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Juni 2010


Es ist nicht leicht, einer Parlamentsdebatte zu folgen, und ich frage mich oft, ob es immer schon so strapaziös war oder der rhetorische Notstand nur ein weiteres Symptom der Krise ist. Das Bullshit-Bingo im Deutschen Bundestag, die Wiederholung der immer gleichen austauschbaren Phrasen, wird flankiert von lustlosem Genuschel, das oft nur dem Zweck zu dienen scheint, sich erkennbar einer Geschmacksrichtung der Rechthaberei anzuschließen.

Zur arbeitspolitischen Debatte gab es da etwa eine Rede von Paul Lehrieder (CDU), der offenbar noch etwas Wichtigeres vorhatte. Seine hektische Replik auf den Antrag der Linken konnte nicht nur niemanden überzeugen, er schien sie selbst nicht hören zu wollen. Zur Kritik der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse schien er sich mit der Kollegin Connemann abgesprochen zu haben. Beide stellten fest, daß Teilzeitarbeit von Arbeitnehmern gewollt sei. Damit bescheidet sich ihre Analyse der Arbeitswirklichkeit im Jahr 2010.

Geschmacksrichtungen der Rechthaberei

Die Welt von Max Straubinger (CSU) ist ebenfalls in Ordnung. Er unterscheidet in “früh aufstehende hart arbeitende” Menschen und solche, die eben nichts tun. Schon hart arbeitende Spätaufsteher würden den Mann völlig überfordern, Schwamm drüber!
Immerhin ist er sich wortwörtlich einig mit der Arbeitsministerin: Die Tatsache, daß nur noch eine Fraktion des Bundestages in der Oppossition ist, halten sie für das Zeichen einer “funktionierenden Demokratie”. Daß sich die Funktionäre darauf geeinigt haben, das Grundgesetz zu ändern, um die gruselige Chimäre “Job-Center” aufrecht zu erhalten, ist “Demokratie”. Frei nach Kauder: Was interessiert mich das Volk? Ich bin Volker.

Ursula von der Leyen, hinlänglich bekannt als Pflegerin pompöser Attitüde, war ganz in ihrem Element, als sie die Streben der Kuppel zum Ächzen brachte mit der Behauptung, der Sozialstaat werde “zusammenbrechen”, weil wir “in Schulden ersticken” – “wie Griechenland und Spanien”. Sachkenntnis ist aus, aber Lautsprecher sind noch reichlich da. Da freut sich die Propagandistin.

Wandel durch Annäherung ?

Es gab aber auch interessante Anzeichen einer Art Wandel durch Annäherung in der zweiten Reihe der Abgeordneten – was immer man davon halten möchte. In die Aussprache zu “Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen” schickte die SPD nämlich Ottmar Schreiner, der die Absicht der “Linken” durchweg unterstützte, obwohl er sich von einigen Details ihrer Forderungen distanzierte. Allerdings erwies er sich einmal mehr als jemand, der angesichts der Schere zwischen Arm und Reich noch zu formulieren imstande ist, was “soziale Gerechtigkeit” in der Realität vor allem nicht bedeutet.

Und auch von der Grünen Beate Müller-Gemmeke gab es Erstaunliches zu hören:
Sozial ist eben nicht, was Arbeit schafft, Sozial ist nur, was gute Arbeit schafft“. Diese ausdrückliche Abkehr vom Motto des Neoliberalismus könnte eine Wende andeuten, die bislang nur als Subtext kommuniziert wird. Warten wir’s ab.

Ein bißchen leergelaufen sind die Blogbatterien in den letzten Tagen. Es gibt immer wieder Tage, da fehlt einfach der Elan. Sicher könnte man zum Beispiel über journalistische Selbstkritik schreiben. Meine kurzfirstig ausgeleierte Walnuß denkt aber nur: Klar personalisiert ihr, und zwar weil ihr einfach ungebildet seid. Wer die Dinge in Zusammenhänge setzen soll, muß letztere erst einmal kennen. Wer lernt denn heute noch, sich umfassender zu informieren – und eben nicht nur mit Blick auf ein aktuelles Ereignis? Wo sind sie denn, die Generalisten?

So etwas endet aber gern in schnappatmigem Großvater-Genörgel oder melancholischem Räsonieren, wenn die Inspiration fehlt. Lassen wir das.

