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November 2009


Vor einem knappen Jahr sprach ich von einem “Abgrund Behördlicher Korruption”, als ich erfahren hatte, wie in Hessen vier Steuerfahnder regulär fertig gemacht worden waren, weil sie zu viel Erfolg hatten. Ich hätte das gern als Wahlkampfthema gesehen, aber man war wohl nicht so sehr interessiert. Die Leistung der SPD und der Presse, Roland Koch im Sessel festzudübeln, hatte unter anderem zur Folge, daß dieser ungeheure Skandal halbwegs unter dem Deckel gehalten werden konnte.

Obwohl der willige Vollstrecker im Rang eines psychiatrischen Gutachters inzwischen wegen seiner bestellten Fehlleistungen verurteilt wurde, will er weiter als Gutachter sein Unwesen treiben. Koch selbst sitzt die stinkende Angelegenheit ebenfalls unbeeindruckt aus, während seine Neukoalitionäre an einer Aufklärung auch nicht mehr interessiert sind und sich im Zweifel an nichts mehr erinnern können. Investigativer Journalismus würde sich hier so lange ins Zeug legen, bis endlich ans Tageslicht käme, wer warum in wessen Auftrag gehandelt hat. Die FR bleibt zwar hartnäckig an der Sache dran, kann aber auch keine eindeutigen Fakten liefern.

Wer inmitten dieser ekelhaften Kloake noch immer “Lavendel!” ruft, ist nicht mehr nur verdächtig, sondern macht sich mit mafiösen Seilschaften gemein. Es gibt viele dumme Verschwörungstheorien, hier aber ist kaum etwas anderes zu vermuten als ein handfestes geplantes Verbrechen. Das Koch-Regime darf so lange nicht zur Ruhe kommen, bis der brutalst mögliche Aufklärer und Sachwalter jüdischer Vermächtnisse auf den Knien davon robbt. Was muß noch passieren, bis sich eine Instanz findet, die diesen Demokrator endlich wirksam kontrolliert?

lafontaine
Der populistische Ehebrecher und Fahnenflüchtling Lafontaine ist an Krebs erkrankt. Er ist also bald tot, und wir schauen jetzt einmal, wer nach ihm kommt.
So ungefähr las sich das in den vergangenen Tagen. Nachdem sich zunächst vor allem der “Spiegel” im Schlepptau des anderen Boulevards bis auf die Knochen blamiert hatte mit seiner “Verbotene-Liebe”-Groteske, wurde das ganz schnell übertüncht mit Spekulationen, die nicht ganz frei sind von der Vorfreude auf ein möglichst baldiges Ableben des Linke-Chefs, sei es auch nur das als Politiker.

“Nihil nisi bene” heißt es praktischerweise nur in bezug auf die wirklich Toten, deshalb ist jetz die Zeit, noch sinnlos Dreck auszukippen, ehe einem die Pflicht zur Pietät dazwischen kommt. Bis dahin bleibt Lafontaine der Punching-Ball für projektiven Gossenjournalismus, den man nicht nur nach Belieben schlagen darf, sondern dem man auch jede Grimasse aufmalen kann, die einem so in den Sinn kommt. Der wandelnde Leibhaftige hat schon immer alle betrogen: Seine SPD, indem er sie verließ. Seine Vertrauten, weil er Ämter niederlegte. Seine Wähler, weil er von den vier Aufgaben, die er zuletzt wahrgenommen hatte, nur noch drei ausfüllt. Natürlich muß so einer auch seine Frau betrügen, und das, na klar, mit der hübschen roten Hexe.

Es ist kein Unterschied mehr zwischen Lüge und Gerücht, zwischen verdrehten Tatsachen und erfundenen. Wer dem Bösen Böses nachsagt, hat immer recht. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg des Journalismus zum großen Meeting in der untersten Schublade waren heute die ausschwärmenden Geier, die unbedingt jemanden vors Mikro zerren wollten, der den roten Teufel bei lebendigem Leibe beerben will. Hauptsache, es werden keine Torwartwitze gemacht. Und wenn dann jemand wie Bodo Ramelow im Zusammenhang mit der künftigen Gestaltung der Partei den Schneid hat, sich eine Zukunft ohne den Vorsitzenden Lafontaine vorstellen zu können, wird der prompt als “pietätlos” markiert.

Junge Menschen, die sich heute für eine Karriere als Journalist interessieren, können an diesem Beispiel lernen, welcher charakterlichen Ressourcen es in diesem ehrenwerten Stande bedarf. Wer in seiner Schulklasse immer schön im Rudel mitrennt und denen am Rand des Pausenhofs mit aller Härte die Macht des Mobs demonstriert, bringt das Wichtigste schon mit. Eine Drei minus in Deutsch und etwas Raffinesse beim Abschreiben besorgen dann den Rest.
Willkommen im Club!

