Bankenaufsicht: Ökonomisches Gammelfleisch
Posted by flatter under WirtschaftKommentare deaktiviert
23. Jun 2009 0:23
Lucas zeise hat für die FTD zusammengefaßt, was den Amerikanern und der EU so alles nicht einfällt, um Regulierungen durchzusetzen, die tatsächlich etwas an den asburden Verhältnissen ändern könnten. Es ist im Großen und Ganzen: Nichts.
Was da zukünftig unter “Aufsicht” firmiert, ist so zu verstehen, wie es heißt: Da schauen ein paar offizielle Autoritäten den ihnen Anvertrauten beim “Spielen” zu, wie überforderte Lehrer in einer Schule, die von jugendlichen Kriminellen beherrscht wird. Wenn irgendwo eine Nase blutet, sprechen sie vielleicht vorsichtig einen Tadel aus. Daß in sämtlichen Ecken aber längst die Messer kreisen und es bereits Tote gab, macht die Pausenaufsicht zur Lachnummer.
Wenn ein “europäischer Ausschuss für Systemrisiken” “früh vor Risiken warnen und Empfehlungen abgeben” soll, fragt man sich, warum das nicht schon immer jemand getan hat. Und wenn es denn jemand getan hat, warum das keine Konsequenzen hatte. Vor allen aber: Wie sich in der Zukunft daran etwas ändern sollte.
Derweil ist nichts reguliert d.h. verboten, was das Zeug hat, die “Stabilität zu gefährden”. Im Gegenteil wird den “Opfern” ihrer eigenen Blödheit das Geld nachgeschossen. Und zwar nicht nur, um ihre Haut zu retten, sondern auch noch, um mit dem geforderten Eigenkapital ausgestattet zu werden, das sie brauchen, um weiter zu zocken. Wozu aber wird eine höhere Eigenkapitaldecke gefordert, wenn am Ende eh der Staat dafür sorgt – und zwar bei den größten Versagern zuerst?
Ein rigides Einschreiten der Politik müßte dafür sorgen, daß eine ganze Reihe von Geschäften nicht mehr möglich sind. Vor allem eben solche, deren Risiko zu hoch ist und von den Beteiligten selbst nicht getragen werden kann. Das klingt nicht zufällig schwammig. Denn einerseits ist es selbstredend, was damit gemeint ist: Ähnlich wie die Fusion großer Unternehmen von Kartellbehörden genehmigt werden muß, müssen Kreditgeschäfte ab einem gewissen Volumen genehmigungspflichtig sein. Zweitens muß das Risiko massenhaft vergebener Kredite durch eine bessere Prüfung der Solvenz der Kreditnehmer verringert werden. Was aber, wenn es dennoch zu großen Schieflagen kommt?
Hier liegt andererseits das Problem. Daß derzeit nicht einmal die Risiken gedeckelt werden, die schon in die Krise geführt haben, ist eine Schande. Die Vorsorge für die Zukunft muß aber auch Fälle und Konstellationen absichern, die bislang noch gar nicht vorgekommen sind. Was zu verhindern ist, sind Notlagen bei “systemrelevanten” Marktteilnehmern. Was aber heißt “systemrelevant”?
“Systemrelevant” ist eine Einheit, die alternativlos erhalten werden muß, um nicht ganze Staaten ins Chaos taumeln zu lassen. Und wenn es solche Einheiten geben darf, von der die Politik also auf Gedeih und Verderb abhängt, dann gehören diese Einheiten ohne Vorbehalt unter die demokratische Kontrolle des zuständigen Staates gestellt. Ist das nicht möglich oder von Seiten der Wirtschaft nicht gewollt, so darf etwas Derartiges nicht existieren.
Die Finanzwirtschaft, von der sich die Staaten abhängig gemacht haben, muß nicht beaufsichtigt, sondern kontrolliert werden. So lange die Geschäfte in einem halbwegs produktiven Rahmen bleiben, sollen sie weitgehend frei bleiben. Alles, was die Integrität von Staat und Gesellschaft aber gefährden kann, darf nicht dem “Markt” überlassen werden. Dies ist ein Imperativ der sozialen Marktwirtschaft.
