Ich habe vor einigen Wochen darüber sinniert, warum es viele Geheimdienste gebe, aber keinen Transparenzdienst. Das beste Mittel gegen Korruption ist Transparenz, und ich forderte organisierte Transparenz, um den Einfluss von Mauschlern und Lobbyisten zu beschränken. Wo aber keine organisierten, offiziellen Strukturen ein Bedürfnis bedienen, da wachsen inoffizielle und weniger organisierte. Das ist der Erfolg von Wikileaks.

leakNicht, dass dieser öffentliche Nachrichtendienst unorganisiert wäre – dagegen spricht schon, dass die Protagonisten noch leben. Er kann aber nicht ersetzen, was dringend Not täte: Instanzen für eine strikte Öffentlichkeit behördlichen Handelns. Es wird zu viel gekungelt und vertuscht, intrigiert und verschleiert. Welche Ausmaße das annimmt, zeigen Informationen, die auf Zustände deuten, wie sie eher in der DDR vermutet worden wären. Bis in die höchsten Gremien von Parteien und Regierung sitzen offenbar Spitzel, die der UdSSR der großen Schutzmacht unverzüglich Bericht erstatten.

Auch das hätte man sich denken können, aber nun ist es ausgeplaudert. Die Medien stürzen sich derweil auf Klatsch und Tratsch, die das Leaking ebenfalls ans Licht gebracht hatte. Wie amerikanische Dienste und Bedienstete den Charakter deutscher Politiker einschätzen, ja mei, das hätte ich auch ohne Wikileaks gewusst. Dass es solchen Tratsch gibt, hätte sich jeder denken können. Tragischer schon die Berichte über gärenden arabischen Bruderzwist.

Ausgeplaudert

Das könnte sogar Folgen haben. Hier wäre es tatsächlich angeraten, nicht den ganzen Haufen auf einmal auf die Straße zu kippen, sondern das Material redaktionell vorzubereiten. Transparenz ist nicht nur dann solche, wenn sie total ist. Es ist schon sinnvoll, auch über die Folgen der Aktion nachzudenken. Zumal eines auch klar sein sollte: Die veröffentlichten Texte müssen interpretiert werden, sie stellen kein Wahrheitskonzentrat dar.

Wie begrüßenswert dennoch eine derart chaotische Ergänzung der organisierten Öffentlichkeit, vulgo “Presse” ist, zeigen die Reaktionen auf den neuerlichen Hagel informationeller Granaten. Die einen werfen sofort die Gebetsmühle des Qualitätsjournalismus an und empören sich, dass niemand sie vorher mit Färben und Weichspülen beauftragt hat, die anderen veröffentlichen fröhlich vorab, spekulieren sich um Kopf und Kragen und machen Kasse mit Klatschgeschichten.

Bloßgestellt sind auf diese Weise nicht nur die politischen Schmierenkomödianten, von deren Charakterlosigkeit wir einen erschütternden Beleg mehr haben. Bloßgestellt sind ebenso die Stiefelputzer und Steigbügelhalter der Journaille, die an den kitschigen Legenden der Herrschaft mitstricken und längst vergessen haben, wie man die Fragen stellt, von deren offener Beantwortung die Demokratie lebt. Stattdessen – ich kann nicht oft genug darauf verweisen – halten sie es längst für ihre Aufgabe, Unwissenheit zu verwalten.

Journaille am Wühltisch

flowSie werden lernen müssen, dass sie sich derart selbst das Wasser abgraben. Jetzt werfen sie sich alle ins Getümmel um den Wühltisch, auf dem Wikileaks seinen Informationsramsch geworfen hat. Die echten Schnäppchen sind bald weg, und zuerst werden die schrillsten vergriffen sein. Journalisten geben ein erbärmliches Bild dabei ab. Sie haben das alles nicht gewusst, sie bringen keine Ordnung ins Chaos, sie konsumieren anstatt zu produzieren. Wo Kontext gefragt ist, liefern sie Klatschgeschichten. Wo Selbstkritik überfällig wäre, haben sie die Stirn, sich beleidigt zu geben, weil jemand Informationen verbreitet.

Wer jetzt also große Veränderung in Politik und Medien besingt, übersieht, dass die Reaktionen völlig eingefahrenen Mustern folgen. Die handelnden Personen haben gar nicht die Kompetenzen, etwas anders zu machen. Das Spiel wird lediglich etwas bunter, die Schönschreiberei noch irrelevanter. Wer wirklich wissen will, was passiert, wartet auf die nächste Flutwelle der Enthüllungen. Und auf irgendwen, der das Ganze doch wieder so zurecht köchelt, dass es klingt wie immer. Ja, die große Schwäche von Wikileaks liegt an der fehlenden Organisation der Informationen. Relevanz, Zusammenhänge und Hintergründe werden nicht geliefert. Das leistet der Qualitätsjournalismus freilich auch schon lange nicht mehr.