Ein 13-Jähriger will den Mount Everest besteigen. Das Kind, vermutlich eines von Leistungsträgern, will nicht weniger als die Welt erobern. Ähnlich wie die Teenie-Göre aus dem Gutverdienerhaushalt, die zwar noch keinen Jungen geknutscht hat, aber die Welt umsegeln mußte.

Diese von stolzen Eltern unterstützten kleinen Wichtigtuer sind keine Hasardeure, schon gar nicht wäre ihnen daran gelegen, die Welt zu entdecken. Dazu ist das Brimborium schon viel zu aufwendig, und selbstverständlich bedarf allein schon die Entourage, die zur Vorbereitung dieser “Unternehmungen” nötig ist, eines Maßes an Ressourcen und einer Menge von Wasserträgern, die schon immer nur dem feudalen Stande gegeben sind.

Es ist ein Auswuchs der Aneignungsreligion, die schon Kinderpsychen völlig vereinnahmt und zerstört. Das Phänomen ist die größenwahnsinnige Vision von der Weltherrschaft. Machbar ist sowieso alles, jeder Zweifel wird beiseite geräumt, wenn es gilt, vom Dach der Welt auf die Erde zu spucken oder sie zum umrunden, um ein für allemal das Revier zu markieren: Alles meins!

Der Mensch setzt sich in Bezug zur Welt, in dem er diese zum Teil seiner selbst macht, zum vollendeten Eigentum. Die Umkehrung des natürlichen Weltverhältnisses – ein Teil derselben zu sein – gerät im furchtbarsten Sinne zum Selbstverständnis. “Ich” ist das, was alles haben kann, will und muß.

Der Bezug zur menschlichen Umwelt ist dementsprechend beschränkt. Andere sind Konkurrenten, die man hinter sich und unter sich läßt. Erster sein, Schnellster sein, Jüngster sein, der inkarnierte Superlativ, besser als alle, unschlagbar. Der Zwang, diesen Zustand erreichen zu müssen, ist das letzte Symptom totaler Entsolidarisierung. Wo Gemeinschaft, gegenseitige Fürsorge, darauf angelegt ist, ein Leben in sozialen Bindungen zu organisieren, erträgt es der manische Leistungsträger nicht mehr, sich noch in irgend ein soziales Gefüge zu integrieren. Es sind die anderen, die dem “Ich” gefügig gemacht werden, um diesem allein den totalen Erfolg zuzuschreiben. Jegliches Gefühl für menschliche Bedürfnisse geht verloren und wird dem einen unterworfen: Dem Bedürfnis nach alleiniger Führung, Allmacht.

Die Basis aller sozialen Beziehung, Rücksicht, ist da völlig fehl am Platze. Nach dem Abstieg vom Gipfel, dem Erreichen des letzten Hafens, ist schließlich der Blick zurück auf die eigene Reise nur noch schale Selbstverherrlichung. Allein der nächste Kick, vom Einzigen zum Einzigsten aufzusteigen, hält das längst ziellose Wesen in Bewegung. Nur nicht verweilen oder zweifeln, die Erkenntnis ist zu brutal, daß der ganze Sport zu sprichtwörtlich nichts geführt hat. Davongekommen wie Odysseus, bloß wesentlich besser ausgestattet, wartet daheim bestenfalls die öde Bewunderung der Claqeure. Die Leute sind noch dieselben wie vor der Abreise. Was soll man bloß mit denen, sind Sie doch nur Schwächlinge oder Konkurrenten. Mit beidem mag man sich nicht betun.

Die Kälte solcher Einsamkeit tauscht man an einem weiteren Ende der Welt gegen den Gipfel der Antarktis, wo es wenigstens sichtbare Frostbeulen gibt, totes Fleisch als Zeichen des Triumphs.
Wenn all dies nicht mehr hilft, um sich selbst zu erleben, wäre Umkehr die Lösung. Ein Blick auf die Zurückgelassenen, die Verlierer, denen es obendrein viel besser zu gehen scheint. Die Ahnung, daß es Wichtigeres im Leben gibt als die Einsamkeit des Siegers.

Doch meist kommt es anders. Man kann sie nicht zu Siegern machen und will nicht zu den Verlierern gehören. Allenfalls kann man sie spüren lassen, was eine menschenfeindliche Umgebung ist und was es bedeutet, in Einsamkeit und Furcht zu leben. Diese Erfahrung weiterzugeben, ist die letzte Solidarität der Leistungsträger.