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ruhrtal

Kohle, Stahl und dicke Luft: Blick übers Ruhrtal

Feudalismus ist an Rhein und Ruhr kein Aufreger, nicht einmal Besatzer, woher sie auch kommen mögen. Drei Ottos hat der Pott ausgesessen, Konrads und nachbarschaftliche Grafen oder Kurfürsten, Römer, Preußen, Franzosen und Engländer, zuletzt die Bohlen und Halbachs, deren letzter Statthalter in der Villa auf dem gleichnamigen Hügel als Herr der Ringe noch heute residiert.

Dort also lebt das einfache, ehrliche Volk, knapp bei Verstand, bienenfleißig, von Staublunge und Kumpelbuckel gezeichnet. Über der Megastadt liegt ein dicker Grauschleier, Überall ist der Hammerschlag des Stahls zu hören, die Straßen zwischen den Halden sind mit Kohlenstaub bedeckt.

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Arbeiterrad: Kost nix, is nix. 598-Euro-Japaner “fürm halben Preis gekricht”

Der Arbeiter an der Ruhr ist nicht geizig, muss sich aber nach der Decke strecken. Sein Fahrrad wird nie den Tegernsee sehen, man würde ihn dort trocken von der Straße drängen, ohne lange die Hupe zu betätigen. Er schämt sich nicht, hier mit einer Möhre herumzugurken, die in anderen Kreisen sogar vor dem Sperrmüll versteckt würde. Die Bescheidenheit geht nahtlos über in Schamlosigkeit, mancher trägt die Armut wie einen an der Straßenecke geöffneten Mantel vor sich hin.

bremsschaltIch mag diesen Landstrich, gerade das Eisen in der Luft. Der beißende Qualm aus Chemikalien und Koks gehört einfach dazu. Als linksrheinisch aufgewachsener Zivilisationsbürger ist das hier für mich der halbe Weg nach Russland. Undenkbar, dass ich mich freiwillig hier niederließe – hatte ich immer gedacht. Was mich hierher verschlagen hat? Ja was wohl, ein Mädchen aus dem Kohlenpott. Passé auch das. Was bleibt, ist die Erotik des Alters.

Wenn man zwei Monate hungern muss, um sich das Vorvorjahresmodell eines mit japanischer Hardware behängten Alu-Gestells zu leisten, bleibt dafür freilich auch nicht mehr viel übrig. Kein Colnago, kein Pinarello, keine Crevetten oder Piña Colada. Pils für den Vater, ein bißchen Obst für die Tochter – man lässt sich ja nichts nachsagen, gesund muss es schon sein, was die Kleine mit in die Schule nimmt. Dass es sonst nichts gibt, hält man dort für einen Scherz, oder man lacht trotzdem mit.

obst

Für Obst hat’s gerade noch gereicht. Mag ich aber nicht. Bleiben für mich nur die Tomaten.

Nach Jahren geprägt durch Anpassungsstörungen, die jeder hat, der nicht in einer Halde voll Kohle geboren wurde, werde ich inzwischen akzeptiert von den Menschen des Ruhrtals. Die sich ihr Paradies geschaffen haben in der sozialen Marktwirtschaft. Ihre Großeltern haben sich für Schwarzweißfernseher und VW Käfer auffen Pütt kaputtgeschuftet, die Enkel lassen sich im Job Center von umgeschulten Postbeamten bespucken. So ist halt der Markt, denkt sich der Essener was und wählt wieder SPD. An Rebellion denkt hier immer noch niemand. Die anderen Herren waren auch nicht schlimmer.

 
monit

Wann immer im TV etwas geplant ist, bei dem es ums Internet geht, fängt das in der Redaktion vermutlich so an: “Internet? Da gibt es doch den mit dem roten Kamm auf der Glatze. Den laden wir mal ein!”
Das nervt. Es gibt für jedes Thema, zu dem Lobo bislang gesprochen hat (wenn er einmal nicht von Lobo sprach) Leute, denen ich mehr Kompetenz zutraue. Insofern ist es vielleicht wieder konsequent, wenn Journalisten keinen anderen kennen – oder bestenfalls dann die drei anderen seit 1990 üblichen Verdächtigen.

Gestern hat er sich öffentlich mit Ingo Lenßen gezankt, dem Darsteller von Ingo Lenßen. Dessen Frisur ist leidlich chicer als die von Lobo, dafür hat er einen preisgekrönten Kleiderbügel an der Stelle, wo Lobo den einfachen Pornobalken trägt. Was Lenßen zum Thema “Das Internet ist böse” zu sagen hat, ist irrelevanter Blödsinn, dagegen macht Lobo eine relativ gute Figur. Relativ, denn Herrn Lenßen hätte man dessen Inkompetenz kühl und beharrlich so lange in die Goschn stopfen können, bis der sich freiwillig (üb)ergeben hätte. Sei’s drum. Das ist alles kein Anlass zur Stellungnahme. Schlimmer noch macht es aber die FR in ihrem bedauernswerten Artikel dazu.

