Niedriger, einfacher, gerechter: Regieren als Glaubenssache
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
11. Nov 2009 1:14
Das war sie jetzt also, die große Regierungserklärung, auf die wir Wochen warten mußten. Sabine Henkel stellte heute im WDR lapidar fest, die Kanzlerin sei halt “keine große Rednerin”. Wie charmant gesagt. Das kann sie also auch nicht.
Die öde Ansprache wurde dem entsprechend auch über weite Strecken von Schnarchgeräuschen begleitet. Nur an einer Stelle brach Jubel bei den Lobbyralen aus: Als sie sich dazu verstieg, den peinlichen Slogan “niedriger, einfacher und gerechter” herunter zu beten. Ja genau, die Phrase, mit der Guy d’Eau die Leute seit Jahren nervt, das verlogene Credo der besteuerten Besserverdiener.
Wie es schon allein “einfacher und gerechter” gehen soll, ist nur demjenigen zu vermitteln, der “Gerechtigkeit” als Begünstigung der Richtigen versteht. Der eine oder andere findet das überhaupt nicht witzig, “höher” statt “niedriger” zu erwischen und es ist ihm dann völlig wurscht, wie “einfach” das sein soll, er findet er es vermutlich nicht so “gerecht”. Damit das wiederum nicht in falschem Wahlverhalten endet, werden dann doch wieder hier Ausnahmen und da Subventionen verabreicht, womit wir dort sind, wo es von vornherein langhoppelt: Es ist einfach ungerecht.
“Niedriger”, dafür steht schon das Niveau der Argumente, wird natürlich die “Belastung” der Eigentümer und Vermögensbildner. Die Blaupause für diese neue soziale Gerechtigkeit bildet die hirnlose Kopfpauschale, die der Impfpimpf und Lobbysoldat Rösler in Stellung bringt. Er habe “nichts zu sagen”, erklärt die FTD, aber das war für die Ahnungslosen noch nie ein Grund zu schweigen. Beten dürfen sie eifrig, und so murmelt auch der supertalentierte Jungstar das Mantra derer, die ihn ausgewählt haben. Ganz “einfach” dürfen nach den Plänen seiner Befehlshaber die Bürger einkommensunabhängig zahlen, was sie nicht wollen oder können. Damit dann doch nicht die Kranken ihr unappetitliches Leben in den Straßen aushauchen, muß irgendwie gegenversteuert werden. Das ist schon dann mehr als kompliziert, wenn man nicht gleichzeitig Steuern senken und mehr davon ausgeben will.
Den Kitt für diesen volkswirtschaftlichen Alchimismus der Neoliberalen liefert die christliche Heilslehre der Tiefgläubigen aus der Union. Das Problem der Theodizee haben solche schon immer souverän kniefällig gelöst. Gott ist groß und gerecht. Sollte das einmal so gar nicht mit der Lebenswirklichkeit in Einklang zu bringen sein, haben wir es einfach nicht besser verdient. Weiterbeten, mehr vom Selben, dann wird alles gut. Wenn wir nur fest stehen im Glauben, gehören wir am jüngsten Tag alle zu den Besserverdienenden.
November 11th, 2009 at 03:02
Die Neolibs und die Unionisten mögen wohl gemeinsam dumme Entscheidungen treffen. Dass sie sich aber in religiöser Hinsicht einig werden, befürchte ich nicht. Die einen sind verbrecherisch, weil sie es sein wollen, und die anderen, weil sie es nicht sein wollen – grob gesagt. Wirklich kompatibel ist das nicht, zum Glück.
November 11th, 2009 at 09:26
Das ist wieder mal so ein kleines Meisterstück von Ihnen, flatter. Begnadete Schreibe, messerscharfer Verstand. Tag gerettet. Danke.
November 11th, 2009 at 15:38
Ja, wobei ich Formulierungen wie Impfpimpf nicht gut finde…das Verhältnis von beleidigender Polemik und Argumenten ist m.E. in letzter Zeit in einem eher ungünstigen Verhältnis.
Aber wo wir gerade bei Rösler sind; folgende Rede von ihm kann man gar nicht oft genug verlinken:
https://docs.google.com/gview?a=v&q=cache:9_S9DNUbpy8J:www.fvdz-nds.de/files/roesler_lv__2009.pdf+Landesversammlung+des+FVDZ+am+13.6.2009+in+Bomlitz+r%C3%B6sler&hl=de&gl=de&sig=AFQjCNHKsFsaefH7C0nLGk0VVUdvhXwVTg
Hätten das die ganzen möchtergern-bürgerlichen Leistungsträger, also die von ihrer Existenzangst getriebenen Mittelschichtler mit 1500-4000 €/Monat, gelesen und verstanden, wäre die FDP auch nie über die 10% gekommen.
