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Januar 2011


Gregor Gysi ist immer der Lektüre wert. Man kann über den Mann sagen, was man will, aber er hat sehr klare Vorstellungen und weiß sie zu vermitteln. Dazu gehört im aktuellen Interview ein recht pointierter Hinweis auf die Stellung der Linken im politischen Machtgefüge. Er ist der Ansicht, dass ein starkes Abschneiden seiner Partei bei Wahlen die anderen dazu animiert, ihren Programminhalten näher zu kommen, um die Linke klein zu halten. Wer von der Revolution träumt, sollte also weiter FDP wählen, wer auf soziale Reformen hofft, wählt die Linke.

MontesquieuDass das dlr die Aussage hervorhebt, Gysi kenne bislang keinen Sozialismus, der wirklich demokratisch gewesen wäre, ist betrüblich, zumal die Wirklichkeit in Deutschland, der Zustand dessen, was sich “demokratisch” nennt, wieder keiner kritischen Betrachtung unterzogen wird. Der allgemeine Ausverkauf der Menschenrechte in den kapitalistischen Ländern ist jedenfalls kein Anlass dazu, Kapitalismus und Demokratie für eine irgend natürliche Verbindung zu halten. Im Gegenteil fallen ja gerade die bürgerlich-demokratischen Säulen “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” der Macht des Geldes zuerst zum Opfer. Konkurrenz statt Solidarität, Klassenbildung statt Gleichheit und Freiheit, die man sich leisten können muss – das ist nicht einmal das, was die Philosophen des 18. Jahrhunderts sich unter den Idealen der französischen Revolutionen dachten.

Das Wesen der Demokratie

Eine Weiterentwicklung solchen demokratischen Aufbruchs wird derzeit von Seiten der organisierten Politik auf jede denkbare Weise blockiert. Es ist wohl Geschmackssache, ob man die westliche Interpretation ihrer Rechtststaaten noch als Stellvertreterdemokratie betrachtet, als korruptes Übergangsstadium oder schon als Oligarchie. Allein die theoretische Durchlässigkeit, ein ‘Pluralismus’, der von Rechts wegen niemanden von der Macht ausschließt, unterscheidet dieses Modell noch von anderen, in denen die Macht ebenfalls faktisch für die Mehrheit der Menschen unzugänglich ist.

Das Wort von der “Diktatur des Proletariats” hemmt den Gedanken an Sozialismus, als sei der weniger demokratisch als eine reine ‘Marktwirtschaft’. Dass jene “Diktatur” eine abstrakte Umkehr ungerechter Verhältnisse war, sticht nicht, denn diese Reaktion auf die Herrschaft der Eigentümer etablierte in der historisch kurzen Phase sogenannter “kommunistischer” Herrschaft unerhört reaktionäre Strukturen, die mit Recht “Diktatur” genannt werden. Gysi weiß das. Ob seine Rezipienten das auch kapiert haben, bezweifle ich.

Was fehlt, ist nach wie vor ein Bewusstsein – leider in erheblicher Weise auch bei der “Linken” – für das Wesen der Demokratie: Die Beschneidung von Macht. Die Revolutionen des Bürgertums und der ‘Arbeiter und Bauern’, die Entwürfe von Montesquieu und Marx sind im Kern erzdemokratisch, sie wurden und werden freilich stets von denen in den Boden getrampelt, die sich auf sie berufen. Demokratie bedeutet stete Veränderung und Ausgleich. Im Kontext des neoliberalen Neusprech verlangt sie nach periodisch herzustellender ‘Ergebnisgerechtigkeit’. Das darf gern einmal offensiv diskutiert werden, und vielleicht finden ja auch die kleinen Machtpolitiker der Linken diesen und andere Schlüssel für die Öffnung einer Debatte, die dem Begriff “Demokratie” neues Leben einhaucht.

