Dass Kapitalismus, vor allem in seiner neoliberalen Ausprägung, religiöse Züge trägt, ist nichts Neues. Damit verbunden ist aber etwas noch Wichtigeres, nämlich die Erzählung, die dahinter steht. Es gibt einen schönen Begriff, der für wissenschaftsferne Menschen vielleicht abschreckend klingt, den man sich aber einprägen sollte: Das “Narrativ”, was eigentlich nichts anderes bedeutet als “Erzählung”. Es handelt sich dabei um die herrschende, die gängige Erzählung von den Dingen und wie sie angeblich seien. Wer zu weit davon abweicht, dringt nicht durch.

Als Jesus einmal schwer betrunken und bekifft aus dem Bordell kam, war er so high, dass er auf der Straße einen Penner zusammentrat. Zwar entschuldigte er sich am nächsten Tag, warnte aber seine Jünger davor, sich im Rotlichtviertel auf die Straße zu legen. Das sei einfach dämlich. Dann bestieg er ein Taxi.

Stimmt ja gar nicht

Der Passus geht nicht in die Bibel, und selbst wenn irgendwer auf eine Quelle stieße, die diese Geschichte bestätigte, sie würde niemals in die Erzählung der christlichen Religion aufgenommen. Jedenfalls so lange nicht, wie die Kirchen noch einen Einfluss auf die Verwaltung der Geschichte ihres Gesalbten haben. Im Gegenteil gelingt es ihnen seit Jahrtausenden, ihren ausdrücklich als Schäfchen titulierten Anhängern weiszumachen, die (später heilige) Hure (“Sünderin”) Maria Magdalena habe vor Jesus gekniet, um ihm die Füße zu waschen. In jedem anderen Kontext taugt diese Darstellung nur zum Witz.

Kapitalismus als Narrativ hat die Beziehungen rund um Ware und Profit in eine Erzählstruktur eingewoben, die das, was Marx noch als “Fetisch” bezeichnet hat, längst als Naturgesetz erscheinen lässt. Der Klassiker: “Arbeitgeber” geben “”Arbeitnehmern” die Arbeit; letztere müssten also dankbar sein, weil die guten Eigentümer ihrem Leben einen Sinn geben. Dieses muss man sich schließlich “verdienen”, genau wie das Geld, das die “Arbeitgeber” ihrerseits für ihre “Verantwortung” bekommen und ihr “Risiko”. Ganz gleich welchen dieser Erzählstränge man analysiert, es kommt in der Wirklichkeit stets das Gegenteil dessen heraus, was das Narrativ behauptet. Allein: Es fehlen schon die Worte dazu. Ein “Arbeitgeber” nimmt doch nichts und sein “Arbeitnehmer” kann ihm nichts geben, per definitionem eben.

Das Narrativ steht natürlich in enger Beziehung zur Propaganda, aber es ist nicht dasselbe. Schon die oben genannten Beispiele zeigen, dass sich in der großen Erzählung die Darstellungen eingeschliffen haben – es sind ja die “Arbeitnehmer” selbst, die sich mit ihrer Rolle identifizieren, die vom “verdienen” reden und inmitten einer organisierten Enteignung der Massen so tun, als sei Eigentum das Resultat von Arbeit. Es sind die Arbeiter, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, als Aufrührer, “Kommunisten”, “Sozialisten”, “Marxisten” oder Schlimmeres zu gelten, die niemals “destruktiv” sein wollen, egal mit welcher Brutalität ihresgleichen behandelt wird.

Risse im Kitt

Andauernde Propaganda gestaltet das Narrativ, hat längst dafür gesorgt, dass Begriffe wie “Kapitalisten”, “Profite” und “Ausbeutung” tabuisiert wurden. Es werden “Gewinne” gemacht von “Unternehmern”, und das ist natürlich “sozial”. Es werden absurde Erzählstränge aufgebaut wie zum Beispiel das “Trickle down”, also die Behauptung, wenn die Reichen reicher würden, fiele für alle etwas davon ab. Dieser Akt der Propaganda verfängt freilich bislang nur bei den Idioten der “Tea-Party” in den USA. Interessanterweise führt aber ausgerechnet die Propaganda wieder die Fäden zusammen, die sie eigentlich getrennt haben will, weil sie sich nicht in ein Narrativ einpassen lassen:

So ist es der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (INSM) zu verdanken, dass die Trennung von “Kapitalismus” und “Marktwirtschaft” wieder aufgehoben wird und hinter der Fassade der wahre Kern zum Vorschein kommt. Während eifrige Verfechter einer sogenannten “Marktwirtschaft” (nicht zuletzt Sozialdemokraten) versuchen, Kapitalismus einen hübschen Anstrich zu geben und sie gegen die bösartige Verlaufsform “Neoliberalismus” abzugrenzen, gehen ausgerechnet die knallharten Neolibs hin und nennen ihre Konzepte trotzig “soziale Marktwirtschaft”. Es sind diese Risse durch Narrativ und Propaganda, in die man Wasser gießen kann, um die Fassade aufzubrechen. Dazu muss man sich traurigerweise allerdings zuerst mit denen anlegen, die sich für die Freunde der “Arbeitnehmer” halten.

