Weaky Leaks, ein schwacher Transparenzdienst
Posted by flatter under Journalismus , Politik[17] Comments
29. Nov 2010 15:14
Ich habe vor einigen Wochen darüber sinniert, warum es viele Geheimdienste gebe, aber keinen Transparenzdienst. Das beste Mittel gegen Korruption ist Transparenz, und ich forderte organisierte Transparenz, um den Einfluss von Mauschlern und Lobbyisten zu beschränken. Wo aber keine organisierten, offiziellen Strukturen ein Bedürfnis bedienen, da wachsen inoffizielle und weniger organisierte. Das ist der Erfolg von Wikileaks.
Nicht, dass dieser öffentliche Nachrichtendienst unorganisiert wäre – dagegen spricht schon, dass die Protagonisten noch leben. Er kann aber nicht ersetzen, was dringend Not täte: Instanzen für eine strikte Öffentlichkeit behördlichen Handelns. Es wird zu viel gekungelt und vertuscht, intrigiert und verschleiert. Welche Ausmaße das annimmt, zeigen Informationen, die auf Zustände deuten, wie sie eher in der DDR vermutet worden wären. Bis in die höchsten Gremien von Parteien und Regierung sitzen offenbar Spitzel, die der UdSSR der großen Schutzmacht unverzüglich Bericht erstatten.
Auch das hätte man sich denken können, aber nun ist es ausgeplaudert. Die Medien stürzen sich derweil auf Klatsch und Tratsch, die das Leaking ebenfalls ans Licht gebracht hatte. Wie amerikanische Dienste und Bedienstete den Charakter deutscher Politiker einschätzen, ja mei, das hätte ich auch ohne Wikileaks gewusst. Dass es solchen Tratsch gibt, hätte sich jeder denken können. Tragischer schon die Berichte über gärenden arabischen Bruderzwist.
Ausgeplaudert
Das könnte sogar Folgen haben. Hier wäre es tatsächlich angeraten, nicht den ganzen Haufen auf einmal auf die Straße zu kippen, sondern das Material redaktionell vorzubereiten. Transparenz ist nicht nur dann solche, wenn sie total ist. Es ist schon sinnvoll, auch über die Folgen der Aktion nachzudenken. Zumal eines auch klar sein sollte: Die veröffentlichten Texte müssen interpretiert werden, sie stellen kein Wahrheitskonzentrat dar.
Wie begrüßenswert dennoch eine derart chaotische Ergänzung der organisierten Öffentlichkeit, vulgo “Presse” ist, zeigen die Reaktionen auf den neuerlichen Hagel informationeller Granaten. Die einen werfen sofort die Gebetsmühle des Qualitätsjournalismus an und empören sich, dass niemand sie vorher mit Färben und Weichspülen beauftragt hat, die anderen veröffentlichen fröhlich vorab, spekulieren sich um Kopf und Kragen und machen Kasse mit Klatschgeschichten.
Bloßgestellt sind auf diese Weise nicht nur die politischen Schmierenkomödianten, von deren Charakterlosigkeit wir einen erschütternden Beleg mehr haben. Bloßgestellt sind ebenso die Stiefelputzer und Steigbügelhalter der Journaille, die an den kitschigen Legenden der Herrschaft mitstricken und längst vergessen haben, wie man die Fragen stellt, von deren offener Beantwortung die Demokratie lebt. Stattdessen – ich kann nicht oft genug darauf verweisen – halten sie es längst für ihre Aufgabe, Unwissenheit zu verwalten.
Journaille am Wühltisch
Sie werden lernen müssen, dass sie sich derart selbst das Wasser abgraben. Jetzt werfen sie sich alle ins Getümmel um den Wühltisch, auf dem Wikileaks seinen Informationsramsch geworfen hat. Die echten Schnäppchen sind bald weg, und zuerst werden die schrillsten vergriffen sein. Journalisten geben ein erbärmliches Bild dabei ab. Sie haben das alles nicht gewusst, sie bringen keine Ordnung ins Chaos, sie konsumieren anstatt zu produzieren. Wo Kontext gefragt ist, liefern sie Klatschgeschichten. Wo Selbstkritik überfällig wäre, haben sie die Stirn, sich beleidigt zu geben, weil jemand Informationen verbreitet.
Wer jetzt also große Veränderung in Politik und Medien besingt, übersieht, dass die Reaktionen völlig eingefahrenen Mustern folgen. Die handelnden Personen haben gar nicht die Kompetenzen, etwas anders zu machen. Das Spiel wird lediglich etwas bunter, die Schönschreiberei noch irrelevanter. Wer wirklich wissen will, was passiert, wartet auf die nächste Flutwelle der Enthüllungen. Und auf irgendwen, der das Ganze doch wieder so zurecht köchelt, dass es klingt wie immer. Ja, die große Schwäche von Wikileaks liegt an der fehlenden Organisation der Informationen. Relevanz, Zusammenhänge und Hintergründe werden nicht geliefert. Das leistet der Qualitätsjournalismus freilich auch schon lange nicht mehr.