Kommen wir nunmehr zu etwas völlig anderem. Schon lange befasse ich mich mit dem Gedanken, einige Postings aus der großen Masse des hiesigen Auftritts hervorzuheben. Aber wo anfangen? Das sind inzwischen knapp 1500 Artikel. Die kann und will niemand alle lesen. Es wäre mir aber eine große Hilfe, wenn einige Leute ein bißchen im Archiv stöbern und einfach ihre Favoriten hier nennen würden. Nach einer Weile kann ich dann aus den Vorschlägen zunächst einmal die Kategorie “Best of” füllen, einen Fundus für Blogblues-Zeiten. Vielleicht wird ja auch ein Buch draus.

Ich sag dann schon mal “Danke”.

Deutschland-Australien 4:0
Herausragend: Eine agile deutsche Offensivabteilung, die einen planlosen, bemüht destruktiven Gegner spielerisch förmlich auseinandergenommen hat. Spielwitz und Präzision lassen den alten Rumpelfußball vergessen. Es macht tatsächlich wieder Spaß, einer deutschen Nationalmannschaft bei der Arbeit zuzuschauen.

In Kirgistan gehen Kirgisen auf Usbeken los und umgekehrt. Wenn die Lage unübersichtlich wird, spielen die Ursachen selten eine Rolle, auch wohin das führen soll, weiß so recht niemand. Hauptsache es gibt einen definierbaren Feind, der sich vereint massakrieren läßt.

Es gibt wenig auszusetzen am Spiel der Deutschen. Einzig der Spielaufbau war phasenweise Anlaß zur Sorge. Das träge Querpaßspiel lädt potente Gegner geradezu ein, durch schnelles Stören und einen tödlichen Paß hinter die Abwehr zu kommen. Dann wird es mehr als brenzlig.

Die belgischen Sub-Nationalisten legen es darauf an, mitten in Europa ein bißchen Bürgerkrieg auszuprobieren. Wenn die Lage unübersichtlich wird, spielen die Ursachen selten eine Rolle, auch wohin das führen soll, weiß so recht niemand. Hauptsache es gibt einen definierbaren Feind. Dann wird es mehr als brenzlig.

Eine Einzelkritik der Spieler ist eher müßig. Die Mannschaft harmonierte hervorragend, so daß sogar Klose tragbar war. Klose kann Kopfbälle, sonst gar nichts. Hinter der “Startelf” ist die Konkurrenz zu groß. Vor allem Marin leistete sich zu viele Fehler aus Ehrgeiz. Da zeigen sich die Grenzen der Harmonie.

Über die Demonstrationen gegen die Umverteilung wird nicht seriös berichtet, man konzentriert sich auf die Krachermeldung über einen Minisprengsatz. Dabei ist stets im Plural von “Krawallmachern” u.ä. die Rede. Wie viele Männer werden benötigt, um einen Böller zu werfen?

Katrin Müller-Hohenstein spricht in der Halbzeitpause von einem “inneren Reichsparteitag” angesichts des Tors von Klose. Gut, daß sie nicht “Oktoberparade” gesagt hat. Es gibt Grenzen, selbst inmitten schwarzrotgoldener Harmonie und Siegesfreude.

Ich hatte mich zu den Touren, die reiche Teens neuerdings zur Bestätigung ihrer Weltherrschaft unternehmen bereits geäußert. Gelingt der Schwachsinn, brüsten sie sich mit Weltrekorden, die sie – ja sicher! – ganz für sich allein beanspruchen. Die öffentlich eingetrübte Wahrnehmung lanciert das dann auch dementsprechend. So gilt bis heute den meisten Halbgebildeten “Sir” (Ja Sir!) Edmund Hillary als Erstbesteiger des Mt. Everest, während Tenzing Norgay deutlich weniger bekannt ist. Der hat ja auch nur die Klamotten geschleppt.

Zurück zu der Göre, die nicht weniger als “die Welt” umrunden will. Wenn der Sturm kommt, gibt es also eine Sicherheitskapsel, GPS und Notfallzentrale. Am Ende kommt eine Hubschrauberstaffel als Kavalerie und sorgt dafür, daß die hohe Tochter nicht in der Gefahr umkommt, in die sie sich begeben hat.
Wo sind eigentlich die Denkmäler für die tapferen unfreiwilligen Seeleute, die von irgend einem afrikanischen Strand aufgebrochen und in Richtung Lampedusa gepaddelt sind? Ach nee, die werden ja ins Meer geworfen.