Erziehung ist illiberal

Der entscheidende Absatz:
Lenßen sagt, aus dem Internet dringen Straftaten in den privaten Raum. Eltern könnten nicht jede Sekunde auf ihre Kinder achten. Lobo glaubt hingegen an die Vernunft der Jugendlichen und nimmt immer wieder die Eltern in die Pflicht. Sieh an: Gerade der liberale Lobo, der vermutlich auch nicht dagegen ist, dass beide Eltern arbeiten gehen, fordert, dass diese Eltern immer neben ihren Kinder stehen und sie schützen, wenn die im Netz sind.”

Und jetzt? Gab es eine Meinung dazu? Vor allem: Hat die FR eine? Hätte ich gern gewusst, aber schon die Kategorien dieser rührenden Zusammenfassung sind ein einziger Kopfschmerz. “Aus dem Internet dringen Straftaten”. Genau. So wie sonst nur aus Häusern, Messern, Kiosken und Briefen. Wie dumm muss man eigentlich sein – zumal als Journalist – wenn man im Jahr 2011 immer noch nicht gerafft hat, dass “das Internet” kein Ort ist, kein Sumpf oder Wald, in dem die Räuber lauern? Und allein schon die Bezeichnung “Internetnutzer und Informatikstudent” wäre ein Brüller, verursachte er nicht diese grausame Pein rund um die Hirnrinde.

Und – na klar, die Jugend ist gefährdet. So wie schon im Mittelalter durch die Schriften des Aristoteles. Sie begeht Selbstmord wegen Mobbing im Internet und wird mit neun Jahren schon durch aufpoppenden Porno in ihrer Entwicklung geschädigt. Argh! Das Internet hat noch nie jemanden gemobbt. Das sind Menschen. Das sind dieselben Arschkrampen, die einem in der Schule zusetzen. Das entfaltet erst Wirkung, wenn man sie kennt. Ein Schulwechsel ist da ein probates Mittel, ein neuer Router hilft hingegen nicht wirklich.

Zwischen Kindermord und Aufpoppen

Wo Lobo recht hat, hat er dann wieder recht: Ein Neunjähriger soll allein surfen? Eine blöde Idee. Ich lasse einen Neunjährigen auch nicht allein sein Fernsehprogramm wählen. Wenn beide Eltern arbeiten gehen und das Kind allein lassen, sind sie unverantwortliche Deppen – und brauchen sich über “Internet” wahrlich keine Gedanken mehr zu machen. Was soll der Blödsinn? Ist Lobo jetzt ein Überwachungsfreak? Weil er für Erziehung ist? Nehmt endlich die Nadeln aus meinem Schädel!

Dieselbe Fraktion, die es zuletzt nicht ohne das hysterische Beschreien vergewaltigter Säuglinge und Morde “im Internet” getan haben, schickt jetzt einen vor, dem Erziehung zwar zu anstrengend ist, der aber glaubt, wenn Kinder für einige Sekunden Bilder von Genitalien sehen, sei ihre Entwicklung unwiderruflich gestört. Die FR assistiert diesem Hirnporno auch noch, indem sie jede Logik massakriert und jemanden als illiberal oder inkonsequent darstellt, der sich eventuell arbeitende Eltern vorstellen kann, ohne dafür Kinder im Grundschulalter schon unbeaufsichtigt lassen zu wollen.

Das sind sie also, die Internetkritiker. Sie befinden sich auf einem Niveau mit Islamkritikern und Wetterkritikern. So lange derart der kognitive Kahlschlag regiert, wo Holzmedien und Moralchristen den Doppelklick üben, kann man froh sein, wenn Sascha Lobo sich um diese Leute kümmert. Einem weniger promiskuitiven Internetpromi würde man das nicht zumuten wollen.

Erst geht es jetzt erst mal nach Tripolis, dem Libyer in den Arsch treten. Der Deutsche stellt sich da etwas sperrig an und ist nicht immer zufrieden damit, irgendwen zu erschießen, weshalb er noch immer den Ami vorschickt, der ihm dann konkrete Ziele vorgibt.

tacdroneDas spart dann eigentlich auch Munition, was der NATO doch entgegenkommen sollte. Der Ami aber weiß: Kann man nicht genug von haben, dem enstprechend ist sein Schussverlauf wie beim Schlussverkauf: “Alles muss raus”, danach gibt’s neu. Neue Munition, neue Ziele und immer das eine: Freiheit! Freiheit von dem Feind, dem heidnischen. Jeder kann mitmachen.

Jeder? Im Prinzip ja. Der Heide muss, wenngleich selten so recht klar ist, ob als Ziel oder Schütze. Ziel muss er sein, Schütze kann er sein, wenn’s ein guter Hurensohn ist.

Vor dem Gefecht ist vor dem Geschäft

Der Christenmensch wiederum muss können, da wird jetzt differenziert. Wer sein Arbeitszeug in Ordnung hält und genügend davon vorhält, ist Vollmitglied, die anderen können zwar auch müssen, dürfen aber künftig nur, wenn sie auch können wollen. Der Rest geht in die zweite Liga. Wie bei Euro Nord und Euro Süd gibt es dann NATO Mord und NATO müd. Für alle gilt dann: Dabeisein ist alles, aber Mitreden darf nur, wer können kann. Das Nähere regelt der Commander in Chief.

