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Kohle, Stahl und dicke Luft: Blick übers Ruhrtal

Feudalismus ist an Rhein und Ruhr kein Aufreger, nicht einmal Besatzer, woher sie auch kommen mögen. Drei Ottos hat der Pott ausgesessen, Konrads und nachbarschaftliche Grafen oder Kurfürsten, Römer, Preußen, Franzosen und Engländer, zuletzt die Bohlen und Halbachs, deren letzter Statthalter in der Villa auf dem gleichnamigen Hügel als Herr der Ringe noch heute residiert.

Dort also lebt das einfache, ehrliche Volk, knapp bei Verstand, bienenfleißig, von Staublunge und Kumpelbuckel gezeichnet. Über der Megastadt liegt ein dicker Grauschleier, Überall ist der Hammerschlag des Stahls zu hören, die Straßen zwischen den Halden sind mit Kohlenstaub bedeckt.

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Arbeiterrad: Kost nix, is nix. 598-Euro-Japaner “fürm halben Preis gekricht”

Der Arbeiter an der Ruhr ist nicht geizig, muss sich aber nach der Decke strecken. Sein Fahrrad wird nie den Tegernsee sehen, man würde ihn dort trocken von der Straße drängen, ohne lange die Hupe zu betätigen. Er schämt sich nicht, hier mit einer Möhre herumzugurken, die in anderen Kreisen sogar vor dem Sperrmüll versteckt würde. Die Bescheidenheit geht nahtlos über in Schamlosigkeit, mancher trägt die Armut wie einen an der Straßenecke geöffneten Mantel vor sich hin.

bremsschaltIch mag diesen Landstrich, gerade das Eisen in der Luft. Der beißende Qualm aus Chemikalien und Koks gehört einfach dazu. Als linksrheinisch aufgewachsener Zivilisationsbürger ist das hier für mich der halbe Weg nach Russland. Undenkbar, dass ich mich freiwillig hier niederließe – hatte ich immer gedacht. Was mich hierher verschlagen hat? Ja was wohl, ein Mädchen aus dem Kohlenpott. Passé auch das. Was bleibt, ist die Erotik des Alters.

Wenn man zwei Monate hungern muss, um sich das Vorvorjahresmodell eines mit japanischer Hardware behängten Alu-Gestells zu leisten, bleibt dafür freilich auch nicht mehr viel übrig. Kein Colnago, kein Pinarello, keine Crevetten oder Piña Colada. Pils für den Vater, ein bißchen Obst für die Tochter – man lässt sich ja nichts nachsagen, gesund muss es schon sein, was die Kleine mit in die Schule nimmt. Dass es sonst nichts gibt, hält man dort für einen Scherz, oder man lacht trotzdem mit.

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Für Obst hat’s gerade noch gereicht. Mag ich aber nicht. Bleiben für mich nur die Tomaten.

Nach Jahren geprägt durch Anpassungsstörungen, die jeder hat, der nicht in einer Halde voll Kohle geboren wurde, werde ich inzwischen akzeptiert von den Menschen des Ruhrtals. Die sich ihr Paradies geschaffen haben in der sozialen Marktwirtschaft. Ihre Großeltern haben sich für Schwarzweißfernseher und VW Käfer auffen Pütt kaputtgeschuftet, die Enkel lassen sich im Job Center von umgeschulten Postbeamten bespucken. So ist halt der Markt, denkt sich der Essener was und wählt wieder SPD. An Rebellion denkt hier immer noch niemand. Die anderen Herren waren auch nicht schlimmer.