Februar 2013
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Politik[457] Comments 12. Feb 2013 2:23
Es ist ein Abtasten; wir haben versucht, uns aufs Wesentliche zu konzentrieren und viel Wichtiges am Rande liegen lassen. Vielleicht liegt in den “Nebenkriegsschauplätzen” erst der wahre Reiz, aber der Text ist auch so mehr als lang genug geraten. Mir hat es Spaß gemacht und Lust auf mehr – in diesem oder einem anderen Medium. Das Experiment wird heute auch beim Spiegelfechter gepostet. Leider haben wir technisch nicht die Möglichkeit, die Diskussionen zusammenzufassen und machen halt zwei daraus. Mal sehen, was wir dabei lernen.
flatter: Zur Terminologie vorab: Ich nenne Kapitalismus beim Namen. Die Bezeichnung „Marktwirtschaft“ meint dasselbe. Sollte es zu einer sinnvollen Unterscheidung der Begriffe kommen, können wir diese noch nachreichen. Wo beide synonym sind, verwende ich den deutlicheren.
Die Grundfrage, die ich diskutieren möchte, ist: „kann Kapitalismus funktionieren?“. Ich bin der Überzeugung, dass dies nicht der Fall ist und verstehe dich so, dass du anderer Meinung bist. Am Ende wird meine Frage an dich daher sein: „Wie soll Kapitalismus funktionieren“?
Eines meiner Hauptargumente ist dabei folgendes:
- Kapitalismus gerät zwangsläufig in eine Phase, in der er sich nicht mehr regulieren lässt. Sobald die Profite unter ein bestimmtes Maß sinken – bei dem behauptet werden kann, es lohne sich nicht mehr zu investieren – durchbricht er die gegebenen Grenzen. Die Deregulierungen, die von Kritikern des Neoliberalismus beklagt werden, waren also tatsächlich alternativlos. Sie sind kein Ausdruck von Gier, sondern systembedingt und unvermeidlich.
Spiegelfechter: Eingangs sollten wir uns darauf verständigen, was mit dem Begriff “Kapitalismus” gemeint ist. Ich würde den Begriff ungern als Kampfbegriff benutzen, sondern ihn als Synonym für den trennschärferen Begriff “Marktwirtschaft” verwenden. Dagegen hast Du ja offenbar keine Einwände.
Deine Eingangsthese nehme ich zwar offen zur Kenntnis, kann sie aber nicht teilen. Warum sollte der Kapitalismus nicht regulierbar sein? Steht der Kapitalismus über dem Gesetz? Gar über der Verfassung? Gibt es denn überhaupt starre Grenzen oder sind diese nicht vielmehr dynamisch? Und warum sollte es “systemimmanent” problematisch sein, wenn die Profite unter ein gewisses Maß fallen? Daher würde ich vorschlagen, dass Du diese Thesen eingangs einmal kurz erläuterst. In die Details können wir danach einsteigen.
flatter:Kapitalismus lässt sich nicht regulieren, weil das Kapital sich nicht juristische Gesetze vorschreiben lässt. Wo es sich nicht „lohnt“ zu investieren, wird nicht investiert. In den Phasen, in denen also viel Kapital auf wenig Möglichkeiten zur Vermehrung trifft, fordert es neue Einsatzgebiete. Lassen sich in der Realwirtschaft keine finden, müssen „Finanzmärkte“ her. Die Eigentümer haben die ökonomische Macht und können daher Druck auf den Gesetzgeber ausüben, dem Kapital entsprechende ‘Freiheiten’ zu bieten. Und selbst wenn der stur bleibt, stellt sich die Frage, was aus Kapital wird, das keine ausreichenden Profite mehr erzielen kann. Marx hat das in dem Theorem des „tendenziellen Falls der Profitrate“ beschrieben; ich will das aber nicht ‘marxistisch’ diskutieren, sondern zunächst auf das skizzierte Problem begrenzen.
Spiegelfechter: Da muss man sich jedoch zunächst die Frage stellen, was “Kapital” eigentlich ist. Sowohl bei den Soziologen als auch bei den Volkswirten marxistischer Schule schwingen da natürlich immer ideologische Konnotationen mit. Können wir uns darauf einigen, “Kapital” als Synonym für “Vermögen” zu verwenden? Aber selbst dann haben wir noch begriffliche Klippen zu umschiffen. Es gibt Anlage- und Umlaufvermögen, das Rein- und das Geldvermögen. Letzteres dürfte für unsere Diskussion am interessantesten sein und hier sollte man den Blick dann auch auf das Nettogeldvermögen richten. Natürlich gibt es da die betriebswirtschaftliche Logik, nach der das Nettogeldvermögen möglichst rentabel eingesetzt werden soll und ich akzeptiere auch die These, dass es da eine gewisse Sättigung gibt, die tendenziell dazu führt, dass die Renditen, die in der Realwirtschaft erzielt werden können, sinken. Das ist jedoch kein fundamentales Problem. Der Kapitalismus hatte viele Perioden, in denen Vermögen nicht oder nur in sehr geringem Maße vermehrt werden konnte. Es gab auch Perioden, in denen sehr viel Vermögen vernichtet wurde. Die Finanzmärkte sind jedoch ein denkbar schlechtes Substitut für realwirtschaftliche Investitionen. Reine Finanzspekulationen sind Nullsummenspiele, bei denen die Vermögen (also hier die Geldeinsätze) “nur” unter den Teilnehmern umverteilt werden. Dadurch wird in der Gesamtheit jedoch keine Rendite erzeugt. Freilich gibt es jedoch Wechselwirkungen. Die Finanzspekulationen rund ums Rohöl haben beispielsweise eine indirekte Wirkung auf den Ölpreis – es “schwappt” jedoch kein Geld aus dem Realgütermarkt in den geschlossenen Markt für Derivate u.ä. über. Geld arbeitet nicht!