Die Geschichtsschreibung sollte eine eigene Sparte einrichten für die Celebrities, deren Ruhm wie alles andere in ihrem irrelevanten Leben einzig auf ihrem Geld beruht. Die Höchstleistungen gelangweilter Vollidioten sind eine symbolträchtige Kategorie menschlicher Unzulänglichkeit. Das Interesse für solch sinnfreien Einsatz aller denkbaren Ressourcen in undenkbaren Dimensionen steht prototypisch für das tiefe menschliche Bedürfnis, sich verblöden zu lassen. Während der kleinste Respekt vor dem Nächsten argwöhnisch verweigert wird, kann der Kotau vor den Scheinriesen nicht tief genug sein. Eine tragikomische Spezies. Beam me up!

Diese Leute, die da den ganzen Tag vor gigantischen Bildschirmen rumhängen, den grauenhaften Lärm ertragen oder gar selbst dauernd in diese gräßlichen Tröten blasen, die könnte man doch hervorragend auf Kindergeburtstagen einsetzen, zum Luftballons Aufblasen. Für einen Euro die Stunde, dann tun sie das, was sie eh tun, leisten etwas und kosten wenig.

vuvaa

Quelle: Wikimedia Commons / Berndt Meyer

Gut, dann müßte man natürlich wieder andere als Sicherheitsdienst einsetzen, damit die nichts klauen. Und noch ein paar andere, um den ersten Sicherheitsdienst zu überwachen, damit der nichts klaut. Soll aber keiner sagen, es gäbe es keine Arbeit.

Nach dem überzeugenden Wahlsieg von Geert Wilders in Holland stellt sich die Frage, wer angesichts der desaströsen Politshow in Berlin dergleichen hierzulande ausnutzt. Koalieren will eigentlich keiner mehr, regieren können sie nicht. Sie erzählen uns, wir müßten uns einschränken und hätten über unsere Verhältnisse gelebt, weil Vermögenszuwächse über acht Prozenz als ‘krisenhaft gering’ gelten.

Da wartet man eigentlich nur auf den rechten Hetzer, der Kanaken und Asoziale beschuldigt, unser Unglück zu sein und dessen alleinige Ursache. Für gewöhnlich ist das in diesen Zeiten der Job ausgerechnet sogenannter “Liberaler”, die aus dem Schwung ihres zynischen Armenhasses heraus gegen die vermeintlich Schwächsten keilen. Das haben sie schon beim Mobbing auf dem Schulhof gelernt, das sitzt tief und ist antrainiert.

Bei den Westergewellten und Föngescheitelten muß man sich allerdings noch keine Sorgen machen. Sie haben sich derart auf die Vorwärtsverteidigung des anstrengungslosen Einkommens ihrer Klientel verlegt, daß ihnen das Rechtsauslegen viel zu stressig wäre. Außerdem lockt die Nazigülle Leute an, die sich noch nie eine Krawatte gebunden haben.

Nein, die rassistischen Hetzer haben derzeit in der SPD eine Heimat und die besten Chancen. Auch wenn Wolfgang Clement nicht mehr dabei ist, weil er die Genossen nicht auf den Kurs seiner Kernkraftspezis trimmen konnte, ist die Ansicht an sich noch hochwillkommen bei den neurechten Exlinken. Denn solange noch eine einzige Minderheit nicht als Geschmeiß und Abschaum gilt, so weiß der Sozi, ist das völlig in Ordnung. Wahltaktisch kann dieser tolerante Umgang mit abweichenden Meinungen der SPD möglicherweise nützen. Er paßt jedenfalls besser zu Tonfall und Inhalt der Agenda-Ideologie als weichgespültes Gutmenschentum.

Eine Art schwarzes journalistisches Loch haben die Großmeister des Vakuums Gathmann und Medick bei SpOn geschaffen. Der Aufsatz über die Bootsfahrt der Seeheimer ist so inhaltsleer, daß das trübe Licht des verregneten Tages lieber einen Bogen um den miefigen Schrieb macht.
Es steht nichts drin, außer daß sie gute Laune haben, die SPD-Rechten und ganz Rechten um den Stalker und Büchsenspanner Kahrs.

