Schritt für Schritt entstehen in Europa und in Deutschland wieder autoritäre, militärisch aggressive Staaten. Es sind nicht bürokratische Rechte, die hier beschnitten oder schlicht ignoriert werden. Es sind die vitalen demokratischen Rechte. Es wird jede Verhältnismäßigkeit außer Kraft gesetzt – was autoritäre Staaten im Kern auszeichnet. Das geht übrigens zu beiden Seiten: Während einerseits drakonische Strafen verhängt werden, bleiben andere Straftaten unverfolgt, werden die Täter von deren Behörden geschützt, beispielhaft dafür die Komplizenschaft deutscher Geheimdienste mit den Mördern des “NSU”.

Die Rechte erstarkt in jeder Form. Militante Illegale hier, parlamentarische Faschisten dort; nicht nur die Verehrer von Faschisten und Putschisten in Griechenland; Ungarn wurde von Rassisten gleich verfassungsgebend umgekrempelt. Gewählte Faschisten lassen schon in ihrem Auftreten nichts zu wünschen übrig. Sogenannte “Journalisten” formulieren deutlich: „Diese Zigeuner sind Tiere, und sie verhalten sich auch wie Tiere” (Zsolt Bayer in der Tageszeitung Magyar Hírlap). Wo war der Aufschrei der europäischen Presse?

Was braucht ihr noch?

Hierzulande werden Büros und Wohnungen von Pressefotografen durchwühlt und Daten kopiert, weil irgendwer angeblich Fotos von einer Demo gemacht hat. Genau deshalb sind Journalisten per Gesetz geschützt, damit sie nicht als mögliche Spitzel und Helfershelfer betrachtet werden und ihnen niemand mehr Informationen anvertraut. Wer da noch von “Pressefreiheit” redet, hat nur das Gesetz gelesen und interessiert sich offenbar nicht für die Praxis der Polizei. Das war nämlich kein Einzelfall.

Während rechten Mördern und möglichen Nachahmern also behördenübergreifend bedeutet wird, dass man sie deckt, werden verdächtige Linke mit aller Wucht und Willkür verfolgt. Da werden unter bizarren Bedingungen zustande gekommene Zeugenaussagen dazu verwendet, nach über 30 Jahren einen abenteuerlichen Mordvorwurf zu konstruieren. Die 80-Jährige Angeklagte sitzt dafür seit 17 Monaten in U-Haft. Das ist schlicht gnadenlos, und das ist auch die Message.

Die Parallelen zu Weimar kann nur noch leugnen, wer sie nicht wahrhaben will. Die angesprochenen Meldungen sind von heute, nicht aus Monaten oder Jahren zusammengesucht. Es gibt reichlich Leute, die meinen, es müsste sich der Himmel verfinstern und ein Monster erscheinen, wenn der Faschismus losmarschiert. Man würde das an den braunen Uniformen erkennen, an Seitenscheitel und Chaplinbart. Was aber wirklich längst sichtbar ist, wird in Kategorien eingeteilt wie “Einzelfälle”, “Extremismus” oder auch schon mal “geschieht ihnen Recht”. Auch das war damals schon so. Was also braucht ihr, um aufzuwachen? Wie soll das aussehen, damit es nicht längst zu spät ist?

p.s.: Ergänzend dazu Burks und Tucholsky.

 
s21Die dreifache Verneinung ist ein rhetorisches Mittel, das bislang eher selten zum Einsatz kam, aus gutem Grund, denn irgendwann ist die Kehre erreicht, an der endgültig niemand mehr weiß, in welche Richtung man unterwegs ist, und es ist einem einfach nur noch schlecht. Der verbale Eiertanz endet dann im Omelettwalzer und gibt zu erkennen, dass hier wer eigentlich nicht sagen will, was er zu sagen hat, also zu erkennen gibt, dass er es jetzt ausgesprochen hat, ohne es zu sagen, weil es vermutlich zu irgend einem früheren Zeitpunkt einmal für unmöglich erklärt worden ist. Was so viel Anlauf nimmt und dann doch noch aus der Kurve kippt, richtig, das kann nur Stuttgart 21 sein. Der Großmeister ministerieller Virtuosität, Geschmacksrichtung Verkehr, heißt Peter Ramsauer, und der dessen Ministerium hat nun folgendes zu Protokoll gegeben:

Die Argumente, eine weitere Finanzierung nicht abzulehnen, sind zu schwach.“ Ganz großes Hallentennis, heißt es doch eigentlich: Ich lehne eine weitere Finanzierung ab. Aber nein, zunächst muss Zustimmung konstruiert werden in Form der Nichtablehnung. Denn das ist ja der Konsens gewesen: Es wird gebaut! Spätestens seit dem 30.09.2010 war klar: Das Ding wird durchgezogen, egal gegen welche Widerstände. Vor allem die CDU hatte nach dem Motto “Wer baut, der haut” allem in die Goschn treten lassen, was bis dahin glaubte, das Projekt ließe sich noch aufhalten. Als auch nach der sogenannten “Schlichtung” keine Änderung in Sicht war und die Bahn sich beim sogenannten “Stresstest” im God mode durch den Level gepfuscht hatte, standen alle Ampeln auf Grün.