 
Ich wurde neulich dazu aufgefordert, mich zu wiederholen, als ich nörgelte, ich könne doch nicht zu jedem Mist immer wieder neu denselben Senf hinzu geben, zumal Mist mit Senf weder schmackhaft ist noch zur Metapher taugt. Es sei wichtig, sich zu wiederholen, meinte der Kollege, und er hat recht, denn dem Einträufeln der Propaganda durch Wiederkäuen ist nicht mit täglich Neuem beizukommen – zumal da draußen nichts Neues passiert. Ich habe also mal den April 2006 besucht und einige interessante Geschichten gefunden, die ich kurz vorstelle und kommentiere. Es gleicht weitgehend einem Dejà-vu, aber mit einem gewissen Entsetzen stelle ich fest, was sich in mir inzwischen hat ändern müssen.

22.04.2006:

Es ist nicht zu fassen, aber die Kanzlermimin plant schon wieder einen Gipfel. Diesmal sollen die größten deutschen Familienunternehmen über die “Erbschaft- und Unternehmensteuern” entscheiden. Eine große Koalition, die mit allen herumkuschelt, nichts mehr selbst entscheidet und die Reichen fragt, ob sie Steuern zahlen wollen, während sie das Arbeitslosengeld kürzt – wer braucht so etwas? Hast du das gewählt, Deutschland?
Das Bündnis für Currywurst muß also noch warten, erst einmal gibt es den Erbschaftssteuergipfel mit den Betroffenen. Der “Integrationsgipfel” müßte konsequenterweise unter Beteiligung führender Neonazis und angehender Selbstmordattentäter stattfinden, der “Rat für Innovation und Wachstum” mit der katholischen Kirche und der “IT-Gipfel” im Hause Microsoft.
Angesichts des Irrsinns, den sich diese Nichtregierung leistet, müßten die Straßen brennen und der Generalstreik ausgerufen werden. Was aber sagt Du-bist-Deutschland dazu? Alle finden das Merkel ganz prima. Allmählich mache ich mir ganz eigene Gedanken über Integration. Und darüber, auszuwandern.

Wer sich in diesen Tagen also über die Frechheit der FDP echauffiert, sollte nicht vergessen, wer das Netzwerk der Korruption verantwortlich installiert hat. Im Gefolge von Schröders Kumpelhaftigkeit hat die Bleierne sich zu Beginn ihrer Ägide alles an den Tisch geholt, mit dem sich kungeln ließ. Seitdem wird vom Kapital durchregiert.

07.04.2006:

Wenn eine öffentliche Debatte entsteht, schwärmen sofort die Clowns der Meinungsindustrie aus, um Erheiterung in Form bedeutungsloser Zahlen zu verbreiten. Ihr zweckfreies Spiel mit Fragen und Statistiken darf wohl als zeitgemäße Form der Kunst anerkannt werden.
So auch aktuell, da es um den Erhalt der Hauptschulen geht. Weiß der Volksmund sehr wohl um die Weisheit “Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal das Maul halten”, ist Kompetenz für die Artisten der Demoskopie keine Größe, die man irgend berücksichtigen müßte. Eifrig fragen sie die Menschen nach deren “Meinung”, ob diese nun eine haben oder nicht.
Bezogen auf die Hauptschulen fragen sie ein Volk, das gar nichts anderes kennt als die Dreigliedrigkeit. Sie fragen ein Volk, das Gesamtschulen kennt als Hauptschulen mit Zusatzoption. Ein Volk, das sich in einer unsäglichen “Stop-Koop”-Kampagne hat vormachen lassen, integrative Beschulung sei kommunistische Gleichmacherei. Kurz: Das befragte Volk reagiert auf jede Alternative zum bestehenden Schulsystem mit Angst aus Unwissen.
Der besondere künstlerische Wert besteht nun darin, daß sich das Volk in seiner Inkompetenz nicht im mindesten von seinen verantwortlichen Vertretern unterscheidet. Das ist das eigentliche Ergebnis der Umfrage.

