2011
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Hintergrund[46] Comments 25. Aug 2011 19:48
Wenn der Amtsschimmel durchs heimische Porzellan reitet, dann ist das quasi höhere Gewalt. Die wird aktuell in zwei Fällen öffentlich. Die Dunkelziffer ist dunkel. Zwar ist im Fall Jörg Bergstedt (den ich bereits vorgestellt hatte) völlig klar, dass sich die Behörden ein heißes Rennen um den unverschämtesten Amtsmissbrauch geliefert haben, das führt aber nicht dazu, dass irgendwer für sein Tun verantwortlich wäre.
So ein bisschen Rechtsbeugung, das muss das Boot schon abkönnen. Die Generalstaatsanwaltschaft wollte auch den Kollegen Richter nicht zur Rechenschaft ziehen, der die Aussagen in dem von ihm geleiteten Verfahren orchestriert hatte. Kann ja mal vorkommen, dass man dabei erwischt wird. Ob damit das letzte Wort über die Sache gefallen ist, weiß man nicht, aber solange in Hessen darüber verhandelt wird, ist sie bombensicher.
Hessen ist nicht überall, aber auch woanders wird gern der ganz grobe Klotz gegen die Untertanen eingesetzt. Deren Ansprüche gegen die keilenden Behörden werden eher unter “Majestätsbeleidigung” abgeheftet als unnötig ernst genommen. So aktuell in München, wo die Polizei die falsche Tür eingetreten hat. Solches Klappern gehört zum Handwerk, meint der Richter, dessen Urteil allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Die nächste Instanz darf also auch noch lachen.
Wer will schon von Beamten im Einsatz verlangen, dass sie hinterfragen, ob sie auch an der richtigen Adresse sind, ehe sie die Regale umschmeißen? Wenn die Wohnung nicht binnen Minuten völlig verwüstet ist, gilt das als Verzug, welcher als gefährlich einzustufen ist. Wer das nicht versteht, ist schon kein normaler Bürger mehr und hat etwas zu verbergen.
Wenn dann ein Schaden entsteht, liegt dieser in der Verantwortung der Bewohner der heimgesuchten Wohnung. Die haben spätestens beim ersten Klingeln sofort die Tür zu öffnen und sämtliche Schubladen zu entleeren – gleichzeitig. Sodann haben sie das Recht, sich auszuweisen und die Beamten auf ihren Irrtum hinzuweisen, und zwar auch ohne Kenntnis des genauen Durchsuchungsbeschlusses. Dann kann ihnen ggf. Schadenersatz zugestanden werden – allerdings nur für solche Schäden, die sie durch das Entleeren der Schubladen nicht selbst zu verantworten haben.
Original Bild oben (bearbeiteter Ausschnitt): Immanuel Giel (by Wikimedia Commons), CC BY 3.0

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Politik[46] Comments 24. Aug 2011 13:47
Die 4%-Prozent-Partei ist verzweifelt. Das ganze Elend verschafft sich derzeit Ausdruck im Berliner Wahlkampf, in dem kein Versuch ausgelassen wird, sich zu blamieren, Trends hinterher zu hecheln, sich Wählern aller Verdummungsstadien noch unter deren Niveau anzubiedern. Im Anfang war auch diesmal das Wort “Steuersenkung”, am Ende führt selbst das zur Offenbarung, nicht des Johannes, aber des ähnlich wirren Untergangs einer Partei, die tatsächlich noch ernst genommen werden will.
Natürlich lässt sich der in Auflösung befindliche Schädelschwamm der Rechtsliberalen zuerst ins Bräunliche verführen, wo das Gebäck schon nach Dunkelheit duftet. Jemand, der nicht auf der Westerwelle “Das ist Deutschland hier” surft, würde sich vielleicht informiert haben, was es so an Backwaren gibt in Paris. Selbst eine brachiale wörtliche Übersetzung wäre höflicher: “petit pain”, da weiß der Froschfresser schon bescheid. Ich kann übrigens auch kein Französisch. Wie dem auch sei, es ist ja nur die Partei des Außenministers, die können besser Panzer verkaufen als mit den Leuten sprechen. Und “Panzer”, so mögen sie denken, “die kennt der Franzose noch von damals”.
