vkwahlenEin unschön verquirltes Gebräu tischt Jakob Augstein auf in der Absicht zu zeigen, dass Neoliberalismus und Sozialismus irgendwie beide böse sind. “Links” hätte er es gern, aber nicht mit der Partei “die Linke”, parlamentarisch muss es sein, wobei nicht recht einleuchten will, was er damit meint. Der Verdacht liegt allerdings nahe, dass er damit am Ende “Marktwirtschaft” meint, die gute freilich, den lieben Kapitalismus.

Räumen wir also ein wenig auf: “Das parlamentarische System hat stärkere Verbündete nötig“, glaubt er, behauptet, die Linke glaube, “die Vollendung der Gesellschaft liege jenseits des parlamentarischen Systems” und fügt an: “Dort wartet nur die Stasi. Sonst nichts.” Diese Linken hätten übrigens “die Idee der Gerechtigkeit nicht mit der Idee der Freiheit verbinden können“.

Aua. Nun ist “Die Linke”, die er meint, zuallererst eine Partei. Nur weil sie eine ist und in Parlamenten ihre Arbeit tut, nimmt man sie wahr. Nur weil das so ist, findet die Journaille immer wieder Gestalten, die dieser Partei angehören und Dinge von sich geben, die deren Programm und Verfasstheit widersprechen. Macht das die parlamentarische Linke zur außerparlamentarischen?

Das Parlament hat immer recht

Der Unsinn, eine außerparlamentarische (!) Linke habe mit der “Stasi” zu tun, kann dümmer nicht formuliert werden. War die SED etwa außerparlamentarisch? Oder ihre sozialistischen Blockschwestern, kurz: Das DDR-Regime? Oder war die außerparlamentarische Opposition in Ost und West etwa die Stasi? War sie ein Feind der Freiheit? Oder die Leute, die für ein Zitat von Rosa Luxemburg in der DDR eingebuchtet wurden etwa?

Ist oben bei Augsteins noch jemand zuhause? Die Analyse ist schon einmal historisch wie politisch schlicht falsch. Was meint der Mann dann eigentlich? Implizit lässt sich eine Aussage entheben: “die Vollendung der Gesellschaft” nämlich liegt nach Augstein offenbar innerhalb eines “parlamentarischen Systems”. Das soll also nicht angezweifelt werden. So kann man argumentieren, dann sollte man das aber sehr gut begründen. Auf eine Begründung verzichtet Augstein aber lieber vollständig.

Alles Stasi außer Willy

Dass der Sozialismus weltweit und immer zuerst eine Befreiungsbewegung war, muss ebenfalls mit lautem Getöse verschwiegen werden. Der “Kommunismus” in seiner imperialistischen und reaktionären Ausprägung hat dieses Streben nach Freiheit auf den Kopf gestellt, das ist wahr. Was aber hat das mit “Linken” zu tun? Hat Augstein ganz nebenbei 100 Jahre linker Opposition verpennt? Ja, er hat. Da ist er schon so nahe an der schlichten Wahrheit, dass die Maßlosigkeit der Macht in ‘beiden’ Systemen die Freiheit ruiniert und kriegt nicht die Kurve, sich ein sozial gerechtes System vorzustellen, das nicht bloß die Staatsgewalten trennt, sondern auch “private Macht” einschränkt – damit mehr Freiheit möglich ist und nicht weniger.

Dass es jenseits der Parlamente auch mehr Demokratie geben kann, nicht bloß teuflische Diktatur, das wird unter der Hand einfach geleugnet. Dabei könnte man allein schon einmal auf die Idee kommen, dass es notwendige Entwicklungen der menschlichen Gesellschaft gibt, die kein Parlament regeln kann. Konsequente Linke denken nämlich so politisch, dass sie nicht bei der Gesetzgebung Halt machen. Politik ist mehr als das Geschacher um Mehrheiten. Und wenn der Herr so offensiv nach “Moral” fragt, was glaubt er wohl, wie die Moral in die Politik kommt? Aus Parlamentsbeschlüssen?

Diese zähe Melange aus holprigen historischen Analogien, blindem Glauben ans gegebene System und völligem Unverständnis gegenüber politischer Willensbildung jenseits der sogenannten “Mitte” ist schwer zu ertragen, zumal diese “Mitte” genau den neoliberalen Zeitgeist verkörpert, den Augstein vorgeblich kritisiert. Was bleibt, ist rüdes Linken-Bashing. Alles Mauer und Stacheldraht außer Willy, und der ist tot. Was er da anbietet, ist ein Trojanisches Pferd. Es birgt Alternativlosigkeit und ist ein Mittel, dem Neoliberalismus eine weitere Schlacht zu gewinnen. Sollte das schon “links” sein, kann ich mich nur schämen, wenn der Verfassungsschutz mich nicht überwacht.