Als ich jüngst auf die Eintrübung der Freude über die Erfolge der Steinbrück-SPD hinwies, habe ich das vor allem auf den Meinungsschmied Güllner (Forsa/SPD) bezogen. Man müsste aber eigentlich ins tägliche Mantra einbinden, wie unqualifiziert die Settings der meisten “Erhebungen” sind. So etwas hätte ich im zweiten Semester Sozialwissenschaften um die Ohren gehauen bekommen. Macht aber nix, ist ja nur für die ‘politische Meinungsbildung’.

02.04.2006:

Die Nichtwählerschaft besteht zu immer größeren Teilen aus ärmeren und weniger gebildeten Menschen. Der Hartz IVer geht nicht hin, er hat die Hoffnung aufgegeben. Dieser Effekt, den man oberflächlich betrachtet als “Nebenprodukt” der Politik Schröders und seiner Nachfolger bezeichnen kann, weist auf die eigentliche Erosion sozialdemokratischer Politik hin. War es schon immer ein Fehler, Fürsorge in der Sozialpolitik auf finanzielle Hilfen zum Lebensunterhalt zu reduzieren, so schlägt nunmehr die Entwürdigung der Abhängigen voll durch und führt sie in die Depression. Der Skandal des Schröderismus besteht nicht in der Kürzung von Mitteln. Er manifestiert sich in der schikanösen Behandlung von Empfängern staatlicher “Almosen” und dem gegen sie ausgesprochenen Generalverdacht, sie seien faule Säcke und selbst schuld an ihrem Elend. Dieser fatale Trend bedeutet das (hoffentlich nur vorläufige) Ende der Sozialdemokratie in Deutschland.

Bis zur Schuld am Elend nichts Neues, das kann man allerdings auch gern öfter wiederholen, wer die letzte Stufe der Propaganda gegen Lohnabhängige – denn die sollen getroffen werden, ganz gleich ob sie noch lohnarbeiten dürfen oder nicht – gezündet hat. Inzwischen sind ja bald die meisten Europäer faul. Dann aber komm die Stelle, an der ich in der Magengrube erbleiche. Das steht da wirklich: Ich hoffte darauf, es möge wieder eine Sozialdemokratie entstehen, die sich um die Belange der Lohnabhängigen kümmert. Heute betrachte ich das als unerhört naiv und jenseits aller Erkenntnisse, die über den Sozialdemokratismus herrschen. Schmerzen!

 
schoibagol2Schäuble fordert Portugal zum Sparen auf. Das ist so unsagbar dämlich, dass es allein deshalb schon ungeheuer provoziert. Solche Kommunikationsbeiträge sind inhaltlich nicht mehr verwertbar, weil sie sich zu allen Grundlagen der Vernunft konträr verhalten. Sie verstoßen gegen die Logik, jede Erfahrung und die Gesetze der Sprache, in denen sie formuliert werden. Dem Troll ist damit Aufmerksamkeit sicher – die der empörten Gegner, die ein Dutzend Anlässe finden, sich zu echauffieren und die derer, welche einfach Freude daran finden, anderen eins auszuwischen. Kaum nötig darauf hinzuweisen, dass Macht und Ohnmacht hier allerdings sehr real sind und die Konsequenzen ebenfalls.

Südeuropa ist an der Austerität bereits zu Boden gegangen, jetzt wird ihr von den Zuchtmeistern aus Deutschland noch mehr davon verordnet, auf die am Boden Liegenden noch eingetreten. Die sperrige Vokabel “Austerität” hat sich übrigens durchgesetzt, weil es kompletter Unfug ist, von “Sparen” zu reden, wenn einer nichts hat. Die Propaganda aber suggeriert, diese Portugiesen, Griechen, Spanier wollten unsere Reichtümer verprassen. So hat früher nicht ganz zufällig Kriegspropaganda geklungen, das Niveau liegt daher auch ziemlich genau auf dem der nordkoreanischen Diplomatie.

Derweil wird innenpolitisch dasselbe getrieben, auch hier sind die Ärmsten der Feind. Es war in der Kriegspropaganda des zwanzigsten Jahrhunderts üblich, den Feind als Tier darzustellen, als Monster, das seine Krallen gegen das Vaterland ausgefahren hatte und zu bekämpfen war. Diese Darstellungsweise hatte vor allen zwei Ziele: Die Gefahr sollte betont werden und die Leute, die es zu vernichten galt, ihrer Menschlichkeit beraubt. Da die Nazis es damit dezent übertrieben hatten, ist dergleichen inzwischen nicht mehr das Mittel der Wahl. Trotzdem werden die europäischen Staaten, die am meisten unter der Krise des Kapitalismus leiden, als “PIGS” bezeichnet.

