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August 2006


Eine nette Werbung: Ein schwarzes Schaf sitzt auf dem Sofa, frißt den Leuten die Pizza weg, säuft ihr Bier, schmeißt die Flasche lässig rückwärts an die Wand und stößt genüßlich auf. Cool. Die Werbung hört da auf nett zu sein, wo der Auftraggeber genannt wird: Die GEZ.
Wer bezahlt diese Spots eigentlich? Richtig, der Gebührenzahler. Von seinem Rundfunkgebührenabwicklungskonto wird das Geld über unergründliche Umwege auch für nutzlose Werbung abgezogen. Die GEZ und ihre Einzugsstellen in den Rundfunkanstalten – wer braucht die eigentlich? Der Verein, der Firmen, Privatleute und öffentliche Einrichtungen wie Unis und Bibliotheken zur Kasse bittet, weil sie Computer besitzen. Der Verein, dessen aggressive Drückerkolonnen unter permanenten Rechtsbrüchen in Wohnungen einrückt, der Sozialhilfeempfänger terrorisiert, der Kranken auf die Pelle rückt, bei dem ein Heer von “Sachbearbeitern” Fälle bearbeiten, ohne daß der eine weiß, was der andere tut. Der Verein, der sogar die Arbeitsagenturen in den Schatten stellt, wenn es um Schwachsinn in der Verwaltung geht – gibt es irgendwen auf dieser Welt, der ernsthaft behauptet, diesen Laden zu brauchen?
Und was ist mit ehrlichen Gebührenzahlern? Die Kunden? Die Geldgeber? Geschieht das, was die GEZ treibt, in unserem Sinne, mit unserer Zustimmung, tolerieren wir das auch nur?
Nein. Ich frage mich, was man dagegen tun kann. Boykottieren? Austreten? Sich öffentlich anzünden?
Vielleicht könnten wir ja mal probeweise eine Rate nicht überweisen. Zu Weihnachten 2007 vielleicht. Da müssen wir eh schon so viel Mehrwertsteuer für die Geschenke aufbringen. Einmal nicht zahlen, das würde den Terror der Dummheit zwar nicht aufhalten, aber man hätte das gute Gefühl, etwas getan zu haben.

Die antisemitische Hetze der Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul wurde von ihren Regierungskollegen relativiert und zum Teil sogar unterstützt. Damit wird die absolute Antistimmung gegen Juden in Deutschland auf einen neuen Höhepunkt getrieben. Wieczorek-Zeul hatte den Einsatz von Streubomben durch die israelische Armee kritisiert und eine Untersuchung durch die UNO gefordert, ohne gleichzeitig den Einsatz von Raketen durch die Hisbollah zu erwähnen. Der Jude an sich ist nämlich eine Streubombe als Antwort auf eine Katjuscha. Er ist keine Streubombe als Antwort auf keine Katjuscha. Das sollte Frau Wieczorek-Zeul wissen. Wenn sie also Streubomben kritisiert, beleidigt sie die Juden. Alle. Sie macht ihnen das Leben in Deutschland unmöglich.
Angesichts des Rechtsrucks in der Bundesregierung, die sich kaum mehr vom Naziregime unterscheiden läßt, hat NPD-Mann Uwe “Sonderzug” Leichsenring eingesehen, wie überflüssig er ist und ist in einen LKW gerast. Man darf wohl von Selbstmord ausgehen, da er Inhaber einer Fahrschule war und zuvor noch nie im Leben die linke Spur benutzt hatte.

Die Margarethenhöhe wird hundert. Das Symbol für Verschwendung und Mißwirtschaft sollte mehr Menschen bekannt sein, es ist ein Mahnmal. Miß Wirtschaft selbst, Margarethe Krupp, hat im frühen 20. Jahrhunderts das Urteil bestätigt, daß Frauen nicht mit Geld umgehen können. Anstatt zeitgemäß Mehrwert abzuschöpfen, ließ sie den Proleten eine Stadt in der Stadt bauen. Das ganze Kruppsche Sozial- und Wohlfahrtswerk, eine Orgie der Verschwendung! “Wohnungsfürsorge für die minderbemittelten Klassen” aus Konzerneigentum zu bestreiten, dafür würde heute mindestens das mittlere Managment gefeuert, wenn nicht der ganze Vorstand! Was müssen das für Zeiten gewesen sein, in denen sich Unternehmer solchen Luxus leisten konnten! Heute, angesicht ungeheurer Kosten, die schwer wie Blei auf den Stückgewinnen lasten, wäre das unvorstellbar, da könnte man ja gleich die Löhne erhöhen. Gut, daß die Bundesbank und die gleichnamige Regierung dafür Sorge tragen, daß der Lohnempfänger dieser Tage auf dem Teppich bleibt.