Was Du über die Machtverhältnisse schreibst, ist sicher richtig. Ich sehe hier jedoch keinen systemischen Zwang. Waren die Machtverhältnisse in den USA zu Zeiten des New Deal etwa anders? Dennoch fand damals eine politisch gewollte Umverteilung von oben nach unten statt. Das skandinavische Modell funktionierte so und auch in unserer Sozialen Marktwirtschaft wurde trotz ungleicher Machtverhältnisse kein “Klassenkampf von oben” geführt – auch wenn die 68er dies manchmal anders sahen. Unterschätze die Macht der Straße nicht! Sicher, momentan spürt man diese Macht nicht, aber es ist noch nicht aller Tage Abend. Deine Thesen würden in einer radikal-liberalen Welt sicher zutreffen – also in einer Welt, in der die Märkte tatsächlich der oberste Souverän sind und der Staat sich auflöst. Auch wenn wir auf einem sehr bedrohlichen Weg in eine solche Welt sind, so haben wir doch immer noch eine Verfassung, die nicht libertär, sondern sozialstaatlich ist. Man muss die Verfassung nur endlich wieder ernst nehmen und dem “Druck der Eigentümer” Paroli bieten.
flatter:Jetzt wird es recht komplex, ich will mich aber in diesem Rahmen bemühen, das Ganze zu vereinfachen. Ich kann mich nicht wirklich damit anfreunden, “Kapital” und “Vermögen” synonym zu verwenden, aber versuchen wir, zunächst anhand des Begriffs “Vermögen” das Problem zu erfassen. Dazu ist es hier sinnvoll, Vermögen als etwas zu betrachten, das sich eben vergrößern soll. Das ist nicht direkt betriebswirtschaftliches Denken, sondern lediglich eines, das nicht Konsum anstrebt. Sehr vereinfacht wäre also Kapital Vermögen, das „investiert“ wird. Was allen solchen Vermögensarten gemein ist, ist das schiere Streben nach mehr. Echter “Mehrwert” entsteht zwar nur durch Arbeit, das kann aber dem Vermögenden, der als “Investor” auftritt, egal sein. Die Währung ist letztlich ja dasselbe wert, egal ob der Gewinn an der Börse oder im Kiosk gemacht wird.
Wir stehen jetzt schon an der Kreuzung des grundsätzlichen Funktionierens von Kapitalismus und der aktuellen Situation. Es mag sein, dass es ähnliche Situationen historisch gab. Ich sehe allerdings einige entscheidende Veränderungen. Abgesehen davon nämlich, dass die Krise in den 20er/30er Jahren nicht überall so blendend überwunden wurde wie in den USA, man also ohnehin nicht behaupten kann, Kapitalismus habe funktioniert, ist die Situation heute noch dramatischer:
Die Möglichkeit, neue Märkte zu erschließen, ist ungleich geringer und wird keinesfalls das Kapital auffangen können, das nach Rendite strebt. Wir haben ein Maß an Produktivität, das ebenfalls keine sinnvollen Steigerungen mehr zulässt, sondern bereits natürliche Ressourcen sprengt. Von daher ist hinreichender Raum für Wachstum nicht mehr vorhanden; das war in früheren Jahrzehnten anders. Durch den neoliberalen Umbruch seit Anfang der 80er wurden die Renditen in der Realwirtschaft optimiert, auf denen die Finanzmärkte letztlich aufsetzen. Würde man jetzt versuchen, mehr Konsum anzufachen, ginge das nicht nur wieder zu Lasten dieser Renditen – mit entsprechenden Folgen, sondern würde auch nicht lange vorhalten, da realer Konsum das notwendige Wachstum nicht erzeugen kann. Wo ist da noch Rettung?
Der Druck auf die politischen Systeme schließlich ist ein Thema für sich. Ich wollte zunächst darauf hinweisen, dass Alternativen zum bestehenden System enormen Gegendrucks bedürften, den ich wahrlich nirgends sehe in den politischen Institutionen. Ich teile weder deinen Optimismus bezüglich der “Straße” noch der Verfassung. Ich sehe aber vor allem aufgrund der Einigkeit von Kapitalinteressen und politischen Institutionen nirgends einen wirklichen Willen zur Veränderung und bin auch deshalb überzeugt, dass es zwecklos ist, solche innerhalb der “Marktwirtschaft” zu erwarten. Vielmehr wird versucht, alles zur Ware zu machen, was einen Abnehmer finden kann, bis der Kollaps dann doch erfolgen wird. Man kann dann noch darüber diskutieren, welche Möglichkeiten ein unvermeidlicher Reset birgt.
Spiegelfechter: Dann gehe ich mal zunächst auf den umstrittenen Vermögensbegriff ein, der für mich dann doch zentral scheint. Nehmen wir mal einen Privathaushalt, der ja die Basis allen Wirtschaftens ist, jedes Unternehmen gehört letzten Endes auch den Privathaushalten. Du wirst mir sicherlich zustimmen, wenn ich sage, dass bestimmte Teile des Haushaltsvermögens eben nicht darauf angelegt sind, dass sie sich “vermehren”. Das kann das Haus samt Grundstück sein, auf dem man lebt (dies ist in der Vermögensbilanz der Privathaushalte wohl der größte Aktivposten), oder auch das Auto und persönliche Wertgegenstände wie Schmuck oder Möbel. Es kann zwar sein, dass diese Dinge an Wert gewinnen, primäres Ziel ist dies jedoch bei der Anschaffung nicht. Anders sieht es beim Geldvermögen aus, zu dem bei Privathaushalten auch Ansprüche aus Versicherungen und der privaten Altersvorsorge zählen. Es ist richtig, dass diese Vermögen sich vermehren sollen. Wenn wir jetzt nicht in die Zinskritik, die ich ja bekanntlich ablehne, abgleiten wollen, ist das per se auch kein Problem.
Kommen wir zum nächsten Punkt: Was ist Mehrwert? Ein typisches Konsumprodukt, nehmen wir mal das iPhone, generiert seinen Tauschwert nicht nur aus dem Material-, dem Produktions- und Distributionspreis, sondern auch und vor allem aus imaginären “Werten” wie dem Markenimage. So etwas fällt auch nicht vom Himmel, sondern wird durch Arbeit erzeugt – Arbeit im Dienstleistungsbereich. Und hier kommen wir zu einem “Feature” des Kapitalismus, das Du wahrscheinlich eher als “Bug” ansehen wirst. Die Sättigung wird dadurch außer Kraft gesetzt, dass stetig Wünsche geweckt werden. Der Konsument will – aus welchen Gründen auch immer – ein neues Handy und ein neues Auto, auch wenn das vorhandene Modell rein rational seinen Dienst noch erfüllt. Dies ist die irrationale Seite des Kapitalismus, die ihm nie die Luft ausgehen lässt. Nur wer dies akzeptiert, versteht den Kapitalismus, wobei “verstehen” nicht mit “verteidigen” gleichzusetzen ist.