Wer soll das bezahlen …

sg21Nun, da hat jemand erkannt, was fast alle anderen schon vorher wussten: Niemand will das bezahlen, weil es vermutlich noch teurer wird als selbst die Gegner errechnet hatten. Wenn Ramsauer also säuselt, es gebe da “Argumente”, ist das drollig, denn auf die hat ja vorher keiner gehört. Jetzt sollen die was gelten, weil alles andere hieße, eine Entscheidung zu treffen, für die man womöglich verantwortlich gemacht wird. Milliarden Versenken macht dann keinen Spaß mehr, dafür waren die Spenden offenbar nicht ausreichend.

Ich schrub Ende 2011 bereits: “Es wird viel teuer, es müssen unkorrekte Verfahren aufgerollt werden, es wird länger dauern. Es ist nicht gesund, den Kopf in den Kies zu stecken, schon gar nicht zwischen den Schwellen. Das Projekt ist tot, die Frage ist nur, ob es als Zombie weiter existiert oder endlich in Würde begraben wird.”
Tja, jetzt gibt es nur noch eine Rettung für den Bahnhof ohne Kopf, das unterirdische Projekt einer desorientierten Möchtegernmafia: Kretschmän und seine Grünen Laternenputzer. Wenn sie auch diesen Stresstest bestehen, können sie Kanzler und müssen sich nie wieder Sorgen um die Finanzierung ihrer Funktionäre machen.

p.s.: Korrektur: Aha, nicht Ramsauer selbst, sondern nur die “untere Ebene” seines Ministeriums reagiert auf Argumente. Ob da gerade wer einen kleinen Nachschlag erhalten hat?

 
reagthatch

Ich übersetze das Zitat von Margaret Thatcher, das R@iner in den Kommentaren hinterlassen hat; das Original ist aus “Women’s Own magazine”, vom 31.Oktober 1987:

Und wissen Sie, es gibt keine “Gesellschaft”. Es gibt Individuen, Männer und Frauen, und es gibt Familien. Keine Regierung kann etwas tun, es sein denn durch die Menschen, und die Menschen müssen zuerst für sich selbst sorgen. Es ist unsere Pflicht, uns zuerst um uns selbst zu kümmern und dann erst um unseren Nächsten. Die Leute haben eine Anspruchshaltung ohne die Verpflichtungen zu bedenken, aber es gibt keine Ansprüche, bevor jemand seine Verpflichtungen erfüllt.

Dieser Satz spricht Bände. Bevor ich näher darauf eingehe, möchte ich einen kurzen Ausflug unternehmen in die Etymologie des Begriffs Solidarität. Diese beruht ursprünglich auf dem lateinischen Wort “solidus”, was sowohl “fest, unerschütterlich” bedeutet als auch “ganz, vollständig”. “Solidarität” nahm dabei einen Umweg über das Französische, wo sich der Begriff im 19. Jahrhundert etablierte als “solidaire”, als Rechtsbegriff, der auf gegenseitige, gemeinsame Haftung für das Ganze verwies. Der Begriff “solidus”, heute noch in “solide” aufgehoben, verwies darauf, dass nur das ineinandergreifende Ganze wirklich fest ist. Ein Stein hält den anderen und ein Mensch stützt den anderen. Was vereinzelt ist, wird schwach und zerfällt.

Schuld und Erbe

Dem gegenüber der Thatcherismus: Es soll kein Anspruch bestehen auf die Unterstützung durch das Ganze, es sei denn durch Anerkennung der Schuld und Pflicht – beides bedeutet “obligation”. Wer Solidarität erfährt, hat sich zu verschulden. Mit dieser Geisteshaltung ist die Ökonomisierung der menschlichen Beziehungen auf den Punkt gebracht. Dabei bedient sich Thatcher einer Rhetorik, die zustimmungsfähig erscheint, weil sie die Doppelbedeutungen so kaschiert und verschleiert, dass mit dem scheinbar plausiblen Teil auch ein ungemein brutaler transportiert wird.

