Journalismus


pinocWer sich Gabor Steingart in Haus holt, darf sich nicht wundern, wenn nur noch Propaganda über den Sender läuft. Der geniale US-Korrespondent des “Spiegel” aus der Ära des großen Stefan Aust, der bis zuletzt seinen Opfern Lesern erklärt hatte, warum Obama niemals Präsident werden könne, ist seit gut einem Jahr Chefredakteur des “Handelsblatt”.

Persönlich fällt er derzeit auf durch ein Büchlein, in dem er die dumpfbackige neoliberale Leier wiederkäut, der Sozialstaat sei eine ruinöse Einrichtung. Hatten wir ja noch gar nicht, das Argument. Dass das nicht klüger wird, wenn man auch dreißig Jahre nach Lambsdorff/Tiedmeyer noch die schlichten Fakten ignoriert, ficht einen Steingart nicht an. Da kann der “Herdentrieb” oder sonst wer das noch so oft auseinandernehmen. Was nicht sein darf, das nicht sein kann.

Sein Blatt bringt derweil die Heldentat fertig, Westerwelle zum Atomkraftgegner zu verklären und fantasiert von einer “Kampfansage an die Atomlobby“. Dies, weil Schwarzgelb angesichts der denkbar ungünstigen Lage im Wahlkampf eine windelweiche “Prüfung” der Laufzeitverlängerungen erwägt!

Das ist in der Tat die Fortsetzung des “Spiegel” an anderem Ort. Das Handelsblatt hält seine Leser inzwischen offenbar auch für Idioten. Merkel und Westerwelle als standhafte Kämpfer gegen die Atomlobby! Was muss man nehmen, um derart dreiste Lügen selbst zu ertragen?

tietmeyerWenn ein kleiner Teil der Öffentlichkeit – Publizisten, Politiker, Wissenschaftler – fordert, es müsse das Primat der Politik hergestellt werden, dann bezieht sich das zumeist auf die Entscheidungen, die im politischen Kontext getroffen werden. Parlamente, Regierungen, Ausschüsse, die unter Einflussnahme von Lobbyisten und im Sinne einer herrschenden ökonomischen Lehre handeln, anstatt sich zu fragen, wer sie gewählt hat und wie sie diesen Menschen gerecht werden können.

Bildquelle: Wikimedia Commons/Bundesarchiv

Es kommt schon kaum mehr jemand auf die Idee zu fragen, inwiefern politisches Handeln auch in der “Wirtschaft” selbst stattfindet und inwieweit eigentlich die Handelnden dafür qualifiziert oder legitimiert sind. Nicht nur, dass Wirtschaftsführer, die Politik beeinflussen auch in dieser Hinsicht ihr Tun überschauen sollten. Spätestens, wenn sie politisch relevant handeln, muss die kritische Öffentlichkeit danach fragen, ob dies auch legitim ist. Das hört auf, wo Joe Ackermann im Kanzleramt ein- und ausgeht und beginnt beim privaten Gespräch potentieller “Investoren” mit dem Gemeinderat.

Nun wird aber gerade von Ökonomen gern stur geleugnet, wirtschaftliches Handeln habe eine politische Dimension, die zu berücksichtigen wäre. Der Grundtenor ist der, es gebe objektiv günstige und weniger günstige ‘Standortfaktoren’, die von der Politik zu schaffen seien. Dabei wird verschwiegen, dass es sich dabei immer um Interessenskonflikte handelt, bei denen der eine den Vorteil und der andere das Nachsehen hat. Da ist nicht allzuviel “objektiv”, und “wissenschaftlich” ist das schon gar nicht. Eine Ökonomie, die sich zur Verfügung stellt, um strategische Interessen sog. “Marktteilnehmer” zum objektiven Sachzwang zu verklären, hat jede Reputation verspielt und ist nicht zu legitimieren.