Die These, nach der weiteres Wachstum nur durch eine wachsende Ausbeutung von Ressourcen erreicht werden kann, ist ebenfalls – sagen wir es freundlich – umstritten. Es gibt zig Produktbereiche, auf die ich jetzt nicht näher eingehen will, bei denen die verbrauchten nicht regenerativen Ressourcen in jedem neuen Produktionszyklus nicht mehr sondern weniger werden. Und hier kommen wir zu einem weiteren “Feature” der Marktwirtschaft. Sobald eine Ressource knapp wird, wird sie teuer und wenn sie (zu) teuer wird, schaut man sich nach Substituten um.
Eine weitere These von Dir erschreckt mich ehrlich gesagt sogar. Wenn Du suggerierst, dass “wir” die Grenzen der Produktivität und des Wachstums erreicht haben, klingt das gefällig postmaterialistisch. Erzähle das doch mal einem Russen, Brasilianer, Inder, Chinesen oder gar einem Afrikaner. Klar, für “uns” geht es nicht darum, dass wir unser erstes Auto, unser erstes Telefon, unseren ersten Zugang zu einer Dialysestation bekommen oder das erste Mal zwei Wochen Urlaub zu machen. Das sieht für den Großteil der Menschheit aber ein wenig anders aus. Erst wenn jeder Äthiopier auf “unserem” Lebensstandard ist, lasse ich dieses Argument gelten. Und ich glaube nicht, dass dies zu unseren Lebzeiten passieren wird. Und auch im vergleichsweise gesättigten Westen ist einiges im Argen, das förmlich nach mehr Arbeit schreit. Ich nenne da mal die Kranken- und Altenversorgung, die Bildung und Ausbildung aber auch die Arbeit im Umweltsektor. Diese Tätigkeiten rentieren sich finanziell nicht, das ist klar. Aber eben darum muss der Kapitalismus ja auch gezähmt werden und wenn das nicht reicht, muss man ihn hinter Gitter sperren. Es gibt sehr viel sinnvolle Arbeit, die nur durch Umverteilung und stärkeres Engagement des Staates, der keinem Renditezwang unterliegt, finanziert werden kann. Aber auch im Bereich der klassischen Produktion kann ich Deine These nicht akzeptieren. Hast Du Dich mal mit Menschen unterhalten, die im Produktionssektor tätig sind? Geht denen die Arbeit durch Rationalisierung aus? Mitnichten, die Überstundenkonten quellen über, die Arbeitszeitverdichtung ist so dramatisch, dass die Gesundheit darunter leidet. Was hier fehlt, sind sinnvolle Gesetze. Und nein, es gibt keinen systemimmanenten Grund, warum der Souverän, das Volk, diese Gesetze gegen die Interessen “des Kapitals” nicht durchsetzen können sollte.
Verfalle bitte nicht der Fehlannahme, dass an der Börse Gewinne gemacht werden. Ein Gewinn ist erst dann ein Gewinn, wenn er verwirklicht wird. Wenn der Börsenkurs steigt, steigt zwar der imaginäre Wert des betreffenden Unternehmens, ein Gewinn entsteht jedoch nur dann, wenn der Aktionär seinen Anteil zu einem höheren Preis verkauft, als er ihn gekauft hat. Der steigende Wert der Aktiengesellschaften resultiert wiederum aus realwirtschaftlichen Geschäften. Auch der Finanzsektor kann echte Gewinne machen – jedoch nur dann, wenn das grundlegende Geschäft in der Realwirtschaft stattfindet. Auf Details gehe ich an dieser Stelle (noch) nicht ein. Ebenfalls spare ich das Thema “politische Gestaltung” einstweilen erst mal aus. Dazu können wir gerne später kommen.
flatter: Eine recht ausführliche Replik. Zu den „Vermögen“ hatte ich ja vorgeschlagen, nur solche Vermögen zu betrachten, die vermehrt werden sollen, da es mir um Kapital geht. Ich wollte die Sache vereinfachen, nicht die ums Kapital auf die ums „Vermögen“ verschieben.
Dass dem Kapitalismus „nie die Luft ausgeht“, halte ich für illusorisch. Dass aus dem (irrationalen) Streben nach mehr Konsum auch die Möglichkeit dazu erwächst, wird niemand behaupten können. Im Gegenteil ist ein Problem des Kapitalismus, dass er nicht gleichzeitig ausreichend Konsum und ausreichend Profit ermöglicht. Dies geht nur durch ein Wachstum, an dessen Grenzen wir längst gestoßen sind. Trotz idiotischer Tricks wie „geplanter Obsoleszenz“ schrumpfen die Umsätze. Warum übrigens soll man einem System zustimmen, das dem Selbsterhalt jede Rationalität opfert?
Das ist es auch, was ich mit Grenzen des Wachstums meine: Selbst künstliches Wachstum reicht nicht aus; anstatt neue Absatzmärkte zu finden, brechen die alten zusammen. Oder soll ich annehmen, dass wir bald Neuwagen in den Sudan exportieren? Dorthin z.B. wurden so viele Waffen verkauft (war gut fürs Wachstum), dass in Jahrzehnten keine Ordnung zustande kommen wird, die ‘Wachstum’ zulässt. Das ist kein Nebeneffekt, das muss man einpreisen. Es gibt einige weitere Grenzen, die sich m.E. nicht erweitern lassen.
Zu deinem wichtigsten Satz:
„Diese Tätigkeiten rentieren sich finanziell nicht, das ist klar. Aber eben darum muss der Kapitalismus ja auch gezähmt werden und wenn das nicht reicht, muss man ihn hinter Gitter sperren.“
Letzteres ist richtig. Wozu dann aber Kapitalismus? Ich halte die Vorstellung von einem, der sich dahingehend zähmen lässt, unrentable Arbeiten wie diese mit den entsprechenden Ressourcen auszustatten, für absurd. Reden wir dann doch gleich von etwas anderem, auch wenn „Sozialismus“ von der herrschenden Verdummung mit „Mauer und Schießbefehl“ identifiziert wird.
Ich kenne gleich zwei Gründe, warum das Volk keine „Gesetze gegen die Interessen des Kapitals” durchsetzen kann. Alle historische Erfahrung und die Tatsache, dass es definitiv umgekehrt läuft. Eigentumsrechte werden doch längst über alle anderen, vor allem die Bürgerrechte, gestellt, jedenfalls in dem Land, in dem ich lebe und seinen „Partnern“.