Ich kann es nicht hören. Da gerät man glatt in die Gefahr, Altrocker wie Grönemeier und Westernhagen in Schutz zu nehmen. Was der gut deutsche Schlager noch nicht in Gel ersäuft hat, wird dieser Tage von deutschen Mädchen beiderlei Geschlechts in die Mikrophone gehaucht, umspült von 98% abbaubaren Gitarrenriffs in Lenor, durchsetzt vom Odem erbrochener Metaphern und Freßdichlyrik kaum gebändigter Psychotiker. Dieser Sentimentbrei wird nur noch überboten vom Primatensprechgesang junger Teutonen, die sich national und aggressiv geben, geläutert sicher, denn gestern ist ja nicht heute, von daher alles im Grünen Bereich.
Exportschlager sind das alles nicht, wenn auch damit gerechnet werden muß, daß der Bundeswehrsoldat demnächst vor Haifa liegt und die Anlage aufdreht. Dann muß man darauf hoffen, daß wenigstens nur die Borderliner von “Rosenstolz” zu Gehör gebracht werden und nicht die Kreatur, die sich “Fler” nennt und mit den Zeilen “Das ist Schwarz-Rot-Gold, hart und stolz“ sein Schwänzchen und starke deutsche Männer besingt.

Einer der ersten Politiker, die ich live und in Farbe gesehen habe, war Rainer Barzel. Es muß der Bundestagswahlkampf 1983 gewesen sein. Als bemühter Demokrat anarchistischer Gesinnung wollte ich damals auch hören, was der Feind sagt.
Es war erschreckend. Die Provinzprinzen, immerhin auch Landesweit mit großem Einfluß, trugen ihre politischen Weisheiten auf eine Art vor, die meine schönsten Vorurteile bestätigte: Verblödete Spießer, die keinen klaren Gedanken fassen konnten und keine drei Sätze gerade herausbekamen. Als Star des Abends kam dann Rainer Barzel, der versucht hatte, Willy Brandt zu stürzen. Welch eine Enttäuschung! Barzel gab einige Überzeugungen zum besten, die mir sehr fern waren, aber ich mußte eingestehen, daß mich von ihm weniger trennte, als ihn von seinen politischen Freunden. Das war eine völlig andere Welt, klare Gedanken, rhetorisch brillant vorgetragen.
Zähneknirschend stellte ich fest, daß der bourgoise Funktionär mir Respekt abgerungen hatte.
Das änderte an meiner politischen Einstellung freilich ebensowenig wie die Sprüche eines gewissen Heiner Geißler, der in den Achtzigern einen starken Hang zu unkontrollierter Polemik auslebte. Seitdem er sich dann, vielleicht geläutert durch das System Kohl, auf inhaltliche Debatten verlegt hat, freue ich mich oft, von ihm zu hören oder zu lesen. Ich bin seiner Partei nach wie vor sehr wenig gewogen, aber das mindert auch hier den Respekt keineswegs.
War früher alles besser? Macht das Alter die Menschen wirklich weise? Oder leben wir in Zeiten, die den Tiefpunkt politischer Kultur markieren und gerate ich deshalb ins Schwärmen für diese, Pardon, Opas der CDU?
Einer gehört übrigens selbstverständlich nicht dazu. Wenn einer den Untergang von Stil und Charakter in der deutschen Politik zu verantworten hat, ist es Helmut Kohl.