Die Heimat der Orientierungslosen
Wer sich die weitere Dissoziation einer politischen Haltung anschauen möchte, wovor ich ausdrücklich warne, mag das in der Heimat der Orientierungslosen tun, wo die Symptome öffentlich zur Schau gestellt werden wie sonst nur bei rotten.com. Zwei Beispiele: Die FDP ist gegen eine autofreie Stadt, weil “keine Frau der Welt mit dem Fahrrad in den Kreißsaal will“. Bitte nicht wörtlich nehmen, selbst die Funktionäre der Partei parken nicht in Kreißsälen – oder doch? Merke: Die autofreie Stadt beeinträchtigt in erster Linie Frauen in den Wehen. Das allerdings sagt die FDP wirklich so. Ob sie es auch meint, was sie meint und ob sie irgend etwas meint, wer soll das noch wissen? Ist das wichtig?
Ganz aktuell hat sie ein Thema entdeckt, von dem es heißt, es sei wichtig. Sehr wichtig sogar. Dazu will sie jetzt auch etwas meinen und hat deshalb ein Plakat aus einem acht Jahre alten Foto gemacht. Ihr Sprecher Björn Jotzo, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, hat recherchiert:
„Die permanenten nächtlichen Brandanschläge auf Autos und Lieferwagen zeigen, dass es in der Stadt ein nicht zu unterschätzendes Potential an gewaltbereiten linken Chaoten gibt. Auch wenn die Brandanschläge in der linken Szene umstritten sind, gibt es dort keine sichtbaren Bemühungen endlich präventiv tätig zu werden“.
Popcorn für alle
Zwar hat die Polizei dieses Jahr noch keinen der Täter erwischt, geschweige denn eine Übersicht darüber, wer aus welchen Motiven wo die Karren abfackelt, aber Herr Jotzo und seine FDP, die sich sonst nirgends mehr auskennen, wissen das: “Gewaltbereite linke Chaoten” machen sowas. Und daraus folgt was? Richtig: Sie sollen “endlich präventiv tätig werden”. Die Linken! Vermutlich die Chaoten selbst. Geniale Idee, denn das wäre die einzige Rettung der ‘liberalen’ Welt.
Die ist nämlich so zerrüttet, dass ihr nichts anderes übrig bleibt als, sagen wir: ‘originelle Lösungen’ wie diese. Böse Zungen nennen das “Irrsinn”, aber wenn man an den ‘Finanzmärkten’ die Böcke zu Gärtnern macht, warum dann nicht auch auf den Straßen? Denn das Konzept, am besten gar keine Steuern mehr zu erheben und trotzdem “mehr Polizei” (siehe Plakat) zu fordern, bedarf gewisser Anpassungsleistungen. Einfache Armbinden können da so manche Beamtenpension einsparen helfen.
Bei der nächsten Aktion lernen wir dann, wie die denkbefreiten Freidenker Frieden und Weltmeisterschaft durch die Privatisierung der Wasserversorgung und die Abschaffung der Gemeinnützigkeit erreichen. Das Popcorn dazu gibt es wie immer in Ihrer FDP-Geschäftsstelle.

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Politik[33] Comments 23. Aug 2011 15:22
“Herr Ober, darf ich Ihnen etwas bringen?” – eines von so vielen Zitaten des Meisters, die sich fest in meinen Cerebralien eingebrannt haben. Es bringt Loriots Schaffen auf den Punkt, wo er sich einer produzierten Sprache bedient hat, um sie wörtlich auf die Spitze zu treiben, ähnlich dem braven Soldaten Schwejk. Keine harsche Kritik, kein Zynismus ist so entlarvend wie eine liebevolle Collage, die auf scharfer Beobachtung beruht. Vicco von Bülow war ein Genie. Es gibt wenige, die ich bewundere, bei ihm habe ich da keine Hemmungen.
Ich hätte nicht die Ruhe, mir den Alltag des deutschen Bürgertums bis ins kleinste Detail anzuschauen und wie aus Kinderaugen betrachtet wiederzugeben – was ja nur einen Aspekt Loriotscher Kunst benennt. Denn obwohl scheinbar naiv und völlig unvoreingenommen, spiegeln seine Karikaturen den feinen Unterschied zwischen Schein und Sein, legen das Konstrukt hinter der Fassade frei. Ob die Selbstbeschreibung des Kleinbürgers, der ‘Zauber’ einer Fernsehserie, die Ordnung des Alltags oder die Attitüde des Berufspolitikers – das Leben ist voller Komik, wenn man für einen Moment die Regeln nicht ganz regulär anwendet.