Dass an der Börse „keine Gewinne gemacht“ werden, ist bedingt richtig, man müsste aber schon z.B. die Warenbörsen auslassen. Das spielt aber keine große Rolle in bezug auf mein Argument, dass die Börsen Kapital binden (so meinte ich das jedenfalls). Dieses Kapital, da es realwirtschaftlich nicht mit Profitaussicht investiert werden kann, würde meiner Ansicht nach verheerende Wirkung zeitigen, wenn es diese Spielplätze nicht mehr hätte. Daher bin ich ebenfalls äußerst skeptisch, was die „Regulierung“ dieser Bereiche anbetrifft. Wenn also, wie gern gefordert, „die Casinos geschlossen“ würden, was geschähe deiner Ansicht nach mit dem Kapital, das dort zwangsläufig abgezogen würde?
Spiegelfechter: Ein Großteil dieses “Kapitals” würde sich ganz einfach auflösen, ohne das irgendwer nun reicher oder ärmer wäre. Klingt komisch, ist aber so. Darum habe ich ja auch versucht, den Begriff ein wenig enger zu definieren. Für die Diskussion, die wir führen, ist es nun einmal wichtig, dass Geld nicht gleich Geld ist. Wie Du sicher weißt, wird Geld durch Kredit geschöpft, es kommt aus dem Nichts und verschwindet bei der Tilgung des Kredits auch wieder im Nichts. Darin unterscheidet es sich vom Vermögen, genauer gesagt von Nettovermögen. Was passiert, wenn die Finanzmärkte nicht mehr ausreichend realwirtschaftliche Anlageformen offerieren können, sehen wir ja gerade eben. Die Zinsen purzeln, aber wenn die Wirtschaft nicht brummt, werden nicht genug Kredite nachgefragt und da in schlechten Zeiten das Risiko nicht geringer, sondern größer wird, weiß die “Kapitalseite” nicht so recht wohin mit ihren freien Mitteln. Dann gibt es eine “Asset Bubble” und wenn die Herren Investoren, frei nach den alten Cree, merken, dass man mit Gold eigentlich auch nichts Sinnvolles anstellen kann, platzen diese Bubbles. Ich könnte mir aber ehrlich gesagt weitaus Schlimmeres vorstellen. Du darfst ganz einfach nicht den Fehler machen und der “Rettungslogik” auf den Leim gehen. Lasst sie doch pleite gehen, es handelt sich doch eh nur um Buchgewinne und sogar das Geld ist nie weg, es gehört immer nur anderen. Wichtig ist dabei nur, dass man die Realwirtschaft abschirmt und das ist möglich; vorausgesetzt man will das.
Sicher lassen sich Konsum und Rendite nur dann unter einen Hut bringen, wenn es Wachstum gibt. Da Wachstum aber nichts böses ist, sehe ich dadrin auch kein Problem. Erst wenn wir in einer Welt leben, in der jeder Mensch nach seinen Bedürfnissen lebt, können wir gerne vom qualitativen Wachstum Abschied nehmen und uns mit dem Status-Quo zufrieden geben. Dieses Ziel werden wir aber weder mit dem Kapitalismus noch mit einer anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsform erreichen. Also ist der Weg das Ziel und wichtig ist vor allem, dass wir uns als Gesellschaft darüber klar werden, dass es für das Allgemeinwohl am besten ist, wenn wir das Wachstum aktiv steuern und diese elementare Frage nicht (nur) den Märkten überlassen.
Kommen wir aber noch zum eigentlichen Thema. Du bedienst Dich natürlich eines recht raffinierten Tricks, wenn Du hier Kapitalismus und Sozialismus als Gegensätze anführst. Damit haben wir den Zirkelschluss zum Beginn unserer Debatte gezogen und kehren wieder zur Definitionsfrage zurück. Auch Du würdest ja sicher “Sozialismus” nicht mit Planwirtschaft gleichsetzen und ich denke auch nicht im Traum daran, einen ungehemmten und unregulierten “Kapitalismus”, wie ihn Extremisten wie Hans-Hermann Hoppe vertreten, zu verteidigen. Lustigerweise wünschen wir uns anscheinend beide einen Sozialismus, arbeiten uns aber an komplett verschiedenen Begrifflichkeiten dessen, was wir kritisieren, ab. Die – im übrigen sozialistisch geprägte – Band “Manic Street Preachers” nannte eines ihrer Alben “Know your enemy”. Dieses Motto sollte man bei der Diskussion an die erste Stelle stellen.
flatter: „Wichtig ist dabei nur, dass man die Realwirtschaft abschirmt und das ist möglich; vorausgesetzt man will das.“ – das ist ein interessanter Satz, der mich überrascht und auf den wir uns auch einigen können. Ich meinerseits fürchte, dass der Rettungskapitalismus weder die Zocker pleite gehen lässt, noch die Realwirtschaft schützt. Ich rechne vielmehr damit, dass Kapital sich massiv auf die vitalen Märkte stürzt und damit mindestens eine echte Inflation auslöst.
Was nun den Schutz der Realwirtschaft angeht, so sehe ich da eben die Notwendigkeit, diese dem Kapital zu entziehen. Das ist dann kein Kapitalismus mehr, da hilft auch kein Keynes. Meines Erachtens läuft es sogar darauf hinaus, Lohnarbeit und am Ende das Geld abzuschaffen. Ich habe nichts dagegen, das schrittweise zu tun. Die Prioritäten müssen aber definitiv umgekehrt werden.
Spiegelfechter: Einigen wir uns darauf, dass wir die Realwirtschaft vor den Finanzmärkten oder von mir aus auch “dem Finanzkapitalismus” (be)schützen müssen. Du siehst, es sind letzten Endes hauptsächlich die Begrifflichkeiten, bei denen wir komplett über Kreuz liegen. Wenn eine Wirtschafts-/Gesellschaftsform, in der die Finanzmärkte keine Carte Blanche haben für Dich bereits kein Kapitalismus ist, dann sind wir uns ja einig, dass wir (diesen) Kapitalismus abschaffen könnten … und sollten. Und das mit der Inflation lassen wir mal lieber, sonst machen wir nur ein weiteres Schlachtfeld für den Nebenkriegsschauplatz auf.