Instrument von Interessenten

Wenn also der begründete Verdacht besteht, dass eine wissenschaftliche Kaste (von Ökonomen) sich zum Instrument von Interessenten (der Finanzwirtschaft) gemacht hat, ist spätestens der Zeitpunkt gekommen, an dem jede relevante Personalie in der “wissenschaftlichen” Ökonomie zu hinterfragen ist. Umso mehr, wenn es sich um ein hochrangiges öffentliches Amt handelt. Der Fall des Wechsels von Weber zu Weidmann an der Spitze der Bundesbank ist also ein Politikum ersten Ranges, ein Aufruf zu strenger kritischer Prüfung.

Äußerst enttäuschend fällt in dieser Hinsicht aktuell der Artikel von Robert von Heusinger und Markus Sievers dazu aus. Da werden zur Eloge die Meinungen von Ökonomen zum Ökonomen eingeholt, da wird die Bankenrettung ernsthaft zur Zauberei verklärt: Ein “fast magisches Trio” seien Weidmann, Asmussen und Weber bei der ‘Bankenrettung’ gewesen. Kein Wort von Interessen, vom Einfluss Ackermanns, von der Verteilung von Gewinnen und Risiko auf Banken und Steuerzahler.

merkel2Magie? Ja sicher: Billigstes Varieté, an dem sich posthum jetzt auch Heusinger beteiligt. Dabei wird wiederholt die Frage nach “Unabhängigkeit” genannt, ohne je gestellt zu werden. Wer hat wen beeinflusst, wer mit wem gesprochen, wer warum was entschieden? Darüber liegt der Schleier der “Magie”. Erbärmlich. Erwartet hätte ich die Frage nach Alternativen. Wenn ein Grünflächenamt Rasenmäher kauft, wird das europaweit ausgeschrieben. Der Chef der Bundesbank aber wird mal eben benannt. Wo keine Alternativen sind, da ist Zwang. Wo dieser innerhalb undurchschaubarer Zirkel ausgeübt wird, herrscht Korruption. Politisch ist das nicht, Politik erfordert Transparenz und eine überzeugende Wahl bei der Besetzung öffentlicher Spitzenämter.

Bildquelle: א(Aleph)/Wikimedia Commons

Journalistische Blaskapellen

Wenn aber die Öffentlichkeit schläft und in Form journalistischer Blaskapellen zur Freude und Feier der Herrschaft aufspielt, kann man nicht erwarten, dass sich im inneren Zirkel jemand Gedanken darüber macht, ob die Entscheidungskriterien den Ansprüchen demokratischer Politik entsprechen. Wo einst die Macht einer kontrollierenden Öffentlichkeit drohte, waltet meist nur mehr kritiklose Kumpanei.

Dabei geht es auch anders. Lucas Zeise etwa nimmt die politisch motivierte Ökonomie der Bundesregierung auseinander, zeichnet den Weg von Tietmeyer bis Merkel und nennt Ross und Reiter. In der gebotenen Kürze zwar, gelingt es ihm aber, sowohl einen Einblick in ökonomische Zusammenhänge zu vermitteln als auch in die Verflechtung eines Politikansatzes mit einer bestimmten Sichtweise von Wirtschaft. Er kommt dabei nicht zufällig zu interessanten Schlüssen, zu denen die meisten seiner Kollegen nicht mehr fähig sind. Die riskieren halt auch ungern die doppelte Majestätsbeleidigung gegen die Mächtigen in Politik und Wirtschaft.

Werter Kollege Frank Lübberding, ich bin an zwei Stellen nicht wirklich einverstanden mit deinem Statement zur “Öffentlichkeit” der Blogs.

scherekopfNur muss niemand die Demokratie retten, solange morgens nicht die Geheimpolizei klingelt“, ist ein schwacher Anspruch an Demokratie. Ist es nicht vielmehr so, dass die Geheimpolizei irgendwann ziemlich sicher dort Türen eintritt, wo zuvor demokratische Institutionen und nicht zuletzt der Geist der Demokratie vernachlässigt wurden? Ist alles eine Demokratie, wo nicht die Gestapo wütet? Und schließlich: Reicht es schon, etwas irgendwie noch als “Demokratie” bezeichen zu können oder darf man auch nach Gerechtigkeit und Legitimität fragen?