Natürlich soll jemand, der Ansprüche stellt, auch Pflichten übernehmen, wenn er damit einen Beitrag zum gemeinsamen Ganzen leisten kann. Das ist aber exakt da selbstverständlich, wo eben ein menschliches Geben und Nehmen davon zehrt, dass man sich gegenseitig hilft – ohne dafür Schuldscheine auszustellen. Dieses Ganze, “society”, leugnen die religiösen Kapitalisten und ersetzen es durch eine Ökonomie von Schuld und Leistungsanspruch. Jedes Geben ist ein Anspruch auf Vermögen, jedes Nehmen eine Zahlungsverpflichtung. Woher das Guthaben kommt, danach wird nicht gefragt. Ausgeschlossen von dieser Ökonomie ist nur die “Familie”, die Erbengemeinschaft oder Dynastie. Ansonsten führt jeder sein eigenes Konto.

Gerade dieser Kniff zerstört endgültig jede solidarische Gemeinschaft. Es gibt nicht nur keinen Anspruch auf Solidarität, es gibt auch keinen Anspruch an die Gewinner, sich zu legitimieren. Es gibt nur noch eine Form des Anspruchs: Das Einfordern von Schulden. Die “Pflicht” ist die, dafür Sorge zu tragen, dass andere sich verschulden, nicht man selbst. Was vordergründig so aussieht als sei es eine berechtigte Kritik an Menschen, die mehr nehmen wollen als geben, ist also das exakte Gegenteil: Es ist der Putsch einer Ethik, die rücksichtslosen Erwerb fordert und im Recht des Reicheren mündet.

 
Ich bin kein Freund von Petitionen, denn meist sind sie da sinnvoll, wo das Recht, um das ‘gebeten’ wird, eigentlich selbstverständlich sein sollte. Die Menschen sollten lernen, es sich zu erobern, aber am Ende leiden immer auch jene unter dem Unrecht, denen kein Vorwurf zu machen ist und die einfach nicht die Möglichkeit haben, sich durchzusetzen, sei es legal oder nur legitim. Vor allem wenn unmittelbar solche Möglichkeiten beschränkt werden, wenn der “Rechtsstaat” sich herausnimmt, den Begriff “Recht” als bloße Reglementierung aufzufassen, das Recht des Staates, die Bürger zu knebeln, ein Rechtsbegriff, der nicht einmal die Konstruktion eines Bezugs auf Gerechtigkeit zulässt.

Ich kann mich daher Wolfgang Neskovic anschließen und dazu auffordern, die Petition zu unterzeichnen, die verhindern soll, dass die Entrechtung der Armen vor den Gerichten ohne Widerstand durchgepaukt wird. Ein Scheitern dieser Petition wäre vor allem eines vor der Ignoranz einer Maschinerie, die sich immer offensichtlicher der reinen Verwertung verschreibt. Stellen wir fest, ob sich noch Reste einer Rechtsstaatlichkeit finden, die als demokratisch gelten darf. Wir können dann unsere Schlüsse daraus ziehen, wenn der Staat offen dazu übergeht, wieder in Obrigkeit und Untertanen zu diskriminieren.

Grünes Rückgrat

Und wo ich gerade dabei bin, das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern unter Einfluss der Parteien zu besprechen, geraten mir meine Freunde die Grünen einmal mehr ins Auge. Es ist ihnen inzwischen auf breiter Front vollkommen egal, wie die Wirklichkeit jenseits der funktionselitären Mittelschicht aussieht, sie haben alle ihre Prinzipien verraten und sind zu einer industriefreundlichen, Atomkraft fördernden unsozialen und militaristischen Funktionärspartei verkommen, deren Repräsentanten sich immer häufiger als Lobbyisten schmieren lassen. Diese Haltung führt zwangsläufig zu einem argumentativen Geeiere und Entscheidungen, denen nur der eingefleischte Fan noch applaudieren kann.

In Berlin wird die Treitschkestraße, benannt nach dem glühenden Antisemiten, der uns das geflügelte Wort “Die Juden sind unser Unglück ” bescherte, nicht umbenannt. Die Grünen, die ursprünglich selbst den Antrag zur Umbenennung eingebracht hatten, sehen sich jetzt aber an einen Vertrag mit der CDU gebunden und stimmen gegen sich selbst. Alles andere sei “Vertragsbruch” heißt es einerseits, andererseits stützen sie sich auf die Mehrheit der Anwohner, denen der Stress einer Adressänderung relevanter erscheint als jeder Rest von Anstand. Da plötzlich wird dann Volkes Stimme gehört von denen, die sich sonst ständig hinter ihrer Stellvertreterfunktion verstecken. Polityoga vom Feinsten – wer wissen will, wie biegsam Rückgrat sein kann, ist bei den Grünen bestens aufgehoben.