November 29th, 2010 at 16:04
Also, ich sehe es so, daß es auch nicht die Aufgabe von wikileaks sein soll oder kann, Material aufzubereiten. Ich sehe es eher als Quelle, aus der sich bedient werden kann, um etwas eigenes draus zu machen – daß das unsere Johurnalisten nicht auf die Reihe kriegen überrascht mich dabei gar nicht, die sind doch schon seit mehr als einem Jahrzehnt intellektuell völlig überfordert mit ihrer eigentlichen Arbeit.
Auch wenn da wenig neues ist, was die Einschätzungen gewisser Politiker durch andere (Diplomaten) betrifft, ist es doch nicht unwitzig, das dann mal etwas komprimierter zu lesen. Dafür allein finde ich ich bereits, daß wikipedia eine Existenzberechtigung hat.
November 29th, 2010 at 17:22
Sehr treffende Analyse der Reaktion des sog. Journalismus auf die Wikileaks(WL)-Veröffentlichung.
Auch ich sehe WL primär als Quelle an. Es macht einen Riesen-Unterschied, ob man sich Vorwürfe, Vorkommnisse, Absprachen nur “denken kann” und sie aber noch abstreitbar sind oder eben nicht. Darin sehe ich die Stärke dieser Veröffentlichung: die ‘deniability’ geht nun hopps und es wird belegbar, wie krass, mit welchen Mitteln und über welche Mittelsmänner und -männinnen hier die Washingtoner Agenda durchgedrückt wird.
Der Klatsch- und Tratschaspekt einiger cables ist dabei vollkommen irrelevant; aus den von dir genannten Gründen kann man sich die Lektüre zum Leak in den Hauptstrom-Medien auch komplett sparen.
Wer sich beschwert, hier gäb’s nix über 9/11, Chemtrails und UFOs, sollte sich daran erinnern, dass es sich hierbei um *diplomatische* und eben nicht militärische oder geheimdienstliche Kommunikation handelt. Der Vorwurf ginge genauso ins Leere wie dass die Konsequenzen daraus in keinem Bezug zum Hype stünden: man stelle sich nur mal die Atmosphäre auf dem nächsten G20-Gipfel vor :D
Auffallend ist doch, dass sicher einigen Journalisten all diese Information auch zugänglich war (was nun Deutschland betrifft), und man beim Lesen der Hofberichterstattung der letzten 10 Jahre die Wichsgeräusche der Autoren förmlich hat hören können. Widerlich!
November 29th, 2010 at 18:40
Insgesamt kann ich Dir leider nur zustimmen.
Meiner Sicht nach geht gerad allen Beteiligten erheblich die Düse. Keiner kann beurteilen ob mit dieser Masse an Dokumenten das “Netz” wirklich leergesaugt wurde und die Stäbe aller betroffenen werden gerade Worst Case Szenarien üben. Beispielsweise wäre die Offenlegung des tatsächlichen Ausmaßes an Beteiligung europäischer Staaten an der Entführung von muslimischen Bürgern auf ihrem Staatsgebiet, sicherlich “delikat”.
Ansonsten; naja klar wussten wir vorher schon wer Schäuble, Westerwelle und Co. sind. Interessant ist aber die amerikanische Sicht wie auf trotzige Marionetten. Interessant in diesem Kontext, dass den Amerikaner die Deutsche Sarah Palin, Herr K.T. Guttenberg so gut gefällt.
Sollte es Schaden für Informanten geben? Ich glaube nicht daran. Und wenn muss ich zynischerweise eingestehen, dass ich das für keinen Schaden halte. Wer sich an den Ränkeschmiedereien der Nachrichtendienste beteiligt IST ein Schaden an sich, kalkuliert Risiken für sich und nun, hier ist es nun einmal so.
Ich halte das Gewese um gebrochene Sicherheitseinstufungen, internationale Konflikte und Quellen für die pure Angst vor einem Umfang an Informationen, der offenlegt wie skrupellos wir abgefrühstückt werden.
Und wer glaubt, dass diese “diplomatischen” Dokumente nicht nachrichtendienstliche Aktivitäten tangieren, naja…
November 29th, 2010 at 18:47
Es ist mir echt schleierhaft warum ausgerechnet Der Spiegel deutscher Partner von Wikileaks ist. Die werden schön sortieren was sie so der deutschen Öffentlichkeit zumuten und was nicht.
November 29th, 2010 at 19:50
Also die aktuelle Ausgabe des Spiegels ist ja zu großen teilen eher “Tratsch” als wirklich eine informative Quelle.