Bildquelle: Wikimedia Commons / TheBrain

Der Begriff “Öffentlichkeit”, zu der du auch Blogs (ausdrücklich die Nachdenkseiten) zählst, beschreibt ein weites Feld. Natürlich sind Blogs ein Teil der Öffentlichkeit. Das Beharren auf ein “Gegen” kommt aber nicht von ungefähr. Es ist eine Anleihe von Macht und Gegenmacht und verweist daher auf eine oppositionelle Stellung zur organisierten Öffentlichkeit der klassischen Medien. Der Begriff “Gegenöffentlichkeit” konnte sich allein deshalb etablieren, weil es nachweislich Auslassungen und merkwürdige Übereinkünfte in den Massenmedien gibt, die ein einseitiges Bild von Wirtschaft und Gesellschaft erzeugen. Die Studie von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz (pdf, knapp 300 Seiten) etwa ist ein deutliches Dokument dieses Umstands.

Allerdings ist der Begriff nicht glücklich gewählt, denn eigentlich ist es die ‘Gegenöffentlichkeit’, die wirklich öffentlich, weil offen ist. Im Gegensatz zu den medialen Wirtschaftsbetrieben sind Blogger unabhängig. Sie vertreten ihre Meinung und kaschieren nicht unter dem Deckmantel der Neutralität Interessen Dritter, von denen sie geleitet werden. Sie stehen als Autoren für ihre Inhalte. Öffentlicher geht es nicht. Dem gegenüber stehen Medien, die entscheiden, was der Leser wissen muss und was er nicht wissen muss (siehe Video). Solche Medien sind offenbar allzuoft gegen Öffentlichkeit.

Soll es also wirklich Öffentlichkeit sein, und zwar eine, die nicht autokratisch reguliert ist, müssen Medien und Autoren weitest möglich unabhängig sein. Vielleicht ist es besser, darüber zu debattieren, wie solche Unabhängigkeit wieder hergestellt werden kann. Denn ohne unabhängige Medien wird es im Fall des Falles gar nicht mehr möglich sein, die Demokratie zu retten.

Eine Eloge auf Schalkes Innenverteidiger Metzelder findet sich heute im Sportteil der “FAZ” (die ich bis auf weiteres nicht mehr verlinke). Unter der Überschrift “Der Gentleman-Verteidiger” erfahren wir, wie “reflektiert” der “Vertrauensmann”, “Argumentationshelfer und Kommunikator” sei und dass sich auch Trainer Magath Rat bei Metzelder hole.

Nun fragt man sich ggf., wen das interessiert, zumal die Fußballinteressierten von einem Verteidiger eher erwarten, dass er sich nicht dumm ausspielen lässt. Diesbezüglich waren die Schalker in dieser Saison oft weniger glücklich als die FAZ.
Für die aber zählen andere Werte: Christoph Metzelder ist Botschafter der INSM.

Es ist schon deprimierend, wie die deutsche Hofjournaille von Springer bis SpOn ihre Leser verdummt und nachgerade untertänig der Kanzlerin huldigt. Ohne jede erkennbare Ironie wird die stets bestens geölte Opportunistin post festum zur “Revolutionärin” verklärt.

speichelEinst war sie FDJ-Funktionärin und mutmaßlich als IM Erika in die jahrelange Observation von Robert Havemann verstrickt, mit besten Kontakten zu denen, die ihr Fähnchen in Windeseile von Hammer und Zirkel befreit haben, um von den sozialistischen Ost- in die marktwirtschaftlichen Westparteien zu wechseln. Dazu war für die Blockflöten ja nicht einmal eine Unterschrift nötig. Die glühenden CDU-Kommunisten der DDR wurden ohne Umweg zu Antikommunisten der BRD-CDU. Überhaupt ist die Geschichte der DDR-Blockparteien das traurigste Kapitel der sogenannten “Wende”.