Wen ich ehrlich gesagt aber noch schlimmer als Merkel fand, war Steinmeier.
Es ist so unendlich langweilig und so grauenhaft klischeehaft.
Jetzt müssen wir 4 lange Jahre dem Oppositionsuhu dabei zugucken wir er Kralle in Kralle mit den Gewerksschaftsfuzzies unablässig von sozialer Ungerechtigkeit schwadroniert.
Wenn da die Sache mit dem Bundesrat nicht wäre, würde ich der SPD ja den brutalstmöglichen Untergang wünschen.
Es ist keinerlei Hoffnung in Sicht, nichts was die kommenden ordungspolitischen Katastrophen abwenden könnte.
Wir können nur zusehen und staunen.
Ähnlich müssen sich die 18-jährigen deutschen Jagdfliegerazubis gefühlt haben, als sie 1945 in einstelligen Formationen gegen hunderte amerikanische B-17 und P-51 antreten mussten…
November 11th, 2009 at 15:49
@Alvar Hanso
Na, da ist aber der Impfpimpf deutlich origineller als Oppositionsuhu und Gewerkschaftsfuzzi.
November 11th, 2009 at 17:36
Hey, ich bin hier auch nur ein Kommentator.
November 11th, 2009 at 18:28
liebe SPD-opposition: so sieht und hört sich authentische Opposition an
https://www.youtube.com/watch?v=7JyFduTX2VU
leider kommen die erst an die Macht wenn alle Fernseher vernichtet und die lieben Rentner abgedankt haben.
November 11th, 2009 at 19:02
@Alvar Hanso: Und ich bin hier nur ein Blogger, kein Säuseljournalist. Ich kann dir auch nicht zustimmen. Ja, da gibt es diesen einen Artikel, über den ich mich auch ein wenig ärgere, aber es ist auch nicht ganz falsch, den tumben Frust ab und an rauszulasse. Selbst in jenem habe ich aber niemanden persönlich beleidigt und nannte meinen eigenen Stil an dieser Stelle indirekt “nicht passabel”.
Was nun den “Impfpimpf” anbetrifft, so kann ich nichts Beleidigendes daran entdecken. Ich finde das Bild vielmehr äußerst gelungen, das hinter diesem phonetischen Spielchen steckt.
Was häufig übersehen wird, ist tatsächlich, daß ich das hier privat und nach Gusto betreibe. Es ist ein Web-Log wie es ursprünglich gemeint war. Eventuelle qualitative Unterschiede zu journalistischen Erzeugnissen sind nicht beabsichtigt, sondern unvermeidlich.
November 11th, 2009 at 20:26
„Rabbi Janai sagt: Es ist uns nicht gegeben zu wissen, warum Frevler in Wohlergehen und Gerechte in Leiden leben.“
Und immerhin ist dieser ‘Spruch der Väter’ aus der Mischna schon 2000 Jahre alt!
Also ma nix überstürzen, bitte!
November 11th, 2009 at 21:01
Es ist doch klar, was die Neoliberalen immer mit diesem “einfacher” beabsichtigen: der Stammtisch soll überzeugt werden, die zu wählen, die sie auch verstehen können. Eine Flattax ist ja auch viel einfacher zu verstehen als so eine blöde progressive Steuer, ein einheitlicher Betrag zur Gesundheitsversicherung einfacher als ein einkommensabhängiger. He, und wo wir schon bei der Kopfpauschale sind: wie wäre es mit einer Pauschalsteuer, einer Einheitssteuer nicht in der Form eines einheitlichen Prozentsatzes, sondern eines einheitliches Betrags? 1.000 Euro Steuer für jeden, das wäre doch eben ganz einfach. Und für die “Leistungsträger” ist es auch niedrig. Und darum gerecht.
November 11th, 2009 at 21:20
@Markus:
Wenn’s doch nur der Stammtisch nicht verstünde. Auch einigermaßen intelligente Leute entblödeten sich mir gegenüber nicht, zu behaupten, sie müßten ach so viel Steuern zahlen und das wäre “ungerecht”. Daß sie wegen der Progression auf den ersten Tausender genauso viel oder wenig Steuern zahlen, wie ihre Putzfrau, das kriegt man in die Birnen einfach nicht rein.
November 11th, 2009 at 22:43
@ Alvar Hanso:
Die waren aber auch schlimm, die P51s und B17s. An die musste ich auch sofort denken. Die armen Jagdflieger.
@ Flying Circus:
Ich befürchte, bei der FDP spielt es keine Rolle, wie sehr deren Psychopathen entlastet werden.
Diese ganzen Mehrleister:
a. Zahlen Steuern gar nicht. Egal wie wenig.
b. Werden nicht eher aufhören, den Rest der Republik in die Verschuldung zu zwingen, bevor nicht alle Schuldner gebückt an ihnen vorbei gehen müssen.