Niemand muss wegschauen
Das Prinzip ist einfach, es zu beherrschen, eine hohe Kunst. Gibt es einen zweiten, jemanden “wie Loriot”? Siehste.
Von einem politischen Menschen und Gelegenheitssatiriker mag man die Frage erwarten, wo das Genie denn Stellung bezogen hätte, ob jemand, dessen Kunst sich so intensiv mit dem Bürgertum befasst hat, denn zum politischen Bürgertum schweigen könne.
Ja, er kann. Nein, er hat ja gar nicht. Wenn die Kunst Kunst ist, lässt sich aus ihr auch Wahrheit rekonstruieren. Die wiederum ist immer auch politisch. Die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft bestehen nicht bloß in sozialer Ungerechtigkeit und einer kapitalistischen Lebenslüge. Sie sind auch sichtbar. Sie tummeln sich auf den Oberflächen, in den Gesichtern, den Geschichten und Ritualen. Loriot hat sie uns gezeigt, ohne irgendwen vorzuführen oder anzuklagen. Obwohl er nichts verschweigt, tut es nicht weh, hinzuschauen. Grandios.
Gut, dass wir ihn hatten.

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Politik[67] Comments 22. Aug 2011 22:09

“Libyen hat ideale Ausgangsbedingungen für die Zeit nach dem Umsturz: Das Land hat die größten Erdölvorräte Afrikas, der Westen und viele arabische Staaten stehen den Rebellen entschlossen gegenüber“, las ich eben in der “Sueddeutschen”.
Dort stand allerdings “aufgeschlossen”, nicht “entschlossen”, aber immerhin: Der Westen steht “gegenüber”. Ob in dieser Formulierung so etwas wie Selbsterkenntis steckt? Der Freudsche Verleser jedenfalls weist den Weg zur Wahrheit. Wie immer steht der Westen sich selbst gegenüber. Wie immer ist er bei den Siegern – wenn die Sieger wie so oft den Fehler machen, sich darauf einzulassen. Wie so oft ist der Westen der ehemalige Verbündete des Verlierers – wovon er natürlich nichts mehr wissen will. Schließlich hält man längst wieder zu den Guten.
Nach seinem Vorbild
“Der Westen”, das sind Dollars und Euros und das, was man dafür tun muss: Sich unter Wert verkaufen. Besser noch: andere verkaufen, an besten alle anderen. Jetzt heißt es ganz schnell herausfinden, wer der oder die neue(n) Machthaber sein werden und päppeln, was das Zeug hält. Aufgeschlossen sollte er sein, wenn es sich einrichten lässt, auf jeden Fall Prunk, Pomp und Panzern zugeneigt. Ein Despot darf er gern sein, das sorgt für Stabilität. Natürlich wird man die Einhaltung der Menschenrechte einfordern, es sei denn in kooperativen Verhören feindlicher Kombattanten. Für beides gibt es Bares und militärische Unterstützung.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir wollen und werden die Demokratie fördern. Irgendwer soll den neuen Machthaber schon wählen. Eine Demokratie nach westlichem Vorbild wird alle erdenkliche Unterstützung erhalten. Die gemäßigten Parteien und ihre potentiellen Potentaten jedenfalls. Niemand wird von den Befreiern, die mit ihren Bombenangriffen die neue Zeit erst ermöglicht haben, verlangen, dass sie Extremisten unterstützen. Libyen kann jetzt keine Experimente gebrauchen, Libyen und die Region brauchen Stabilität.
Das ist übrigens ganz unabhängig davon, dass Libyen zufällig reich an Öl ist. Für das Land wird es beruhigend sein, dass anstehende Kredite zum Wiederaufbau durch Bodenschätze gedeckt sind. Jetzt aber muss erst einmal selbstlos geholfen werden. Niemand wird in dieser Phase über Öl reden. Mit Ölgeschäften allein ist keiner jungen Demokratie geholfen, wenn man nur drüber redet.

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Politik[124] Comments 21. Aug 2011 12:14
Stabilität ist das Gebot der Stunde. Und wer steht für Stabilität, wenn nicht der Genosse Fidel? Insofern ist es ganz folgerichtig, wenn Gesine dem lieben Genossen einen lieben Geburtstagsbrief schreibt, in dem sie belegt, dass sie persönlich nicht bloß andersdenkend durchs Leben weht, sondern tatsächlich mit dem System nichts zu tun hat, von dem sie die Tantiemen für ihre Walgesänge kassiert.