Der Krieg und seine Sprache

Entwürdigung geht heute anders. Man wiederholt endlos, ein Leben müsse sich durch Arbeit verdient werden, um den Umkehrschluss zu etablieren: Wer nicht arbeitet, soll verhungern (“muss auch nicht essen”). Trotz einer Arbeitslosigkeit, die regional einen regelrechten Kahlschlag bedeutet, werden nach wie vor die Opfer der Flaute zu Tätern erklärt. Dabei bleibt es freilich nicht, zumal in Deutschland, wo dem Urteil die Vollstreckung folgt, weil das eben Vorschrift ist. Die faulen Arbeitslosen müssen nahtlos überwacht werden und ihnen unverzüglich ihr Unwert nachgewiesen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Wer sich von denen krank meldet, kann ja nur der Faulpelz der Faulpelze sein. So etwas gehört sanktioniert, denen wird “zu Leibe gerückt“.

Auch hier dasselbe Resultat: Während die einen sich fragen, warum der Verlust der Arbeitsstelle ein so schweres Verbrechen darstellt, dass den Betroffenen nachgestellt wird wie gefährlichen Kriminellen, dröhnt von der anderen Seite der Applaus derer, die noch nicht so tief gefallen sind – umso lauter, je größer ihre Angst ist. Dahinter stehen dann die bezahlten Claqeure derjenigen, in deren Interesse die Verschleierung der wahren Ursachen liegt. Eine beachtliche kritische Masse an Lügnern, die einheizt. Dabei sparen sie an keiner Projektion und werfen alles, was sie an sich und ihrer Situation hassen, dem Feind vor.

Wie gesagt: Solcher Techniken bedienen sich Trolle, wenn man sie lässt. Sitzen solche Trolle in der Regierung, bewegen wir uns allerdings auf einem anderen Terrain. Das ist jener Weg, den wir angeblich nie wieder gehen wollten. Da sind Nazivergleiche vollkommen unangebracht.

 
Diesmal nicht, trotz gut gebrüllt: ‘Europa’ – Sie wissen schon, das ach so geeinte, weil nicht ‘sozialistische’, war immer “Marktwirtschaft”, also immer Kapitaleuropa. “Kein Freizeitpark für Finanzfaschos“? Dieser Analyse kann ich mich nicht anschließen. Sagen wir einmal so: Ein Spielplatz fürs Kapital war es, das Westeuropa, dem die “Union” folgte und selbige schon ein Vehikel der Finanzmarktfachexperten, zumal die “Zone”, in der der Euro die Wirkung seiner bizarren Konstruktionslöcher entfaltet. Sie wissen schon, die Hohlräume, in denen sich oh Wunder der ganze Sprengstoff angesammelt hat, der gerade detoniert. Die Finanzfaschos – und nicht nur die der Finanz – werden dabei wie von selbst losgelassen, das sind halt die ökonomischen und politischen Aasgeier, die kommen in dieser Phase immer angeflattert.

Frieden kann nicht an die Börse gehen“, fast richtig. Denn er hat seinen Preis, der Frieden, und wenn er an den Börsen zu teuer wird, wird er eben abgestoßen. Börsen können Frieden weder bringen noch erhalten. Sie sind der Freizeitpark des Kapitals, das nichts Vernünftiges zu tun hat. Unterstellen wir einmal , es gäbe das: Kapital, das sich vernünftig verhält. Dann ist das halt so, dass es zwangsläufig auch das Gegenteil tut. Zunächst vielleicht nur so zum Spaß. Spätestens aber, wenn es sich partout nicht mehr ‘vernünftig’ vermehren lässt, also durch Produktion und Konsum, beschäftigt es sich halt anders, und zwar verbrecherisch. Das geht legal und illegal, und so wird es dann auch gemacht. Legal wie illegal. Das ist keine Idee von “Finanzfaschos”, sondern die Dynamik des Kapitals. Die Arschgeigen, von denen Sie da sprechen, finden sich von ganz allein, wenn es soweit ist. Sie sind austauschbar. Es gibt sie immer und überall, und das Kapital lockt sie an wie das andere Zeugs die anderen Fliegen.