Internationale Verantwortung übernehmen, für die Freiheit einstehen, die Handelswege sichern. Wer kann dazu schon nein sagen? Der Demokrat in Uniform weiß: Vor dem Gefecht ist vor dem Geschäft. Afghanistan war nur keine Übung, der Ernstfall kommt jetzt erst. Da machen wir mit, da müssen wir hin, das wollen wir auch. Wir sind nämlich nicht nur Papst, wir sind jetzt auch Freiheitsmedaille. Und das mit Recht, denn alles, was zugrunde geht, ist wert, dass das, was hier entsteht, auch stets an alle Fronten geht.

Denn bei aller Freundschaft zu grundgesetzwidrigen Angriffskriegen, bei denen Deutschland auch weiterhin gern symbolisch mitkämpfen wird, weiß auch der Freiheitsnobelpreisträger: Wenn die NATO bombt, muss die Bundeswehr nicht viel deutsches Kriegsmaterial mitbringen. Das haben wir längst voraus exportiert. Unsere Handelswege sind eurer Nachschub. Also Ball flach halten, Mr. President!

 
bioquakeEin 45-jähriger Mann wurde von Betrunkenen angefallen und zu Tode geprügelt, gazettelt es heute. Ein sehr deutscher Offizier verstarb durch Freiheit am Hindukusch. Zwanzig Opfer wurden von der Gurkengrippe dahingerafft.

Wie viele Todesopfer hat ein durchschnittlicher “Vatertag”? Nicht zu reden von Silvester oder Karneval, den Festen der Komafahrer und Amoksäufer. Wie viele Soldaten starben beim unsachgemäßen Reinigen einer überflüssigen Dienstwaffe? Wie viele Menschen werden täglich durch Viren und Bakterien dahingerafft, von denen der Rest der Menschheit nie etwas erfährt? Und wozu diese Relativierungen?

Das ist ganz einfach: Wer sich einmal mit den Geschehnissen auf einer handelsüblichen Isoliertstation oder Virologie befasst hat, weiß, das dort die Rettung des Journalismus lockt. Es gibt wirklich widerliche Keime, die nicht minder eklige Symptome hervorrufen, entsezliche Todeskämpfe und höchst interessante Resistenzen. Wieso hat das bis heute kaum jemanden interessiert? Weil die Erreger der Erregung noch nie mit einer Gurke assoziiert wurden?

Apokalyptische Bedrohung

In der Tat ist die Bedrohung apokalyptisch, allein die Gefahr von Panik oder Gewächshausschlägereien immens in einer Zeit, da das Entgegenkommen eines mit einer Gurke ausgestatteten Mitbürgers als bewaffneter Angriff gewertet werden kann – womöglich muss. Da hilft dann kein Beten mehr, wie Herr de Misere Frau Käßmann bereits deutlich zu machen wusste.

Richtig, die spanischen Gurken sind raus aus dem Rennen, jedenfalls als Alleinstellungsmerkmal für den vegetarischen Gefährder. Man muss die Warnung folgerichtig ausweiten: Obst und Gemüse eignen sich generell als Verursacher eines grausamen Todes, nur mindestens zweiminütiges Duschen bei mindestens siebzig Grad kann dann noch helfen. Tägliches Pasteurisieren der Familie wird daher empfohlen, zusätzlich zu einfachen Gebeten. Von Verzehr wird derweil generell abgeraten. Aus hygienischen Gründen wird bis auf weiteres auch jede Entwicklungshilfe eingestellt.

Die Gurke des Tages ist also leicht bis mittelschwer mit einem durch Schnelltest nachgewiesenen Dingsbums beaufschlagt, aber “genetisch entschlüsselt”, wie wir jetzt wissen. Aha. Es sind Aminosäuren, auch das noch! Meiden Sie Basenpaare, hinter den vermeintlich zärtlichen Cousinen verbergen sich womöglich Ehecschützen. Bleiben Sie zuhause, nehmen Sie keineswegs an Kundgebungen auf öffentlichen Plätzen teil, fahren Sie trotz halbgarer Entwarnungen nicht nach Spanien, gehen Sie nicht über “Los”, behalten Sie diese Psychose, bis Sie aus dem Gefängnis freikommen.

 
moonborgMortimer kletterte bedächtig von dem Traktor, mit dem er bis zum Mittagstee die königlichen Nasenhaare gemäht hatte. Gereicht wurde Earl Grey, heiß, von einem schwulen Schaufensterdekorateur aus Baunatal. Eigentlich als Pferdeknecht eingestellt und entsprechend auf die Bedürfnisse der stets abwesenden Komtesse geschult, vertrieb er sich die Wartezeit mit der händischen Zubereitung von Replikatornahrung. Energie war knapp geworden in diesen Zeiten, und nur die akute Haarwurzelentzündung sorgte für ein wenig Linderung der Lage. Der Frühling stand noch immer vor der Tür, obwohl ihm ein weicher Stuhl gereicht worden war.