Wie schön, dass der gemeine Medienrezipient zielgerichtet danach filtert, was ihn beruhigt und auch großzügig damit beliefert wird. Da hat es offenbar einen “Fehler” gegeben im Umgang mit dem NSU, so wie Radsportprofis versehentlich mit Dopingmitteln in Kontakt kommen eben. “Um keine Unruhe in die Szene zu bringen” sollte die Polizei auf Wunsch oder Geheiß des Verfaschungsschutzes nicht gegen die Nazis ermitteln. Sie wollen es nicht wissen lassen: It’s not a bug, it’s a feature. Wer lässt schon freiwillig gegen eine Mörderbande ermitteln, die er sich gerade aufgebaut hat? Das Handeln der Schutzstaffel war schlicht alternativlos. Nur so wird ein Springerstiefel draus.

 
Ich habe heute nach der Lektüre eines alten Beitrags sowie eines alten Forenbeitrags zum Thema darüber sinniert, wo Argumentieren eigentlich noch sinnvoll ist und wo nicht. Trifft man nämlich auf reaktionäre Strukturen, ist man selbst dann weitgehend zum Scheitern verurteilt, wenn man sich nicht in die Rolle desjenigen treiben lässt, der sich zu rechtfertigen hätte.

Der Reaktionär unterscheidet nicht zwischen dem Angenehmen und Unangenehmen des Neuen. Er hasst Veränderung generell. Natürlich passt auch der Reaktionär sich an. Ihm liegt neben der je bestehenden Ordnung vor allem diese als solche am Herzen. “Die Autorität hat immer recht”, ist sein Credo. Nach Kaiser und Führer wurde auch die jeweilige Kanzlerschaft eigentlich nie angezweifelt. So ist man mit der Regierung höchst unzufrieden, keineswegs aber mit der Kanzlerin.

Das Problem liegt tiefer als in sogenannten “Werten”, die der Konservativismus für sich beansprucht. Reaktion ist eine Abwehrhaltung, die sich aus vielen Quellen speist; nicht bloß aus dem autoritären Charakter, auch aus schnöder Phantasielosigkeit oder schlichter Konditionierung. Das, was “unmöglich ist zu denken” (Foucault) zwängt selbst Wissenschaft (und ich meine nicht nur die Astrologie sogenannter “Ökonomen”) in ein Korsett. Erst recht begrenzt es die intellektuelle Beweglichkeit des Bürgers. Ich greife den Vorschlag noch einmal auf, eine Erbschaftssteuer von 100% einzuführen und die Reaktionen darauf:

Darf nicht, kann nicht, ist nicht

Ein solcher Vorschlag ruft gern die auf den Plan, die schon mit der Vorstellung komplett überfordert sind. Sie sind diejenigen, die nicht auf einer bildlichen Ebene denken können, nicht trennen zwischen beispielhaft und konkret, metaphorisch und unmittelbar, Bezeichnung und Bedeutung. Gemeinhin verstehen sie übrigens auch keine Ironie. Sie lassen sich auf keine Zusammenhänge ein, die sie nicht schon kennen. Solche Reaktionäre gebärden sich regelmäßig als Trolle, berufen sich dabei stets auf das, was ‘gilt’ oder für sie gilt. Sie kramen alle ‘Widersprüche’ heraus zu dem, was sie noch zu verstehen bereit sind und hauen es dem Gegner um die Ohren. Sie diskutieren immer mit und lassen sich niemals ein. Ihr Ziel besteht darin, die Guten von den Bösen zu trennen, das Für oder Gegen uns. Die Sache machen sie nieder, weil sie nicht in ihr Weltbild passt. Dabei wissen sie nicht einmal, ob das Andere besser oder schlechter wäre. Es ist anders, und das geht eben nicht.