Demokratie? Drop jedrisse! Sozialismus statt Freiheit! Gäbe es Gesine Lötzsch nicht, die CDU müsste sie erfinden. Ihr Hass auf jeden Intellekt, ihre komplette politische Desorientierung, machen sie zu einem Garanten für Niederlagen. So dumpf reaktionär sind sonst nur die Krachledernacken von Oberammergau.
Da kann es die Union sich sogar leisten, ein zynisches Halbhirn wie Philipp “Hüftgelenk” Mißfelder vorzuschicken, um es der Ollen zu besorgen. Dafür fünf rote Sterne und den Orden wider den menschlichen Verstand verleiht die revolutionäre Schenkelklopferjury vom
Feynsinn
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Politik[133] Comments 19. Aug 2011 18:00
Ein unschön verquirltes Gebräu tischt Jakob Augstein auf in der Absicht zu zeigen, dass Neoliberalismus und Sozialismus irgendwie beide böse sind. “Links” hätte er es gern, aber nicht mit der Partei “die Linke”, parlamentarisch muss es sein, wobei nicht recht einleuchten will, was er damit meint. Der Verdacht liegt allerdings nahe, dass er damit am Ende “Marktwirtschaft” meint, die gute freilich, den lieben Kapitalismus.
Räumen wir also ein wenig auf: “Das parlamentarische System hat stärkere Verbündete nötig“, glaubt er, behauptet, die Linke glaube, “die Vollendung der Gesellschaft liege jenseits des parlamentarischen Systems” und fügt an: “Dort wartet nur die Stasi. Sonst nichts.” Diese Linken hätten übrigens “die Idee der Gerechtigkeit nicht mit der Idee der Freiheit verbinden können“.
Aua. Nun ist “Die Linke”, die er meint, zuallererst eine Partei. Nur weil sie eine ist und in Parlamenten ihre Arbeit tut, nimmt man sie wahr. Nur weil das so ist, findet die Journaille immer wieder Gestalten, die dieser Partei angehören und Dinge von sich geben, die deren Programm und Verfasstheit widersprechen. Macht das die parlamentarische Linke zur außerparlamentarischen?
Das Parlament hat immer recht
Der Unsinn, eine außerparlamentarische (!) Linke habe mit der “Stasi” zu tun, kann dümmer nicht formuliert werden. War die SED etwa außerparlamentarisch? Oder ihre sozialistischen Blockschwestern, kurz: Das DDR-Regime? Oder war die außerparlamentarische Opposition in Ost und West etwa die Stasi? War sie ein Feind der Freiheit? Oder die Leute, die für ein Zitat von Rosa Luxemburg in der DDR eingebuchtet wurden etwa?
Ist oben bei Augsteins noch jemand zuhause? Die Analyse ist schon einmal historisch wie politisch schlicht falsch. Was meint der Mann dann eigentlich? Implizit lässt sich eine Aussage entheben: “die Vollendung der Gesellschaft” nämlich liegt nach Augstein offenbar innerhalb eines “parlamentarischen Systems”. Das soll also nicht angezweifelt werden. So kann man argumentieren, dann sollte man das aber sehr gut begründen. Auf eine Begründung verzichtet Augstein aber lieber vollständig.
Alles Stasi außer Willy
Dass der Sozialismus weltweit und immer zuerst eine Befreiungsbewegung war, muss ebenfalls mit lautem Getöse verschwiegen werden. Der “Kommunismus” in seiner imperialistischen und reaktionären Ausprägung hat dieses Streben nach Freiheit auf den Kopf gestellt, das ist wahr. Was aber hat das mit “Linken” zu tun? Hat Augstein ganz nebenbei 100 Jahre linker Opposition verpennt? Ja, er hat. Da ist er schon so nahe an der schlichten Wahrheit, dass die Maßlosigkeit der Macht in ‘beiden’ Systemen die Freiheit ruiniert und kriegt nicht die Kurve, sich ein sozial gerechtes System vorzustellen, das nicht bloß die Staatsgewalten trennt, sondern auch “private Macht” einschränkt – damit mehr Freiheit möglich ist und nicht weniger.
