auf dem Röhrenmonitor versagt und beim TFT endgültig die mangelnde Qualifikation der Onlineschmierfinken belegt, sind diese stets mit allem und jedem beschäftigt und verlieren völlig den Blick fürs Wesentliche. Der Kardinalfehler der Blogger: Sie unterschätzen den Aufwand ihres Tuns. Das liegt nicht zuletzt daran, daß sich Blogger quasi per definitionem selbst überschätzen. Sie halten sich für so wichtig, daß sie glauben, ihr Gewäsch sei für andere Menschen von Interesse. Schlimmer noch wird es bei denen, deren Geschwätzigkeit zu täglichem Textauswurf führt. Entweder sie tun nichts anderes, und die Welt hat also mit jemandem zu tun, der dauernd im abgedunkelten Zimmer vor dem Rechner sitzt und den Leuten die Welt erklärt. Oder aber es sind Leute, die noch nebenbei einen Job machen und womöglich Familie haben. Diese denken anfangs, das bißchen Schreiben kostet ja keine Stunde am Tag!
Was der Einstiegsblogger vollkommen übersieht, sind die Kollateralschäden: Mit der Zeit erhöht sich zwangsläufig die Anzahl der Blogs, die er lesen und in denen er seinen Senf in Form von Kommentaren hinterlassen muß. In der nächsten Phase macht er sich vor, er könne das alles kontrollieren. Alle vier Wochen schreibt er einen Beitrag weniger, und wenn er merkt, daß er inzwischen die fünffache Zeit mit Lesen und Kommentieren zubringt, schwört er, das Ganze auf wenige Stunden am Tag zu reduzieren. Die gehen zwangsläufig vom Schlaf ab, und bei “wenigen Stunden täglich” bleibt es auch keine zwei Wochen. Es dauert nicht lange, und er sieht so erbärmlich aus, daß seine Frau, die er eh kaum noch sieht, von sich aus das Liebesleben einstellt. Jedenfalls das unseren Blogger betreffende. Weitere Kollateralschäden wie ständige Erschöpfung, Drogensucht und soziale Isolation treiben ihn immer tiefer in den Sumpf von Bloggerei und manischem Narzißmus. Solche Leute also sollen die Journalisten von morgen sein? Wäre es nicht so absurd, man müßte tatsächlich Angst davor haben.
Mit dem Cayenne durchs Neandertal
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
30. Jan 2007 0:33
“Arbeitsplätze gehen nicht verloren, wenn man sich rechtzeitig auf Veränderungen einstellt, sondern wenn man sich in rückwärts gewandter Weise dagegen sperrt.”
Die EU-Kommission zeigt der deutschen Automobilindustrie, deren Lautsprecher mit der Abwanderung von Arbeitsplätzen drohen, sollten die CO-2-Grenzwerte für Autos gesenkt werden, die Gesäßkarte. Gedacht ist an eine Obergrenze pro Fahrkilometer, womit Spritschleudern und Panzer auf Reifen schwer benachteiligt würden. Tatsächlich hielt es ein großer Teil der hiesigen Karrenbauer in den letzten Jahren für modern, die eingegangene “Selbstverpflichtung” eingehen zu lassen und immer größere, immer schnellere Autos zu bauen. Daß selbst Wendelin Wiedeking jetzt die Arbeitsplatzkeule schwingt (was er als einer der wenigen im Kontext mit Lohnkosten nie nötig hatte), macht deutlich, wie vorsintflutlich die aktuellen Konzepte deutscher Automobilisten sind. Anstatt leichtere, sparsamere Fahrzeuge zu entwickeln, die womöglich ähnlichen Komfort bieten, haben sie eben auf dick und doof gesetzt. Der hochgelobte Porsche Cayenne ist ein gutes Beispiel dafür.
Jetzt ist Heulen und Zähneknirschen, schuld sind wieder einmal die Panikmacher und Umweltfanatiker, die so tun, als gäbe es nicht nur die globale Erwärmung, sondern auch veränderliche Einflüsse auf die Klimaentwicklung. Deutsche Betriebe haben mustergültig gezeigt, daß Umweltstandards nicht zu Industriewüsten führen müssen, sondern für beachtliche Profite sorgen können. Neandertaler wie die Propagandandisten der freien Dreckschleuder hat die deutsche und europäische Industrie nicht nötig.
Irakkrieg kurz vor dem Erfolg
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
29. Jan 2007 0:54
Was mag “Journalisten” dazu bewegen, Artikel über den Krieg im Irak zu schreiben? Die meisten werden wohl den Befehl ausführen, Agenturmeldungen aufzubrühen und so zu tun, als hätte das etwas zu sagen. Sie bekommen Geld dafür, warum sollten sie es also nicht tun? Ein verantwortlicher Redakteur hingegen heißt so, weil er das, was rausgeht, zumindest akzeptiert.