Die autonome Halblinke nahm die Gesamtsituation zum Anlass wütender Proteste in der Bartrandzone. Bartrand erfreute sich alsbald enormer Verbreitung. Sogar der ehemalig real existierende Osten stimmte mit ein, sodass sich die Szene kurzfristig radikalisierte. Ein Paket wurde geschnürt und die Autoren in der irrigen Ansicht verhaftet, es handele sich dabei um eine Paketbombe. Tatsächlich entpuppte sich der vor Somalia in eine falsche Flagge eingewickelte Karton als Gesamtpaket, welches an die Gesamtsituation adressiert war. Es beinhaltete nur Altkleider, was beim Abhören einschlägiger Telefonate freilich missverstanden worden war. Nach eingehender Befragung durch als Dienstleister deklarierte Dienste wurden die Überreste auf freien Fuß gesetzt. Der Chefredakteur untersagte ausdrücklich die als spekulativ geltende Aussage des Oppositionsentführers, der Tod sei ein Dienstleister aus Deutschland.

Erst als Kate Middlethrism in Northcobblestone Hall ein Janeinvielleicht in Willams Birne hauchte, flogen die Kronkorken aus der Meisterschale. Derart verhindert, musste Jürgen B. Kloppo absagen: “Guten Abend, das Wetter”. An seiner statt begleitete Jörg B. Kachelmänneken die Hochzeitsnächtigen. Dieses wunderbare Messerset jetzt für unglaubliche soundsoviel Euro. Der Rest wird für karitative Zwecke von mitleiderregend schlecht gelifteten Adeligen unterschlagen. Die Guttenbergs haben alles auf Band und schreiten ein. Endlich!

 
godinc“Es darf jetzt keine Denkverbote geben” ist eine Phrase, die sich selbst beim Bullshit-Bingo verbietet. Gerade darum ist sie vielleicht derzeit so beliebt, insbesondere bei der Bundesregierung. Köstlich: Als hätte je irgendwer der Gurkentruppe vom Spreebogen das Denken verboten! Die Ersatzhandlung, die stets an der Stelle erfolgt, wo Denken genau die richtige Maßnahme wäre, würde man ihnen allzu gern verbieten. Das Minimum an Talent, dessen es bedarf, um eine kognitive Anstrengung mit Erfolg durchzuführen, würde man ihnen herzlich gönnen. Allein: Das Wunder bleibt aus.

In einer einzigen Woche soll nun schon die zweite Aufhebung eines Denkverbotes ergehen. Die PKW-Maut will der Verkehrsminister vom Denkverbot befreien, nachdem bereits der Vorschlag ergangen war, HartzIV-Empfänger zur Zwangsarbeit in der Pflege heranzuziehen. Man wird doch einmal darüber reden dürfen. Aber wie Sarrazins rassistisches Hetzen kein “Reden” war, so ist kein “Denken”, was sich über die Gesetze des Verstandes und des Anstands hinwegsetzt, anstatt sich an deren Leitlinien zu orientieren.

Wenn Deppen denken

Schon gar nicht hätte je ein Verbot geherrscht. Was an den Rand der Meinungsfreiheit und ganz sicher weit über den der Konsensfähigkeit hinweg palavert wird, ist kaum je verboten. Es macht sich nur zum Deppen, zum Hanswurst, im günstigsten Fall zum Gesetzlosen, wer es dennoch tut.
Der Sinn ist aber ein ganz anderer: Man stellt sich selbst als Opfer dar. Opfer einer Unterdrückung, die nicht zulassen will, was doch ach so sinnvoll und gut für die Menschheit ist.

Konkret ist das Beispiel der PKW-Maut noch recht harmlos. Als die LKW-Maut eingeführt wurde, waren die Sorgen groß, dass das System für eine Totalüberwachung des Verkehrs genützt werden könnte, da es sich hervorragend dazu eignet. Damals wurde zur Beruhigung behauptet, es werde niemals zu Fahndungszwecken oder für PKW angewendet. Das war eine Garantie. Davon abzuweichen ist kein Denkverbot, sondern ein Betrug. Obendrein ist die dreifache Belastung von Autofahrern durch Mineral- und KFZ-Steuer sowie Maut kein wirklich kluger Gedanke, zumal neben der Pendlerpauschale auch ein Anteil der Maut wieder freigestellt werden müsste, da sie das verfügbare Einkommen absenkt. Denken? Gern, fangt getrost damit an und legt die Machete an den deutschen Steuerdschungel.

Der lästige Artikel 1

Eine ganz andere Kategorie ist die Drohung, Arbeitslose in Pflegejobs zu zwingen, womöglich für einen Euro die Stunde. Was hier als “Denkverbot” deklariert wird, ist dieser lästige Artikel 1 des Grundgesetzes. Das Motiv ist der pathologische Hass auf die Verlierer der Gesellschaft, denen man ihre Freizeit nicht gönnt, in der sie sich mit Schnaps und Spielen von ihrem trüben Dasein ablenken. Bestrafen soll man sie, mit harter Arbeit als Befehlsempfänger, einer Arbeit, von der sie zwar immer noch nicht leben können, die sie aber ganz in Anspruch nimmt.

Das ist schon mies genug, aber die Opfer der Veranstaltung sind noch ganz andere, diejenigen nämlich, denen man solche Sklaven auf den Hals schicken will. Wer pflegebedürftig ist, so die Logik, hat keinen Anspruch auf qualifizierte Fachkräfte, die sich adäquat um ihre Klienten kümmern. Er hat sich vielmehr zur Verfügung zu stellen als Material, das von abkommandiertem Abschaum bearbeitet wird. Die merken ja eh nix mehr, die Alten und Behinderten.