Dass es jenseits der Parlamente auch mehr Demokratie geben kann, nicht bloß teuflische Diktatur, das wird unter der Hand einfach geleugnet. Dabei könnte man allein schon einmal auf die Idee kommen, dass es notwendige Entwicklungen der menschlichen Gesellschaft gibt, die kein Parlament regeln kann. Konsequente Linke denken nämlich so politisch, dass sie nicht bei der Gesetzgebung Halt machen. Politik ist mehr als das Geschacher um Mehrheiten. Und wenn der Herr so offensiv nach “Moral” fragt, was glaubt er wohl, wie die Moral in die Politik kommt? Aus Parlamentsbeschlüssen?
Diese zähe Melange aus holprigen historischen Analogien, blindem Glauben ans gegebene System und völligem Unverständnis gegenüber politischer Willensbildung jenseits der sogenannten “Mitte” ist schwer zu ertragen, zumal diese “Mitte” genau den neoliberalen Zeitgeist verkörpert, den Augstein vorgeblich kritisiert. Was bleibt, ist rüdes Linken-Bashing. Alles Mauer und Stacheldraht außer Willy, und der ist tot. Was er da anbietet, ist ein Trojanisches Pferd. Es birgt Alternativlosigkeit und ist ein Mittel, dem Neoliberalismus eine weitere Schlacht zu gewinnen. Sollte das schon “links” sein, kann ich mich nur schämen, wenn der Verfassungsschutz mich nicht überwacht.

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Politik[126] Comments 17. Aug 2011 20:07
Was politisch ist und was nicht, wird dem gemeinen Leser je nach Tagesbedarf verkündet. Erklärt wird ihm dazu nichts, er muss eben nur wissen, welchen Status ein Täter hat. Warum etwa die Plünderer von London unpolitisch waren und die Auto-Brandstifter von Berlin politisch, das muss man nicht verstehen.
Ich stelle mir einen Jugendlichen vor, der in Berlin wahllos Autos abfackelt – weil er’s kann. Weil er sich damit als wirkungsmächtig erlebt, weil das gerade in ist und scheinbar niemand erwischt wird. Der ist also politisch? Warum? Wenn einer, der die Nase voll hat von der Gängelung durch die Polizei und seiner Chancenlosigkeit, aufbegehrt und sich dabei nimmt, was ihm sonst vorenthalten bleibt, dann ist er unpolitisch? Warum?
Eigentum ist unpolitisch
Es wird offensichtlich, dass es immer nur ums Eigentum geht in den Betrachtungen der (neoliberal gepolten) Medien. Wenn einer ‘nur’ kaputtmacht, ist er politisch. Er zerstört fremdes Eigentum, bleibt aber im Schema seiner Unterschicht: Er eignet es sich nicht an. Erdreistet er sich aber zu stehlen, so ist er bloß kriminell. Der Politische will die Ordnung als ganze verändern, der unpolitische maßt sich nur eine Tat an, die ihm nicht erlaubt ist. Eigentum ist ihm nicht erlaubt, es sei denn er beschafft es sich durch legale Aneignung – was ihm freilich kaum gelingen kann.
Den Politischen kommt man mit der politischen Polizei und Antiterrormaßnahmen. Er gehört einer terroristischen Vereinigung an, nicht einer kriminellen. Er trägt ein anderes Infektionsrisiko. Der Unpolitische strebt nach Eigentum, was systemkonform ist. Er muss bestraft werden, wenn er gegen die Regeln verstößt. Der Politische hinterfragt Eigentum als solches und grundsätzlich. Er muss umerzogen oder unschädlich gemacht werden.
Dass die Eigentumsfrage derart quasi zum Gegenpol des Politischen gemacht wird, ist der Irrsinn, der einer eingeschliffenen Ideologie innewohnt, die sich längst überholt hat. Nirgends wird das Politische deutlicher sichtbar als in der Klassenjustiz. Die Unterschicht hat keine Anwälte. Sie bekommt im Strafprozess einen Pflichtverteidiger und ist sonst wehrlos. Die Mittelschicht hat einen, der sich für sie mit denen der anderen Mittelschichtsanwälte streitet. Die Oberschicht beschäftigt Großkanzleien, die für jeden Spezialfall einen kannibalischen Experten bereithält.
Klassenjustiz – na und?