Während die einen also Haftstrafen und andere Schikanen riskiert haben, marschierte Fräulein Kasner/Merkel stramm in Reih und Glied. Zwanzig Jahre später nennt sie dies und ihre durch bekannte Funktionäre protegierte Karriere “Revolution”. Allein das wäre Grund genug, sie daran zu erinnern, wer auf welcher Seite steht und stand, und zwar lautstark und handgreiflich. Zumal die unverfrorene Lüge auch noch medial verstärkt wird.

Aktive Geschichtsschreibung

Wes Geistes Kind sie ist und wie sie sich an ‘ihre Revolution’ erinnert, spricht freilich wieder Bände. Die D-Mark hätte sie haben wollen, und es hätte ihr und ihren Korevolutionären gar nicht schnell genug gehen können. Nicht die verkrusteten Strukturen der DDR, die Ignoranz der Geronten im Politbüro, Meinungs- oder Reisefreiheit waren also das Motiv für die Montagsdemonstrationen, sondern die Ost-Mark. Das nenne ich “Aktive Geschichtsschreibung”.

Montagsdemonstrationen gegen die Arroganz der Macht und die Entrechtung des einfachen Volkes gab es übrigens auch noch 15 Jahre Später in der BRD. Auch diese wurden z.T. brutal niedergeknüppelt. Vielleicht hätten die Organisationen der Demonstrationen auch die D-Mark fordern sollen.

Wusste, wie man revoluzzt …

bullshitNun gibt die gestandene Währungsrevolutionärin also den Ägyptern Tips, wie man revoluzzt: Indem man sich nicht auflehnt, geduldig wartet und die nötigen Reformen denen überlässt, die sich damit auskennen. Wir holen uns derweil den von der Kanzlerin persönlich schon geküssten Staatschef ins Land und begrüßen ihn zu seinem Aufenthalt in einer Luxusklinik. Dabei lassen wir ihn ehrerbietigst bitten, bei Gelegenheit zu überprüfen, ob die Anwendung von Gewalt gegen das Volk auch unter Einhaltung der Menschenrechte möglich wäre. Wir machen das ja auch so, und schließlich sind es unsere Waffen, mit denen sein Militär schießt. Das wäre doch nur fair.

Auf der einen Seite also Mubarak, auf der anderen die Aufständischen. Wer würde Angela Merkel nicht spontan zu den letzteren stellen? Die Journaille hat sich jedenfalls so entschieden. Das ist es, was ihre visionäre Qualität ausmacht. Deshalb laufen ihnen die Leser ja auch in Scharen zu.

 
ernstarschEr ist ein Arsch, aber ein attraktiver – oder wie darf ich die Annonce für den neuen “Stern” und das Interview mit Klaus Ernst deuten?

Im übrigen bin ich voll auf dessen Seite. Nicht nur, dass die Karre, die er spazieren fährt, auch nicht teurer ist als der durchschnittliche Lehrer-Volvo. Meine Güte, der Kerl ist Parteivorsitzender. Die Kollegen lassen sich auf Bügrerkosten chauffieren. Die Bigotterie ist wirklich unerträglich. Das Motto gefällt mir und entspricht übrigens alten sozialdemokratischen Gepflogenheiten: Es sollte allen besser gehen. Inzwischen sind die Sozen ja wohl der Ansicht, den Rechten soll es gut gehen, den linken schlecht und den Moslems an den Kragen. Insofern ist Ernst ein Vorbild, das mir eher imponiert.

Bemerkenswert schließlich, dass es hunderte Artikel zum Nicht-Thema “der Ernst und dem sein Porsche” gibt, ich aber trotz dieser Boulevardisierung quasi nichts über den Fahrer erfahre. Ist der Mann ein Dandy, ein Schrauber, ein Oldtimerfreak, ein Neureicher? Da wird man in “Gala” vermutlich noch mehr erfahren.