Sie träumen von 30%. Sie glauben schon wieder, dies sei ein Erfolg für die Partei und sie glauben, das wäre sogar mit dem antipolitischen Mix aus Armenhass und Beliebeigkeit zu schaffen, der sie schon einmal von 40% auf 22% gestutzt hat.
Es kann ja sogar sein, daß die Warnschildkoalition noch blöder regiert als die Schröder-Steinmüllers im schlimmsten Delirium. Soll diese Gurkentruppe aber ernsthaft wieder weiterwurschteln, bloß weil die anderen inzwischen genauso abgehalftert herumlungern? Und das macht dann “gute Laune”? Was schmeißen die da ein auf dieser Party?

Nehmen wir mal an …
also nicht daß ich das wirklich befürchte, aber es könnte sich ja ergeben, durch dramatische politische Ereignisse wie ein frühes Ausscheiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft etwa, daß der Wind sich dreht. Nicht, daß ich’s beschwören will, die Zeiten sind hart genug, aber man muß sich doch wappnen. Also nehmen wir einmal an, es wird kritisch in diesem Land. Größere Demonstrationen, Streiks womöglich, ein Eklat bei der Wahl zum Bundespräsidenten. Letzterer ist schon abzusehen, seit der Boulevard sich gegen die Kanzlerin aufstellt.

Was macht man dann? Ein Stimmengewirr, Aufruhr im Kollektiv, Studenten fordern dies, Gewerkschaften das, die Parteien zerstritten, die Regierung will nicht mehr, selbst eine große Koalition findet nicht zusammen. Nur einmal angenommen.

Die stille Einigkeit der willig sparsamen Exportweltmeister bricht. Es wird offen kritisiert, beinahe wie in den 70ern – Streit um die Außenpolitik, um die zukünftige Bewaffnung der Bundeswehr, über Notstandsgesetze, Finanz-und Wirtschaftspolitik, einfach alles. Kritik wird zur Leidenschaft der Journalisten und Kommentatoren, in deren Gefolge der brave Bundesbürger beginnt, sich zu fragen.

Er wird sich fragen: Wenn es dann also gilt kritisch zu sein, woher soll er wissen, welche Meinung richtig kritisch ist? Natürlich will er seinen Beitrag leisten, ein bißchen kritisch war er doch immer schon, aber er will schließlich nichts Falsches ktitisieren. Wie kann dem Volk, wenn es zum Ärgsten kommt, rechtzeitig die richtige Kritik vermittelt werden?

Ist es nicht klug in solch unsicheren Zeiten, sich schon ein klein wenig zu distanzieren? Na klar war Hans-Werner Sinn Deutschlands klügster Ökonom. Sicher war Hans-Olaf Henkel ein verdienter Mann, Ronald Koch, Friedrich Merz waren kompetente Persönlichkeiten. Baring, Raffelhüschen, Hüther – unzweifelhaft Experten, die uns in Talkshows und Interviews den Weg gewiesen haben.

Rürup und Hartz, Ackermann natürlich – Die Großen dieser Zeit, ohne die alles nichts war und nichts alles. Was, wenn eine neue Zeit anbricht und man sie zu den Unkritischen zählen wird? Man will ja nicht angefeindet werden, weil man zu lange aufs falsche Pferd gesetzt hat. “Du warst doch auch einer von denen” – solche Worte können niederstrecken.

Man muß die Augen und Ohren offenhalten. Nicht zu forsch sein mit seinen Äußerungen. Man weiß nicht, was kommt und wie es kommt, denn wie man es macht, macht man es verkehrt. Das eine wird einem als zu kritisch ausgelegt – daran haben wir uns gewöhnt -, das andere kann einem bald schon als zu unkritisch ausgelegt werden. Man kann nur hoffen, daß es nicht ganz so wild wird in den “zehner” Jahren. Und unseren Fußballern kräftig die Daumen drücken!

Könnte ich manchmal herzen und umarmen, daß es knistert.

Da kann man doch noch etwas rausquetschen! Und wieder sind es die ‘Vermieter’, die sich an den von Middelhoff und Esch eingefädelten Wuchermieten schon schadlos gehalten haben und jetzt so tun, als sei ein Mietnachlaß eine Gnade. Allein damit diese seriösen Geschäftsleute auf ihren Immoboliem sitzen bleiben, sollte man den Laden pleite gehen lassen. Und Hände weg von Steuergeldern! Es muß nicht auch noch der allerletzte Abschaum mit HartzIV-Senkungen “gerettet” werden.

[edit:] Ich habe ein Posting gefunden, in dem sich jemand schon frühzeitig wunderte.

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