Die Womöglich von Eva Herrmann quasi mit dem Hinterteil angestoßene Diskussion über Emanzipation bzw. Feminismus wird in der ZEIT fortgeführt. Auffällig ist, daß die Beiträge recht lokal beschränkt gedacht sind. Das muß kein Makel sein, aber es sollte, wenn denn von “Gesellschaft” die Rede ist, auch die sie bestimmende Kommunikation Erwähnung finden. Wie definiert sich die “Gesellschaft”, wie nimmt sie sich wahr, wie wird sie öffentlich dargestellt? Diese Fragen deuten nicht einmal auf das, was “die Gesellschaft” bestimmt, aber schon einmal auf die, die versuchen, sie zu bestimmen. Was hat etwa Marktwirtschaft mit Feminismus zu tun? Fast alle beschweren sich darüber, daß Frauen im Beruf weniger Spitzenpostionen bekleiden, aber niemand stellt wie Frage, was das mit der bestehenden Form des Wirtschaftens zu tun hat. Noch deutlicher wird das Defizit, wenn man den Top-Slogan der letzten Jahre heranzieht: “Globalisierung”.
Ohne hier zu entscheiden, ob diese Ideologie oder unausweichliche Tatsache ist, dürfte es auf der Hand liegen, welchen Einfluß “Globalisierung” auf die Emanzipation der Frauen hat. Der als Anpassungsdruck dargestellte Zwang der weltweiten Konkurrenz wird schon dazu führen, daß Feminismus als teurer Luxus abgehandelt werden wird. Die noch viel rückschrittlicheren Strukturen in vielen Staaten, die als Handelspartner gelten, wird noch tiefer ins Kontor schlagen. Wer weiß, ob der Pascha von Purma Weibsvolk überhaupt duldet?
Womit wir beim Kern der Sache sind: Feminismus ist wie viele andere freiheitliche Errungenschaften extrem gefährdet, wenn man Globalisierung als einseitigen Anpassungsprozeß an einen vermeintlichen wirtschaftlichen Status Quo begreift. Andersrum wird ein Schuh draus: Es gibt so vieles, das dem geschmeidigen Handel im Wege ist und böse Kosten verursacht. Die mitteleuropäische Kultur ist voll davon und wäre ohne nicht mehr sie selbst. Wer für diese Kultur kämpft, wird auch immer wieder mit den Primat des Ökonomischen in Konflikt geraten. Das ist gut so, und es wäre noch besser, wenn die Femistinnen diesen Kampf ebenfalls aufnähmen.

Schäuble! Jetzt will er das Internet beobachten lassen, um Terroristen ausfindig zu machen, die ihre Pläne in Foren besprechen. Spezialisten suchen dabei nach Domains wie “Terrormuslime.de”, “Dschihadtrainig.com” und “72-Jungfrauen.net”. Dort wird man sie schon bei der Planung ihrer Anschläge ertappen.
Der Justizminister von Schleswig-Hosltein (SPD) legt noch einen drauf, er will Kryptographie verbieten lassen. Wer glaubt, solche Forderungen seien dämlich und naiv, hat die Begründung noch nicht gehört:
“Was einst aus positiven Gründen zu Gunsten des Datenschutzes gemacht wurde, ist heute geradezu eine Einladung an Kriminelle etwa im Bereich Kinderpornografie und an Terroristen, sich dieser Sache zu bedienen.”
Terroristen und Kinderficker, wer kann dazu schon neinsagen? Aber vielleicht darf man einen Augenblick innehalten und trotz solch starker Argumente gegensteuern. Denken wir an die Feinstrumpfhose und das Auto. Was einst aus positiven Gründen zu
Gunsten der Erotik und der Mobilität erfunden wurde, ist heute geradezu eine
Einladung an Kriminelle etwa im Bereich Bakraub und Prostitution, sich dieser Sachen zu bedienen.
Und noch einmal: Verbote helfen nicht, aber sie verändern eine Gesellschaft. Wer meint, Kommunikation müsse immer den Fahndern zugänglich sein, muß zuallererst das Briefgeheimnis aufheben. Wer konspirative Treffen verhindern will, muß die Unverletzlichkeit der Wohnung abschaffen. Wer behauptet, ein einziger Anschlag wäre verhindert worden, wenn Kryptographie verboten wäre, erzählt Bockmist. Genau das sind auch diese Vorschläge: Einerseits wird versucht, in völlig offener Kommunikation die Nadel im Heuhaufen zu finden, anderseits wird vorgegaukelt, es gäbe eine dunkle Welt verschlüsselter Kommunikation, aus der das Böse tropft. Ja was denn nun? Klar ist offenbar nur eins: Verbieten, überwachen, Freiheiten einschränken sind die Strategien, die uns die Betonköpfe anbieten. Sie schmieden so einen Staat nach dem Geschmack der fanatischen Vollidioten, die sie angeblich bekämpfen. Welch ein Irrsinn!

Intime Fotos von David und Victoria Beckham verspricht RP-Online in einer als Artikel schlecht kaschierten Werbung für einen Stinkstoff, den Boring Victoria zusammengetröpfelt hat.

Die 32-Jährige soll monatelang damit beschäftigt gewesen sein, ihren Duft zu kreieren und die Verpackung auszusuchen” heißt es darin. Soll sie? Wenn man etwas über quasi nichts schreibt, kommt es auch nicht darauf an, ob es stimmt. Es könnte so gewesen sein. Hat mir jemand erzählt. Sagen sie da draußen.
Aber ich kann mir gut vorstellen, daß Akribie und Fleiß, die gern das Genie begleiten, ein solches Arbeitspensum erzwingen. Allein zwölf ihrer 32 Jahre soll sie mit der Auswahl ihrer ersten Sonnenbrille zugebracht haben, das arme Wurm.