100 Punkte jedenfalls für dieses Titelbild zu diesem Thema. Es strahlt Lebensfreude aus, dahinter aber lauert die ewige Askese: Es geht ums Abnehmen. Und damit das Spiel auch auf der Höhe absurdester Lüge bleibt, sehen wir eine Dame, die sicher alles nötig hat, nur keine Gewichtsreduzierung. Völlig sinnlos, aber irgendwie geil, diese Welt.

 
schtzngrbnFlavius F. (Name geändert) ist Blogger im winterlich verschneiten Deutschland. Er sitzt in seinem beheizten Essraum, bei Kaffee und Toast, eine Scheibe Käse, Holzdielen. Er hat Hunger. Bärenhunger.
Der Alltag hat ihn im Griff, aber noch ist er beim angenehmeren Teil des Tages. Er isst.
Der Kaffee, ein Produkt aus dem Supermarkt mit zweifelhaftem “Fair Trade”-Label, dampft mächtig. Er ist kochend heiß.
Die Zähne des promovierten Politbloggers, der im lässigen Ambiente seines Heims auf die Anrede “Herr Doktor” verzichtet, zermahlen mitleidslos Gebäck und Auflage. Er isst.

“Was hat er bloß?” mag sich mancher jetzt fragen, und freimütig anfügen: “Wohl einen an der Murmel?”. Einen Anfall gewisser Übelkeit hat er angesichts des Rückfalls in publizistisches Säbel Polieren, wie ihn Michael Schmidt im “Tagesspiegel” hingelegt hat und der dann auch noch bei der “Zeit” zweitverwertet wurde. Was tröstet, sind viele Leserkommentare, die das Tamtam – Geschwurbel auf breiter Front “Landserromantik” nennen und die journalistische Pflicht anmahnen, gefälligst Zusammenhänge herzustellen: Wer hat das entschieden, wie wurde es begründet, was ist die Wirklichkeit? Bislang war freilich keiner dabei, der das stilistische Kriegsverbrechen einer Stilanalyse unterzogen hat.

Timmy hat es erwischt

Ich habe mir daher erlaubt, mit dem ersten Absatz darauf hinzuweisen, wie man Banalitäten durch sloganhaft verkürzte und taktisch platzierte Knallsätze aufblasen kann. Diese stilistischen Eyecatcher bedienen Reflexe und lassen keine Fragen mehr zu. Sie wirken wie Befehle – hier gibt es nichts zu diskutieren, hier wird weitermarschiert, bis zur letzten Zeile.

Die Soldaten haben Angst. Todesangst.”
“Sie kämpfen.
Sie schießen.
Und sie töten.
“Timmy hat es erwischt.

Kontrastiert werden diese Ein-Satz Einsatzweisheiten durch die Lässigkeit des Soldatenalltags, der allein schon durch das pseudo-fachmännische Blabla von Waffen, Rängen und Truppeneinheiten hergestellt wird. Die werden einfach genannt, als ob irgendwer wüsste, was sie bedeuten und was man sich darunter vorzustellen hat. Frei nach dem Motto: Das weiß der soldatische Leser doch.
Die Truppe, das sind “ein schlaksiger Kerl”, ein Hauptmann mit “schnodderigen Ton”, ein Kompanieführer “mit seinen Männern” (das kennen wir so von Konsalik, da gab es noch keine Frauen in der Truppe), für die es “noch härter kommen wird” – was aber “keiner ahnt“. Hätten sie doch nur den Schmidt gefragt!