“Aktive Eugenik” nennt der Chefarztfrauliche Beobachter die Sanktionspraktiken der Jobcenter gegen schwangere Frauen. Seit wann ist Schwangerschaft auch ein “wichtiger Grund”, einen Job abzulehnen? Auch die Verhältnismäßigkeit ist durchaus gegeben: Da die Leibesfrucht als ursächlich für die Leistungsverweigerung anzusehen ist, muss gerade das Ungeborene sanktioniert werden, Sanktion auf Null bedeutet hier eben auch Herzfrequenz null, alternativlos. Die soziale Marktwirtschaft wäre in höchster Gefahr, böte man derart leichte Möglichkeiten, sich um die Arbeit zu drücken.

Die Bundesregierung hat daher im Namen der siebenfachen Leistungsmutter von der Leyen ausdrücklich das Auszehren schwangerer Bedarfseinheiten begrüßt. Schließlich handelt es sich dabei um ein strikt rechtsstaatliches Verfahren. Wer dies Vermeiden will, muss halt zusehen, dass er vor der Infektion mit einem Minderleister das nötige Kleingeld ansammelt.

Die Krise ist vorüber. Peer Steinbrück, Joe Ackermann und Angela Merkel haben das Land gerettet. Der Aufschwung ist da, die Schuldenbremse ist da. Was brauchen wir noch, um glücklich zu sein? War da noch was?

Letzt bloß kein Krisengerede, wir haben gerade das nötige Vertrauen wiederhergestellt. Zum Beispiel in die Ratingagenturen, jene Ratespielhallen, in denen festgelegt wird, wie teuer die Raten werden, wenn die Bremse versagt. Oder wenn man feststellt, dass sie nur auf der Rechnung steht und eigentlich gar nicht existiert.

eursnakeEs waren ganz vorne an die Ratingagenturen, die maßgeblich für die übelsten Auswüchse der Zockerei an den Finanzmärkten verantwortlich sind. Nicht nur, dass sie noch jedem verbrieften Gammelfleisch höchste Qualität bescheinigt haben, sie stehen auch immer wieder im Mittelpunkt des Pokers mit Staatsschulden. Hätte man auch nur irgend etwas kapiert nach dem letzten Schub der Sklerose des Kapitalismus, man hätte sich dieser Augenwischer- und Feigenblattproduzenten zuerst entledigt. Sie haben den Rauch nicht gerochen, als schon der ganze Wald in Flammen stand und maßen sich schon wieder an, systemrelevante Urteile über den Wert von Staaten und Konzernen zu sprechen.

Als hätten diese Erbsenzähler auch nur eine entfernte Ahnung davon, wie die Zukunft der Industriestaaten aussieht, folgen die Lemminge an den Börsen und in den Regierungsbunkern wieder den magischen Zeichen, die sie an die Türen malen. Japan pfui, Deutschland hui, dreimal schwarzer Kater.

Die Ratings der Agenturen sind nichts anderes als die Aufforderung, weiter zu marschieren, bis alles in Scherben fällt – und zwar weil es sie gibt. Über die tatsächliche Ratlosigkeit täuscht das Rating in souveräner Bewusstlosigkeit hinweg, und alle, die es auch nicht wissen wollen, freuen sich, dass dieses Rädchen im Getriebe sich unbekümmert dreht. Nähme man es aus dem Mechanismus, käme der zum stehen und man müsste sich zumindest mit etwas anderem behelfen. Genau das aber – dass sich irgendetwas ändert – steht nicht auf der Agenda. Warum auch, die Krise ist ja vorbei, weil der Markt sich wie immer ganz von allein geheilt hat.

Wenn ein Hartz IV-Empfänger einen kleinen Lottogewinn macht, ist das ein Grund zu großer Freude. Für das zuständige Jobcenter, das dann nämlich weniger auszahlen muss. Die 500 Euro, die ein Bielefelder gewonnen hatte, werden sicher eine spürbare Entlastung unserer Leistungsträger darstellen. Für Menschen mit hohen Einkommen ist ein solcher Gewinn übrigens steuerfrei.