Schließlich zu Ihrem wichtigsten Halbsatz:”[...] statt über Banken, über alternative Finanzkreisläufe und neue Formen Geld anzulegen zu sprechen [...]“.
Neue Formen Geld anzulegen? Aus Geld mehr Geld machen, es quasi “arbeiten lassen”? Das tut weh. Genau das wollen sie doch alle, die Finanzfaschos, und hätten sie nur eine Idee, wäre eine Idee auch nur entfernt möglich, wie das Spiel weiterginge, man würde sie nur zu gern umsetzen. Aber es gibt diese Idee nicht, weil es sie nicht geben kann. Das Spiel ist aus, Frau Kiyak. Es braucht etwas völlig anderes. Trauen Sie sich, das zu denken. Und dann sagen Sie es!

 
fuboRoberto schreibt heute über Privatsphäre und die merkwürdigen Ansätze, die der Nutzung des Internets entspringen. Ich traf einmal eine Dame, die beinahe stolz verkündete, sie sei “post privacy” und ob ich wohl noch “privacy” wäre. Ich musste die Frage erst einmal mechanisch verarbeiten, fehlte mir doch spontan die Einsicht in deren Sinn. Dann fielen die Schuppen: Ach ja, Generation Facebook (die ist übrigens altersunabhängig) hat sich ein Label verpasst, um darunter jede Entwürdigung für cool zu verkaufen, die man da im Interesse geschäftseifriger Anbieter mitmacht.

Ein Musterbeispiel für das Management kognitiver Dissonanzen, zumal sich damit obendrein stumpfes Desinteresse, wahlweise völlige Inkompetenz, als fortschrittliche Einstellung zu Markte tragen lässt. Dass es gleich mit “Ich bin” eingeläutet werden muss, spricht Bände: Die postmoderne Lüge ist das “Ich”, weiter kommt das Subjekt gar nicht mehr, um sich vollständig in seinen marktkonformen Untergang einzukuscheln. Früher nannte man das “Verdinglichung”, heute wäre selbst das eine Verharmlosung. Wofür Generationen gekämpft haben – den Schutz der Privatsphäre vor der Macht des Staates – das opfern die Zombies des Kapitalismus willig der Markenbindung.

Stolz auf die eigene Entrechtung

Sie blicken nicht, welche Konsequenzen das hat. Teils reicht ihr Halbwissen dazu nicht, teils verschließen sie willentlich ihre Augen davor. Die Macht der Konzerne über die privatesten Belange der Massen birgt ein Potenzial, mit dem verglichen die Geheimpolizeien autoritärer Staaten Amateurclubs waren. Wie können sie ernsthaft glauben, auf lange Sicht bezweckten die Datenhehler damit etwas anderes als Erpressung? Ist Zuckerberg vielleicht einer von den Guten, ‘einer von uns’? Ist Google eine karitative Einrichtung und Payback der Weihnachtsmann?

Was das große Ganze bislang noch halbwegs rettet, ist die Flut der Daten. So viel kann noch kein Mensch auswerten. Dies ändert aber nichts daran, dass Massen von Einzelnen gläserne Bürger sind, jeder von ihnen berechenbar, erpressbar, manipulierbar. Dass so etwas möglich ist, dagegen haben wir auch in den letzten Jahrzehnten gekämpft, zum Beispiel gegen die Volkszählungen oder die Vorratsdatenspeicherung. Aber wir sind ja “privacy”, was so viel heißt wie gestrig, öde, spießig. Mir kommen diese psychedelischen Narren vor wie Leute, die T-Shirts mit dem Namen des Mafiosos tragen, der von ihnen Schutzgeld erpresst. “Ich bin post legality” ist das Motto. Wenn solche Leute dann auf irgendwelche Rechte pochen, wundern sie sich noch, dass die Antwort ein Stiefeltritt ist.

 
gauswester

Links: Das findet der Kommunist Gauß “normal”. Rechts: Die Korrektur durch den Bundesaußenminister

Was in gewissen Kreisen, zumal im Netz, als “Neusprech” bezeichnet wird, ist längst nichts Neues mehr, im Gegenteil: Es ist die völlig verkrustete Sprachverwaltung einer Ideologie, die sich seit Jahrzehnten der Realität verweigert. Daher sucht sie ständig Deckung vor dem Licht der Wahrheit und flüchtet sich in ihren absurden Code. Ihre eifrigen Anwender sowie deren Zulieferer aus den PR-Bordellen bewegen sich dabei in so engen Bahnen, dass ihnen bestenfalls Varianten des immer Gleichen einfallen. Die DDR wurde gut 40 Jahre alt. Das Geschwätz der Lambsdorff-Schröder-Westerwelles herrscht seit mehr als 30 Jahren. Ist das ein Zeichen?