Eine seltsame Vorstellung von Würde muss haben, wer dergleichen befürwortet. Vermutlich muss man Christ sein, um das zu verstehen – wobei die heilige Mutter Kirche ja bekannt ist für ihre strikte Ablehnung von Denkverboten. Kurz vor Ostern kommt dieser Vorstoß daher gerade recht. Wer sich auf die alten Tage pflegen lässt, sollte keine hohen Kosten mehr verursachen und sich ein Beispiel am Erlöser nehmen. Dem ging es in seinen letzten Tagen ja auch nicht besser.

dolphEinen großen zweckfreien Bogen möchte ich heute spannen, über Volker Bouffier. “Wie das?“, fragt der Delphin, der in meinen alten ledrigen Tränensäcken schwimmt, “der Mann ist doch schon over the rainbow“. Dann schließen wir den Kreis halt, machen vielleicht eine schöne Kugel daraus, eine schillernd seifige Blase, in der wir ihn davonfliegen lassen. Ins Ausland am besten, vielleicht in die Türkei, wo er sich einweisen lassen soll. Immer bloß von hie nach dort ausweisen ist nämlich irgendwie einseitig.

Langsam aber, wie kommt der Mann jetzt darauf? Las ich doch eben, die Opposition im hessischen Landtag habe geklagt, und das sogar erfolgreich. Nachdem Koch-Bouffiers schwarze Schergen den Untersuchungsausschuss zu den amtlich schikanierten Steuerfahndern zu einer Karnevalssitzung umfunktioniert haben nämlich. Hatte ich mich also neulich über das Parlament echauffiert, dem so gar nichts einfiele, um den Kabinett der dunklen Macht das Handwerk zu legen, so ist das doch immerhin ein Schrittchen in die richtige Richtung.

Nennt mich verrückt …

Sehr zufällig las ich außerdem vorhin in einem alten Artikel hier folgende Worte, die die Kanzlerin persönlich fand, um den ausländerkritischen Wahlkampf von Koch und seinem Innenminister Bouffier Anno 2008 zu rechtfertigen:
Es kann doch nicht sein, dass eine Minderheit von Menschen in unserem Land einer Mehrheit von Menschen Angst macht“.
Es ging damals um kriminelle Jugendliche aus der Fremde, in die zurück zu reisen die Hessen-CDU Anreize mit Hand-und Fußfesseln zu bieten gedachte.
Damals hatte ich mich nicht lange damit aufgehalten, den Satz wörtlich zu nehmen, das will ich hiermit nachholen:

Ist es nicht quasi immer so, dass eine Mehrheit Angst von einer Minderheit hat? Meist vor einer Minderheit, der sie kaum je begegnet? Angst ist ja quasi der Schrecken vor einer Situation, die möglichst nie stattfinden soll.
Frau Merkel aber steht offenbar zu ihren Parteifreunden in der Weise, dass sie die Angst der Minderheiten vor der Mehrheit sicherstellen will. Nur so nämlich erklärt es sich, dass ausländische Jugendliche mit aller Härte verfolgt werden sollen, während einvernehmliches Schweigen herrscht, wo der Schlägertrupp aus heimischen CDU-Familien stammt. Da wird sogar vom Landesvater selbst dafür gesorgt, dass die Mehrheits-Täter die Minderheits-Opfer einschüchtern und nicht etwa umgekehrt.

Und was macht die Opposition in dieser Sache? Sie wartet darauf, dass sich ein Jurist findet, dem etwas dazu einfällt. In ein paar Jahren vielleicht. Derweil steht sie treu zu ihrem Wort, niemals mit den Linken zu paktieren. Keine Wahlversprechen zu brechen. Und sollte es einmal nicht reichen für Schwarzgelb, eine große Koalition zu schmieden.

Nennt mich paranoid-querulatorisch oder sonstwie verrückt“, flüstert mir fröhlich planschend mein Delphin zu, “aber die spinnen, die Hessen!

Nicht ganz zufällig ist wohl die Assoziation mit dem ersten Gang aufs Töpfchen, wenn von “Stolz” die Rede ist. Wer sich partout nicht aus der analen Phase lösen kann, ist vermutlich dauernd stolz auf irgendetwas, und vermutlich um so stolzer, je strenger das riecht.

Einen solchen Dung verehren darum auch offensiv die Rechten und ganz Rechten sowie die Kämpfer für die Innere Sicherheit, jene Expertenkaste, die stetig Angstpolitik und Ausländerfeindlichkeit mit Leidenschaft zu einer braunen Melange anrührt.

talibaAls Innenminister muss man so gestrickt sein, und De Maizière steht da seinen Vorgängen Schäuble und Schily in nichts nach. Ernsthaft hat die politisch-mediale Begleitlyrik die letzte Panikattacke der Berliner Terrorsirene unisono als “besonnen” besungen. Es wurde zwar schon der nächste Reichstagsbrand beschworen und man war sich nahezu sicher, dass im November der islamistische Terror endlich auch in Deutschland Station machen würde. Es war auch Konsens, dass alles zu melden sei, was nicht bekannt, normal und unauffällig war. Aber das war noch besonnen – wir können nämlich auch ganz anders?

