schtzngrbnFlavius F. (Name geändert) ist Blogger im winterlich verschneiten Deutschland. Er sitzt in seinem beheizten Essraum, bei Kaffee und Toast, eine Scheibe Käse, Holzdielen. Er hat Hunger. Bärenhunger.
Der Alltag hat ihn im Griff, aber noch ist er beim angenehmeren Teil des Tages. Er isst.
Der Kaffee, ein Produkt aus dem Supermarkt mit zweifelhaftem “Fair Trade”-Label, dampft mächtig. Er ist kochend heiß.
Die Zähne des promovierten Politbloggers, der im lässigen Ambiente seines Heims auf die Anrede “Herr Doktor” verzichtet, zermahlen mitleidslos Gebäck und Auflage. Er isst.

“Was hat er bloß?” mag sich mancher jetzt fragen, und freimütig anfügen: “Wohl einen an der Murmel?”. Einen Anfall gewisser Übelkeit hat er angesichts des Rückfalls in publizistisches Säbel Polieren, wie ihn Michael Schmidt im “Tagesspiegel” hingelegt hat und der dann auch noch bei der “Zeit” zweitverwertet wurde. Was tröstet, sind viele Leserkommentare, die das Tamtam – Geschwurbel auf breiter Front “Landserromantik” nennen und die journalistische Pflicht anmahnen, gefälligst Zusammenhänge herzustellen: Wer hat das entschieden, wie wurde es begründet, was ist die Wirklichkeit? Bislang war freilich keiner dabei, der das stilistische Kriegsverbrechen einer Stilanalyse unterzogen hat.

Timmy hat es erwischt

Ich habe mir daher erlaubt, mit dem ersten Absatz darauf hinzuweisen, wie man Banalitäten durch sloganhaft verkürzte und taktisch platzierte Knallsätze aufblasen kann. Diese stilistischen Eyecatcher bedienen Reflexe und lassen keine Fragen mehr zu. Sie wirken wie Befehle – hier gibt es nichts zu diskutieren, hier wird weitermarschiert, bis zur letzten Zeile.

Die Soldaten haben Angst. Todesangst.”
“Sie kämpfen.
Sie schießen.
Und sie töten.
“Timmy hat es erwischt.

Kontrastiert werden diese Ein-Satz Einsatzweisheiten durch die Lässigkeit des Soldatenalltags, der allein schon durch das pseudo-fachmännische Blabla von Waffen, Rängen und Truppeneinheiten hergestellt wird. Die werden einfach genannt, als ob irgendwer wüsste, was sie bedeuten und was man sich darunter vorzustellen hat. Frei nach dem Motto: Das weiß der soldatische Leser doch.
Die Truppe, das sind “ein schlaksiger Kerl”, ein Hauptmann mit “schnodderigen Ton”, ein Kompanieführer “mit seinen Männern” (das kennen wir so von Konsalik, da gab es noch keine Frauen in der Truppe), für die es “noch härter kommen wird” – was aber “keiner ahnt“. Hätten sie doch nur den Schmidt gefragt!

Das Gegenteil von Aufklärung

killykitschDer Kitsch trieft aus allen Zeilen, da sind gebrochene Metaphern ebenso gefragt wie effektheischende ‘Beschreibungen’, die nichts berichten, sondern sich eine Atmosphäre zusammenlügen:
Da wischen sich welche “Staub und Erschöpfung aus dem Gesicht“. Was gäbe ich dafür, mir Erschöpfung einfach abzuwischen. Ich muss dann immer erst mal schlafen.
Versonnenen Blicks hängen sie ihren ganz eigenen Erinnerungen nach“, heißt es über andere. Die gucken alle gleich, und zwar “versonnen”. Solche misslungenen Regieanweisungen finden sich in solcher Literatur en masse, Hedwig Courths-Mahler lässt grüßen. Dass sie schließlich “ihren ganz eigenen Erinnerungen” nachhängen, erkennt der Fachmann am Blick, der so ist, weil sie’s tun, ist doch tautologisch. Ein Schelm, wer fragt, was ganz eigen ist im Vergleich zu einfach nur eigen oder noch einfacher Erinnerung. Fremden Erinnerungen nachzuhängen stelle ich mir jedenfalls recht schwierig vor.

Es soll an dieser Stelle reichen. Gäbe es ein Kriegspropagandaministerium, Michael Schmidt wäre ein heißer Kandidat fürs gehobene Personal. Mit Bericht hat sein Schrieb so wenig zu tun wie mit Kommentar, und er ist das denkbar erbärmlichste Gegenteil von Aufklärung. Dem Verlag scheint das außerordentlich zu gefallen, während die Leser erschreckt und fremdbeschämt reagieren. Es ist ja auch wirklich eine Schande.

Einen noch, der belegt, wie derlei Kitsch und Pathos fast immer ins unfreiwillig Komische torkeln:
“Sie spielen Karten, lesen Sarrazin, den ‘Spiegel’ oder ‘Landser’. “ In dieser Reihenfolge, das passt schon. Wie schön, dass durchs Kartenspiel auch der Geist ein wenig angeregt wird.

Zum Schluss noch ein Literaturtip: “Deutscher Kitsch” von Walther Killy. Das Buch ist ungemein lehrreich und dabei durchaus unterhaltsam.