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Politik[58] Comments 10. Feb 2013 14:42
Rote Sau angezeigt
Der Herr Güsi ist nicht mehr immun. Warum? Weil er sich zu politischen Vorgängen vor mehr als 20 Jahren geäußert hat und irgendwer ihm nicht glaubt. Daher muss der Staatsanwalt auf den Plan treten und den Abgeordneten strafrechtlich verfolgen, wie der zuständige Immunitätsausschuss mehrheitlich meint. Der Tagesspiegel bemerkt lakonisch: “Seit rund zwei Jahrzehnten werden immer wieder Vorwürfe über eine angebliche Zusammenarbeit Gysis mit der Stasi erhoben.” Natürlich muss man dem jedes mal neu nachgehen, wenn irgend ein Hobbydenunziant Anzeige erstattet. Schließlich gehört er zu den Bösen (Mauer, Schießbefehl, keine Bananen).
Schavan verdient zurückgetreten
Sie hat sich sehr verdient gemacht. Ihre enormen Verdienste um die deutsche Bildungspolitik sind kaum aufzuzählen. Erstens … na und so weiter. Bitte teilen Sie allen Ihren Mitbürgern mit, dass Frau Schavan große Verdienste errungen hat, große Leistungen erbracht, sich eben verdient gemacht. Sollte jemand nachfragen, worin diese Verdienste bestehen, seien Sie nicht so doof wie ich und geraten dabei ins Stottern. Wiederholen Sie einfach die Behauptung in einer der gängigen Formulierungen. Wer da nachfragt, ist ohnehin ein Neider, ein Kleingeist, vermutlich ein Linksextremist oder SED-Nachfolger. Schlimmstenfalls einer dieser promovierten Taxifahrer, die es zu nichts gebracht haben.
Geheime Geheimpolizei gefunden
Oops, erwischt! Wer konnte das ahnen, dass unser Nazinetzwerk aka “Geheimdienste”, diesmal der BND, eine bewaffnete Einheit unterhielt, von der nicht einmal – der BND wusste. Ja nee ist klar: Nackt im Spind, die Nachtschicht wütet! Bei einem der vielen bunten Abende mit eingeseiften Kameraden kam vermutlich jemand auf die bierselige Idee, das Gestapo-Rollenspiel mal so richtig zu spielen, mit echten Waffen und draußen. Die Besten der Besten können schließlich nicht ewig hinter den Kollegen aus der NATO zurückstehen. Das gleich mit dem Motto “Führer befiehl, wir folgen” zu garnieren, war zwar nicht ganz geschmackssicher, aber man lässt sich schließlich nicht auch noch von diesen “Verfassungsschützern” den soldatischen Schneid abkaufen.
Brüder, zu Boden, zum Staub
Allerliebst, die spezialdemokratischen Kapos des Kapitals. Verliererkandidat Steinbrück macht den Griechen und Zyprioten klar, was er unter “Solidarität” versteht: Sie muss einen Gewinn abwerfen, dann wird sie in Erwägung gezogen. “Zuerst sollen sie uns sagen, was sie zu Hause tun werden, und danach werden wir ihnen unsere Solidarität zeigen.” “Solidarität zeigen” heißt im Zweifelsfall, sie abzukochen, auszuplündern, fallen zu lassen, mit Häme zu übergießen. Da ist man ganz flexibel, je nach dem wie die Unmündigen spuren.
Besser ist aber noch Genosse Barchmann, SPD-Sonderbehandler für Griechenland. Der meint: “Die Gewerkschaften in Deutschland wirkten mit, als es nötig wurde, dass Reformen und Opfer erfolgen. Dies fehlt Griechenland“. Erst wenn die Geknechteten selbst um ihre Lohnsenkungen kämpfen, ist das Ziel erreicht. Um ihr Mitgefühl zu unterstreichen, spendeten die Sozialdemokraten Spuckbeutel und Löffel für die notleidende Bevölkerung.
Grauer Rauch
Wir werden nicht mehr Papst sein. So what? Was sagt der DAX dazu? Wer wird als nächstes an oberster Stelle organisierten Kindesmissbrauch verharmlosen, Mord gutheißen während er Familienplanung fanatisch bekämpft und Drohnen segnen? Vor allem aber: Wen interessiert das?
Bundesregierung erwartet rasche Rückkehr zu Wirtschaftswachstum
“Die Bundesregierung geht von einem baldigen Ende der Konjunkturschwäche in Deutschland aus.”
Flieht, ihr Narren!
p.s.: Um die Phraseologie dieses Neusprechs in eine deutlichere Formulierung zu übersetzen: Merkel hat soeben der deutschen Wirtschaft ihr vollstes Vertrauen® ausgesprochen.
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Hintergrund[24] Comments 09. Feb 2013 20:13
Journalismus ist eine Krankheit mit vielen Verlaufsformen. Eine der am wenigsten beachteten ist die des “Sportjournalismus”, eine Variante, die sich hervorragend zur Immunisierung gegen Wahrnehmung, Sprache und Verstand eignet. Somit dürfte es sich dabei um die Kaderschmiede der aktuellen Generation von Lohnschreibern handeln. Nicht umsonst erklären mir die routinierten ‘Leser’ des gehetzten Boulevards regelmäßig, “der Sportteil” sei so gut, daher müsse man das kaufen. Das Zucken im rechten Arm nach getaner Lektüre rührt also sicher von Informationsüberflutung betreffs Speerwerfen, Handball und Turnen. Aber ich schweife schon wieder ab.
Eben im Radio – ich kann es nicht lassen, mich auf Autofahrten einlullen zu lassen, um im winterlichen Adrenalin- und Testosteronnebel die Sichtweite nicht unter 25 Meter sinken zu lassen – hörte ich ein – nennen wir es “Sagmalwas” aus dem Fußballsport. Ich kann das nicht “Interview” nennen, denn selbst wenn man den Niveaulimbo auf Teppichkantenhöhe beherrscht, gibt es Grenzen, an denen ein Begriff sich in Nichts auflöst. Vor solchem Nichts habe ich Angst.
Allein die Vorstellung, mir kämen solche Fragen in den Sinn, wie sie bei nämlichen Sagmalwas gestellt wurden, bereitet mir Alpträume. Ich stelle mir vor, ich müsste ein Interview führen und fragte dann: “Wie breit ist die Brust, mit der Sie heute auflaufen?” sowie “Wie wichtig ist es, heute zu gewinnen?” Ich bin ein Mann des Geistes – wie immer man meine diesbezüglichen Bemühungen auch geringschätzen mag, aber ich lebe dafür. Dass er einem gänzlich abhanden kommen könnte – ein schrecklicher Gedanke.