Die Bürger hätten ihre freiheitliche Lebensführung beibehalten und der Bedrohung damit die Spitze genommen. “Hierauf können wir gemeinsam stolz sein.” Die Sicherheitsbehörden gingen auch künftig allen Hinweisen nach. Eine Garantie gebe es aber nicht, die Bedrohung abzuwenden“,

zitiert die “Zeit” und hält es nicht für nötig, ein Wort der Distanzierung von dieser Lächerlichkeit anzufügen. Dass also die meisten schon gar nicht mehr zuhören, wenn der eh falsche Alarm gegeben wird und nur wenige sich zu Denunziationen haben hinreißen lassen, darauf möchte der Herr jetzt “gemeinsam stolz” sein. Gemeinsam mit wem eigentlich? Macht da irgendwer mit?

Eine Garantie, nicht bedroht zu werden, gibt es nicht, das stimmt. Es gibt auch immer wieder Terror mit Todesopfern in Deutschland. Diese sind aber vermutlich selbst schuld. Man muss ja nicht komisch aussehen und sich dann auch noch in No-Go-Areas herumtreiben.

Der Jahresvorblick ergab folgende Wertungen der Kristallkugeljury:

Januar: Der letzte Wehrpflichtige der Bundesrepublik Deutschland wird gemustert. Bei der Liveübertragung des EKG (Eierkontrollgriff) wird erstmals das deutsche Internet abgeschaltet. Großherzog zu Guttenberg stellt die neue Leibstandarte 18 vor, die direkt dem Bundeskanzler untersteht.
Das verfassungsgerichtliche Ultimatum zu Hartz IV läuft ab. Das neue Gesetz sieht vor, den Bedarfssatz auf 300 Euro festzulegen, zukünftige Erhöhungen ausgeschlossen. Dafür werden Lebensmittel und Gebrauchswaren mit Preisbindung eingeführt, die Produktlinien “Monsanto Instant” und “Poco Standard Allday”.

Februar: In Buschehr (Iran) geht das erste AKW ans Netz. Zur Eröffnungsfeier schickt die Allianz der Willigen einige mittelschwer bewaffnete Kampfsjets, die über Jordanien kollidieren. Die Israelische Armee bombardiert daraufhin den Gazastreifen. In einer Email von Osama Ibn Laden, die 12 der 65 US-Geheimdienste für echt halten, ruft der Terrorfürst zum Jihad auf. Man müsse Irans Freiheit auch am Hudson verteidigen.
In Köln findet der Bloggerkongress “(Re)evolution” statt. Hier treffen sich linksliberale Premiumblogger mit Whistleblowern und Künstlern, um die Welt zu retten. Dies gelingt, hinterlässt aber eine menschenleere Erde. Schade.

März: Landtagswahlen in Hessen, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz. Aus Kostengründen werden die Ergebnisse zusammengefasst. Roland Koch wird dreifacher Ministerpräsident. Roland und Bilfinger verschmelzen zu Roland Bilfinger Berger und werden Staatskonzern. Statt der Wehrpflicht gilt nun Beratungspflicht. Alles muss raus.
Bei den 20-Jahr Feiern des Sieges (Pauli gegen Bayern) setzen die Demonstranten erstmals Pfefferspray und Wasserwerfer gegen die Polizei ein. Ein Sprecher der Davidwache: “Klei mi am Mors, Respekt!”.

April: Die Queen feiert noch schnell ihren 85., ehe Prinz William und Kate Hesketh-Fortescue sich in North Cothelstone Hall das Yesword given. Zwischen Middelthrism und Nether Addlethorpe kommt es zu antiroyalistischen Kundgebungen zweier Punks, die spontan vom Lynch gemobbt werden.
Zuvor wird sich Vizekaiser zu Guttenberg am 01.04. mithilfe der Leibstandarte an die Macht geputscht gehabt haben. Futur II und III werden verboten. Da aufgrund des unglücklich gewählten Datums niemand den Staatsstreich ernst nimmt, erklärt sich von von zuzu Guttenberg zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nationen. Seine Beliebtheit steigt damit erstmals auf über 100%.

Mai: Bei den traditionellen Maikrawallen in Berlin setzt die Polizei erstmals Pflastersteine und Molotowcocktails ein. Ein Sprecher der Autonomen dazu: “Leck mich am Arsch, Respekt!”
Beim Eurochanson de la Vision Grand de Prix gewinnt nach tumultartigen Auszählungen Lena. Valaitis. Ralf Siegel wird Reichskulturminister. Stefan Raab und Mario Barth zünden sich öffentlich gegenseitig an. Thomas Gottschalk moderiert. Die Tagesschau wird abgesetzt und durch den “Singenden Volksmusikboten” ersetzt.

Juni: Die USA besetzen Island.
Beim allerletzten Start des Space Shuttle sind Michael Moore und Julian Assange an Bord. Durch eine Verkettung dümmster Zufälle überleben beide. Vladimir Putin bietet ihnen Asyl.
Seuchenminister Rösler warnt vor der Hundegrippe. Die Pandemie kann durch den Kauf von 200 Millionen Impfdosen abgewendet werden. Rösler betont, deren abschreckende Wirkung habe das Virus in die Flucht geschlagen.

