“Herr Ober, darf ich Ihnen etwas bringen?” – eines von so vielen Zitaten des Meisters, die sich fest in meinen Cerebralien eingebrannt haben. Es bringt Loriots Schaffen auf den Punkt, wo er sich einer produzierten Sprache bedient hat, um sie wörtlich auf die Spitze zu treiben, ähnlich dem braven Soldaten Schwejk. Keine harsche Kritik, kein Zynismus ist so entlarvend wie eine liebevolle Collage, die auf scharfer Beobachtung beruht. Vicco von Bülow war ein Genie. Es gibt wenige, die ich bewundere, bei ihm habe ich da keine Hemmungen.
Ich hätte nicht die Ruhe, mir den Alltag des deutschen Bürgertums bis ins kleinste Detail anzuschauen und wie aus Kinderaugen betrachtet wiederzugeben – was ja nur einen Aspekt Loriotscher Kunst benennt. Denn obwohl scheinbar naiv und völlig unvoreingenommen, spiegeln seine Karikaturen den feinen Unterschied zwischen Schein und Sein, legen das Konstrukt hinter der Fassade frei. Ob die Selbstbeschreibung des Kleinbürgers, der ‘Zauber’ einer Fernsehserie, die Ordnung des Alltags oder die Attitüde des Berufspolitikers – das Leben ist voller Komik, wenn man für einen Moment die Regeln nicht ganz regulär anwendet.
Niemand muss wegschauen
Das Prinzip ist einfach, es zu beherrschen, eine hohe Kunst. Gibt es einen zweiten, jemanden “wie Loriot”? Siehste.
Von einem politischen Menschen und Gelegenheitssatiriker mag man die Frage erwarten, wo das Genie denn Stellung bezogen hätte, ob jemand, dessen Kunst sich so intensiv mit dem Bürgertum befasst hat, denn zum politischen Bürgertum schweigen könne.
Ja, er kann. Nein, er hat ja gar nicht. Wenn die Kunst Kunst ist, lässt sich aus ihr auch Wahrheit rekonstruieren. Die wiederum ist immer auch politisch. Die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft bestehen nicht bloß in sozialer Ungerechtigkeit und einer kapitalistischen Lebenslüge. Sie sind auch sichtbar. Sie tummeln sich auf den Oberflächen, in den Gesichtern, den Geschichten und Ritualen. Loriot hat sie uns gezeigt, ohne irgendwen vorzuführen oder anzuklagen. Obwohl er nichts verschweigt, tut es nicht weh, hinzuschauen. Grandios.
Gut, dass wir ihn hatten.

August 23rd, 2011 at 15:33
Als ich in irgendsoeiner ‘Managementbesprechung’ mal nicht aufgepasst hatte und meinen Nachbarn fragte, was der letzte Redner gerade gesagt hätte, antwortete der: ‘Dass er jetzt die Ente zu Wasser lässt’. Das ist die Tragweite, mindestens.
Gut, dass wir ihn hatten – und dank Speichermedien sogar noch ein bisschen länger.
August 23rd, 2011 at 15:36
Dann schmeiss ich mal gleich einen in die Runde. Ab Min. 1:25 beginnt die Rede.
https://youtu.be/ojBJ8yov_Ds
August 23rd, 2011 at 15:41
[...] feynsinn Filmfreunde Süddeutsche Zeitung Zeit taz [...]
August 23rd, 2011 at 15:45
Ein Bekannter von mir hatte vor gefühlt Jahrtausenden eine Photosession mit Herrn von Bülow. Selbst für schlichte Aufnahmen wurde alles penibelst vorbereitet. Loriot war wohl so präzise wie pingelig, bis die Aufnahmen im Kasten waren.
Und das hat ihn in all seiner Arbeit ausgezeichnet: Detailversessenheit, Überkorrektheit, nie zufrieden zu sein mit den ersten Ergebnissen.
Der Erfolg seiner Werke spricht für diesen Charakterzug. Und aktuell sehe ich niemanden, der ihn auch nur homöopathisch verdünnt beerben könnte.
August 23rd, 2011 at 15:45
flatter
Einer der letzten der die Kunst des fein und auch tiefsinnigen Humors verstand,nicht die platte Scheisse die heute als Einheitsbrei geliefert wird …
Guter Nachruf !