Hokey verweist auf eine Meldung von SpOn, wonach Polzeischüler in Zivil die Staffage für Großveranstaltungen wie die Feier zum “Mauerfall” herstellen. Die Jubelperser und geheimen Halbpolizisten werden von Staats wegen und zu dessen Lobpreisung abgestellt.

Es gibt Tage, da schreibe ich nur noch, damit die Nachwelt sieht, daß nicht alle so waren.

“Kritische Abhängigheit©”, das wird die neue Formel sein für einen Journalismus, der seine Freiheit wahrt durch Kooperation mit progressiven Werbepartnern, die im Geben und Nehmen Zukunft sichernd fördern und inhaltich fordern. Bislang scheitern wirklich moderne Verlagskonzepte an der mangelnden Flexibilität der Mitarbeiter und ihrer Vertretungen. Wenn Sparmaßnahmen ergriffen werden, ist die Empörung groß, dann will jeder Schreiber wichtig sein, alle kleben an ihren Sesseln und Verträgen und fabulieren von “Qualität”.

Wie gut, daß es noch vernünftige Chefredakteure gibt, die sich ihren zukünftig ehemaligen Mitarbeitern in den Weg stellen und für eine funktionierende Befehlskette Kommunikation von Anzeigenkunden über Verleger und Redakteuren bis hin zu den Autoren sorgen.

Solch moderner Redakteure bedarf es, um die Zukunft endlich einzuleiten, anstatt sie weiter zu blockieren. Es gibt durchaus noch zu erschließende Geschäftsfelder, die bislang brach liegen und deren Bestellung der siechen Verlagslandschaft neues Leben einhauchen könnte.
Prototypisch dafür steht das Engagement der INSM, das von der linken Vormacht der Gewerkschaften und anderer Bedenkenträger natürlich abgelehnt wird. Diese sind gegen Sparmaßnahmen gleichermaßen wie gegen neue Einnahmequellen und sehen “Meinungsfreiheit”, “Vielfalt” und “Kritik” in Gefahr.

Nun hat sich schon in den vergangenen Jahren gezeigt, daß diese romantischen Vorstellungen wenig mit der veröffentlichten Wirklichkeit zu tun haben. Was hätten sie also zu verlieren, wenn sie sich ganz transparent in den Dienst eines potenten Finanziers stellten, der ihnen die ökonomische Unabhängigkeit sicherte? Man kann dann immer noch darüber verhandeln, in welcher Form und welchem Umfang Kritik weiterhin erwünscht bliebe. Es hätten schließlich alle etwas davon, denn eine Kritik, die nicht finanzierbar ist, nützt ohenhin niemandem.

Als ich Gabriel als “Optimum für die SPD” bezeichnet habe, tat ich dies aus guten und bereits geäußerten Gründen. Der Parteitag lief allerdings noch besser, als ich mir das in den kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Um es klarzustellen: Eine Partei, die gestern noch als neoliberaler Kampfsportverein aufgetreten ist, kann nicht heute schon wieder als Willys rechtmäßige Erben auftreten. Wer aber hätte gedacht, daß so schnell Köpfe rollen und offen diskutiert wird?

Am erfreulichsten für mich, und das hat eine Bedeutung weit über die SPD hinaus, ist die Offensive gegen das, was Gabriel zurecht die “Deutungshoheit” der Neoliberalen nennt. Sein Kniff, die Mitte einfach wieder nach links zu rücken, ist äußerst clever und findet meinen vollen Respekt.
Auch Erhard Eppler hat es deutlich ausgesprochen: Es ist nicht alles falsch, was die Medien als “Linksrutsch” bezeichnen. Und “links” ist es damit noch lange nicht.

Wer erwartet hat, daß die SPD sich in eine linke Partei wandelt, dem war von Anfang an nicht zu helfen. Wer die Dinge realistisch sieht, findet aber eine gute Aussicht auf eine erfolgreiche Opposition gegen die neoliberale Propaganda, die bis vor Kurzem noch aus der SPD selbst kam. Wenn dieser Hebel wirksam angesetzt wird, ist ein politischer Diskurs endlich wieder möglich.

