Es ist nicht leicht, einer Parlamentsdebatte zu folgen, und ich frage mich oft, ob es immer schon so strapaziös war oder der rhetorische Notstand nur ein weiteres Symptom der Krise ist. Das Bullshit-Bingo im Deutschen Bundestag, die Wiederholung der immer gleichen austauschbaren Phrasen, wird flankiert von lustlosem Genuschel, das oft nur dem Zweck zu dienen scheint, sich erkennbar einer Geschmacksrichtung der Rechthaberei anzuschließen.

Zur arbeitspolitischen Debatte gab es da etwa eine Rede von Paul Lehrieder (CDU), der offenbar noch etwas Wichtigeres vorhatte. Seine hektische Replik auf den Antrag der Linken konnte nicht nur niemanden überzeugen, er schien sie selbst nicht hören zu wollen. Zur Kritik der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse schien er sich mit der Kollegin Connemann abgesprochen zu haben. Beide stellten fest, daß Teilzeitarbeit von Arbeitnehmern gewollt sei. Damit bescheidet sich ihre Analyse der Arbeitswirklichkeit im Jahr 2010.

Geschmacksrichtungen der Rechthaberei

Die Welt von Max Straubinger (CSU) ist ebenfalls in Ordnung. Er unterscheidet in “früh aufstehende hart arbeitende” Menschen und solche, die eben nichts tun. Schon hart arbeitende Spätaufsteher würden den Mann völlig überfordern, Schwamm drüber!
Immerhin ist er sich wortwörtlich einig mit der Arbeitsministerin: Die Tatsache, daß nur noch eine Fraktion des Bundestages in der Oppossition ist, halten sie für das Zeichen einer “funktionierenden Demokratie”. Daß sich die Funktionäre darauf geeinigt haben, das Grundgesetz zu ändern, um die gruselige Chimäre “Job-Center” aufrecht zu erhalten, ist “Demokratie”. Frei nach Kauder: Was interessiert mich das Volk? Ich bin Volker.

Ursula von der Leyen, hinlänglich bekannt als Pflegerin pompöser Attitüde, war ganz in ihrem Element, als sie die Streben der Kuppel zum Ächzen brachte mit der Behauptung, der Sozialstaat werde “zusammenbrechen”, weil wir “in Schulden ersticken” – “wie Griechenland und Spanien”. Sachkenntnis ist aus, aber Lautsprecher sind noch reichlich da. Da freut sich die Propagandistin.

Wandel durch Annäherung ?

Es gab aber auch interessante Anzeichen einer Art Wandel durch Annäherung in der zweiten Reihe der Abgeordneten – was immer man davon halten möchte. In die Aussprache zu “Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen” schickte die SPD nämlich Ottmar Schreiner, der die Absicht der “Linken” durchweg unterstützte, obwohl er sich von einigen Details ihrer Forderungen distanzierte. Allerdings erwies er sich einmal mehr als jemand, der angesichts der Schere zwischen Arm und Reich noch zu formulieren imstande ist, was “soziale Gerechtigkeit” in der Realität vor allem nicht bedeutet.

Und auch von der Grünen Beate Müller-Gemmeke gab es Erstaunliches zu hören:
Sozial ist eben nicht, was Arbeit schafft, Sozial ist nur, was gute Arbeit schafft“. Diese ausdrückliche Abkehr vom Motto des Neoliberalismus könnte eine Wende andeuten, die bislang nur als Subtext kommuniziert wird. Warten wir’s ab.