Hartz IV, das von 5,5 Millionen Bundesbürgern bezogen wird, ist die Pflicht zur Depression. Keine Bewegungsfreiheit, keine Würde, kein Vergnügen. Kein Bier, keine Zigarette, kein Glücksspiel, keine Gewinne. Man nimmt ihnen alles ab, und je mehr sie arbeiten, umso mehr. Am schlimmsten sind übrigens die dran, die immer knapp am Rande der Förderung stehen, weil sie ihre Einnahmen ehrlich angeben. Dazu später mehr.

Es gibt kein Entrinnen aus dem finsteren Tal, in dem sich nichts zu leisten oberste Direktive ist. Du verdienst nichts, du bist nichts, und wenn dir etwas geschenkt wird oder du vermeintlich Glück hast, behältst du davon auch nichts. Das ist wichtig, darin besteht nämlich der “Anreiz”.

Wer mit Hartz IV überleben will, allein schon mental, ist auf Nebeneinkünfte angewiesen. Auf solche, von denen das Jobcenter nichts weiß. Man wird dann zwar als “Parasit” beschimpft, aber das ist reine Notwehr. Und mir sind diejenigen durchaus sympathisch, die sich derart über Wasser halten. Wenn sie irgendwann wieder den Ausweg aus der Mühle finden wollen, werden sie zusehen, dass sie nicht im Elend versinken. Das ist wahrgenommene Eigenverantwortung.

 
neolibSolidarität scheint eine Art Luxus zu sein, den man sich nur unter paradiesischen Zuständen leisten kann. Die neoliberale Mentalität besticht dadurch, dass sie nur ein einziges Motiv menschlichen Handelns kennt: Gewinnstreben. Dies wird auf alle Bereiche des Lebens ausgedehnt, auf Wirtschaft, Staat, Verwaltung, Privatleben. Es wird behauptet, nur ein finanzieller “Anreiz” bewege Menschen und ihre Organisationen. Aktuell droht die CSU wieder einmal damit, aus dem Länderfinanzausgleich auszusteigen. Dieser sei ohnehin nur die Aufforderung, auf Kosten anderer zu leben. Es sei ja kein Anreiz da, vernünftig zu wirtschaften, wenn die reichen Länder die armen unterstützen.

Seltsam, denn in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg war es Bayern, das stark vom Ausgleich profitierte. Durch den Strukturwandel, der woanders nicht so glücklich ablief wie in Bayern, ist es jetzt halt umgekehrt. Warum sind die Bayern eigentlich nicht arm geblieben, wenn sich der Aufstieg gar nicht lohnt? Wie kommt es überhaupt, dass ausgerechnet den Armen immer vorgeworfen wird, sie seien gern arm und selbst verschuldet? Man müsse ihnen Beine machen, damit sie auch fleißig und reich würden?

Wenn der “Anreiz” fehlt

Warum gilt das Argument des fehlenden Anreizes nicht, wenn Banken, deren Betreiber sich völlig verzockt haben, vom Steuerzahler “gerettet” werden – und sich nach Möglichkeit nie an den durch ihre Misswirtschaft entstandenen Schäden beteiligen? Welche Motive hätten deren Teilhaber und Kunden, die in Zukunft etwas anderes erwarten ließen als weitere Blasen und volkswirtschaftliche Katastrophen? Wo sind da die Anreize? Ist das alles dennoch in Ordnung, weil sie ja schon aus Gewinnsucht handeln? Geht es darum, diese Gier in allen Bürgern zu verankern oder um eine lebensfähige Sozialordnung?

Auch die Staaten untereinander, selbst die, welche sich “Union” nennen, kennen nur das Gegeneinander. Deutschland, das gern Vorschriften macht, wie andere, von denen es profitiert, sich zu verhalten hätten, gerät derweil selbst in den Strudel. Das Top-Rating “AAA” bröckelt [via]. Das wiederum heißt, dass Deutschlands Schulden teurer werden. Jene Schulden, die von den Steuerzahlern beglichen werden sollen und insbesondere immer wieder von den Ärmsten, in Form von Kürzungen der Hilfen.