Die Erbschaftssteuer, so wissen die, die zuerst raus sind, kann nicht erhöht werden. Das sagen nämlich die Experten.
Als nächstes kommen die Zuschauer der Talkshows, die sich ‘Argumente’ gemerkt haben – also die wiederholten Propagandaschnipsel. Zum Beispiel das Argument mit den Firmen, die pleite gehen, weil sie die Erbschaftssteuer nicht zahlen können. Als hätte eine Firma, die nichts erwirtschaftet, einen Wert, der hoch besteuert würde. Als könnte eine Firma, die brummt, keine Steuern zahlen. Dumm genug. Vor allem aber: Als sei das Zahlen der Steuern ein Problem der Maschinen und nicht eines der Eigentümer. Es sind die Teilhaber, die zur Kasse gebeten werden. Wollen sie nicht zahlen, verkaufen oder verschenken sie meinetwegen. Niemals würde eine Firma deshalb dicht machen. Und was hat das gleich noch mit einer privaten Erbschaftssteuer zu tun? Nichts, die aber macht die Milliardäre alle obdachlos. Na klar.

Bei uns ist es am besten

Man braucht nicht einmal viel Phantasie. Ausgerechnet die Reaktionäre aber zerren dann die unwahrscheinlichsten Fälle ans Licht, um es nicht begreifen zu müssen: Da ist eine sinnvolle Veränderung möglich? Das sind gleich zwei Schocks: Erstens, dass sich etwas verändern könnte, zweitens, dass die Welt nicht in Ordnung sein könnte. Hätte man denn sonst nicht längst etwas in diese Richtung unternommen? Könnte man dann in den Talkshows so reden? Haben die Autoritäten uns derart belogen? Das wäre ja wohl wem aufgefallen. Kann also nicht.

Schließlich diejenigen, die den Blick aufs Ganze haben – vermeintlich. Die Hobbyjuristen und politischen Teilzeitexperten. “Verfassungswidrig” sagen sie vielleicht und haben gelegentlich recht. Nie nicht aber fiele ihnen ein, diese Erkenntnis in ihr Weltbild einzupflegen und sich zu fragen, was daraus folgt. Selbst wenn sie sich darauf einlassen können, dass es wohl nicht ganz demokratisch ist, wenn Familien seit Jahrhunderten steinreich sind und andere ebenso lange bettelarm und dass das quasi für immer so bleiben soll. Es gibt keinen Weg hinein, auf dem die realen Machtverhältnisse effektiv hinterfragt würden. Die letzte Bastion: Wo es denn besser sei? Selbst wenn man darauf Antworten hat, werden die sofort relativiert. Denn am besten ist es dort, wo wir es gemütlich haben.

Sie verlassen den sicheren Bereich

Der letzte Versuch ist der Sprung übern Zaun, wo die Welt dann doch nicht endet. Natürlich ist der Vorschlag nicht wörtlich zu nehmen. Wenn man sich das aber vorstellt, man ließe dieses eine Gesetz zu und malt sich aus, welche Folgen das hätte, kommt man zu radikalen Gedankengängen, die weder einer Diktatur zustreben noch die Welt schlechter machen würden. Im Gegenteil. Dass es in der wahren Wirklichkeit aber absolut nicht durchsetzbar ist, wirft ein helles Licht auf die Verhältnisse, die man nämlich tatsächlich ganz überwinden muss, um etwas zu verbessern.

Begleitend dazu empfiehlt sich ein Blick auf das, was uns bevorsteht mit dem, was wir haben. Ein Blick auf das, was längst geschieht um uns herum. Dass überhaupt nichts in Ordnung ist und die Gemütlichkeit akut bedroht. Da wird der Widerstand noch heftiger, weil verzweifelter. Die nicht ganz Dämlichen knabbern da zaghaft am Baum der Erkenntnis, wollen aber dennoch nicht wissen. 60% faule Jugendliche in Südeuropa, dass muss wohl so sein. Können halt nicht mit Geld umgehen. Wir haben doch gut gewirtschaftet, jetzt wollen die unser Geld!! Je weniger so einer sein eigenes Geschwätz glaubt, desto energischer trägt er es vor.

Inzwischen mache ich daher regelmäßig deutlich, dass ich eine linksradikale Sau bin und mich deshalb nicht recht verständlich machen kann. Ich mache hie und da darauf aufmerksam, wenn ein Problem, auf das mich jemand anspricht, ein Problem des Kapitalismus’ ist und erläutere kurz den Zusammenhang. “So darfst du natürlich nicht denken”, pflege ich dann zu sagen und versuche gar nicht erst, Recht zu bekommen. Das habe ich eh nur diesseits des Zauns. Rüberklettern muss jeder selbst.

 
manek

Die FAZ soll die Frankfurter Rundschau übernehmen, sobald das Kartellamt (Behörde für das Durchwinken von Fusionen aller Art) dem zustimmen wird. Aus der FR wird dann ein halbes Regionalblatt, der Rest der Redaktion wird freigesetzt oder in die Zentrale verschoben, von wo aus die glücklichen Lohnschreiber Berliner Zeitung, Kölner Stadtanzeiger und Mitteldeutsche Zeitung mit gepimpten Agenturmeldungen versorgen dürfen. DuMont Schauberg kommt das Verdienst zu, die FR binnen sechs Jahren komplett an die Wand gefahren zu haben. Dieser historischen Leistung verdankt der Verlag die Nominierung für den Grimme Offline Award.