@ flatter:
Impfpimpf ist schön.
BtW: Hat schon jemand Impfpimpfs Ähnlichkeit mit Schlaubi-Schlumpf bemerkt? Oder bilde ich mir die nur ein?
November 11th, 2009 at 23:35
Off Topic:
Michael Moore waescht den Gimpeln von ‘Bild am Montag’ den Kopf! ^^
SPIEGEL: In Deutschland haben sich gerade staatliche Banken schlimm verspekuliert.
Moore: Ja, weil ihre Chefs glaubten, es sei eine tolle Idee, den amerikanischen Bankern nachzueifern und jenseits aller moralischen Regularien zu arbeiten. Ich finde überhaupt: Je mehr Deutschland glaubt, es den USA gleichtun zu müssen, desto mehr Probleme handelt es sich ein. Sie werfen Ihr soziales Sicherheitsnetz über Bord – und schon vertieft sich die Kluft zwischen Arm und Reich.
Gugst du!
*lol*
das bringen hier in de nicht mal die talkshowpromis der linken so schon auf den punkt!
November 12th, 2009 at 00:34
[...] bald hören und lesen können – dann allerdings wörtlich gemeint. So wie gestern bereits die Kanzleuse sich das Credo des Guy d’Eau zu eigen machte, trägt heute der sogenannte [...]
November 13th, 2009 at 07:12
Zu dieser “Regierungserklärung” fällt mir eigentlich nicht mehr viel ein. Es war vorhersehbar, was schwarz-gelb veranstalten wird, und wir können sicher sein, dass dies nur der Auftakt zu einem großen Reigen ist, der uns allen das Heulen und Zähneklappern lehren wird.
Was ich in Lafontaines Replik vermisst habe, war der Hinweis auf die Verquickung der agierenden Politiker mit der Finanz- und Versicherungswirtschaft. Er hat wieder so getan, als seien diese Leute einfach dumm oder unfähig – das sind sie aber nicht, denn sie wissen genau, was sie tun – und sie profitieren davon.
Es ist ja nun jedem Milchmädchen klar, dass eine “Kopfpauschale” ungerecht und zutiefst asozial ist. Auch den Damen und Herren der Union und FDP ist das klar. Dass sie es dennoch beschließen, ist also kein Beweis für ihre Dummheit oder Abgehobenheit in sozialen Belangen, sondern es zeigt, dass sie – man verzeihe die Wortwahl – schlichtweg darauf scheißen. Sie WOLLEN dieses Asoziale, Ungerechte.
Und sie spekulieren darauf, dass die sich langsam auflösende bzw. abrutschende Mittelschicht das nicht bemerkt. Daher verstehe ich nicht, wieso die Linke nicht viel schärfer mit diesem korrupten Pack ins Gericht geht.
November 13th, 2009 at 21:17
@ Charlie:
Lanzebrechend: Dann bist Du, bestimmt nicht nur, was Oskar angeht, naiv!
Er muss (ob der schieren Masse der Lobbyisten) so fahren.
Wozu erwähnen, was selbstverständlich ist?
Glaubst Du, er wüsste keine Geschichten zu erzählen?
Wieviele Arbeiter sitzen noch im Bundestag? Drei? Ist Lafontaine ein Arbeiter? Sollte ich, als Arbeiter, ihm trauen?
Ich weiss nur eines: an meiner Kaste wird seit altersher von unten wie von oben parasitiert. Es ist nicht die Frage, welchen Parasiten ich länger aushalte, es ist die Frage, warum meine Kaste keine Antwort darauf findet, die auf Gruppenintelligenz schliessen lässt.
Ich will hier mal das Wort “Beruf” bemühen.
Benutze ich das Wort “Beruf”, fallen Deine Politiker und Finanz-und Versicherungswirtschaftler in den gleichen selbigen Begriff.
Hier geschieht nichts geplantes und erst recht nichts verschworenes, hier geschehen Menschen.
Alle wissen Leistung zu bemessen, und wenn es an Wachstum mangelt, muss ja wohl die Leistung mangeln.
Ich habe den ganzen Tag mit diplomierten Nichtsnutzen zu tun, die mit “nutzlos und eher kontraproduktiv” noch sehr wohlwollend umschrieben sind.
Schönes Beispiel: Vor kurzem arbeiteten ich und drei Kollegen an wasauchimmer. Lohnkosten X.
Oft genug anwesend, auf Zigarettenkonsum hinweisend, nichtsnutzig und aufgeblasen: Sieben. (Stadt, Bauträger, Ingenieure, Architekten, You name it!)
Lohnkosten: X mal etwa 5-6.
Strukturproblem? Systemfrage? Rechtsunsicherheit?
Ernsthaft?