Nur keine Gleichheit

hivsolGanz offensiv vertritt die Kanzlerin diese Form der Finanzierung. Das kann angesichts der zu erwartenden Entwicklung nichts anderes bedeuten als eine Absenkung des Existenzminimums zur Rettung der Banken. Interessant übrigens, dass Merkel auf derselben Veranstaltung folgendes kundtat:
Wer glaubt, dass man die Kinder nur lange genug in das gleiche Klassenzimmer setzen muss, damit auch gleiche Kinder herauskommen, der irrt.“
Mit diesen Worten warb sie für das dreigliedrige Schulsystem. Von dem ist zweifelsfrei bewiesen, dass die frühzeitige Trennung der Kinder in verschiedene Schulformen die Schichtzugehörigkeiten zementiert. Auch hier gibt es keinen “Anreiz”.

Ein anderes Beispiel: Steuerhinterziehung. Unter Koch und Weimar herrschten bekanntermaßen Zustände wie in einer Bananendiktatur (hier der aktuelle Stand), die FDP in BaWü stimmte jetzt aus Versehen einer Aufstockung des Personals bei der Steuerfahndung zu und macht das schleunigst rückgängig [via]. Auch hier stellt sich die Frage der “Anreize”. Die Signale stehen auf Grün, wenn es Richtung Ausland geht mit dem Vermögen, es wird deutlich, dass von Seiten eines namhaften Teils der Politik kein Interesse daran besteht, Steuerbetrug in Millionenhöhe zu bestrafen.

Gier als Selbstzweck

Was ist das also für ein “Anreiz”? Wie oben bereits gemutmaßt, verdichtet sich der Eindruck, dass Gier an sich gefördert werden soll. Es ist nicht zu erkennen, dass ein positiver Effekt auf den Staatshaushalt oder die Stabilität der Wirtschaft erreicht werden soll. Die Effekte sind konträr, nur das Heilmittel bleibt dasselbe: “Make Money, make more Money”. Dazu gehört natürlich zuinnerst, dass niemand irgendwem etwas abgeben soll. Tatsächlich offenbart sich diese Haltung als Selbstzweck. Mit Vernunft hat das eben sowenig zu tun wie mit irgend einem wirtschaftlichen Konzept.

Fatal ist die Wirkung dieses Giftes, weil es selbst diejenigen befällt, die sich ihm entziehen wollen. Welche Strategie gäbe es denn, sich dem künstlichen Überlebenskampf zu entziehen? Ist die Endsolidarisierung nur weit genug fortgeschritten, kommt das stetige Misstrauen hinzu: Sollte ich je bedürftig werden, wird mir niemand etwas lassen. Es gibt nur einen Weg: Ich muss mich unantastbar machen. Ich muss selbst reich werden. Und so träumen selbst die an der unteren Kante vom Lottogewinn. Solidarität? Ich bin doch nicht blöd!

Als ich neulich ein Bild der Pahlavis in einem Artikel postete, musste ich schmunzeln. Der “Schah von Persien” und seine junge hübsche Frau erinnerten mich sehr an die Guttis, Karl Theodeor fehlt freilich die lächerliche Sammlung von Orden, das bunte Brett, mit dem der Schah dereinst seine nicht minder lächerliche Uniform schmückte. Der widerliche Diktator, der foltern und morden ließ und dabei nicht nur sein Volk, sondern auch seine engsten Getreuen verachtete und kalt in den Tod schickte, war beliebt bei den Deutschen. Er galt als gutaussehend. Seine Frau erst recht. Sie waren gut frisiert und stinkreich, und ihre Gegner waren Hippies.

Wofür sie politisch standen, da war man nicht so kleinlich, nachzufragen. Hauptsache er galt nicht als Kommunist. Politik als Boulevard, das ist also nicht neu. Schon die Kennedys waren hübsch anzusehen, wen interessiert da Vietnam? Dass JFK vielleicht öfter mit Henry Kissinger ins Bett ging als mit Jacky oder Marilyn, so viel ekliger Tiefsinn braucht’s nicht bei der Fassade, da reichte schon ein guter Spruch und sie liebten ihn.

