tietmeyerWenn ein kleiner Teil der Öffentlichkeit – Publizisten, Politiker, Wissenschaftler – fordert, es müsse das Primat der Politik hergestellt werden, dann bezieht sich das zumeist auf die Entscheidungen, die im politischen Kontext getroffen werden. Parlamente, Regierungen, Ausschüsse, die unter Einflussnahme von Lobbyisten und im Sinne einer herrschenden ökonomischen Lehre handeln, anstatt sich zu fragen, wer sie gewählt hat und wie sie diesen Menschen gerecht werden können.

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Es kommt schon kaum mehr jemand auf die Idee zu fragen, inwiefern politisches Handeln auch in der “Wirtschaft” selbst stattfindet und inwieweit eigentlich die Handelnden dafür qualifiziert oder legitimiert sind. Nicht nur, dass Wirtschaftsführer, die Politik beeinflussen auch in dieser Hinsicht ihr Tun überschauen sollten. Spätestens, wenn sie politisch relevant handeln, muss die kritische Öffentlichkeit danach fragen, ob dies auch legitim ist. Das hört auf, wo Joe Ackermann im Kanzleramt ein- und ausgeht und beginnt beim privaten Gespräch potentieller “Investoren” mit dem Gemeinderat.

Nun wird aber gerade von Ökonomen gern stur geleugnet, wirtschaftliches Handeln habe eine politische Dimension, die zu berücksichtigen wäre. Der Grundtenor ist der, es gebe objektiv günstige und weniger günstige ‘Standortfaktoren’, die von der Politik zu schaffen seien. Dabei wird verschwiegen, dass es sich dabei immer um Interessenskonflikte handelt, bei denen der eine den Vorteil und der andere das Nachsehen hat. Da ist nicht allzuviel “objektiv”, und “wissenschaftlich” ist das schon gar nicht. Eine Ökonomie, die sich zur Verfügung stellt, um strategische Interessen sog. “Marktteilnehmer” zum objektiven Sachzwang zu verklären, hat jede Reputation verspielt und ist nicht zu legitimieren.

Instrument von Interessenten

Wenn also der begründete Verdacht besteht, dass eine wissenschaftliche Kaste (von Ökonomen) sich zum Instrument von Interessenten (der Finanzwirtschaft) gemacht hat, ist spätestens der Zeitpunkt gekommen, an dem jede relevante Personalie in der “wissenschaftlichen” Ökonomie zu hinterfragen ist. Umso mehr, wenn es sich um ein hochrangiges öffentliches Amt handelt. Der Fall des Wechsels von Weber zu Weidmann an der Spitze der Bundesbank ist also ein Politikum ersten Ranges, ein Aufruf zu strenger kritischer Prüfung.

Äußerst enttäuschend fällt in dieser Hinsicht aktuell der Artikel von Robert von Heusinger und Markus Sievers dazu aus. Da werden zur Eloge die Meinungen von Ökonomen zum Ökonomen eingeholt, da wird die Bankenrettung ernsthaft zur Zauberei verklärt: Ein “fast magisches Trio” seien Weidmann, Asmussen und Weber bei der ‘Bankenrettung’ gewesen. Kein Wort von Interessen, vom Einfluss Ackermanns, von der Verteilung von Gewinnen und Risiko auf Banken und Steuerzahler.

merkel2Magie? Ja sicher: Billigstes Varieté, an dem sich posthum jetzt auch Heusinger beteiligt. Dabei wird wiederholt die Frage nach “Unabhängigkeit” genannt, ohne je gestellt zu werden. Wer hat wen beeinflusst, wer mit wem gesprochen, wer warum was entschieden? Darüber liegt der Schleier der “Magie”. Erbärmlich. Erwartet hätte ich die Frage nach Alternativen. Wenn ein Grünflächenamt Rasenmäher kauft, wird das europaweit ausgeschrieben. Der Chef der Bundesbank aber wird mal eben benannt. Wo keine Alternativen sind, da ist Zwang. Wo dieser innerhalb undurchschaubarer Zirkel ausgeübt wird, herrscht Korruption. Politisch ist das nicht, Politik erfordert Transparenz und eine überzeugende Wahl bei der Besetzung öffentlicher Spitzenämter.

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Journalistische Blaskapellen

Wenn aber die Öffentlichkeit schläft und in Form journalistischer Blaskapellen zur Freude und Feier der Herrschaft aufspielt, kann man nicht erwarten, dass sich im inneren Zirkel jemand Gedanken darüber macht, ob die Entscheidungskriterien den Ansprüchen demokratischer Politik entsprechen. Wo einst die Macht einer kontrollierenden Öffentlichkeit drohte, waltet meist nur mehr kritiklose Kumpanei.

Dabei geht es auch anders. Lucas Zeise etwa nimmt die politisch motivierte Ökonomie der Bundesregierung auseinander, zeichnet den Weg von Tietmeyer bis Merkel und nennt Ross und Reiter. In der gebotenen Kürze zwar, gelingt es ihm aber, sowohl einen Einblick in ökonomische Zusammenhänge zu vermitteln als auch in die Verflechtung eines Politikansatzes mit einer bestimmten Sichtweise von Wirtschaft. Er kommt dabei nicht zufällig zu interessanten Schlüssen, zu denen die meisten seiner Kollegen nicht mehr fähig sind. Die riskieren halt auch ungern die doppelte Majestätsbeleidigung gegen die Mächtigen in Politik und Wirtschaft.