Was es alles zu berichten gibt! Die Frau, der eine Trainer, der andere Trainer, der Onkel, die Tante, der Hund. Alles als Klickstrecke, Satz für Satz.
Ein tolles Titelthema für den Print. Toter Held geht immer. Ein bißchen was über Depression, ein Portiönchen zum Leistungsdruck, bunte Bilder vom Sarg und den Fans und der Familie, Tränen über Tränen, Entsetzen, Gefühlskino. Leicht und fix getippt, findet rasenden Absatz. Money for Nothing.
Wenn der Trauerhype dann vorbei ist, geht’s in der nächsten Woche weiter mit traumatisierten Lokführern, schockierten Zeugen und den armen Schweinen, die solchen Gulasch von den Gleisen kratzen müssen.
Am Montag am Kiosk.

Die TAZ stellt dem “Grünen” Winkelpolitiker und schwarzgelben Steigbügelhalter Hubert Ulrich die richtigen Fragen. Was nützt das freilich, wenn man sich dann mit wirren Ausflüchten abspeisen läßt, ohne auch nur im Ansatz nachzuhaken? Das Resultat ist ein weiteres Zeugnis journalistischen Versagens.

Während Ulrich seinen ehemaligen Parteikonkurrenten Pollak einen “dubiosen Arzt” nennt, findet er sein eigenes Gemauschel und Geschäfte mit Franktionsrabatten stillschweigend völlig in Ordnung.
Mitglieder der Linkspartei, die aus den “Grünen” ausgetreten sind, nennt er “Schachfiguren” Pollaks, die von ihm selbst gezimmerte undurchsichtige Grünen-Mannschaft aus Saarlouis hingegen sind für ihnselbst denkendende, unabhängige Menschen“.
Daß er selbst bis kurz vor Abschluß des Koalitionsvertrages noch auf der Gehaltsliste des FDP-Chefs stand, erklärt er ernsthaft so:

Ich habe auf Teilzeitbasis in einem Unternehmen gearbeitet, an dem ein FDP-Politiker beteiligt ist. Das war immer bekannt, es ist völlig legal. [...] Indem ich mir einen Zugang zum Beruf erhalten habe, konnte ich mir eine gewisse Unabhängigkeit von der Politik bewahren.”

Unabhängigheit von der Politik durch Abhängigkeit von der politischen “Konkurrenz” – George Orwell wäre stolz auf diesen Doppelsalto der rhetorischen Baseballkeule. “Völlig legal” ist das, sicher. Womit man auch weiß, was man von dem Mann erwarten darf, den Cohn-Bendit einen “Mafioso” nennt: Völlig unabhängig von Realitätssinn, Anstand und einem auch nur rudimentären Gefühl für politische Legitimität wird er tun, was immer ihm oder seinen Geldgebern als “legal” erscheint. Das schließlich kann eine ganze Menge sein, denn für Gesetze sind er und seine Kumpane jetzt persönlich zuständig.

Daß die FAZ! dem Spiegel! “Hofberichterstattung” nicht nur vorwirft, sondern nachweist, muß man auch erst mal erlebt haben. Edo Reents erinnert mit berechtigtem Hohn an das Wort vom “Sturmgeschütz” und gießt die Blumen von Augsteins Grab, auf dem dessen Nachfolger bestenfalls ihre Notdurft verrichten.

Ich hätte da einige Vorschläge für ein aktuelles Parteiprogramm, bunt zusammengestellt:

Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein.

Im demokratischen Staat muß sich jede Macht öffentlicher Kontrolle fügen. Das Interesse der Gesamtheit muß über dem Einzelinteresse stehen. In der vom Gewinn- und Machtstreben bestimmten Wirtschaft und Gesellschaft sind Demokratie, soziale Sicherheit und freie Persönlichkeit gefährdet.
Freiheit und Demokratie in der industriellen Gesellschaft sind nur denkbar, wenn eine ständig wachsende Zahl von Menschen ein gesellschaftliches Bewußtsein entwickelt und zur Mitverantwortung bereit ist. Ein entscheidendes Mittel dazu ist politische Bildung im weitesten Sinne. Sie ist ein wesentliches Ziel aller Erziehung in unserer Zeit.

Ein wesentliches Kennzeichen der modernen Wirtschaft ist der ständig sich verstärkende Konzentrationsprozeß. Die Großunternehmen bestimmen nicht nur entscheidend die Entwicklung der Wirtschaft und des Lebensstandards, sie verändern auch die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft:
Wer in den Großorganisationen der Wirtschaft die Verfügung über Millionenwerte und über Zehntausende von Arbeitnehmern hat, der wirtschaftet nicht nur, er übt Herrschaftsmacht über Menschen aus; die Abhängigkeit der Arbeiter und Angestellten geht weit über das Ökonomisch-Materielle hinaus.