Tiefsinn braucht’s nicht bei der Fassade

Gutaussehender Adeliger mit schmucker Frau, das zieht natürlich am besten. Wenn ein solches Traumpaar dann noch gut in Pose ist und sich darauf in den Massenmedien kapriziert, wollen die Deutschen sie am liebsten gleich krönen. Kann da inhaltliche Kritik noch etwas ausrichten? Eine interessante Frage.

Hans Peter Schütz ist einer, der es versucht. Auch ihm gelingt das nicht immer, wie sein im Ganzen kritischer Artikel zur Amtsführung Guttenbergs belegt. Dort empfiehlt er nämlich, KaTe solle doch “seine Ehefrau Stephanie über derartige Gefühlslagen befragen.” Gemeint ist die der Mutter jener Soldatin, die auf der Gorch Fock zu Tode gestürzt ist. Klar: Die Co-Poserin Stephanie von Bismarck, die sich an der Zurschaustellung der Jagd auf Jungfrauen beteiligt hat, ist die Sensibilität selbst.

Schütz erwähnt auch, dass die erbämrliche Hofberichterstattung eines Johannes Kerner aus Kundus zum Teil aus Steuermitteln bezahlt wurde. Was soll’s, Steuern, Gebühren – Hauptsache es belastet nicht den Sozialetat.
Auf dieses Skandälchen reagiert auch die TAZ, die außerdem andeutet, dass der zuständige Kriegsminister sich nicht ums Parlament schert, umso mehr aber um die Gnade der “BILD”. Da hat sich dann doch etwas geändert. Inzwischen zensuriert der Boulevard die Poltitik, Entscheidungen werden vorab dort vorgelegt. Ob Parteivorsitzende gemeuchelt oder Öffentlichkeit und Parlament über Vorfälle bei der Bundeswehr informiert werden, das wird in den Redaktionen des Qualitätsjournalismus ausbaldowert.

Ein Feudalsystem – warum nicht?

Es bleibt das Geheimnis von Hans Peter Schütz, ob sein Verweis auf die Kompetenzen der Ministergattin als kynischer Treibsatz fungiert im Duell zwischen der Restaufklärung und dem reinen Boulevard. Das Häppchen für die Glanzbildersammler in der Leserschaft könnte sie bei der Stange halten und zu den Fragen hinführen, die sie sich so ungern stellen. Zum Beispiel der, ob ein dilettantischer politischer Funktionär untragbar werden kann, obwohl er ungemein fotogen ist. Wenn in seinem Arbeitsbereich desaströse Zustände herrschen, von denen er stets nichts gewusst haben will, wenn er es nicht für nötig hält, das Parlament der Parlamentsarmee davon rechtzeitig und ausreichend zu informieren zum Beispiel. Und wenn er ähnliche Ignoranz überall dort walten lässt, wo er der oberste Verantwortliche ist.

Ob man an einem Pfau von edlem Geblüt den Anspruch stellen darf, dass er ein Minimum an Kompetenz oder Verantwortung mitbringt und ob das noch relevant ist in einer Kaste politischer Stellvertreter, das ist hier die Frage. Spätestens, wenn er Bundeskanzler werden soll. Wenn nicht, kann man ja auch in dieser Hinsicht wieder das Feudalsystem einführen.

Reicht manchmal.

BA-Chef Weise hat im Interview mit SpOn angedeutet, wo es lang geht: Weiter so in die Armut trotz Arbeit. Das findet er aber in Ordnung, wenn dadurch mehr Menschen arbeiten. Einige Zitate:


Wir werden in der Industrie die Wirtschaftsleistung steigern, aber nicht die Zahl der Arbeitsplätze.

madeger

Es gibt eine klare Tendenz von der Vollzeit- zur Teilzeitstelle, auch die Zahl der Mini-Jobs nimmt zu. Das Arbeitsvolumen wird also auf mehr Menschen verteilt. Dieser Trend wird sich in diesem und in den kommenden Jahren festigen. Er geht einher mit der Zunahme der Zeitarbeit und einem Rückgang unbefristeter Stellen.