Was stattdessen an Gerette und Gewurschtel, an “Aufsicht” und Pseudo-Regulierung veranstaltet wird, hat ein Haltbarkeitsdatum, das schon vor Auslieferung der Mogelpackung überschritten ist.
Juni 23rd, 2009 at 03:50
Auf Fefes Blog kam neulich eine Meldung, dass die Amis mittlerweile ihre eigenen Schuldscheine “aufkaufen”, also Geld drucken.
Kann eigentlich so lange nicht mehr dauern, bis wir entweder Deflation/Inflation haben oder den Chinesen, Russen und Saudis der Kragen platzt.
Juni 23rd, 2009 at 06:44
Siehe Youtube
Wann kann man mit solcherlei (der Öffentlichkeit zugänglichen) Anhörungen in Deutschland rechnen? Wahrscheinlich am Sanktnimmerleinstag…
Juni 23rd, 2009 at 07:42
Ohne einen politischen Wechsel in D und EU ist an Änderung der Verhältnisse nicht zu denken. Oder das ganze Kartenhaus bricht doch noch zusammen; selbst dann würden wieder dieselben Nasen an der Entscheidungsspitze stehen.
Juni 23rd, 2009 at 08:06
Wenn ein Steinbrück oder sonstwer Hunderte von Milliarden Euro Staatsschulden aufnehmen will, muss er sich die Kohle an den Finanzmärkten beschaffen und zwar mit den gleichen Methoden und nach den gleichen Regeln, die überhaupt erst dazu geführt haben, dass er so viele Schulden machen muss. Ganz wie bei einem Heroinjunky: um nochmal auf einen Trip zu kommen, muss ständig die Dosis erhöht und die Beschaffungskriminalität verstärkt werden.
Das Ganze ist auch als Greenspan-Methode bekannt: die Folgen einer geplatzten Spekulationsblase beseitigt man am besten, indem man eine größere Spekulationsblase aufbläst.
Juni 23rd, 2009 at 08:54
@ben
wie soll der politische wechsel denn bei 3 neoliberal gefuehrten parteien und ihrem medialen schutzwall aussehen?
Juni 23rd, 2009 at 10:20
In Ermangelung akademischer Graduierungen, in Unkenntnis der Beweisführungsketten innerhalb von finanzmathematischen Modellrechnungen der Volkswirtschaftslehre, habe ich den unschätzbaren Vorteil, auf diesem Gebiet und den etwa angrenzenden, also in umfassender Weise, als blöd zu gelten.
Diese Position verführte mich vor einigen Monaten dazu, die wirtschaftliche Zukunft von Wirtschaftsteilnehmern, die mit Geld, Geldschaukeln und -hebeln und in Rohrbomben verpackten Geldersatzkonzentraten weltweit Versandhandel treiben, als kritisch einzuschätzen. Man schien dahinter zu kommen, dass besagtes Gewerbe die Volkswirtschaften und ihre Teilgebiete nicht in dem ausreichenden Maße voranbringt, wie man es sich wünscht. Man schien bemerkt zu haben, dass die in den Schiffsrumpf gesprengten Löcher zu mehr Feuchtigkeit in der eigenen Umgebung führen.
Wie sollten nun angefaulte Banken das Geld, das die Regierung sich lieh, um es zwecks Stabilisierung in sie hineinzupumpen, ihrerseits der Wirtschaft zuführen? Einer Wirtschaft, der die Exporte wegbrachen und die im Inland von Ramsch bis Luxus und Pomp im Übermaß alles schon anbot und verzweifelt bewarb. In was außer Kreditlinienverlängerung sollte diese Wirtschaft investieren? Wie also sollten Banken in Zukunft etwas verdienen?
Nun, ganz einfach, habe ich, der Blödmann, inzwischen gelernt. Ganz einfach wie bisher. Die Devisenkurse schwanken auf und ab. Der Hexensabbat der Derivate wird getanzt. Das Öl, das spekulationsbereit tankerverpackt in den Hafenbecken schwimmt, wechselt dort zig mal den Besitzer. Sein Preis hat sich vorerst nur verdoppelt. Börsenkurse von Banken mal eben auch.