666
August 23rd, 2011 at 16:43
“Bitte sagen Sie jetzt nichts, Hildegard.”
Danke dafür!
August 23rd, 2011 at 18:46
@flatter: schöner Nachruf.
Ich wüsste jetzt auch nicht, ob es noch einen gibt, dessen Humor so harmlos und freundlich daherkommt und doch schonungslos und klarsichtig ist.
Zusammen mit Evelyn Harmann hat er wunderbare Szenen produziert, die zeigen wie absurd, borniert und komisch das wird, was gemeinhin als ernste Realität gilt, wenn man nur einen Schritt zurück tritt. Mit diesem, von Loriot immer wieder exakt vermessenen, kleinen Abstand vom Geschehen gab er uns die Möglichkeit, eine Perspektive einzunehmen, die mehr über die Menschen und ihr Zusammenleben zu Tage befördert als jede Theorie es jemals könnte.
August 23rd, 2011 at 18:59
Jemand wie er hat viele Dinge sichtbar gemacht und dargestellt, die sonst im Selbstverständnis des Verborgenen schlummern würden. Sonst?
August 23rd, 2011 at 19:33
Er hat aus meiner Sicht die Schillersche Idee ins Fernsehzeitalter getragen.
Dessen Intention war ja, daß seine Stücke zu unserer Verbrüderung beitragen sollten, indem wir Charakterfacetten der auf der Bühne Agierenden beim Zusehen verstehen, uns durch den so vorgehaltenen Spiegel selbst erkennen und schließlich den Sitznachbarn als Menschen, eben als Bruder akzeptieren sollten.
Es gibt niemanden, der in meinem Bekanntenkreis so oft zitiert wird wie Loriot. Ihn kennen und mögen die ‘einfacher gestricken’ und die etwas ‘schlaueren’. Oft reichen einfache Sätze, um die Erinnerung wachzurufen und plötzlich kehrt der Humor auch in verfahrenen Situationen zurück.
Vor Victor von Bülow habe ich schon vor Langem meinen Hut gezogen.
Der war nämlich wirklich ein schlauer Fuchs.
“Es saugt und bläst der Heinzelmann wo Mutti sonst nur saugen kann.”
August 23rd, 2011 at 20:05
Sie: “Was machst DU denn hier?”
Er: “ICH wohne hier!”
Sie: “Aber doch nicht JETZT!”
:D
Jede Generation sollte so einen Komiker haben.
Und ja, da wird erst mal nichts gleichwertiges nachkommen.
Aber es gibt immer wieder gute, auch wenn man suchen muss wie etwa den da:
https://www.youtube.com/watch?v=xmLGEBP7Ua4
August 23rd, 2011 at 20:39
Vergleichst du gerade Beethoven mit Bushido?
August 23rd, 2011 at 21:51
Ich finde der Typ hat Talent.
Dass Loriot – vorerst – keiner ersetzen kann “ja nee, is klar”
August 23rd, 2011 at 23:13
Der Größte. RIP und danke!
August 24th, 2011 at 01:25
Schöner Beitrag, danke. Jetzt werde ich umso mehr meine Loriot-Videos und die Single mit Wum wie einen Schatz hüten.
August 24th, 2011 at 02:07
Jetzt kann ich es ja sagen:
Fand ihn zu brav.
Muß wohl erst älter werden…
Damit die Wut ihn nicht verdrängt.
August 24th, 2011 at 02:48
“Fand ihn zu brav”
Er konnte auch sehr bissig sein …
August 24th, 2011 at 04:19
Brav vielleicht nicht gerade. “400 Arosa schlitzverstärkt mit kurzem Arm”, nur so’n Beispiel.
(=> YT, Liebe im Büro)
Subtil subversiv? Keine Ahnung, aber sowas ähnliches hatte der Mann.
August 24th, 2011 at 07:30
Bedauernswerterweise überlässt “Loriot” nun auch solchen Schenkelklopfer-Monopolisten wie Mario Marth das Feld.
Hier eine köstliche Parodie:
https://youtu.be/4aU7wJvomKI
(Aber zwischen Hape Kerkeling und Volker Pispers ist ja noch Platz.)