Die Journaille assistiert nicht mehr bloß, sie ist eingebettet in die Produktion der Lüge, die natürlich nicht so heißen darf. Eines der skurrilen Tabus in der öffentlichen Debatte ist ausgerechnet das, einen Lügner “Lügner” zu nennen. Das heißt dann höflich-infantil “Unwahrheit”. Die hat sprachlich keinen Akteur, es gibt keinen “Unwahrheiter”. Wie praktisch!

So kommt es dann, dass ein Magazin unbeschadet behaupten darf, die FDP nehme eine “Debatte über soziale Gerechtigkeit an“. Das geschieht in der Form, dass die Sprechpuppe Westerwelle knarzt, es gehe um “Chancengerechtigkeit”, die “Mittelschicht” und nicht um “Umverteilung”. Dies – in Form von Steuererleichterungen – wiederum sei deren “Alternative”. Das Artikelchen hat kaum 20 schmale Spalten und doch geht so viel Lüge hinein. Wo soll man da anfangen?

Einfacher, niedriger, gerechter

Dieser Maximalblödsinn trifft auf eine halbgare Debatte über Armut und Reichtum, wobei die Faktenbasis längst unbestritten ist: selbst fast 80% der FDP-Anhänger wissen demnach, dass Reiche immer Reicher und Arme immer ärmer werden. Selbst die sind nicht so doof, das zu leugnen; warum dann die Funktionäre? Sie müssen Gauß für einen Kommunisten halten, der mit marxistischer Mathematik das Volk aufstachelt. Verteilung, so lernen wir, ist genau die Dynamik der Akkumulation. Jede Form von Ausgleich wäre “Umverteilung”. Allein die Röslers, Westerwelles und ihre kondebilen Trommelschläger leugnen den Klassenkampf und wollen das noch irgendwie “gerecht” finden.

Zu denen gehört selbstverständlich auch das Mastermind Günther Oettinger, der nicht mal den Flassbeck versteht und daher als EU-Bürokrat ausgerechnet die “Wettbewerbsfähigkeit” Deutschlands in Gefahr sieht. Man weiß es nicht: Ist das intellektuelles Versagen interstellaren Ausmaßes oder ebensolche Frechheit?

Ganz Gallien aber glaubt diesen fetten Pfaffen, und die journalistischen Ministranten gehen bei Fuß. Ganz Gallien? Nein. Stephan Hebel zum Beispiel bleibt standhaft und vergleicht den Austeritäts-Schäuble mit einem Mafiaboss. Warum zweifelt er bloß und stimmt nicht ein in die große Erzählung von der Chancengerechtigkeit, die da sagt: Wer arm ist, wird eines Tages die Reichen überholen. Er muss dazu die Reicheren nicht einholen. Er muss nur fest stehen im Glauben an die soziale Marktwirtschaft® und die demokratische deutsche Republik.

 
Ungefähr das:

Raubmordkopiert via Missis Mop. Warnung: Ist auf die englische Sprache drauf und auch nur Geschwätz mit Bilder.

 
karfrei

Zwei Jahre habe ich in einer Wohnung gewohnt, die an einem wunderschönen Platz lag, zentral, aber dennoch beschaulich, Tempo-30-Zone mit benachbarter Spielstraße, Kastanienbäume, Altbauten, Kopfsteinpflaster – von der Art, die man auch problemlos mit dem Fahrrad benutzen konnte. Kein großer Autolärm, nicht vor dem Haus und auch nicht von nahegelegenen Fernstraßen. Es hätte wirklich schön sein können.

Wären da nicht diese Störenfriede gewesen, Lärmterroristen übelster Sorte, die sich auch nicht damit bescheiden konnten, einen ab und zu mal aus dem Bett zu werfen, es bei hundert Dezibel zu belassen oder vielleicht Sonntags mal Ruhe zu geben. Nein, das infernalische, unerträgliche Gedröhne musste sprichwörtlich rund um die Uhr sein. Wenn sie einmal im Schwung waren, konnte man bei offenem Fenster sein eigenes Wort auch dann nicht mehr hören, wenn man schrie. Sonntags fanden sie’s am geilsten, schon morgens früh, wenn anständige Menschen gerade mal schlafen.