Indes versuche ich mich weiter am Verstehen der sozialen Marktwirtschaft und gewinne den Eindruck, dass ich Fortschritt um Fortschritt mache.
Juni 23rd, 2009 at 10:25
@bojenberg
Wenn sich diese Frage nicht nur eine kleine Minderheit stellen würde, wären man schon einen kleinen Schritt weiter…
Wie sähe z.B. die politische Legitimation einer Regierung bei einer Wahlbeteiligung von 20 Prozent aus (ja, das dauert noch 50 Jahre:-).
So lange kleine Protestparteien insgesamt irgenwo zwischen 0 und 10 Prozent dümpeln, wird auch nichts passieren.
Ja, es ist irgendwie hoffnungslos und so lange es keine Großdemonstrationen gibt, wird sich an der Sachlage nichts ändern.
Wäre mal interessant Merkel und Co. zu beobachten, wie sie reagieren würden, wo sie sich gerade über die Vorgehensweise der Herrschenden im Iran mokieren…
Die Blogger insgesamt sind wichtig und decken Hintergründe auf, die man woanders nicht in dieser Form zum Lesen bekommt.
Allerdings ist dieser ganze Haufen zersplittert und jeder hat eine mehr oder weniger treue Lesergemeinde, zu der ab und an jemand neues dazukommt und/oder auch wieder verschwindet.
Aus meiner Sicht würde hier eine Chance bestehen, wenn sich hieraus eine gemeinsame größere Plattform enstehen würde, die ein größeres mediales Gewicht bekommt und sich nicht in bestehende Systeme eingliedern lässt.
Ist wahrscheinlich aber auch nur eine Utopie, weil sich mindestens tausend Gründe finden lassen, dass so etwas nicht klappt.
Fazit:
Ich weiß es nicht.
Vielleicht ist das Kind noch nicht tief genug in den Brunnen gefallen und wir müssen noch die nächste wirtschaftliche Monsterwelle abwarten…oder die Übernächste….oder die Überüber……
Juni 23rd, 2009 at 10:28
@5: Gute Frage – und selbst wenn dem nicht so wäre, stünden die Chancen schlecht. Denn der Kapitalismus braucht die ‘Spritzen aus der Zukunft’ um überhaupt noch genug Rendite zu simulieren, um den Laden nicht ganz zusammenbrechen zu lassen. Längst werden zu viel Waren produziert mit viel zu wenig ‘lebendiger’ Arbeit, die überhaupt nur ‘realen’ Mehrwert auspucken könnte.
Damit gilt für den gesamten Kapitalismus, was gemeinhin nur von seinem Anhängsel ‘Sozialstaat’ behauptet wird: er ist zunehmend nicht mehr finanzierbar.
Juni 23rd, 2009 at 11:10
@Huuh
sehr schoen beschrieben!
@ben
ich fuerchte, das kind befindet sich noch im freien fall.
wenn ich das richtig verstanden haben (bin blond, dunkelblond), holt sich der bund ueber eine eigene firma, die finanzagentur gmbh, jeden tag frische kredite, je nach verbrauch. das ganze natuerlich diskret und mit mindetstens 8 nullen vor dem komma. wuerd mich nicht wundern, wenn da einige kreditgeber dabei sind, die unter dem schutzschirm kauern!
Juni 23rd, 2009 at 13:48
@5
Der mediale Schutzwall ist wohl inzwischen ziemlich löchrig. Das liegt zum einen an Blogs und diverse andere Medien, die sich nicht so leicht kontrolieren lassen. Zum anderen kann man gar nicht so dumm sein, wie es nötig wäre, um weiterhin diesem System zu vertrauen. Um zu zeigen, dass dieses System nicht funktioniert, reicht einfache Arithmetik.