Juli: Der letzte Wehrdienstleistende wird rekrutiert. Man feiert ausgelassen bei Leber und Strohrum. Prinzessin Stefanie Zumzum überrascht die Gesellschaft mit ihrem Besuch und singt den Gassenhauer “Nackt im Spind, die Nachtschicht wütet”.
Vizekanzlerin Merkel fordert eine “Gemeinsame Lösung”. Sie beauftragt Josef Ackermann mit der Bildung einer Kommission. Zur Stützung systemrelevanter Banken wird eine Steuer auf Schulbücher erhoben.

August: Anlässlich des 50. Jubiläums des Mauerbaus wird die “Linke” verboten. Ulrich Junghanns hält eine viel beachtete Rede über die Segnungen der Sozialen Marktwirtschaft.
Es ist heiß. kurze Höschen und so. Wann bin ich endlich zu alt?
Zur Stützung des Euro wird eine Steuer auf kaltes Wasser erhoben.

September: Feynsinn wird 6 und widmet sich neuer Themen: Frauen mit beschädigter oder fehlender Kleidung, die Hitlers, Anlagetips für Insider. ‘Flatter’ wird Redakteur beim “Spiegel”.
Der Papst kommt nach Thüringen. Großer Exklusivbericht bei Feynsinn. Ich darf dem Heiligen Vater den ******* Ring küssen.
Bei den Präsidentenwahlen in Ägypten erhalten Husni und Gamal Mubarak je 100% der Stimmen. Glückwunschbotschaften aus aller Welt loben die gefestigte Demokratie am Nil.

Oktober: Anlässlich des 50. Jahrestags des “Massakers von Paris” brennen landesweit die Autos. Präsident Sarkozy de Funes hebt die Unabhängigkeit Algeriens wieder auf.
Der Deutsche Bundestag verlängert das Afghanistan-Mandat bis 2020. Dies sei erforderlich, weil ohne die Demokratie am Hindukusch auch die in der Heimat verloren wäre, so Verteidigungsminister Gabriel.

November: Am 25. Jahrestag des Sarkophags von Tschernobyl beschließt das Bundesatomkraftamt den Bau 25 neuer AKWs in Zusammenarbeit mit der russischen Atomprom. Die Reaktoren sollen in Polen gebaut werden, rechtlich aber den Nachbarländern gehören.
Am 11.11.’11 finden bundesweit Massenhochzeiten unter Kamelle- und Weinzwang statt. Der gesetzliche Feiertag wird mit Zustimmung der Gewerkschaften durch zwei Urlaubstage kompensiert.

Dezember: Die Kaiser Franz und Karl-Theodor rufen unter frenetischen Jubel der Massen gemeinsam zur totalen Mondfinsternis auf. Der Trabant tritt von Schamesröte gezeichnet in den Erdschatten ein.
Der Aufschwung darf nicht gefährdet werden: Weihnachten wird ausgesetzt und soll in einem der kommenden Jahre an einem Wochenende nachgeholt werden. “Das hat uns letztes Jahr auch nicht geschadet”, so BDA-Chef dicker Dieter Hundt.

In einem auch im Ganzen interessanten Interview mit der TAZ legt Uwe Lehnert den Kern des politischen Christentums bloß:

Nach meiner Erfahrung sind die meisten Kirchgänger Traditionschristen. Sie machen mit, was sie mal gelernt haben, finden das ganz schön und sehen keinen Grund, daran etwas zu ändern. Ihr Christentum besteht aus einer allgemeinen Gottgläubigkeit und dem Wunsch, als guter Mensch zu gelten.”

kreuzschau

Dieser auf den Punkt gebrachte biedermännische Prozess der Anpassung an eine Gesellschaft ist der Kern des Konservativismus. Er versucht nicht etwa etwas zu erhalten, das er zuvor als wertvoll erkannt hat, sondern beruht auf zwei Wünschen: Ich will dazugehören und ich will, dass sich nichts grundlegend ändert.
Diese Wünsche und ihre Projektionen sind ungemein stabil, und sie vermögen sich gegen Wirklichkeit bis zur Paradoxie abzuschotten. Auch dies ist bereits im christlichen Grundgerüst angelegt:

Dieser Opfertod soll mich von meinen Sünden befreien. Das ist steinzeitliches Denken. Damals brachte man den Göttern Opfer, um sie gnädig zu stimmen, in ganz dramatischen Situationen opferte man sogar den Erstgeborenen. Heute noch so zu denken, finde ich geradezu absurd. Fällt einer allmächtigen Gottheit nichts anderes ein als eine grausame Hinrichtung, um sich mit uns zu versöhnen?

Warum sollte ihr, wenn sie damit so erfolgreich ist? Wäre der christliche Sadomasochismus wie alle anderen Produkte dieser Art nur für Erwachsense freigegeben, hätte sich diese Religion bereits erledigt. Das “steinzeitliche Denken” aber, mit seinen Drohungen, starken Reizen und Absurditäten, ist bestens dazu geeignet, Kinderpsychen zu programmieren. Allmacht und Paradoxie, das sind die Bausteine der grundlegenden Prägungen – einschließlich der traumatischen.