Wie kommt es dann also zu Überschriften wie “Mehr als 100 mutmaßliche Extremisten im Irak getötet” ? Im Rahmen des sinnlosen Gemetzels, bei dem niemand mehr durchblickt, wer von wem warum getötet wird, bei dem ganz sicher ein kleiner Schreiber an seinem Schreibtisch in Deutschland nicht weiß, was da abgelaufen ist, hat es, wenn es denn stimmt, über einhundert Tote gegeben. Die Opfer dieses Massakers werden posthum als “mutmaßliche Extremisten” diskreditiert. Welchen Sinn macht das? Liegt in diesem Status, gegen den sie sich nicht mehr wehren können, der gute Grund für ihre Tötung? Sind die Toten alle gleichermaßen selbst Mörder, zumindest potentielle? Sind sie nicht vor allem weitere Opfer, tote Menschen? Nein, sie sind “mußtmaßliche Extremisten”. So klingt pure Kriegspropaganda, und es sollte niemandem, der solch extremen Mist publiziert, gestattet werden, sich Journalist zu nennen.
Rheinischer Kapitalismus in der Bundesliga
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
25. Jan 2007 12:38
Es klingt wie ein Rührstück fürs Volk, und sei es eins – es gefällt mir. Es erscheint in Form eines Interviews mit dem Fußballer Dedé und belegt ganz nebenbei, daß Interviews mit Sportlern durchaus interessant sein können. Dedé berichtet von seiner Herkunft, der Armut seiner Kindheit und vor allem der Freundschaft zum Konkurrenten Lincoln und anderen Fußballern. Er hilft gern Neuankömmlingen aus Brasilien, die sich in Deutschland und der Liga zurechtfinden müssen und schwärmt von gegenseitiger Unterstützung. Im Sinne der sportlichen Konkurrenz ist das nachgerade “dumm”, denn wenn’s dem Gegner nicht gut geht, spielt er schlechter. Dedé setzt andere Prioritäten. Ganz im Sinne des Sportsgeists, der kaum noch zu finden ist – in der Bundesliga wie in anderen Industrien.
Niemand hat die Absicht, einen Zaun zu errichten
Posted by flatter under Politik[3] Comments
25. Jan 2007 0:36
Ein Fall für echte Romantiker wird der G8-Gipfel im Juni in Heiligendamm. Das ganze Kaff wird eingezäunt, mit modernster Sicherheitstechnik, die unsere ollen Selbstschußanlagen lässig überholen ohne sie einzuholen. Damit kommen nicht nur Freunde der Realkarikatur auf ihre Kosten, und es wird nicht nur den ewigen Nörglern gegen den Kapitalismus ein Denkmal geschenkt. Vielmehr noch dürfen vor allem die Ossis sich darauf freuen, endlich wieder einmal durch Stacheldraht glotzten zu dürfen, und diesmal sind sie sogar draußen! Die anstehenden Tumulte werden diesmal ganz demokratisch aufgelöst werden, die Staatsmacht wird sogar darauf achten, daß möglichst niemand zu Tode kommt, und der ganze Spuk dauert von Baubeginn bis Abriß nur ein paar Monate. Das ist wiederholte Geschichte Instant, live erlebt, in bunt und mit Farbe. Laut unbestätigten Meldungen werden immerhin der einheimischen Bevölkerung für die Dauer der Veranstaltung unentgeltlich Kotztüten zur Verfügung gestellt.
Die TAZ weist darauf hin, daß es sich bei der bevorstehenden Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt nicht um einen Gnadenakt, sondern um die Umsetzung eines Rechtsanspruchs handelt. Daß die Presse im Schulterschluß mit vorwiegend rechtskonservativen Politikern das in einen Topf mit dem Gnadengesuch von Christian Klar wirft, ist klar. Der Titel “Gnade” ist griffiger, Gnade muß man sich verdienen, und Terroristen verdienen keine Gnade. Das zuwiderläuft zwar nicht nur der Idee der Gnade und hat eben nichts mit der Resozialisierung von Lebenslänglichen zu tun, aber es paßt ins rechte Weltbild.
Ich wundere mich beinahe, daß die Debatte dennoch nicht mit Schaum vor dem Mund geführt wird. Denn selbst Menschen, die die Anschläge der ersten Generation der RAF als Widerstand gegen die amerikanische Kriegsmaschinerie (im Vietnamkrieg) und den militärisch-industriellen Komplex legitim fanden, können nicht umhin zu erkennen, daß gerade Klar und Mohnhaupt brutale Killer waren, die erst über Leichen gingen und dann nach dem Sinn der Aktion fragten. Dennoch sieht das Justizsystem auch für solche Menschen noch eine Chance vor, wenn sie nach 24 Jahren und einem halben Leben in Haft nicht mehr als gefährlich gelten. Die Zeit hat nicht nur die Gefangenen geändert, sondern die politische und soziale Situation völlig umgekrempelt. Der Kampf der RAF ist absurd geworden, und sie hat das erkannt.