Nur die Harten
Ich habe mich also ein wenig umgeschaut und bin auf etwas gestoßen, dass mir das Graue unter der Kopfhaut in Scheiben fallen ließ. In einem Institut für angehende Sportjournalisten werden Fragetechniken gelehrt, die einzig dazu dienen, Rezipienten zu verstören, ihre intellektuellen Ressourcen zu verzehren, einen brutalst möglichen Kahlschlag zu bewirken im zerebralen Zentrum des ahnungslosen Zuhörers, Zuschauers, Zeitungslesers. Es ist eine gigantische Waschmaschine für Gebrauchtgehirne, der niemand entrinnen soll.
Sie sind als “alternativen Befragungsmethoden” ebenfalls in CIA-Gefängnissen zur Anwendung gekommen. Einige Probanden sollen um Waterboarding gebettelt haben, um dieser Tortur zu entkommen. Eine internationale Ächtung wird nicht ausgeschlossen, wenngleich die USA bereits angekündigt haben, dass sie diese zu betrachten gedenken wie bereits die Genfer Konventionen und den Gerichtshof in Den Haag. Aber nicht nur die USA werden eine Sonderrolle einnehmen in bezug auf die ‘Folter durch Befragung’.
Auch Deutschland wird davon ausgenommen bleiben. Ebenso gilt die als besonders brutal geltende Methode “Volksmusik” hier demnach weiterhin als erlaubt, weil ungefährlich. Wie es heißt, empfinde die hiesige Bevölkerung dergleichen sogar als angenehm. Es handele sich um eine kulturelle Eigenheit, die ihr nicht genommen werden dürfe. Über entsprechende Warnhinweise auf journalistischen Erzeugnissen aus Deutschland befindet in Kürze die UN-Kommission für Reaktorsicherheit.
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Politik[23] Comments 08. Feb 2013 15:52
Der Staatsmonopolkapitalismus kommt hervorragend voran. Allerdings werden sich einige Firmen in Zukunft mehrere Staaten halten. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum der Trend in Richtung ‘Vereinigte Staaten von Europa’ geht, weil nämlich Goldman Sachs keinen Bock hat, die interne Verwaltung mit mehreren Verfassungen zu belasten. Außerdem bläht ein Kontinent mit Dutzenden Regierungen das Personalbudget so fett auf. Das geht auch mit leichterem Gepäck.
Ein wenig unübersichtlich wird die Lage eventuell. Die Firma Blackwater Xe Gänseblümchen Academi zum Beispiel mag sich in dieser Anfangsphase des Übergangs in den Spaßfaschismus noch als nützlich erweisen. Griechenland jedenfalls findet die Söldnertruppe, welche die Drecksarbeit für die amerikanische Rechte so effizient und unbeleckt von sperrigen rechtlichen Rücksichten geleistet hat, sehr vertrauenswürdig. Man möchte wohl lieber nicht die mies bezahlte Polizei aufs eigene Volk schießen lassen; es gibt zu viele hässliche Beispiele, dass die Uniformierten sich umgedreht haben und auf die Befehlshaber losmarschiert sind.
Marktkonforme® Demokratie
Zertifizierte Folterer und Killer à la Blackwater erscheinen da passender, denn sie bekommen kein Geld, wenn sie die Falschen abschlachten. Aber Halt: Finde den Fehler im Bild! Nein, es ist nicht das Verständnis von Demokratie® und Rechtsstaat®, das hier waltet. Deren Bedeutung liegt im Auge des Betrachters, wie wir spätestens seit Weimar wissen. Nein, es ist auch nicht der an Brutalität nicht zu überbietende Zynismus in dem Akt von Regierenden, ihr eigenes Volk von Söldnern in Schach halten zu lassen. Aber was dann?
Richtig: Es ist die ungemeine Blödheit, eine ausländische Firma damit zu beauftragen; eine amerikanische, die von den dortigen Taliban und Faschisten betrieben und benutzt wird. Wer kauft denn Leibwächter bei der Konkurrenz ein? Und wieso überhaupt? Waren die billiger? Gab’s die als Rabatt für den letzten Staatskredit? Oder ist das bereits die Übergabe nach einer Pleite, von der die Griechen noch nichts wissen sollen?
Wie dem auch sei: Die Mafia ist da, wo sie schon immer hin wollte, die faulen Griechen® selber schuld. Diese Maßnahmen sind wie immer alternativlos® zur Eurorettung® und wurden sehr plötzlich notwendig. Das konnte niemand ahnen außer Kommunisten und Marxisten, die unsere Demokratie bedrohen. Wer nicht in einem Unrechtsstaat® aufwachen will, muss wachsam sein und darf sich nie mehr schlafen legen.
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Politik[66] Comments 06. Feb 2013 16:31
Schritt für Schritt entstehen in Europa und in Deutschland wieder autoritäre, militärisch aggressive Staaten. Es sind nicht bürokratische Rechte, die hier beschnitten oder schlicht ignoriert werden. Es sind die vitalen demokratischen Rechte. Es wird jede Verhältnismäßigkeit außer Kraft gesetzt – was autoritäre Staaten im Kern auszeichnet. Das geht übrigens zu beiden Seiten: Während einerseits drakonische Strafen verhängt werden, bleiben andere Straftaten unverfolgt, werden die Täter von deren Behörden geschützt, beispielhaft dafür die Komplizenschaft deutscher Geheimdienste mit den Mördern des “NSU”.
Die Rechte erstarkt in jeder Form. Militante Illegale hier, parlamentarische Faschisten dort; nicht nur die Verehrer von Faschisten und Putschisten in Griechenland; Ungarn wurde von Rassisten gleich verfassungsgebend umgekrempelt. Gewählte Faschisten lassen schon in ihrem Auftreten nichts zu wünschen übrig. Sogenannte “Journalisten” formulieren deutlich: „Diese Zigeuner sind Tiere, und sie verhalten sich auch wie Tiere” (Zsolt Bayer in der Tageszeitung Magyar Hírlap). Wo war der Aufschrei der europäischen Presse?
Was braucht ihr noch?
Hierzulande werden Büros und Wohnungen von Pressefotografen durchwühlt und Daten kopiert, weil irgendwer angeblich Fotos von einer Demo gemacht hat. Genau deshalb sind Journalisten per Gesetz geschützt, damit sie nicht als mögliche Spitzel und Helfershelfer betrachtet werden und ihnen niemand mehr Informationen anvertraut. Wer da noch von “Pressefreiheit” redet, hat nur das Gesetz gelesen und interessiert sich offenbar nicht für die Praxis der Polizei. Das war nämlich kein Einzelfall.