Je größer der Schaden ist, den ein Bürger der unteren Schichten anrichtet, je größer der Gewinn ist, der ihm dabei lockt, desto härter ist die Strafe. Vier Jahre Haft für einen übermütigen dummen Eintrag bei Facebook gelten da als angemessen. Die Billionen, die von der Oberschicht versenkt und verzockt wurden, legal oder illegal, bleiben ebenso fast zu 100% straffrei wie deren Steuerhinterziehung. Auch das ist unpolitisch. Es wird nicht zum Politikum, und reiche Verbrecher können sich stets der Unterstützung durch Politiker gewiss sein – siehe Hessen. Eine politische Debatte dazu findet nicht statt, die Zeitungen haben wenig bis kein Interesse daran.
Hatten einzelne Konservative zuletzt “die Linke” gelobt, weil sie gewisse Grundzüge des Kapitalismus erkannt habe, muss der an dieser Stelle völliges Versagen attestiert werden. Die Ungleichbehandlung der Menschen vor den Gerichten, die schreienden Skandale um Steuerhinterzieher und schikanierte Steuerfahnder, die grundsätzliche Frage einer sozialen Ungerechtigkeit auf allen Ebenen des Rechts – was davon steht auf der Agenda? Aber womöglich glauben die, die als “links” gelten, ja inzwischen selber, das sei alles unpolitisch.

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Politik[43] Comments 16. Aug 2011 20:31
Die Staaten der Europäischen Union haben ihre Bürger nicht oft genug abstimmen lassen. Nicht nur, dass keine gemeinsame Verfassung zustande kam, es kam auch obendrein ein Vertrag zustande, der den notwendigen Reformen® im Wege ist. Alles daher Chefsache jetzt, da macht das nämlich nichts, was in dem blöden Vertrag steht. Ob ein Staat der Eurozone finanziell für den anderen einstehen darf oder muss, das ist neuerdings Egalité. Im Vertrag steht “darf nicht”, im Währungs-. Banken- und Weltrettungsfonds steht dann “muss”.
Da staunt der Steuerzahler nicht mal mehr. Ist ja tatsächlich wurscht, wer aus welchen Gründen die Mitgliedsstaaten und ihre Unterschicht totspart und fröhlich das, was die Wirtschaft noch abwirft, auf die Konten der “Anleger” schaufelt. Als nächstes ist die Mittelschicht reif, und zwar nicht mehr bloß das untere Drittel. Schade, dass die’s nicht merken. Oder besser: Gemerkt haben, denn sie werden ja zukünftig nicht mehr gefragt.
Es gibt jetzt eine “Wirtschaftsregierung”, sagen Merkel und Sarkozy und fühlen sich dazu auserwählt, dergleichen zu tun. Unverblümt wird darüber lamentiert, was “in allen Euro-Ländern in der Verfassung verankert” zu werden hat. Diesmal richtig: Die Völker und Parlamente haben das umzusetzen. Diesmal werden die notwendigen Abstimmungen so oft und so lange wiederholt, bis das Ergebnis passt. Wie sonst soll das funktionieren?
Wenn der Wahnsinn am Steuer steht
Dass die Richter in Karlsruhe dem trotzdem dazwischen grätschen, selbst wenn die SPD wie immer alles mitmacht – diesmal auch die Ermächtigung -, damit wäre zu rechnen. Die Bundesrepublik wäre kein souveräner Staat mehr – ebenso wie alle anderen Eurostaaten. Dass die Richter zu Fuß nach Berlin gehen werden, wenn dieser Anschlag ohne die entsprechende parlamentarische Mehrheit durchgezogen werden wird, ist gewiss. Vermutlich ist Merkel und ihren Mäzenen auch das noch egal. Der Putsch wird dann halt für alternativlos® erklärt, vielleicht das Grundgesetz in einem Moratorium bis auf weiteres ausgesetzt.
Der Irrsinn kennt keine Grenzen, es sei denn für die Opfer dieser Diktatur des Krisenkapitalismus. Die werden vor Zäunen und Mauern stehen. Gut, dass die Sicherheitspolitik schon bestens verzahnt ist und die Antiterrorgesetze bereits getestet sind, mit denen man kriminelle Banden unter Kontrolle bringen kann. In England wird derzeit sehr konkret daran gearbeitet, das Ergebnis kann EU-weit harmonisiert werden.