August 24th, 2011 at 08:19
Sie hier trifft’s auch ganz gut:
https://www.youtube.com/watch?v=OjmjS23bEBM
August 24th, 2011 at 08:33
“Auch in mauve…”
Danke, flatter.
August 24th, 2011 at 09:27
Der Medienmainstream von den sog. Leitmedien bis hin zum Boulevard (Sat1, BILD) und die Bloggerszene überbieten sich förmlich mit positiven Kommentaren zum Tod von “Loriot”. Insofern frage ich mich angesichts eines derartig großen gesellschaftlichen Konsenses bezüglich einer gesellschaftkritischen Form deutschen Humors nach der Befindlichkeit von Otto Normalverbraucher.
Könnte es nicht sein, dass die den Spießer treffende Selbsterkenntnis bei diversen Sketchen in befreiendes Lachen umschlägt, weil es ihm sonst angesichts der Blamage im Halse stecken bliebe? Und bietet der von Bülowsche Humor nicht eine hervorragende Gelegenheit für die Mario-Barth-Konsumenten, sich mit diesem sarkastischen Lachen von den dargestellten Charakteren zu distanzieren (“Gut, dass ich ja nicht so einer bin!”) und zu adeln?
August 24th, 2011 at 09:41
Auf die Gefahr hin virtuell erschlagen zu werden, muss ich dennoch sagen, dass ich mit seinem Humor (wie auch z.B. dem von Helge Schneider) irgendwie nix anfangen kann. Dabei stehe ich eigentlich auf jegliches Spektrum von Humor, egal ob nun Kabarett, Slapstick, Standup oder sonstwas (also von platt bis tiefgründig, direkt wie indirekt).
Muss auch zugeben, dass ich nicht viel von ihm kenne und filmtechnisch auch nur Ödipussi sowie Pappa ante portas gesehen habe, aber mir wie bei Helge Schneider der Humor irgendwie pseudointelektuell rüberkommt, also irgendwie arrogant, eitel und selbstgefällig. Weiss nicht, wie ich es anders beschreiben soll. (ACHTUNG: Ich spreche von seinem Schaffen, nicht von seiner Person).
Mir kommt es wie bei klassicher deutscher Literatur einfach manchmal so vor, als würden die Menschen oft tief- sowie hintergründiges reininterpretieren wo es nichts zu deuten gibt. Aber vielleicht ist dies einfach nicht meine Generation oder ich bin einfach zu doof dafür :) Somit ist meine seelische Bindung an Ihn auch nicht so ausgeprägt wie bei vielen meiner Bekannten, die diese Nachricht schon ziemlich traurig gemacht hat.
August 24th, 2011 at 09:43
“Loriots heile Welt”
August 24th, 2011 at 10:33
Fein geschrieben. Einer, der sich auf humorvoll menschlich kritische Weise Unsterblichkeit gesichert hat. Für mich steht er neben Wilhelm Busch.
August 24th, 2011 at 11:22
@altautonomer(21): Ich denke, es gibt da einige Rahmendaten, die seine Beliebtheit begründen. Das fängt natürlich damit an, dass der Mann ca. 50 Jahre aktiv war. Das ist für jeden was dabei. Obwohl er ein hochintelligenter Humorist war, hat er sich nicht als ‘links’ geoutet, wie seltsam. Seine Werke setzten u.a. auf einen Wiedererkennungseffekt. Das mag der Deutsche, auch wenn er nicht versteht, was er da wiedererkennt. Loriot wurde sehr beliebt, ohne Skandale oder öffentliche Zerwürfnisse zu produzieren. Mit so einem legt man sich nicht an. Man verleiht ihm vielmehr Orden. Der ist unser! Und wie gesagt: Er hat niemandem wirklich wehgetan. Hätte er schmerzhafte Wahrheiten unmittelbar kommuniziert, wäre er heute vermutlich so beliebt wie Thomas Bernhard in Österreich.
August 24th, 2011 at 11:40
@Umdenker: Mach Dir nichts draus, bin ich auch zu doof für ;-)
Er hat anderen aber viel bedeutet und was könnte einem Menschen besseres widerfahren, als beim letzten Gang begleitet zu werden mit einem:
“Schön, daß Du da warst.”
