Was politisch ist und was nicht, wird dem gemeinen Leser je nach Tagesbedarf verkündet. Erklärt wird ihm dazu nichts, er muss eben nur wissen, welchen Status ein Täter hat. Warum etwa die Plünderer von London unpolitisch waren und die Auto-Brandstifter von Berlin politisch, das muss man nicht verstehen.

shopafIch stelle mir einen Jugendlichen vor, der in Berlin wahllos Autos abfackelt – weil er’s kann. Weil er sich damit als wirkungsmächtig erlebt, weil das gerade in ist und scheinbar niemand erwischt wird. Der ist also politisch? Warum? Wenn einer, der die Nase voll hat von der Gängelung durch die Polizei und seiner Chancenlosigkeit, aufbegehrt und sich dabei nimmt, was ihm sonst vorenthalten bleibt, dann ist er unpolitisch? Warum?

Eigentum ist unpolitisch

Es wird offensichtlich, dass es immer nur ums Eigentum geht in den Betrachtungen der (neoliberal gepolten) Medien. Wenn einer ‘nur’ kaputtmacht, ist er politisch. Er zerstört fremdes Eigentum, bleibt aber im Schema seiner Unterschicht: Er eignet es sich nicht an. Erdreistet er sich aber zu stehlen, so ist er bloß kriminell. Der Politische will die Ordnung als ganze verändern, der unpolitische maßt sich nur eine Tat an, die ihm nicht erlaubt ist. Eigentum ist ihm nicht erlaubt, es sei denn er beschafft es sich durch legale Aneignung – was ihm freilich kaum gelingen kann.

Den Politischen kommt man mit der politischen Polizei und Antiterrormaßnahmen. Er gehört einer terroristischen Vereinigung an, nicht einer kriminellen. Er trägt ein anderes Infektionsrisiko. Der Unpolitische strebt nach Eigentum, was systemkonform ist. Er muss bestraft werden, wenn er gegen die Regeln verstößt. Der Politische hinterfragt Eigentum als solches und grundsätzlich. Er muss umerzogen oder unschädlich gemacht werden.

Dass die Eigentumsfrage derart quasi zum Gegenpol des Politischen gemacht wird, ist der Irrsinn, der einer eingeschliffenen Ideologie innewohnt, die sich längst überholt hat. Nirgends wird das Politische deutlicher sichtbar als in der Klassenjustiz. Die Unterschicht hat keine Anwälte. Sie bekommt im Strafprozess einen Pflichtverteidiger und ist sonst wehrlos. Die Mittelschicht hat einen, der sich für sie mit denen der anderen Mittelschichtsanwälte streitet. Die Oberschicht beschäftigt Großkanzleien, die für jeden Spezialfall einen kannibalischen Experten bereithält.

Klassenjustiz – na und?

Je größer der Schaden ist, den ein Bürger der unteren Schichten anrichtet, je größer der Gewinn ist, der ihm dabei lockt, desto härter ist die Strafe. Vier Jahre Haft für einen übermütigen dummen Eintrag bei Facebook gelten da als angemessen. Die Billionen, die von der Oberschicht versenkt und verzockt wurden, legal oder illegal, bleiben ebenso fast zu 100% straffrei wie deren Steuerhinterziehung. Auch das ist unpolitisch. Es wird nicht zum Politikum, und reiche Verbrecher können sich stets der Unterstützung durch Politiker gewiss sein – siehe Hessen. Eine politische Debatte dazu findet nicht statt, die Zeitungen haben wenig bis kein Interesse daran.

Hatten einzelne Konservative zuletzt “die Linke” gelobt, weil sie gewisse Grundzüge des Kapitalismus erkannt habe, muss der an dieser Stelle völliges Versagen attestiert werden. Die Ungleichbehandlung der Menschen vor den Gerichten, die schreienden Skandale um Steuerhinterzieher und schikanierte Steuerfahnder, die grundsätzliche Frage einer sozialen Ungerechtigkeit auf allen Ebenen des Rechts – was davon steht auf der Agenda? Aber womöglich glauben die, die als “links” gelten, ja inzwischen selber, das sei alles unpolitisch.