Während rechten Mördern und möglichen Nachahmern also behördenübergreifend bedeutet wird, dass man sie deckt, werden verdächtige Linke mit aller Wucht und Willkür verfolgt. Da werden unter bizarren Bedingungen zustande gekommene Zeugenaussagen dazu verwendet, nach über 30 Jahren einen abenteuerlichen Mordvorwurf zu konstruieren. Die 80-Jährige Angeklagte sitzt dafür seit 17 Monaten in U-Haft. Das ist schlicht gnadenlos, und das ist auch die Message.
Die Parallelen zu Weimar kann nur noch leugnen, wer sie nicht wahrhaben will. Die angesprochenen Meldungen sind von heute, nicht aus Monaten oder Jahren zusammengesucht. Es gibt reichlich Leute, die meinen, es müsste sich der Himmel verfinstern und ein Monster erscheinen, wenn der Faschismus losmarschiert. Man würde das an den braunen Uniformen erkennen, an Seitenscheitel und Chaplinbart. Was aber wirklich längst sichtbar ist, wird in Kategorien eingeteilt wie “Einzelfälle”, “Extremismus” oder auch schon mal “geschieht ihnen Recht”. Auch das war damals schon so. Was also braucht ihr, um aufzuwachen? Wie soll das aussehen, damit es nicht längst zu spät ist?
p.s.: Ergänzend dazu Burks und Tucholsky.
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Politik[32] Comments 05. Feb 2013 13:06
Die dreifache Verneinung ist ein rhetorisches Mittel, das bislang eher selten zum Einsatz kam, aus gutem Grund, denn irgendwann ist die Kehre erreicht, an der endgültig niemand mehr weiß, in welche Richtung man unterwegs ist, und es ist einem einfach nur noch schlecht. Der verbale Eiertanz endet dann im Omelettwalzer und gibt zu erkennen, dass hier wer eigentlich nicht sagen will, was er zu sagen hat, also zu erkennen gibt, dass er es jetzt ausgesprochen hat, ohne es zu sagen, weil es vermutlich zu irgend einem früheren Zeitpunkt einmal für unmöglich erklärt worden ist. Was so viel Anlauf nimmt und dann doch noch aus der Kurve kippt, richtig, das kann nur Stuttgart 21 sein. Der Großmeister ministerieller Virtuosität, Geschmacksrichtung Verkehr, heißt Peter Ramsauer, und der dessen Ministerium hat nun folgendes zu Protokoll gegeben:
“Die Argumente, eine weitere Finanzierung nicht abzulehnen, sind zu schwach.“ Ganz großes Hallentennis, heißt es doch eigentlich: Ich lehne eine weitere Finanzierung ab. Aber nein, zunächst muss Zustimmung konstruiert werden in Form der Nichtablehnung. Denn das ist ja der Konsens gewesen: Es wird gebaut! Spätestens seit dem 30.09.2010 war klar: Das Ding wird durchgezogen, egal gegen welche Widerstände. Vor allem die CDU hatte nach dem Motto “Wer baut, der haut” allem in die Goschn treten lassen, was bis dahin glaubte, das Projekt ließe sich noch aufhalten. Als auch nach der sogenannten “Schlichtung” keine Änderung in Sicht war und die Bahn sich beim sogenannten “Stresstest” im God mode durch den Level gepfuscht hatte, standen alle Ampeln auf Grün.
Wer soll das bezahlen …
Nun, da hat jemand erkannt, was fast alle anderen schon vorher wussten: Niemand will das bezahlen, weil es vermutlich noch teurer wird als selbst die Gegner errechnet hatten. Wenn Ramsauer also säuselt, es gebe da “Argumente”, ist das drollig, denn auf die hat ja vorher keiner gehört. Jetzt sollen die was gelten, weil alles andere hieße, eine Entscheidung zu treffen, für die man womöglich verantwortlich gemacht wird. Milliarden Versenken macht dann keinen Spaß mehr, dafür waren die Spenden offenbar nicht ausreichend.
Ich schrub Ende 2011 bereits: “Es wird viel teuer, es müssen unkorrekte Verfahren aufgerollt werden, es wird länger dauern. Es ist nicht gesund, den Kopf in den Kies zu stecken, schon gar nicht zwischen den Schwellen. Das Projekt ist tot, die Frage ist nur, ob es als Zombie weiter existiert oder endlich in Würde begraben wird.”
Tja, jetzt gibt es nur noch eine Rettung für den Bahnhof ohne Kopf, das unterirdische Projekt einer desorientierten Möchtegernmafia: Kretschmän und seine Grünen Laternenputzer. Wenn sie auch diesen Stresstest bestehen, können sie Kanzler und müssen sich nie wieder Sorgen um die Finanzierung ihrer Funktionäre machen.
p.s.: Korrektur: Aha, nicht Ramsauer selbst, sondern nur die “untere Ebene” seines Ministeriums reagiert auf Argumente. Ob da gerade wer einen kleinen Nachschlag erhalten hat?
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Theorie[71] Comments 04. Feb 2013 14:08
Ich übersetze das Zitat von Margaret Thatcher, das R@iner in den Kommentaren hinterlassen hat; das Original ist aus “Women’s Own magazine”, vom 31.Oktober 1987:
“Und wissen Sie, es gibt keine “Gesellschaft”. Es gibt Individuen, Männer und Frauen, und es gibt Familien. Keine Regierung kann etwas tun, es sein denn durch die Menschen, und die Menschen müssen zuerst für sich selbst sorgen. Es ist unsere Pflicht, uns zuerst um uns selbst zu kümmern und dann erst um unseren Nächsten. Die Leute haben eine Anspruchshaltung ohne die Verpflichtungen zu bedenken, aber es gibt keine Ansprüche, bevor jemand seine Verpflichtungen erfüllt.”
Dieser Satz spricht Bände. Bevor ich näher darauf eingehe, möchte ich einen kurzen Ausflug unternehmen in die Etymologie des Begriffs Solidarität. Diese beruht ursprünglich auf dem lateinischen Wort “solidus”, was sowohl “fest, unerschütterlich” bedeutet als auch “ganz, vollständig”. “Solidarität” nahm dabei einen Umweg über das Französische, wo sich der Begriff im 19. Jahrhundert etablierte als “solidaire”, als Rechtsbegriff, der auf gegenseitige, gemeinsame Haftung für das Ganze verwies. Der Begriff “solidus”, heute noch in “solide” aufgehoben, verwies darauf, dass nur das ineinandergreifende Ganze wirklich fest ist. Ein Stein hält den anderen und ein Mensch stützt den anderen. Was vereinzelt ist, wird schwach und zerfällt.