Tendenziell dürften die Löhne niedriger ausfallen.

Langfristig wird es sogar mehr Menschen geben, die einen Zusatzjob oder staatliche Zuschüsse brauchen.

Weiter so

Er beschreibt damit nicht die Situation der vergangenen Jahre, sondern die Zukunft. uns erwartet also eine weitere Senkung der Reallöhne, noch mehr Armut trotz Arbeit, und das bei einer erwartet hohen Wachstumsrate. Das bedarf keiner Interpretation mehr. Selbst in den Jahren, in denen reichlich zu verteilen wäre, wird die Mehrheit nicht beteiligt, und die Unterschicht wird regelrecht geplündert. In einer Zeit gigantischer technischer und logistischer Ressourcen etabliert sich wieder eine ungeschminkte Sklavenhalter-Mentalität. Wenn Weise sagt:

Arbeit ist immer besser als Arbeitslosigkeit. Daher schätze ich einen beispielsweise befristeten Job nicht als gering ein. Das Ziel der Hartz-Reform war es, den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten. Immerhin haben so mehr Menschen eine Arbeit gefunden als vorher“,

dann hat er unter den gegebenen Umständen recht. Natürlich ist es für die Betroffenen besser, Arbeit zu haben, wer wüsste das besser als er? Denn während Arbeitslose oft miserabel beraten und nur zu statistischen Zwecken zwangsgefördert werden, bekommen sie mit jedem Schrieb langatmig erklärt, wie man sie sanktionieren kann. Und man sanktioniert sie, da können sie auch krank und schwanger sein, die Sanktionierung auf Null geht immer.

Es gibt keine Alternative

Immerhin weiß man: Das Elend trifft auch die Arbeiter. Hartz versprach zwei Millionen Arbeitslose weniger, und es ist durchaus denkbar, dass es bald zwei Millionen Aufstocker geben wird. Sieben Millionen Hartz IV-Empfänger? Warum nicht, wenn sie dafür arbeiten gehen. Gleichzeitig schwärmt Rainer Brüderle von “Vollbeschäftigung”. Nein, das ist kein Witz.

Über all dem schwebt nicht nur das Damoklesschwert, sondern quasi ein ganzes Arsenal tödlicher Geschosse am Pferdehaar. Das “Vorkrisenniveau” sei noch nicht erreicht worden. Als sei das, was sich bei Banken und Staatshaushalten tut, keine Krise mehr, alles im Griff. Nein, die pessimistischen Aussichten in Bezug auf Lohn und Beschäftigung werden nach unten korrigiert werden müssen. So ist das halt. Dafür werden aber die Steuern und die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber gesenkt, damit die Wirtschaft brummt. Es gibt eben keine Alternative.

Klaus Baum zitiert “Panorama“:

AWD-Gründer Carsten Maschmeyer sagt, er sei mit Politikern wie Wulff, Schröder etc. nur privat befreundet und habe keine geschäftlichen Vorteile. Glauben Sie ihm?

Ja: 3,91 %

Nein: 95,29 %

Weiß nicht: 0,81 %

Gut, das ist nicht repräsentativ, womit auch gesagt ist, dass sich zu der Frage hauptsächlich Leute äußern, die wirklich eine Meinung dazu haben. Aber das Ergebnis ist so eindeutig, dass man sich fragt, wie lange der Michel es noch schafft, seine Dissonanzen unter Kontrolle zu halten. Ich habe in den letzten Tagen einige Male einen Satz gehört, der mich doch überrascht, zumal es keine Linksextremen waren, die ihn sagten: “Wir bräuchten mal wieder eine RAF”. Wohl auch halb scherzhaft gemeint, aber es zeigt sich, dass nur noch ‘höheren Mächten’ zugetraut wird, irgend etwas zu bewegen im Discounter Corrupti. Der eine schwadroniert vom “Führer”, die anderen wollen die Stadtguerilla. Aber nichts passiert.
Ich verliere allmählich das Gefühl dafür, was Apathie ist und was keimende Wut. “Der kommende Aufstand”, so mutmaße ich nur noch, heißt bei uns “der Traum vom Widerstand”.