Rückwärts nimmer

Wie getrommelt und gepfiffen wird, soll der Großaktionär SPD in Gestalt seines Vorsitzenden Sigmar Gabriel einen “Sozialplan” ausarbeiten lassen wollen. Wie es nicht heißt, sollen schon emsige Abstiegstrainer im Jobcenter Frankfurt-Sachsenhausen mit den Hufen scharren, um in zwölf Monaten Angebote zu unterbreiten, welche die Freigesetzten nicht werden ablehnen können. Auch für Journalisten gilt: Wer nicht arbeitet, muss auch nicht essen. Wie es ebenfalls nicht heißt, soll ein Beschäftigungsprogramm aufgelegt werden, in dessen Rahmen die Freisetzlinge sich für den ersten Arbeitsmarkt fit halten können – sofern sie nicht auf die Bezüge des Arbeitslosengeldes II zu verzichten gedenken.

Eine virtuelle Redaktion wartet auf sie, in der ihnen eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung geboten werden wird. Dort können sie für den Anfang Artikel von Marc Beise abschreiben oder wahlweise sogar selbst Texte verfassen, sobald sie eine Kompetenzprüfung durch einen Partner der Jobcenter bestanden haben. Diese Aufgabe, so verlautet aus nicht unterrichteten Kreisen, sollen Roland Berger, Bertelsmann und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft übernehmen. Titel des von den Sozialdemokraten mit großzügigen Mitteln ausgestatteten Magazins: “Vorwärts immer”. Parteichef Gabriel lobte das Projekt bereits vorab als “Meilenstein in der Geschichte des Beschäftigungspacks”.

 
weitoIch fühle mich derzeit häufig in die 80er Jahre zurückgeworfen. Ein Grund dafür sind Debatten, die beizeiten mit dem Label “Feminismus” behaftet wurden. Die Geschichte der Kärtchen auf dem CCC-Kongress ist so eine, die um die Zoten und Anzüglichkeiten Rainer Brüderles eine andere. Es scheint keinen Schritt vorwärts gegangen zu sein, das wundert mich auch überhaupt nicht. Dass die Reaktion ganze Arbeit geleistet hat, darf man wohl annehmen. Dass die publizistisch erfolgreiche Variante des “Feminismus” das ihre dazu tat, ist ebenso zu diagnostizieren.

Was zuletzt als postmoderner Feminismus die Runde machte, war noch reichlich blöder als das, was Alice Schwarzer verbockt hat. Der Spackenporno einer Charlotte Roche und ihre Begrenztheit höchstselbst durften in der Öffentlichkeit suggerieren, die Frauenbewegung würde endlich dafür sorgen, dass es nicht so öde ist beim Ficken. Ich bin zwar kein Feminismusfachexperte, aber es dürften fraglos diverse Schreie ungehört verhallt sein, die dieser finalen Demütigung nach dem Sieg der Reaktion folgten. Darf man deshalb dankbar sein, wenn jetzt immerhin wieder die halbhirnigen Symboldebatten losgetreten werden?

Nach dem Scheitern die Demütigung

Ein fröhlicher Schwätzer wie Brüderle ist ein Symptom für das völlige Scheitern der Attacken auf die Symbole des Patriarchats. Es half kein großes I, kein Kampf gegen den Chauvinismus der Stehpisser und keine Diskriminierung von Männern und Frauen. Wie denn auch? ‘Divide et impera’ heißt das Spiel. Was die Frauen unterdrückt, unterdrückt auch Männer. Der Kollateralschaden des Machogehabes uneingestanden selbst unterdrückter Wichshähnchen und die Zoten bierseliger Männerrunden sind vielleicht der Schokostreusel. Wir müssen aber den Kakao auslöffeln, durch den wir – Männer und Frauen – ständig gezogen werden.