In dem Entwicklungsprozeß, der mit der Freilassung der Gefangenen zu einem Abschluß kommen kann, stecken lebendige Geschichte, Trost und Hoffnung. Denn er zeigt, wie einst fanatisch und blutig umgesetzte Ideologien in wenigen Jahrzehnten völlig irrelevant werden können. Die Absurdität von Militanz und Terror läßt sich hier vortrefflich studieren: Sowohl als Tat der Mörder als auch als überzogene Gegenaufrüstung des Staates wird im Rückblick der Krieg im Innern zur Farce. Daraus kann man lernen. Was den Terror überwunden hat, war keine Schleppnetzfahndung und kein Ausschalten von Rädelsführern, es war die schlichte Erkenntnis, daß sich eine Gesellschaft nach anderen Gesetzen als denen der direkten Machtausübung entwickelt. Es ist die Erkenntnis, daß Zukunft nicht planbar ist und schon gar nicht erzwungen werden kann. Wer das erkennt, kann zumindest teilnehmend gestalten. Wer immer wieder die alten Rezepte herauskramt und auf jede Frage eine Antwort aus dem Nähkästchen hat, mag den Jubel des Pöbels ernten, bewegen wird er damit aber nichts.
Web 2.0 und Existenzialismus
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
21. Jan 2007 23:56
Meine nicht eben oberflächlichen Kenntnisse der Philosophie des 20. Jahrhunderts haben mir nie eröffnet, was “Existenzialismus” wohl sein mag. Für manche ist er irgendwie ein bißchen ontologisch, ein guter Schuß Heidegger, französich adaptiert, aber noch keine Postmoderne. Für manche andere vielleicht das Gefühl, in die Welt geworfen zu sein, ohne den Anspruch, daraus bedeutend mehr zu machen – man verwindet die Seinsgeschicke eben mehr oder weniger unbeteiligt. Vor allem aber war Existenzialismus ein -ismus mit schwarzen Rollkragenpullovern, Gauloises rauchen und Filme gucken, die keinen Spaß machen. Es gab einige Gallionsfiguren, deren Werke man erwähnen mußte (lesen war nicht nötig), und schon gehörte man dazu.
Heute ist die Welt nicht mehr so kompliziert, niemand muß mehr so tun, als könnte er/sie Bücher lesen. Dafür aber Internet. Internet muß. Klar: Web zwei null-mäßig! Zum Gefasel der Dazugehörenden gibt es auch das passende “Design”. Irgendwer hat sich ausgedacht, daß zum webzweinullmäßigen Dazugehören das Hingucken vereinfacht werden muß. Poppige Farben, Verlauf, pseudospiegelnder Schriftuntergrund, abgerundete Ecken und Lichteffekte, die Einäugigen ein echtes 3D-Feeling verschaffen. Layouts, die dem Rezipienten nicht zumuten, die Augen bewußt oder klassich lesend zu bewegen, sondern Anordnungen, die Screen-to-Brain ohne den lästigen Umweg über die Großhirnrinde ermöglichen. Wer sich fragt, wozu diese Verödung der Landschaft gut sein soll, ist schon raus und sollte es vielleicht einmal mit schwarzen Rollkragenpullovern versuchen. Und wer die Stirn hat, ein Blog ins Netz zu stellen, das Web-2.0-Design-mäßig voll daneben liegt, ist heute schon von gestern.
“ZEIT Campus online: In der Medizin ist Ethik bereits ein fester Bestandteil des Studiums. Ist es nicht sinnvoll, generell in all jenen Studienfächern verpflichtende Ethikscheine einzuführen, in denen man für Berufe ausgebildet wird, die mit Machtausübung zu tun haben?”
Yapp! Wenn alle den Ethikschein haben, geht es endlich moralisch zu in der Welt. Dann aber doch besser gleich den Weltbessermachschein oder Weltrettungsseminare.
Schöne neue Welt! Was der goldene Erbe Brandts aus der (sozialen) Demokratie gemacht hat, kommt nur allmählich ans Licht. Während er zum russischen Propagandaminister mutiert ist, stürzt seine alte VW-Seilschaft ins Bodenlose, aus dem sie dereinst die Wahlversprechen für ihren Gerd schöpfte. Peter Hartz, der versprochen hatte, innerhalb von zwei Jahren die Arbeitslosigkeit zu halbieren und damit wohl die Bezüge der Arbeitslosen meinte, stand Schröder näher als gedacht. Nicht nur, daß er ein lupenrein ehrlicher Manager war, er hat auch viel für die Arbeitnehmer getan. Wenn sie denn im Betriebsrat saßen und die Hand zum Zeichen der Freundschaft lange genug aufhielten. Der Genosse der Bosse und der Boss der Genossen hinterlassen nicht nur die unsäglichen Zustände in der Arbeitsverwaltung, für die der weniger Clevere seinen Namen gab, sie hinterlassen auch einen Nachgeschmack, gegen den das Zähneputzen mit der Klobürste eine wahre Erfrischung verspricht. Es bleibt der Anschein, daß Management und Arbeitnehmervertretung, Sozialdemokratie und Wirtschaft sich hervorragend vertragen, ja nachgerade gemeinsam einen hochaktuellen Typus Mensch verkörpern: Selbstherrlich, schamlos, auf den eigenen Vorteil bedacht und ohne jeden Bezug zur Wahrheit. Der Eine mußte das jetzt immerhin gestehen. Der Andere gesteht sich so lange nichts ein, bis er erkennt, daß eine der Leichen, die um ihn herum liegen, seine eigene ist.