Es ist jetzt also amtlich: Auch das ‘Unwort des Jahres’ ist alternativlos, “alternativlos” gar. Es hat das Zeug zum Unwort des Jahrhunderts oder meinetwegen zweier. Fangen wir mal mit dem der Dekade an, den Rest holen wir dann später ein. So es eine Zukunft gibt, in der die aktuelle Epoche als Geschichte betrachtet werden wird, es könnte die Epoche des großen Kommunikationsbruchs sein. So viel Information, so wenig Inhalt, so viel Propaganda, so wenig Kritik.

ddv

Quelle: Wikimedia Commons / Colin Smith

Ein Beispiel vom Tage: Wir erfahren von den Machenschaften einer First Lady in Tunesien und ereifern uns über die Frechheit, mit der sie sich noch auf der Flucht bereichert. Hierzulande geht das alles ziviler ab. Ein Ex-Bundeskanzler lässt sich von der Firma bezahlen, für der er eine Pipeline durchgesetzt hat, seine Frau kann später Aufsichtsrätin bei einem Konzern werden, weil ihr Mann sich vom Chef des Ladens als “Berater” bezahlen lässt. Für solche Posten gibt es keine Bewerbung und keine Ausschreibung, das geht quasi von Hand zu Hand. Das dabei erzielte Einkommen, das von jeder Leistung unabhängig ist, zahlt am Ende der Kunde. Wenn es eng wird, spart man am Personal – den Fußtruppen, versteht sich.

“Volksvertreter” und ihre “Freunde”

Die werden zur Arbeit gezwungen – eine Idee genau jener Handreicher und ihrer teils verurteilt kriminellen “Freunde”. Dass das läuft, dafür sorgen hier “Volksvertreter”, Bundeskanzler und -präsidenten gar. Leiharbeit, eine der Geißeln der Unterschicht, ist eine blühende Landschaft. Dass die Betroffenen hundsmiserabel entlohnt werden, soll aber obendrein übertüncht werden. Roman Herzog bürgt mit seinem Namen für groteske Lügen, für die eigens Statistiken frisiert werden. Dem widerspricht sogar das DIW, aber es wird schon für die “Ausgewogenheit” gesorgt werden, die den vielfachen Betrug noch “glaubwürdig” machen. Ist Roman Herzog nicht unerhört glaubwürdig?

Ich habe diesen Artikel um die Hälfte gekürzt, weil ich mich in Rage geschrieben hatte. Wer will auch schon wieder die Namen Rürup, Riester, Hartz und Maschmeyer lesen? Oder die der anderen überführten Verdächtigen?

Wir sind die besten der Welt

Es herrscht ja Ruhe. Hier in Deutschland ist es am besten und am sichersten. Wir sind die besten der Welt. Tunesien soll eine Demokratie werden wie unsere. “Nach westlichem Vorbild”. Ist es das nicht längst? Oder soll das nur heißen, dass “Korruption” in Tunesien auch nicht mehr so genannt werden darf? Soll es auch dort ein Rechtssystem geben, in dem Recht bekommt, wer nicht den Richter schmiert, sondern mindestens den Justizminister? Soll es auch dort ein “Zivilrecht” geben, das sich drei Viertel der Bevölkerung nicht leisten können?

Es gibt so viele, die hier brav ihre Pflicht tun. Die glauben, in einem Rechtsstaat zu leben und in einer Demokratie. Das sagen sie ja immer in den Nachrichten. Sie wissen: Es gibt keine Alternative. Wenn man sich dann Tag für Tag ungerecht behandelt fühlt, gibt es noch immer einen, der schuld ist. Jemanden, der auch nur seine Pflicht tut. Oder alle diejenigen, die nicht einmal das tun. Niemand hat die Absicht, eine Mauer einzureißen. Alles bleibt gut.

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