Ja, schon wieder ist die Rede von dem K-Wort. Technisch betrachtet, müsste so etwas wie Feminismus eigentlich im Sinne der Männer sein. Technisch betrachtet, weil mindestens 80% der Menschen nichts zu sagen haben. Weil immer mehr in schiere Lebensnot geraten. Weil der Kapitalismus ein Regime führt, das immer mehr Menschen überrollt und zurücklässt. Was mag das mit einer Stärkung der Rechte, nein der Macht von Frauen zu tun haben? Ganz einfach: Wenn man Unterdrückung und Entrechtung beenden will, müssen die Unterdrückten sich holen, was ihnen zusteht. Bei aller grundgesetzlich ‘garantierten’ Gleichheit weiß aber jeder, dass die Frauen noch übler ausgebeutet werden als die Werktätigen insgesamt.

Wir sagen ja zu diesem System

Was läge also näher, als diese ‘Gruppe’ – Frauen, die nicht einmal eine Minderheit sind, sondern die Mehrheit – mit aller Macht zu unterstützen? Männer, die sich nicht länger herumschubsen lassen wollen, müssten geradezu fordern, dass Frauen sofort real gleichgestellt werden. Mindestens, denn sie haben einiges zu korrigieren, also müsste man die Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau vielleicht sogar auf den Kopf stellen.

Was steht dem nun entgegen? Ach ja – die soziale Marktwirtschaft® ist ja unantastbar. Wer etwas anderes will, ist nämlich linksradikal. Das kann niemand wollen, darum bekommt es auch niemand zu hören, zu sehen oder zu lesen. Auch in dieser Hinsicht ist übrigens das Reaktionärste, was der Markt zu bieten hat, “grün”:

Zumindest uns als zweite Generation interessiert es nicht, wie ihr euren Frieden mit der sozialen Marktwirtschaft gemacht habt. Hauptsache, es ist so. Für uns stellte sich die Systemfrage nur kurz, dann war für uns klar, daß wir ja zu diesem System sagen, obwohl wir seine Fehler erkennen und beheben wollen.” [Man beachte die Unterzeichnerliste]

Das Falsche am Falschen zu erkennen und zu beheben, ohne es infrage zu stellen – höchste politische Kunst, für die man wahrhaft fest im Glauben sein muss. Das geht wiederum am besten, indem man sich ganz und gar in Symbolik versenkt und keinen Gedanken zulässt, der die Rituale durchbricht.

 
ausbeuWir kommen vom Begriff der Arbeit nicht los, also will ich mich dem auch nicht entziehen und einen weiteren Versuch wagen, ihn zu denken, und zwar von seinen Extremen her. Diese sind aus meiner Sicht: Arbeit als Vernichtungsprozess, Arbeit als Teil einer kapitalistischen Religion, insbesondere im Neoliberalismus, und drittens Arbeit an der Grenze zur bloßen Tätigkeit, wo der Begriff vielleicht überflüssig wird. Das Motiv, das solche Bemühungen trägt, ist immer noch die Frage, inwieweit eine andere Organisation von Arbeit möglich ist, was daraus folgt und wie man dorthin gelangen kann.

Arbeit als Vernichtungsprozess aufzufassen, erscheint extremistisch und klingt in der Erläuterung zunächst kompliziert. Der Gedanke lässt sich aber leicht illustrieren. Zunächst der komplizierte Einstieg:
Aus der “Dialektik der Aufklärung” und deren Gedanken der “Mimesis ans Tote” lässt sich ‘Arbeit’ als Motor des Todes beschreiben. Ist die “Mimesis” die Anpassungsleistung des Menschen und seiner Gesellschaft an die Kunstwelt der Produktion, so ist Arbeit darin dasjenige, was lebendige Natur in totes Material verwandelt. Alles wird umgewandelt, verwertet und in Stückzahlen erfasst. Daher der Gedanke, dass “Arbeit macht frei” die Menschheit in Stückgut und Arbeiter teilte, zwei Seiten desselben Prozesses.

Arbeit vernichtet zwangsläufig Natur, auch wo sie die Grenze zum kapitalistischen Kannibalismus nicht überschreitet. Nicht bloß die Fleischproduktion ist ein selbsterklärendes Beispiel dafür; vor der Arbeit waren die Natur und ihre Ressourcen, danach die Produkte und ihr Verbrauch. Nichtkapitalistische Arbeit kann sich davon unterscheiden, indem sie das Produkt nicht auch noch zur Ware macht, die nämlich gar nicht des Nutzens wegen geschaffen wird, sondern um eines jenseitigen Nutzens willen – dem des Profits.