Die Dilettanten, die da derzeit die Kettensäge an Demokratie und Rechtsstaat legen, sind so kopflos, dreist und fahrlässig, dass man sie wie die Kinder kurz ernsthaft ermahnen und dann gnädig belächeln möchte. Wäre da nicht die reale Gefahr, dass paranoide Albträume wahr werden von einer esoterischen Weltregierung, die niemand mehr kontrolliert.

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Journalismus[63] Comments 15. Aug 2011 19:30
Frank Schirrmacher hat mich überrascht. Nicht dass ich seinen viel diskutierten Artikel für journalistisch herausragend halte, aber Schirrmacher schließt sich als mächtiger Vertreter seiner Zunft einem grundlegenden Zweifel an, den ich ihm nicht zugetraut hätte. Es ist genau das, was guten Journalismus alter Schule immer ausgemacht hat: Der radikale Zweifel. Auch deshalb gehörte die FAZ nie zu meinen Favoriten, weil Konservative gemeinhin die letzten sind, die zweifeln. Dennoch wurde sie zunehmend lesbar, weil die anderen der routinierten Zustimmung zum Tun der Eliten längst verfallen waren – ohne dem eine Qualität hinzuzufügen wie konservative Gediegenheit.
Schirrmacher ist also der letzte, der zweifelt. Und er zweifelt doch. Im Schulterschluss mit Charles Moore umarmt er die Linke, die vielleicht doch recht hatte. Moore lobt eine “Analyse der Linken”, die erkannt hat, dass der Neoliberalismus sich nicht nur jeglicher materieller Ressourcen, sondern auch der Sprache hemmungslos bedient und diese beschädigt. Insbesondere die der Konservativen. Und dann die schreckliche Erkenntnis, die Schirrmacher und Moore nicht länger reflexhaft abwehren wollen: “Das politische System dient nur den Reichen” könnte ein wahrer Satz sein.
Und er zweifelt doch
Dem Zweifel jede gebührende Ehre, aber es sind nicht “die Linken”, die da recht haben. Um mal einen zu nennen: Hatte Marx recht? Dann geht das Problem sehr viel tiefer als dass der Kapitalismus nur den Reichen dient. Ich schätze, so weit will Schirrmacher nicht mitgehen.
Zählt er hingegen zu den “Linken” auch ‘linke’ Sozialdemokraten, nehmen wir einmal den von ihm erwähnten Albrecht Müller, so liegt der Fall völlig anders. Müller ist keiner, der quasi von Anfang an wusste, dass das System nur den Reichen dient. Er formuliert keine grundlegende Kritik am Kapitalismus, sondern nur an der Marschrichtung, die seit Reagan, Thatcher und Lambsdorff eingeschlagen wird. Er bleibt dabei freilich nicht dem Ökonomischen verhaftet, sondern kritisiert die moralische, politische und mediale Verkommenheit, die mit dieser Entwicklung einhergeht.
Zu widerprechen ist Schirrmacher, wo er glaubt:
“Es war ja nicht so, dass der Neoliberalismus wie eine Gehirnwäsche über die Gesellschaft kam.”
Doch, genau so war es. Es steht schon im Lambsdorff-Papier, dass über Wirtschaft auschließlich positiv zu sprechen sei, und die Think Tanks und Propagandisten der Neoliberalen, insbesondere die INSM, sind das lebendige Beispiel dafür. Der Terminus “Neusprech” oder “Zwiesprech” ist nicht zufällig Standard unter deren Kritikern. Allerdings bedient sich diese Dauerbeschallung der “liberal-konservativen” Erzählung über die “soziale Marktwirtschaft”. Die Konnotation ‘Marktwirtschaft-Freiheit-Demokratie’ war schon immer falsch. Umso leichter ist es für den Neoliberalismus, die ohnehin darin liegenden Widersprüche mit rosa Schaum auszukleiden, wo immer sie hervortreten.
Anfang oder Ende
Willige Helfer haben sie dabei in allen Redaktionsstuben der großen Medienhäuser, allen voran beim “Spiegel”, der sich gar nicht tief genug im Schlamm der Affirmation suhlen kann. Augsteins Erbe wurde in diesem Morast versenkt, und so recht wollte das kaum jemanden erschrecken. Im Gegenteil wähnte man sich als große Familie, man gehörte dazu, anstatt distanziert und kritisch zu denken – nämlich zu zweifeln.