August 24th, 2011 at 12:15
flatter: Obwohl die Öffentlichkeit an Vicco von Bülow in den letzten Jahren wenig Interesse zeigte, wollen jetzt Typen von Karasek bis F.-J. Wagner ihn persönlich gekannt, ihm förmlich die Bude am Starnberger See eingerannt haben und schwadronieren jetzt über seine Biografie, als seien sie die besten Freunde des Verstorbenen gewesen. Ekelhaft findet der aa.
In den 80er Jahren habe ich ihn (Bülow) in Wolfratshausen in einer Gaststätte am Nebentisch mit Freunden speisen sehen. Meine Begleiter hätten ihn gar nicht erkannt, so bescheiden und unauffällig benahm er sich.
Komm ich gezz auch im Fernsehn?
August 24th, 2011 at 12:34
“…wenn man für einen Moment die Regeln nicht ganz regulär anwendet.”
Ist es nicht eher umgekehrt bei Loriot: Er nimmt die Regeln s e h r ernst und treibt sie auf die Spitze.
Regeln NICHT zu beachten, ist meist gar nicht lustig, siehe: Free Jazz, siehe Graffiti.
.
Auch ich hatte das Vergnügen, Loriot beim Essen zuzuschauen. Ich kann aber “Wolfratshausen” toppen: Es war in der Berliner “Paris Bar”, vor etwa 30 Jahren.
August 24th, 2011 at 12:59
@Jeeves: Na endlich kommt dieser Enwand, mit dem ich gerechnet hatte ;-)
Die Regeln sind heilig bei Loriot, richtig, aber ihre Anwendung wird eben des Kontextes enthoben: Der “Skatspieler”, der aus Höflichkeit nicht nein sagen kann und dann aus geknickten Karten “Häuschen” baut, der Tölpel, der das Zimmer zerlegt und im völligen Chaos nur das schief hängende Bild erwähnt (und überheupt immer nur die ‘Unordnung’ sieht, die er gerade vor der Nase hat), der Typ mit der Nudel am Kinn, der sich nicht absichert, dass seine Ernsthaftigkeit nicht gebrochen wird: Es gehört zur Anwenung der Regeln immer auch eine (repressive) Toleranz, die dafür sorgt, dass größere Brüche gekittet werden. Das ist strukturell auch der Grund dafür, dass es überhaupt eine Mittelschicht gibt – die Loriots Tunmelplatz ist.
August 24th, 2011 at 14:23
Ein Leben ohne Mops ist möglich – aber sinnlos …
https://www.vonosterberg.de/aktuell/loriot/index.php
August 24th, 2011 at 15:30
@diejenigen, die ihn oben (politisch) “zu brav” fanden:
https://www.youtube.com/watch?v=msizyUXR-no&feature=player_embedded#!
das ist vergnüglich vernichtend, sowohl für die parteien als auch ihr wahlvolk.
“im liberalen sinne heißt liberal nicht nur liberal.” ;-)
August 25th, 2011 at 07:00
Es gibt ein paar amüsante Versuche hier, den Pirol politisch-waidmanngerecht zu erlegen.
Das ist aber eher Geschmacksache.
Die Gefühlskälte, die viele von seinen Charakteren zeigen… es ist nicht schwer, ganz andere Schlüsse daraus zu ziehen, als sie auf reine Situationskomik zu reduzieren, was schon ok wäre.
Ein zentrales Thema ist: Kommunikation klappt nicht – nicht, wenn Paragraphen geritten werden oder ganze Weltanschauungen; “scheiss liberals” gehört dazu und ist ein gutes Beispiel.
My 4.x percents.
August 29th, 2011 at 14:43
Duki!
Hömma! Hab ich grade etwas verspätet deine Loriotsche Abschiedsansprache gelesen. Haste fein gemacht. Und recht hast auch! Aber ich wär nicht ich, wenn ich nicht zwischen den Zeilen lesen würde und zwar totalen Blödsinn, kennste ja. Diesmal statt “das Leben ist voller Komik” las ich “das Leben ist voller Keramik”. *seufz*
Ist ja jetzt bei den meisten Leuten auch nicht sooo falsch, aber dennoch… :o)
Darfste auch gerne löschen, meinen unsäglich unsagenden Beitrag hier.
Schüss!
Üna