Arbeit vernichtet

In der aktuellen Ideologie des Kapitalismus, der neoliberalen Religion, ist der Arbeitsbegriff losgelöst von jedem Inhalt, jedem historischen Kontext und der Wirklichkeit zum Dogma geworden, einem durch Wiederholung eingebläuten Glaubensinhalt. Er setzt dabei auf dem lutherschen Begriff der Arbeit auf, der den Grundstein für die Religiosität der Arbeit legte.

Der Begriff bedeutete seinem Ursprung nach Plage, Mühe, die Not eines Entwurzelten, sich durch Tätigkeit am Leben zu erhalten, kurzum: das nackte Sklavendasein. Dem entgegen stand der Begriff des Werkes, auch des Werkens, was die Erstellung eine Gegenstandes (Flechtwerk) durch Handanlegen meinte. Luther fokussierte auf die tätige Mühe als asketische gottgefällige Art zu leben. Dieser Ansatz war in der Tat alternativlos, denn wo immer Profiteure auf den Plan treten, haben sie ein Interesse an dieser unterwürfigen Grundhaltung. Wo “Gott” stand, fand sich alsbald ein Manufakturbesitzer, Fabrikant, “Arbeitgeber”. Die Kooperation zwischen Privateigentum und Religion funktioniert auf dieser Basis perfekt, sie ist das Resultat schierer Evolution.

Der Bezug auf das Werk hingegen musste fallen. Im Werk wird deutlich, dass es ein von Einzelnen oder Gruppen Geschaffenes ist. Es käme die Frage auf, wieso das dann “Eigentum” eines anderen ist. Der Begriff “Werktätige” war daher von der sozialistischen Ideologie klug gewählt.
Ist erst vom Werk nicht mehr die Rede, kann es gern noch abstrakter werden. “Arbeit” ist selbst Ware, übertragbar und mit einem Wert behaftet. Wenn man die Arbeiter also endgültig enteignen will, was ist dann das Ziel? Man nimmt ihnen das Verdienst um das Produzieren und macht ihr Werken zum Abfallprodukt einer fremden Macht.

Kapitalistische Religionslehre

Daher rührt schon der Begriff “Arbeitgeber”. Es gäbe die Arbeit nicht ohne diesen, wird suggeriert. Er “macht” sie, die anderen führen sie nur aus. Das Arbeiten selbst hat überhaupt keinen Wert. Nehmen wir an, Arbeit sei grundsätzlich sozial (was schon nicht der Fall ist), wie kommt dann einer darauf zu behaupten: “Sozial ist, was Arbeit schafft“? Er hat sich an die Stelle des (göttlichen) Schöpfers gesetzt. Alles Gute kommt eben von oben. Der Arbeiter muss nur eines wissen von seiner Arbeit: Sie definiert ihn. Er ist einer, weil er sich unterwirft und die Mühe auf sich nimmt. Der Ratschluss der höheren Macht ist dabei nicht in Zweifel zu ziehen, das wäre Blasphemie. Die Pfaffen dieser Religion sind die PR-Experten und die ihnen zuarbeitenden “Journalisten”.

Wer also die Arbeit verändern will, legt sich mit der Kirche an und gerät zwangsläufig in die Mühlen der Inquisition. Wenn er Glück hat, wird er dabei lediglich dem öffentlichen Diskurs entzogen; hat er Pech, wird er hingerichtet.

Die Konzepte alternativer Gesellschaften müssen sich aufs Werken wie auf die Arbeit beziehen. Sie kommen nicht umhin, auch “Arbeit” einzubeziehen, die aus lebendiger Natur Gebrauchsgegenstände macht und muss Grenzen ziehen, um nicht in der modernen Barbarei zu enden. Sie wird auf der anderen Seite auch nicht umhin kommen, sich vom Arbeitsbegriff abzugrenzen, wie er sich in den vergangenen Jahrhunderten eingeprägt hat. Nach wie vor wird es aber keine Option sein, sich unreflektiert als “Arbeiter” zu gerieren und zu glauben, derart wäre es auch nur möglich, sich von der kapitalistischen Produktion frei zu machen. Wenn das Denken sich schon so verstricken lässt, wird das Handeln nämlich nichts Gutes bewirken.

 
Ja, es geht noch blöder. Die Hände fallen leider immer noch nicht ab, wenn ein Lohnschreiber einen Mist wie “Merkel fordert Pakt für Wettbewerbsfähigkeit®” in die Headline schmiert, natürlich ohne Hinweis auf die Marke “Neusprech” und ihre neoliberalen Inhaber.

Das bedeutet: “Bundeskanzlerin will noch mehr Lohndumping“. Nichts. Anderes.

Geht pleite!

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