Schuld und Erbe
Dem gegenüber der Thatcherismus: Es soll kein Anspruch bestehen auf die Unterstützung durch das Ganze, es sei denn durch Anerkennung der Schuld und Pflicht – beides bedeutet “obligation”. Wer Solidarität erfährt, hat sich zu verschulden. Mit dieser Geisteshaltung ist die Ökonomisierung der menschlichen Beziehungen auf den Punkt gebracht. Dabei bedient sich Thatcher einer Rhetorik, die zustimmungsfähig erscheint, weil sie die Doppelbedeutungen so kaschiert und verschleiert, dass mit dem scheinbar plausiblen Teil auch ein ungemein brutaler transportiert wird.
Natürlich soll jemand, der Ansprüche stellt, auch Pflichten übernehmen, wenn er damit einen Beitrag zum gemeinsamen Ganzen leisten kann. Das ist aber exakt da selbstverständlich, wo eben ein menschliches Geben und Nehmen davon zehrt, dass man sich gegenseitig hilft – ohne dafür Schuldscheine auszustellen. Dieses Ganze, “society”, leugnen die religiösen Kapitalisten und ersetzen es durch eine Ökonomie von Schuld und Leistungsanspruch. Jedes Geben ist ein Anspruch auf Vermögen, jedes Nehmen eine Zahlungsverpflichtung. Woher das Guthaben kommt, danach wird nicht gefragt. Ausgeschlossen von dieser Ökonomie ist nur die “Familie”, die Erbengemeinschaft oder Dynastie. Ansonsten führt jeder sein eigenes Konto.
Gerade dieser Kniff zerstört endgültig jede solidarische Gemeinschaft. Es gibt nicht nur keinen Anspruch auf Solidarität, es gibt auch keinen Anspruch an die Gewinner, sich zu legitimieren. Es gibt nur noch eine Form des Anspruchs: Das Einfordern von Schulden. Die “Pflicht” ist die, dafür Sorge zu tragen, dass andere sich verschulden, nicht man selbst. Was vordergründig so aussieht als sei es eine berechtigte Kritik an Menschen, die mehr nehmen wollen als geben, ist also das exakte Gegenteil: Es ist der Putsch einer Ethik, die rücksichtslosen Erwerb fordert und im Recht des Reicheren mündet.
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Politik[112] Comments 02. Feb 2013 14:10
Ich bin kein Freund von Petitionen, denn meist sind sie da sinnvoll, wo das Recht, um das ‘gebeten’ wird, eigentlich selbstverständlich sein sollte. Die Menschen sollten lernen, es sich zu erobern, aber am Ende leiden immer auch jene unter dem Unrecht, denen kein Vorwurf zu machen ist und die einfach nicht die Möglichkeit haben, sich durchzusetzen, sei es legal oder nur legitim. Vor allem wenn unmittelbar solche Möglichkeiten beschränkt werden, wenn der “Rechtsstaat” sich herausnimmt, den Begriff “Recht” als bloße Reglementierung aufzufassen, das Recht des Staates, die Bürger zu knebeln, ein Rechtsbegriff, der nicht einmal die Konstruktion eines Bezugs auf Gerechtigkeit zulässt.
Ich kann mich daher Wolfgang Neskovic anschließen und dazu auffordern, die Petition zu unterzeichnen, die verhindern soll, dass die Entrechtung der Armen vor den Gerichten ohne Widerstand durchgepaukt wird. Ein Scheitern dieser Petition wäre vor allem eines vor der Ignoranz einer Maschinerie, die sich immer offensichtlicher der reinen Verwertung verschreibt. Stellen wir fest, ob sich noch Reste einer Rechtsstaatlichkeit finden, die als demokratisch gelten darf. Wir können dann unsere Schlüsse daraus ziehen, wenn der Staat offen dazu übergeht, wieder in Obrigkeit und Untertanen zu diskriminieren.
Grünes Rückgrat
Und wo ich gerade dabei bin, das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern unter Einfluss der Parteien zu besprechen, geraten mir meine Freunde die Grünen einmal mehr ins Auge. Es ist ihnen inzwischen auf breiter Front vollkommen egal, wie die Wirklichkeit jenseits der funktionselitären Mittelschicht aussieht, sie haben alle ihre Prinzipien verraten und sind zu einer industriefreundlichen, Atomkraft fördernden unsozialen und militaristischen Funktionärspartei verkommen, deren Repräsentanten sich immer häufiger als Lobbyisten schmieren lassen. Diese Haltung führt zwangsläufig zu einem argumentativen Geeiere und Entscheidungen, denen nur der eingefleischte Fan noch applaudieren kann.
In Berlin wird die Treitschkestraße, benannt nach dem glühenden Antisemiten, der uns das geflügelte Wort “Die Juden sind unser Unglück ” bescherte, nicht umbenannt. Die Grünen, die ursprünglich selbst den Antrag zur Umbenennung eingebracht hatten, sehen sich jetzt aber an einen Vertrag mit der CDU gebunden und stimmen gegen sich selbst. Alles andere sei “Vertragsbruch” heißt es einerseits, andererseits stützen sie sich auf die Mehrheit der Anwohner, denen der Stress einer Adressänderung relevanter erscheint als jeder Rest von Anstand. Da plötzlich wird dann Volkes Stimme gehört von denen, die sich sonst ständig hinter ihrer Stellvertreterfunktion verstecken. Polityoga vom Feinsten – wer wissen will, wie biegsam Rückgrat sein kann, ist bei den Grünen bestens aufgehoben.
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Politik[17] Comments 01. Feb 2013 17:11
Wie schön, dass der gemeine Medienrezipient zielgerichtet danach filtert, was ihn beruhigt und auch großzügig damit beliefert wird. Da hat es offenbar einen “Fehler” gegeben im Umgang mit dem NSU, so wie Radsportprofis versehentlich mit Dopingmitteln in Kontakt kommen eben. “Um keine Unruhe in die Szene zu bringen” sollte die Polizei auf Wunsch oder Geheiß des Verfaschungsschutzes nicht gegen die Nazis ermitteln. Sie wollen es nicht wissen lassen: It’s not a bug, it’s a feature. Wer lässt schon freiwillig gegen eine Mörderbande ermitteln, die er sich gerade aufgebaut hat? Das Handeln der Schutzstaffel war schlicht alternativlos. Nur so wird ein Springerstiefel draus.
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