Ich bin mir nun gar nicht sicher wie weit ich derartige Informationen die von wikileaks zur Verfügung gestellt werden wirklich für sinnvoll halte. Um das Problem dass ich sehe simpel zu beschreiben: Ich kenne etliche Leute von denen ich persönlich nicht viel halte, mit denen aner eine Zusammenarbeit dennoch ganz ausgezeichnet klappt.
Das wäre nicht so, wenn diese Leute jede meiner Aussagen oder Meinungen immer kennen würden.
Und gerade im Bereich der Diplomatie zwischen Staaten ist “Zusammenarbeit” und “gegenseitige Meinung” wahrscheinlich noch viel extremer zu trennen.
ich glaune Bismark hat mal festgestellt, dass Außenpolitik die alle Karten auf den Tisch legt von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Und in diesem Sinne finde ich derartige Veröffentlichungen von wikileaks eben für kontraproduktiv.
November 29th, 2010 at 20:00
Das ist das Wesen jeder Politik, egal ob “Innen” oder “Außen”. Die Ergebnisse sind mit großer Tradition entsprechend mies.
November 29th, 2010 at 20:12
Ich glaub WL is nen CIA Projekt…
1.Whistleblower finden
2.Geheimdiendste stärken (durch exklusivität)
3.härtere Gesetzte (Deep Paket,Netzsperren,CyberWar)
bisher is nichts wirklich krasse geleakt..nur dinge die jahrzentelang auch so durchgetröpfelt sind..nur andere Quellen
November 29th, 2010 at 21:16
Psst! Feynsinn ist auch ein CIA-Projekt.
November 29th, 2010 at 22:04
das würd das gute aussehen erklären
November 29th, 2010 at 22:08
Wieso, sieht die CIA so gut aus?
November 29th, 2010 at 22:31
lol…des is keen chat hier^^
November 29th, 2010 at 22:46
flatter: wenn dann eher eines vom Landesverfassungsschutz.
micha: Deine Variante finde ich gar nicht mal schlecht
November 29th, 2010 at 22:48
Kein Chat? Myst. Geh ich halt woanders chatten.
November 30th, 2010 at 01:22
Könnte mir bitte jemand mal erklären, wieso die in den Nachrichten aber auch kein Wort über den direkten Schlauch aus der FDP-Zentrale zu den Amis haben fallen lassen???????
Ist nicht eigentlich genau das der Stoff aus dem Schlagzeilen sind:
“Philipp Rösler – Der Spion der die soziale Kälte brachte?” wie bei Duckhome
“Für ein Lob mit texanischem Akzent bückte er sich tiefer!”
wäre wohl auch nicht schlecht, da könnte man in Gedanken einsetzen, wen man will.
Ich meine, selbst als Arschkriecher-Medium kommt man da doch nicht rum.
Bei aller Liebe zu Amerika, die ich nicht teile, muss doch jeder auf den ersten Blick hin einsehen, das es nicht ganz ohne ist, wenn Regierungsinterna (Großverträge mit der Wirtschaft Forschungsergebnisse usw) an einen Marktkonkurrenten weitergeleitet werden.
Wie nennt man sowas denn sonst:
Hochverat?
Wirtschaftsspionage?
Untreue?
Eidbruch?
istdadraußenjemand?irgendeiner?hallo……………….
November 30th, 2010 at 11:14
Weaky Leaks, ein schwacher Transparenzdienst…
Das Verhältnis zwischen Wikileaks und dem Qualitätsjournalismus ist wunderschön boulevardesk: sie müssen in aller Öffentlichkeitt miteinander ins Bett und die Journallie wird dabei gezwungen, ihre unterirdischen Liebeskünste vor aller Augen vorzuführen…
November 30th, 2010 at 12:20
[...] via Feynsinn [...]
November 30th, 2010 at 13:55
Und natürlich werden wieder nur die Perlen vor die Säue geworfen, die da auch hingehören.
Ganz klar ist es für unsere Medienlandschaft wichtiger darzustellen, welcher unserer Politkasper gem. Auslandsdiplomat xyz welche Schwächen hat. Ganz großes Kino.
Die wirklich wichtigen Dinge werden dann, selbst wenn endlich offen einsehbar, gern einmal “überlesen”. Gerade so interessante Tatsachen, wie die “arabische Liga” versucht sich gegenseitig anbiedernd auszustechen, während vorn herum der Bruderkuß fabriziert wird, ist von weitreichender strategischer Bedeutung. Auch auf die Reaktion (die interne) der chinesischen Führung bin mal gespannt.
Sowohl die, als auch der russische Bär haben ja nun die beste Rechtfertigung für Zensur und Informationseinschränkung. Die Idee mit dem zielgerichteten “neuen”, kalten Krieg finde ich da gar nicht so weit hergeholt.