Das Gegenteil von Aufklärung

killykitschDer Kitsch trieft aus allen Zeilen, da sind gebrochene Metaphern ebenso gefragt wie effektheischende ‘Beschreibungen’, die nichts berichten, sondern sich eine Atmosphäre zusammenlügen:
Da wischen sich welche “Staub und Erschöpfung aus dem Gesicht“. Was gäbe ich dafür, mir Erschöpfung einfach abzuwischen. Ich muss dann immer erst mal schlafen.
Versonnenen Blicks hängen sie ihren ganz eigenen Erinnerungen nach“, heißt es über andere. Die gucken alle gleich, und zwar “versonnen”. Solche misslungenen Regieanweisungen finden sich in solcher Literatur en masse, Hedwig Courths-Mahler lässt grüßen. Dass sie schließlich “ihren ganz eigenen Erinnerungen” nachhängen, erkennt der Fachmann am Blick, der so ist, weil sie’s tun, ist doch tautologisch. Ein Schelm, wer fragt, was ganz eigen ist im Vergleich zu einfach nur eigen oder noch einfacher Erinnerung. Fremden Erinnerungen nachzuhängen stelle ich mir jedenfalls recht schwierig vor.

Es soll an dieser Stelle reichen. Gäbe es ein Kriegspropagandaministerium, Michael Schmidt wäre ein heißer Kandidat fürs gehobene Personal. Mit Bericht hat sein Schrieb so wenig zu tun wie mit Kommentar, und er ist das denkbar erbärmlichste Gegenteil von Aufklärung. Dem Verlag scheint das außerordentlich zu gefallen, während die Leser erschreckt und fremdbeschämt reagieren. Es ist ja auch wirklich eine Schande.

Einen noch, der belegt, wie derlei Kitsch und Pathos fast immer ins unfreiwillig Komische torkeln:
“Sie spielen Karten, lesen Sarrazin, den ‘Spiegel’ oder ‘Landser’. “ In dieser Reihenfolge, das passt schon. Wie schön, dass durchs Kartenspiel auch der Geist ein wenig angeregt wird.

Zum Schluss noch ein Literaturtip: “Deutscher Kitsch” von Walther Killy. Das Buch ist ungemein lehrreich und dabei durchaus unterhaltsam.

Ich dachte schon, nach Monaten endlich wieder einmal einen guten Artikel bei Zeit.de gefunden zu haben, als ich entdeckte, dass er zuvor im Tagesspiegel erschienen war und dann erst bei der “Zeit”. Das ist dann schon mal eine Leistung, wenn der Q-Journalismus etwas Gutes abschreibt und das entsprechend annonciert.

Es geht im Artikel von Harald Schumann übrigens um Lobbyismus und die Stärkung des Parlaments. Dergleichen lese ich sonst nur in Blogs.

Das Niveau hat sich inzwischen in Tiefen eingependelt, die ich bislang nur von Blond am Sonntag und Blöd am Montag kannte. Die Kampagne gegen Assange ist derart unterirdisch, verlogen und faktenlos, das ist nicht mehr zu ertragen. Die SZ fliegt aus meinen Favoriten, dann muss ich eben woanders erfahren, was der Prantl sagt.

Und wieso faselt die Journaille eigentlich dauernd von “Idol”? Bloß weil die den neurotischen Leaker zum Hitler des Jahres erklären, muss jeder, der den Mann verteidigt, gleich dessen Jünger sein? Wer das liest, ist doof.

Ich habe vor einigen Wochen darüber sinniert, warum es viele Geheimdienste gebe, aber keinen Transparenzdienst. Das beste Mittel gegen Korruption ist Transparenz, und ich forderte organisierte Transparenz, um den Einfluss von Mauschlern und Lobbyisten zu beschränken. Wo aber keine organisierten, offiziellen Strukturen ein Bedürfnis bedienen, da wachsen inoffizielle und weniger organisierte. Das ist der Erfolg von Wikileaks.

leakNicht, dass dieser öffentliche Nachrichtendienst unorganisiert wäre – dagegen spricht schon, dass die Protagonisten noch leben. Er kann aber nicht ersetzen, was dringend Not täte: Instanzen für eine strikte Öffentlichkeit behördlichen Handelns. Es wird zu viel gekungelt und vertuscht, intrigiert und verschleiert. Welche Ausmaße das annimmt, zeigen Informationen, die auf Zustände deuten, wie sie eher in der DDR vermutet worden wären. Bis in die höchsten Gremien von Parteien und Regierung sitzen offenbar Spitzel, die der UdSSR der großen Schutzmacht unverzüglich Bericht erstatten.

