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Der Herr Bundespräsident hat die Systempresse gelobt. Es sei wichtig, eine freie Presse zu haben, die keine grundsätzliche Kritik an den Eliten äußert. In der DDR sei das böse gewesen, weil die falschen Eliten nicht kritisiert wurden, nunmehr aber sei alles gut. Fast alles. Denn es gibt heute das Internet, und dort werden nicht nur die richtigen Eliten fälschlich kritisiert, sondern obendrein unter Verzicht auf die Trennung von Nachricht und Kommentar. Wie gut also, dass wir einen Qualitätsjournalismus haben.

Herrn Gauck sei an dieser Stelle vergeblich geraten: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die präsidiale Neutralität üben. Beginnen wir also mit dem Schmarrn jener Trennung, die keine ist, was er auch wüsste, hätte er je ein deutsches Printprodukt auf den behaupteten Umstand überprüft. Den Kommentar vom Bericht zu trennen, ist eine auch nicht durchgängig gepflegte Tradition der angloamerikanischen Presse, eine Arbeitsteilung, die es in sich hat. Denn wenn der Bericht über politische Ereignisse sich mit Wertungen bemüht zurückhält, dann nur, um den Kommentator umso deftiger zulangen zu lassen. Eine Berichterstattung, die den Kommentar einfach ausfallen lässt oder ihn so windelweich verpackt, dass niemand ihn fürchten muss, ist damit gerade nicht gemeint.

Für den Kommentar als solchen gilt das ohnehin nicht. Das hieße ja, ein wertender Text dürfte keine Informationen enthalten. Es gilt ebenso wenig für den Essay. Die Möglichkeit, Berichte zu zitieren, die darin enthaltenen ‘Informationen’ anzuzweifeln, zu ironisieren und ggf. mit Spott zu übergießen, ist gerade in diesen Zeiten unerlässlich. Zeiten, in denen wir mit Versatzstücken, Neusprech und Propaganda untersten Niveaus eingedeckt werden – nicht zuletzt vom ‘Qualitätsjournalismus’ – der seine Informationen überdies in aller Regel keinen Deut besser absichert als die Schmierfinken “im Internet”.

Die unterste Schublade

Und wo bitte ist sie denn, die Trennung von Bericht und Kommentar? Der Boulevard von Bild bis SpOn tritt das Prinzip schon in der Überschrift mit Füßen. Ansonsten wird pausenlos gewertet; der eine gilt da als “Experte”, der andere als “Populist”, Menschen sind mal “Mob”, “Chaoten” oder “Wutbürger”, und alle wissen ohne jede Distanz, dass “Wachstum” und “Arbeitsplätze” gut sind, der “Euro gerettet” wird und eine “Brandmauer” gebaut. Wie ausgesprochen wertneutral – und dann sind wir noch nicht bei den Texten, die gleich von PR-Agenturen oder sogenannten “Think Tanks” durchgedrückt werden.

Nun sind weder Blogger noch ihre Kommentatoren dafür bekannt, dass sie Nachrichten produzieren. Dies tun gemeinhin Agenturen. Von daher ist die Quote der Kommentare, Essays und Meinungsäußerungen entsprechend hoch. Die Nachrichten, die dort ausgegraben werden, sind wiederum kein Ruhmesblatt für den Q-Journalismus, denn der vergräbt sie im Zweifel eher. Wäre das anders, wäre Gauck nicht Präsident. Köhler wäre nicht gestrauchelt und Wulff nicht so ins Amt gekommen. Nur zur Erinnerung.

Was die unterste Schublade anbetrifft, kann niemand den großen Verlagen, allen voran dem Springer-Verlag, das jauchige Wasser reichen. Kampagnen gegen Einzelpersonen, Gruppen oder Staaten, wie sie dort losgetreten werden, kann sich hier draußen niemand leisten. Wir würden juristisch zerfetzt, ruiniert und vermutlich eingesperrt. Ähnliches gilt fürs Kommentariat. Für das, was bei der “Welt” zum Beispiel an Hetze von geifernden Lesern betrieben wird – und von der Redaktion goutiert, würde ich mich schämen. Die dürft ihr gern behalten.

Traurig auch, was Heribert Prantl jüngst wieder an Unsinn verzapft hat: “Für das Internet” gebe es “kaum Regeln”. Welch ein Griff ins Klo! Hat der Mann jetzt auch schon von Recht und Gesetz keine Ahnung mehr oder will auch er effektiv eine Zensur, eine “Regel”, die vor der Äußerung schon durchgesetzt wird? Das schiefe Beispiel Bettina Wulff, die mit dem PR-Feuer gespielt und sich daran verbrannt hat, ist doch selbst kein schlechtes: Sie klagt Gott und die Welt aus den Schuhen. Wie geht das, wenn es angeblich “kaum Regeln” gibt? Der Mann lügt. Er weiß genau, was “Abmahnwahn” bedeutet.

Regeln für die Unmündigen

Wozu dann also das Gewese? Weil das Internet nichts vergisst, dort jeder Quatsch irgendwo zu finden ist, der einmal veröffentlicht wurde? Gut, dass das bei den seriösen alten Holzmedien anders ist. Nein, warte – die sind doch ebenfalls im Internet, sogar ihre Archive. In denen man jede alte Verleumdung heute noch einmal lesen kann, wenn man sich noch nicht genug geekelt hat. Wo also ist der Unterschied?

Die fest mit ihren Sesseln verwachsenen Funktionsmöbel der Redaktionsstuben und der ganze politisch-publizistische Komplex haben sich daran gewöhnt, dass sie verkünden und ihr Publikum das glaubt. Schließlich haben sie alles hinreichend kritisch® in die angemessene Form gebracht und ihren Mündeln damit diese Arbeit abgenommen. Nun fürchten sie, dass die Gerüchte im Internet, die ja auch jemand aufgeschrieben hat, ebenfalls als verkündete Wahrheit angenommen werden. Die glauben schließlich alles.

Dieses Bild von den unmündigen Halbgescheiten eint den Verkündungsjournalismus mit den Zeremonienmeistern der politischen Wahrheitsproduktion. Lebte Gauck nicht geistig noch immer in der DDR und seinem seligen kalten Krieg, er würde die Unterschiede erkennen, weil er die Parallelen sähe. Wäre Prantl nicht ein verknöcherter Reaktionär der Medienmacht, er könnte ein großartiger Journalist sein. So ist er nur ein Talent, das die besten Zeiten hinter sich hat. Das Wichtigste hat er dann doch nicht gelernt: Kommunizieren ist mehr als senden.