Intime Fotos gibt’s obendrein. Einem Milliardenpublikum in die Retina gebrannt – genau so intim! Absolut privat sollen sie sein, die Bilder. Hört man. Wird berichtet.
Intimately Beckham for Him. for Her“, so RP-Online, heißt das Zeug. Diesem semantischen Massaker schließt sich der winzige Artikel mordlüstern an, in dem sich kein Satz findet, der nicht preiswürdig Wort und Schrift aufs Übelste mißbraucht, Sprache bestialisch schändet und jeden Sinn mit wütender Attitüde zu Boden trampelt. Ein Kleinod!

Peinlich, daß mir dieses Licht erst jetzt aufgeht: Der mit allen Wassern gewaschene Radikalmarxist Schröder und seine Mannen bereiten die Revolution vor. Während der Kanzler sich in Rußland auf Fortbildungsurlaub befindet, macht die SPD hier weiter, wo er aufgehört hat: Beim Aufbau des revolutionären Subjekts. Das bezieht heute “Hartz IV” und wird nach Kräften gedemütigt, getreten und gepiesackt. Jahrzehntelang war der deutsche Arbeiter staatstragend, treu, fleißig und bescheiden, dann wurde er rationalisiert, globalisiert, gefeuert, geneppt und entsorgt. Und wie hat er darauf reagiert? Richtig, gar nicht. Apathie, Depression, nörgelndes Gemurmel. Aufbegehren ist des Deutschen nicht.
Die Sozialdemokratie, sehend, daß ihre integrativen Bemühungen, die Versöhnung der Arbeiter und Angestellten mit ihren Ausbeutern, weit übers Ziel hinaus geschossen war, verfiel selbst in unentschlossene Lethargie und brauchte fast zwanzig Jahre, ehe sie das Konzept und die Leitfigur fand, mit denen sie den langen Marsch antreten konnten: Schröder und die Agenda 2010. Wer etwas verändern will, so ihre Besinnung auf die Marxsche Krisentheorie, muß die Gegensätze verschärfen und ins Bewußtsein der Massen agitieren. Es war also klar: Wir brauchen mehr Arbeitlose, und wir müssen sie schlechter behandeln. Was Kohl schon kongenial vorbereitet hatte, vollendeten Schröders Kampfpöbler, und sie sind noch nicht fertig damit. Wurden die Asozialen bislang nur beschimpft und auf Wasser und Brot gesetzt, dräut ihnen Ungemach ohne Grenzen. In Zukunft werden sie noch sinnlosere Jobs angeboten bekommen, die es noch weniger gibt, sie werden noch weniger vom Kuchen bekommen, noch bürokratischer drangsaliert, und wenn das alles nicht hilft, wird für ihre verzweifelten Anträge endgültig niemand mehr zuständig sein. Das Amt, die Agentur, die Anstalt, die Forderungsstelle für Arbeit wird jährlich umbenannt. Nach den Job Centern kommen Centres Travailles, dann die Dienststuben, Beschäftigungsläden, Tu-was-Filialen. Aber selbstverständlich werden diese Einrichtungen nicht einander ablösen, sondern gleichzeitig nebeneinander her wirken und die Ersatzleistungsempfänger zermürben, daß es knirscht.
Und dann, irgendwann, wird er wiederkehren und die Geschundenen siegreich gegen Berlin führen. Er, der Eine, Anfang und Ende, Alpha und Omega.

Schäuble! Er kann es nicht lassen, alle diejenigen aufzuscheuchen, die eventuell mit dem Gedanken spielen, ein bißchen Schrecken, sprich: Terror zu verbreiten. Er beschreit sie, redet sie herbei: Die ewige Bedrohung. Booh!
Die Kollateralschäden durch Trittbrettfahrer, die einfach beim nächsten Bahnhof anrufen oder Kanacken aus dem Flugzeug werfen lassen, interessieren ihn offenbar weniger. Oder sie passen ihm sogar ins Konzept, Motto: Viel Angst, viel Sicherheitsbedürfnis.
Schützenhilfe bekommt er dabei gern von der Journaille, die das alles auch wahnsinnig spannend findet und Sätze raushaut wie:
Die Terrorgefahr wurde von der deutschen Gesellschaft lange verdrängt. Das ist doch wohl auch völlig richtig so! Die Möglichkeit eines Anschlages besteht immer und überall. Wer das nicht erfolgreich verdrängt, sondern ständig im Kopf mit sich herunträgt, ist reif für die Psychiatrie. Es scheint so, als wollten unsere Sicherheitsfetischisten genau solche Bürger regieren: Hirnlose Angsthasen, die zu jeder Überwachungsmaßnahme ja und Amen sagen. Wer noch seine Sinne beisammen hat, wird hingegen die alte Tugend pflegen – und verdrängen.

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