Auch das hätte man sich denken können, aber nun ist es ausgeplaudert. Die Medien stürzen sich derweil auf Klatsch und Tratsch, die das Leaking ebenfalls ans Licht gebracht hatte. Wie amerikanische Dienste und Bedienstete den Charakter deutscher Politiker einschätzen, ja mei, das hätte ich auch ohne Wikileaks gewusst. Dass es solchen Tratsch gibt, hätte sich jeder denken können. Tragischer schon die Berichte über gärenden arabischen Bruderzwist.

Ausgeplaudert

Das könnte sogar Folgen haben. Hier wäre es tatsächlich angeraten, nicht den ganzen Haufen auf einmal auf die Straße zu kippen, sondern das Material redaktionell vorzubereiten. Transparenz ist nicht nur dann solche, wenn sie total ist. Es ist schon sinnvoll, auch über die Folgen der Aktion nachzudenken. Zumal eines auch klar sein sollte: Die veröffentlichten Texte müssen interpretiert werden, sie stellen kein Wahrheitskonzentrat dar.

Wie begrüßenswert dennoch eine derart chaotische Ergänzung der organisierten Öffentlichkeit, vulgo “Presse” ist, zeigen die Reaktionen auf den neuerlichen Hagel informationeller Granaten. Die einen werfen sofort die Gebetsmühle des Qualitätsjournalismus an und empören sich, dass niemand sie vorher mit Färben und Weichspülen beauftragt hat, die anderen veröffentlichen fröhlich vorab, spekulieren sich um Kopf und Kragen und machen Kasse mit Klatschgeschichten.

Bloßgestellt sind auf diese Weise nicht nur die politischen Schmierenkomödianten, von deren Charakterlosigkeit wir einen erschütternden Beleg mehr haben. Bloßgestellt sind ebenso die Stiefelputzer und Steigbügelhalter der Journaille, die an den kitschigen Legenden der Herrschaft mitstricken und längst vergessen haben, wie man die Fragen stellt, von deren offener Beantwortung die Demokratie lebt. Stattdessen – ich kann nicht oft genug darauf verweisen – halten sie es längst für ihre Aufgabe, Unwissenheit zu verwalten.

Journaille am Wühltisch

flowSie werden lernen müssen, dass sie sich derart selbst das Wasser abgraben. Jetzt werfen sie sich alle ins Getümmel um den Wühltisch, auf dem Wikileaks seinen Informationsramsch geworfen hat. Die echten Schnäppchen sind bald weg, und zuerst werden die schrillsten vergriffen sein. Journalisten geben ein erbärmliches Bild dabei ab. Sie haben das alles nicht gewusst, sie bringen keine Ordnung ins Chaos, sie konsumieren anstatt zu produzieren. Wo Kontext gefragt ist, liefern sie Klatschgeschichten. Wo Selbstkritik überfällig wäre, haben sie die Stirn, sich beleidigt zu geben, weil jemand Informationen verbreitet.

Wer jetzt also große Veränderung in Politik und Medien besingt, übersieht, dass die Reaktionen völlig eingefahrenen Mustern folgen. Die handelnden Personen haben gar nicht die Kompetenzen, etwas anders zu machen. Das Spiel wird lediglich etwas bunter, die Schönschreiberei noch irrelevanter. Wer wirklich wissen will, was passiert, wartet auf die nächste Flutwelle der Enthüllungen. Und auf irgendwen, der das Ganze doch wieder so zurecht köchelt, dass es klingt wie immer. Ja, die große Schwäche von Wikileaks liegt an der fehlenden Organisation der Informationen. Relevanz, Zusammenhänge und Hintergründe werden nicht geliefert. Das leistet der Qualitätsjournalismus freilich auch schon lange nicht mehr.

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