Lärmterror, infernalischer

Das Beste an der ganzen Chose: Es war vollkommen legal. Hätte ich das gewusst – okay, ich hätte es wissen können, vielleicht müssen, aber ich habe mir das nicht so höllisch vorgestellt – ich hätte nie diesen Mietvertrag unterschrieben. Dass ich schon recht bald wieder ausgezogen bin, hatte zwei Gründe, von denen einer die besagte unerträgliche Lärmbelästigung war. Der Grund für die Erlaubnis, derartigen Stress zu veranstalten, derartige Menschenverachtung nachgerade genussvoll zu zelebrieren: Es handelte sich um eine Gemeinschaft solcher Typen, die an höhere Wesen glauben und okkulte Handlungen mit diesem Lärm eröffnen. Die Häuser rund um die sogenannte “Kirche”, in der abartig riesige Metallglocken schwangen, hatten einen Abstand von Luftlinie dreißig Meter.

Wozu, frage ich, muss also die sogenannte “Gemeinde” auf ihre “Messen” aufmerksam gemacht werden, die ohnehin immer um dieselbe Zeit stattfinden? Unter den genannten Bedingungen, dass also der Schall ohnehin direkt auf die Gemäuer traf, in denen er unschuldige Opfer um Schlaf und Verstand brachte? Und wozu musste Tag und Nacht jede verfickte Viertelstunde mit einem Schlag dieser Hölleninstrumente begangen werden?

Das, meine verständnisvollen Empathen, ist das eine. Das andere ist dann diese Geschichte mit dem Lattenjuppfreitag. Da darf keiner niemals nicht in einer Kneipe eine Musik hören und schon gar nicht tanzen. Begründung: Das sei ein stiller Feiertag. Stiller Feiertag! Und wetten, dass diese “Stillen” ihre akustischen Massenvernichtungswaffen wieder baumeln lassen, bis uns das Blut die Hälse herabrinnt? Wetten?!

 
Mal ganz langsam. Ich saß eben hier, wo ich meistens sitze, wenn ich blogge und sah aus dem Fenster. “Endzeit ist langweilig”, dachte ich bei mir, denn das da draußen scheint alles so weit weg wie die berühmten “Tiere, die von weitem aussehen wie Ameisen”. Neulich wurde angeblich die Geige des Kapellmeisters der Titanic gefunden. Kinder, wenn das kein Omen ist! Die werden doch sonst nie unterbewertet. Aber Ruhe ist die erste und letzte Bürgerpflicht. Es herrscht mentale Egalität. Alles eins und nichts für ungut.

Zypern? Langweilig! Haben wir lange kommen sehen, wurde oft genug dementiert und musste also kommen. Klimakatastrophe? Iwo! Das hohe Handicap am Golfstrom ist doch kein Grund zur Sorge, das haben wir uns hart erkämpft. Wer will schon etwas von all dem wissen, was eh alle wissen, von dem aber niemand Gebrauch zu machen scheint. Gibt es dazu etwas zu sagen? Das will doch niemand hören.
Machen wir’s also einfach mal umgekehrt, und zwar wie die Verlautbarungsmaschine selbst: Dementieren wir einmal etwas, was dann hundertprozentig eintritt. Siehe oben.

Finden Sie den Fehler

Die unsympathischen Rechtsausleger der Henkel-Lucke-Bande sind auf dem Vormarsch, ihr Programm ist mager, aber explosiv: “Schafft den Euro ab!”, fordern sie und schlagen damit drei Fliegen auf einen Streich: Die Mehrheit der Wähler hat Sympathie für die D-Mark und hatte keine Zeit, sich auch nur annähernd an den Euro zu gewöhnen, ehe der zur Seuche wurde. Alles, was nationalliberal unterwegs ist – in anderen europäischen Staaten ein Erfolgsmodell – hat darauf nur gewartet, und wer die Augen aufmacht, muss konzedieren, dass tatsächlich alle anderen diese Lösung ausschließen, obwohl sie die einzig realistische sein könnte.

Das verkrustete Establishment von Grün bis Christlich verbietet sich kategorisch, die Fehlkonstruktion so zu nennen, so zu betrachten und entsprechende Maßnahmen auch nur zu denken. Sie vertreten die Gewinner des Freilandexperiments und haben den Anschluss an die Realität längst verloren. Und nun zu etwas völlig anderem:

Das historische Versagen der Linken, gewisse Kollegen würden es ein “Verkacken im Industriemaßstab” nennen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Euro hat sich seit seiner Einführung als ein Vehikel erwiesen geboren aus Betrug und Dilettantismus, Herrschsucht und Gier, kurzum: In der Spätphase des Nachkriegskapitalismus der Bagger, der das Grab aushob, in dem Demokratie und Sozialstaat verscharrt wurden. Wer wenn nicht die ‘Linke’ musste das kommen sehen? Wer wenn nicht die ‘Linke’ muss das analysieren, anprangern und dagegen vorgehen?