Juni 23rd, 2009 at 16:36
>>Der mediale Schutzwall ist wohl inzwischen ziemlich löchrig.<<
das sehe ich nicht. mal abgesehen von einigen durchschaubaren manoevern (z.b. weissgarnix bei der faz), die prophylaktisch dem vermeindlichen zeitgeist geschuldet sind, befinden die sog. leitmedien imho voll auf linie. wir (hier) leiden in der beziehung vielleicht an einer etwas gestoerten wahrnehmung, da wir wissen, wo wann was steht. meine eltern lesen nur die ‘allgemeine zeitung’ und wissen ueberhaupt nicht, worueber ich mich so aufrege. internet ist etwas, ueber das man briefe und fotos verschickt und wo neuerdings perverse ihr unwesen treiben.
Juni 24th, 2009 at 00:07
Wer hat eigentlich jemals gedacht, daß der Kapitalismus nur eine Massnahme ergreift, sich selbst abzuschaffen? Wer glaubt das eigentlich jetzt oder hat das jemals geglaubt ?
Ich vertiefe mich gerade in ein Buch, das mir in einer Ausgabe von 1947 vorliegt und das hat, ihr werdet Euch nicht wundern, noch keine ISBN – Nummer:
Es fängt, von mehreren, trotzdem mit einem absoluten Lesebefehl zu versehenden Vorworten
mal abgesehen, an mit den ganz unspektaku- lären Sätzen:
“Eine Gespenst geht um in Europa – Das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst, ….”
Der Titel ist ganz unspektakulär:
“Manifest der kommunistischen Partei”
Die Autoren ebenso:
Karl Marx / Friedrich Engels
Bei näheren Auskünften, wenn Sie dann überhaupt notwendig sind, kan man sich
vertrauensvoll an
https://www.marx-forum.de
wenden. Der Betreiber, Wal Buchenberg, kennt sich da vervorragend aus.
Der Rest liegt an Euch !
Juni 24th, 2009 at 09:13
@9 ja das ist schon ziemlich lustig.
Die Privatbanken holen sich Kredit bei der EZB oder sonstwo und leihen das Geld an den Staat weiter. Nun ist Privatbankensystem pleyte und Staat bürgt für die Banken, schuldet das GLEICHE Geld somit der Bank und ZUSÄTZLICH dem Creditor der Bank!
Und ich als akademisch Ungraduierter zerbreche mir noch den Kopf wo da abgesehen vom Namen und vonner Zinsvereinbarung eigentlich der genaue Unterschied zwischen einer beliehenen Bürgschaft und normalem Kredit ist…
Vielleicht sollte ich stattdessen zum irgendwann-den-Enkeln-zeigen mal einen Quelle-Katalog vorbestellen, bevor die heiß begehrte Letztauflage vergriffen ist. :p
Juni 24th, 2009 at 10:20
du meinst die auflage, die das bayrischen wahlvieh gerade finanziert? *lol*
Juni 24th, 2009 at 12:11
Jo, die wird aber glaube ich jetzt doch von den beteiligten papierverarbeitenden Betrieben “auf Rechnung” gefertigt, sozusagen als Abschiedsgeschenk…
Juni 24th, 2009 at 16:08
Klasse Artikel. Gratulation!
Immer mehr (v.a. gebildete) Menschen finden zu politischem Interesse zurück und beginnen Vorgänge, die vorher einfach gefressen bzw. nicht einmal bemerkt wurden, zu hinterfragen. Das ist prima, davon lebtDemokratie.
Ich befasse mich seit ca. einem Jahr im Zuge der Finanzkrise mit dem Geldsystem. Man stösst da auch auf vielerlei Hinterfragenswertes, was im öfentlichen Bewusstsein nicht gerade übermäßig präsent ist.
Juni 25th, 2009 at 11:00
Meinem Kommentar (#2) möchte ich noch den folgenden aufschlußreichen Bericht über die Hypo Real Estate nachtragen:
Report München auf YouTube
(gefunden via den heutigen Nachdenkseiten)
Juni 25th, 2009 at 13:39
[...] Flatter | Feynsinn | – Lucas zeise hat für die FTD zusammengefasst, was den Amerikanern und der EU so alles [...]