Steinzeitliches Denken

Was so angelegt ist, wird man nicht mehr so schnell los. Es fordert Wiederholung und Ritual, und siehe da: Alles schon fertig vorbereitet und aufgetischt. Der Leib Christi, Amen!
Längst aber sind solche Wunschkonstellationen nicht mehr auf die Kirchen angewiesen. worüber diese ja auch laut zetern. Dazugehören und sich nicht auf veränderte Realitäten einlassen müssen, dieses gemütlich-reaktionäre Weltbild wird reichlich bedient, absurd bis zur Lähmung zwar, aber immer gern genommen. “Zeitungen”, Werbung, Politiker und Lobbyisten verkaufen und versorgen uns täglich mit Formeln, die auf jede Lebenslage gleich passen. Eigentlich nämlich gar nicht, aber wer fest steht im Glauben, den ficht das nicht an.

Wer sich daher wundert, wie sehr sich scheinbar gegensätzliche Gesellschaftsentwürfe in der Realität ähneln und sich auf die Dauer immer mehr annähern, der muss zur Kenntnis nehmen, das hier archaische Kräfte im Spiel sind, die zu unterschätzen ein großer Fehler wäre. Zuallererst ist die Kränkung hinzunehmen, dass der Verstand nur ein Symptom ist und nicht Herr im Hause.

Schon Freud hat die Konstruktion der Realität als Alternative zur Halluzination beschrieben. Wohlgemerkt: Die Halluzination hat die älteren Rechte. Erst durch die Abwehr des Wunsches, um dessen Erfüllung er mit dem Traumbild ringt, entsteht der Verstand. Er ist aber Sklave des Wunsches und Instrument zu dessen Erfüllung. Die Erfindung der “Vernunft”, des sich selbst leitenden Verstandes, ist ein Hirngespinst.

Vernunft, ein Hirngespinst

Es gilt also, ein Konstrukt zu finden, das möglichst alle Instanzen bei Laune hält. Wenn der Verstand nichts mehr zu meckern hat, ohne dafür betäubt zu werden, ist ein Optimalzustand gegeben.

freudmindDas Gebilde, das die äußerst unterschiedlich motivierten Anteile der Psyche versöhnen soll, hat Max Weber “Theodizee” genannt. Darunter ist eigentlich zu verstehen, wie die Religionen es fertig bringen, allmächtige Götter mit einer oft grausamen und ungerechten Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Aber dahinter steckt mehr als bloß eine Frage der Religionssoziologie. Es gibt für alle Gemeinschaften und Gesellschaften ein schillerndes Regelwerk, das ‘Gut’ und ‘Böse’, ‘Zugehörig’ und ‘Fremd’ festlegt. Man schöpft quasi seine Identitäten daraus. Im Grunde ist da alles verhandelbar – zum Beispiel, wer Deutscher ist oder Schalker, Christ oder Rapper, Punk oder Banker. Es muss aber für jede Gruppe und damit Identität etwas geben, was sie tun und lassen muss.

Die (christliche) Religion hat dieses Spiel zur absoluten Sinn- und Inhaltslosigkeit perfektioniert. Der Erlöser ist schon lange tot und wird nicht wiederkehren. Im Diesseits gibt es entweder keinen Lohn oder er ist umso gottgefälliger, je mehr man scheffelt ohne etwas davon zu haben. Und für beides gilt: Jeder strickt sich das so zurecht, wie es ihm passt. Gott sieht zwar alles, aber er ist unfassbar gleichgültig. Das sind inzwischen auch seine Schäfchen. Eine soziale Kontrolle findet immer weniger statt. Es gibt für alles Entschuldigungen. Die 68er waren’s.

Du Opfer!

Auf dieser Basis blüht die geilste und dümmste denkbare Paradoxie: “Denke nur an dich, dann ist allen geholfen”. Dieses Leitbild ist so denkwürdig krank und unsinnig, dass ein ungetrübter Verstand sofort Alarm schlagen würde. Aber mei, absurd war schon immer hoch im Kurs bei uns. Es ist zwar völlig spinnert, aber es schmiegt sich dem eingespielt reaktionären Grundraster hervorragend an: Die Ordnung ist per se richtig. Oben ist oben, unten ist unten, und jeder kriegt, was er verdient. Alle dürfen vom Paradies auf Erden träumen, es gibt sie wirklich, die Milliardäre. Niemandem kann ein Vorwurf gemacht werden, wenn er rücksichtslos aufwärts strebt. Schuldig, eigenverantwortlich, sind allein die Opfer. Sie leiden zurecht, womit das große Dilemma perfekt gelöst ist.

Diese Halluzination wird zusammenbrechen, weil die Wirklichkeit am Ende doch immer siegt. Zur Not entledigt sie sich gleich der ganzen Menschheit. Der Neoliberalismus wird dann vermutlich mit wehenden Fahnen und einem beherzt gegrölten “Unentschieden!” untergehen.

Wer etwas anderes will, muss sich allerdings deutlich machen, dass jede Änderung auf Widerstand stoßen wird, allein weil sie eine ist. Er wird beachten müssen, dass ihm ohne ein großes Versprechen niemand folgen wird. Wer er es ehrlich meint, muss beides schaffen: Eine neue Illusion und den Blick für die Realität. Der Konkurrenz reicht derweil die erste Hälfte.

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