Die Marktwirtschaft gewährleistet von sich aus keine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung. Dazu bedarf es einer zielbewußten Einkommens- und Vermögenspolitik. Einkommen und Vermögen sind ungerecht verteilt.

Geeignete Maßnahmen sollen dafür sorgen, daß ein angemessener Anteil des ständigen Zuwachses am Betriebsvermögen der Großwirtschaft als Eigentum breit gestreut oder gemeinschaftlichen Zwecken dienstbar gemacht wird. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß sich das private Wohlleben privilegierter Schichten schrankenlos entfaltet, während wichtige Gemeinschaftsaufgaben, vor allem Wissenschaft, Forschung und Erziehung, in einer Weise vernachlässigt werden, die einer Kulturnation unwürdig ist.

Es kann nicht richtig sein, ausgerechnet in die Biographien von Versagern Steuergelder zu investieren. Wer etwas leisten kann, dem muß man dies auch abverlangen. Jeder muß seinen Beitrag leisten. Man darf nicht die Faulen belohnen und die Fleißigen bestrafen, indem man den Leistungsträgern den Lohn ihrer Arbeit nimmt und ihn den Nichtstuern schenkt. Gerechtichkeit ist daher gleichbedeutend mit dem Lohn für Leistung. Steuern zu erheben, Sozialabgaben zu erheben, das ist pure Ungerechtigkeit, weil dies Leistung bestraft und Parasitentum belohnt.

Diese schlüssige Argumentation wurde in dieser Deutlichkeit noch nicht erhoben. Viele Begriffe wurden schon erfolgreich im Sinne einer leistungsfähigen Gesellschaft definiert. Der Begriff der Gerechtigkeit muß folgerichtig der nächste sein, der dem gescheiterten sozialistischen Experiment entrissen und reformiert wird. Die Menschen verbinden damit immer noch das Gift der Gleichheit. Auch über eine Änderung des Grundgesetzes muß in diesem Zusammenhang gesprochen werden. Der Gleichheitsgrundsatz meint nämlich mitnichten eine Ergebnisgleichheit. Vielmehr ist Gleichheit ein Gut, daß man sich erst erwerben muß. So wie Freiheit zu verstehen ist als Recht auf Eigentum, muß Gleichheit zu verstehen sein als gleiches Recht auf freien Handel. Jeder kann für Geld kaufen und gegen Geld verkaufen. Niemand wird bestohlen, keiner bekommt etwas geschenkt.

Diese aufgrund erfolgreicher Propaganda nicht als Ironie erkennbare Argumentation werden wir so oder ähnlich bald hören und lesen können – dann allerdings wörtlich gemeint. So wie gestern bereits die Kanzleuse sich das Credo des Guy d’Eau zu eigen machte, trägt heute der sogenannte “Arbeitsminister” das INSM-Motto “sozial ist, was Arbeit schafft” vor. Der primitive Zwiesprech des Neoliberalismus wird von der Sprechpuppenregierung ungefiltert in die Mikrophone gelogen. Sie nennen die Entwertung aller Werte und die Beschlagnahme aller Begriffe mangels Offenheit einfach “Politik”.

Klaus Ernst hat ja völlig recht, wenn er den dumpfen Slogan der Lobbyisten mit dem Hinweis auf Sklavenarbeit als Schwachsinn entlarvt. Aber Herr Ernst gehört zu den bösen Linken, deren Rolle in der Republik der großen Mutti die der finsteren Macht ist. Daß sogar das Oppositionsopfer Steinmeier neuerdings ein Lämpchen im Kronleuchter brennen hat und mehr Jobs für Niedriglöhner ein bißchen ungut findet, rundet das Bild ab. Et is wie et is, wirksame Opposition findet nicht statt, geschweige denn fände sich ein Diskurs ein, der die Gemütlichkeit des organisiserten Irrsinns nachhaltig stören würde.

Wir glauben also an mehr Eigenverantwortung, weniger Staat, das Wachstum durch Steuersenkung, die Freiheit des Eigentums, die Gleichheit der Gleicheren, die Gerechtigkeit des Marktes, die soziale Gesellschaft durch Minijobs ohne Mindestlohn, die Wahrheit der Medien, die Schönheit der Mode, das Gute durch Innere Sicherheit, den Frieden durch Verteidigung am Hindukusch, die Liebe des christlichen Geistes und die Hoffnung, daß alles so bleiben möge wie es ist. Demokratie ist angewandte Schwarmintelligenz. Wer gewählt ist, hat eben recht.

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