Es ist nicht an mir, jemanden zurückzuweisen, der seinen Zweifel hoffentlich (wieder)entdeckt hat. Als ein Linker, der sich angesprochen fühlt, scheue ich allerdings vor einer allzu herzlichen Umarmung zurück. Ich hoffe auf mehr von diesem Zweifel, da geht noch eine ganze Menge. Das täte nicht nur dem Diskurs gut, es ist auch das, was ich an besseren Tagen von Journalisten erwarte. Frank Schirrmacher ist zu danken, dass er damit angefangen hat – wenn er damit nicht schon wieder am Ende ist.

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Politik[33] Comments 14. Aug 2011 13:33
Stuttgart 21, SPD 20
Wozu gibt es öffentliche Debatten? Um nachher festzustellen, was vorher schon alternativlos war: Alles bleibt wie gehabt. Verlass ist dabei stets auf die SPD. So tief buckelt niemand sonst vor “Investoren”, so schamlos macht keine andere Partei den Wählern klar, dass es wurscht ist, wo sie ihr Kreuzchen machen. Mappus abgewählt? Fein gemacht. So we removed the cause but not the symptoms. [Wir haben die Ursache beseitigt, aber nicht die Wirkung]. Das, so lerne ich allmählich, ist das Profil der “Sozialdemokraten”: Sie repräsentieren Beliebigkeit, bedingungslose Kapitulation vor wirtschaftlichen Interessen, kurz: Hoffnungslosigkeit. Wer das braucht, wählt SPD.
Zwiesprech schneidet ein
Wer kann das noch hören (Achtung, Schmerzmittel bereitlegen): “Schmerzhafte Einschnitte”? Reuters entdeckt solche in Italien. Milliardär und Mafiamedienmogul Ihr-wisst-schon-wer presst seine Bürger aus, sofern sie nicht seinem Stand angehören. Für Freunde historischer Betrachtungen hier ein Potpourri veralteter Begriffe für dasselbe: Sozialabbau, Ausbeutung, Korruption, Plünderung, Sklaverei. Widerlegt ist überdies der dumme Spruch “Nur wer sich bewegt, spürt seine Fesseln”. Noch mal nachdenken über “schmerzhafte Einschnitte”. Und? Wirkt’s?
Lammert in Sexaffäre verwickeln
Irgendwer muss diesen Demokraten endlich stoppen. Wie unfähig sind unsere Geheimdienste eigentlich?
Hält er sich womöglich für den heimlichen Bundespräsidenten? Wozu haben wir uns den Knödel aus Hannover ins Bellevue gesetzt, wenn der olle Griesgram in Berlin immer noch die Mahnwache für den Parlamentarismus gibt? Lammert, Sie sind in der CDU. Sie wissen schon: Schwarzgelb und so. Das sind die Guten, die mit der Wirtschaftskompetenz. Wenn Sie das nicht bald intus haben, schicken wir Ihnen ein paar Damen von der ergo auf den Hals, dann hat es sich aber fix ausgemahnt.
Bundesregierung: Erde könnte eine Kugel sein
Bevor wir aber das Parlament auflösen und die Geschicke des Landes sowie der umliegenden Ortschaften einer GmbH überantworten, wird erwogen für real zu erklären, was seit Monaten auf der Türschwelle herumlungert und jeden Morgen den Zeitungsboten zerkaut. Der Eurobond könnte möglicherweise eventuell doch noch eingeführt werden. Was zur rechten Zeit kein Thema war, wird als verzweifelte Reparaturmaßnahme dann doch noch gut. Wenn einem sonst nichts mehr einfällt, kann man es ja auch mal mit einem vorsichtigen Blinzeln in Richtung Wirklichkeit versuchen. Macht eh nix, denn das Ergebnis der Maßnahme ist der ewig weise Ratschluss der heiligen Mutter Kirche: Sparen, schlanker Staat, Steuern rrrunter!
Kiyak vergleicht Mörder mit Helden
Hängt sie, brennt sie, betet um Gnade! Frau Kiyak stellt schon wieder Zusammenhänge her. Sie glaubt, die selbstverschuldet Armen seien “unfrei“. Schwadroniert gar von Rassismus. Dabei ist sie selbst der lebende Beweis dafür, dass die von ihr geschmähte Gesellschaft extrem tolerant ist und allen eine Chance gibt. Frau, Ausländerin und Linke, gibt man ihr sogar noch Geld für die Äußerung ihrer verqueren Meinung. Man sollte sie verbannen. Und bestrafen! Und verbannen!1!!

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