Linke Versager

Das aber ist nicht ihr einziges Versagen. Kann sich wer erinnern, dass es eine öffentliche Diskussion gibt darüber, was Sozialismus eigentlich bedeutet? Wie man ihn entwickeln kann und inwiefern er eine Alternative ist zur Alternativlosigkeit? Dass jemand sich die Mühe gemacht hat, Sozialismus als Konzept gegen den Irrsinn des Faktischen konkret in Stellung zu bringen? Dass die PdL irgend etwas anderes in ihren parlamentarischen Präsenzen veranstaltet hat als Machtspielchen und keynesianische, also erzkapitalistische Kaffeekränzchen? Ja richtig, die dilettantischen Äußerungen von Frau Lötzsch in bezug auf “Kommunismus”. Vielleicht wäre das sogar eine gute Möglichkeit gewesen, die durchaus existierenden Diskussionen endlich öffentlich zu führen und sich als inhaltliche Alternative zu präsentieren.

Nein, auch diese Truppe trommelt ihren Funktionären nach, die weder wirklich über Sozialismus sprechen noch den Euro anzweifeln dürfen. Dann gibt es nämlich Mecker von der Tagesschau, das kann man nicht riskieren. Also warten, bis jemand kommt, der es sich leisten kann, auf volksnahe Opposition zu machen. Fehlt nur noch einer mit Charisma. Bis dahin kämpfen wir wie die Löwen für ein bisschen Mindestlohn und ein paar Prozent Vermögenssteuer.

 
salatmuell

Fefe hatte gestern gleich zwei Hinweise auf eine Spielart des Stumpfsinns, die “unternehmerisch” zu nennen schon Satire wäre. Die Weisheit, der Teufel scheiße immer auf den größten Haufen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, aber das ganze Tun des Managements darauf abzustellen, ist schlicht … zeitgemäß, wie es scheint. Zu den Sachen: Es werden Bratwurststände vor Einkaufstempeln aufgestellt, damit der Kerl sich draußen den Wanst vollschlägt und derart seine Ische nicht stört, die drinnen die Kohlen verprasst. Überhaupt wird versucht, massiv auf die Frauen zu setzen in der Shoppinggilde. Die geben das meiste Geld aus, kaufen spontaner, also werden sie umgarnt – und nur sie.

Ich habe bei der einen oder anderen Gelegenheit versucht darzulegen, was eine Investition eigentlich wäre und warum das nichts mit dem Treiben sogenannter “Unternehmer” zu tun hat. Zum Heulen rührend sind längst die Mythen von den Unternehmern, ihrer Verantwortung und ach dem großen Risiko. Das machen heute die Manager. Die geben sich vielleicht noch ‘unternehmerisch’ und fordern den Status für sich ein, weil sie die entsprechende Attitüde an den Tag legen. Sie tragen “Boss”, weil’s draufsteht und geben sich höflich. So höflich, dass sie bei der Versicherungsparty die Damen mit den weißen Bändchen siezen. Manche sprechen ihre Begleitung womöglich gar mit “Frau Koksnutte” an.

Ich schweife ab. Was sie können, ist Power Point. Power Point sagt, wir können hiier die Ausgaben senken, dann haben wir doort mehr Gewinn. Niemand geht hin und sagt: “Ich würde für diese meine Idee mal soundsoviel Bündel Scheine raushauen und gucken, ob das was wird, weil meine Idee nämlich hervorragend ist, meine Damen und Herren!“. Jedenfalls nicht die, bei denen das hinkäme, weil sie wirklich gegen den Strom etwas reißen würden, sondern höchstens jene, die sich vor der Sitzung eine zu fette Line gezogen haben.

Worauf ich hinauswill: Wie bescheuert ist das eigentlich, immer die Hälfte der Menschheit aus den Augen zu verlieren? Meist sind es ja die Mädels, auf die keiner achtet, weil die anderen Adabeis auch immer nur von hier bis zur Pissrinne denken. Beim Shoppen aber sind wir also jetzt die Deppen. Fein. Dann weiß ich wenigstens, warum immer das, was ich gerade zu brauchen glaube, nicht da ist. Das haben sie gerade irgendwelchen Weibern aufgeschwatzt, die es gar nicht haben wollten. Ich liebe Kapitalismus.

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