Kapitalismus als Erzählung
Posted by flatter under Theorie , Wirtschaft[37] Comments
12. Apr 2013 16:31
Dass Kapitalismus, vor allem in seiner neoliberalen Ausprägung, religiöse Züge trägt, ist nichts Neues. Damit verbunden ist aber etwas noch Wichtigeres, nämlich die Erzählung, die dahinter steht. Es gibt einen schönen Begriff, der für wissenschaftsferne Menschen vielleicht abschreckend klingt, den man sich aber einprägen sollte: Das “Narrativ”, was eigentlich nichts anderes bedeutet als “Erzählung”. Es handelt sich dabei um die herrschende, die gängige Erzählung von den Dingen und wie sie angeblich seien. Wer zu weit davon abweicht, dringt nicht durch.
Als Jesus einmal schwer betrunken und bekifft aus dem Bordell kam, war er so high, dass er auf der Straße einen Penner zusammentrat. Zwar entschuldigte er sich am nächsten Tag, warnte aber seine Jünger davor, sich im Rotlichtviertel auf die Straße zu legen. Das sei einfach dämlich. Dann bestieg er ein Taxi.
Stimmt ja gar nicht
Der Passus geht nicht in die Bibel, und selbst wenn irgendwer auf eine Quelle stieße, die diese Geschichte bestätigte, sie würde niemals in die Erzählung der christlichen Religion aufgenommen. Jedenfalls so lange nicht, wie die Kirchen noch einen Einfluss auf die Verwaltung der Geschichte ihres Gesalbten haben. Im Gegenteil gelingt es ihnen seit Jahrtausenden, ihren ausdrücklich als Schäfchen titulierten Anhängern weiszumachen, die (später heilige) Hure (“Sünderin”) Maria Magdalena habe vor Jesus gekniet, um ihm die Füße zu waschen. In jedem anderen Kontext taugt diese Darstellung nur zum Witz.
Kapitalismus als Narrativ hat die Beziehungen rund um Ware und Profit in eine Erzählstruktur eingewoben, die das, was Marx noch als “Fetisch” bezeichnet hat, längst als Naturgesetz erscheinen lässt. Der Klassiker: “Arbeitgeber” geben “”Arbeitnehmern” die Arbeit; letztere müssten also dankbar sein, weil die guten Eigentümer ihrem Leben einen Sinn geben. Dieses muss man sich schließlich “verdienen”, genau wie das Geld, das die “Arbeitgeber” ihrerseits für ihre “Verantwortung” bekommen und ihr “Risiko”. Ganz gleich welchen dieser Erzählstränge man analysiert, es kommt in der Wirklichkeit stets das Gegenteil dessen heraus, was das Narrativ behauptet. Allein: Es fehlen schon die Worte dazu. Ein “Arbeitgeber” nimmt doch nichts und sein “Arbeitnehmer” kann ihm nichts geben, per definitionem eben.
Das Narrativ steht natürlich in enger Beziehung zur Propaganda, aber es ist nicht dasselbe. Schon die oben genannten Beispiele zeigen, dass sich in der großen Erzählung die Darstellungen eingeschliffen haben – es sind ja die “Arbeitnehmer” selbst, die sich mit ihrer Rolle identifizieren, die vom “verdienen” reden und inmitten einer organisierten Enteignung der Massen so tun, als sei Eigentum das Resultat von Arbeit. Es sind die Arbeiter, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, als Aufrührer, “Kommunisten”, “Sozialisten”, “Marxisten” oder Schlimmeres zu gelten, die niemals “destruktiv” sein wollen, egal mit welcher Brutalität ihresgleichen behandelt wird.
Risse im Kitt
Andauernde Propaganda gestaltet das Narrativ, hat längst dafür gesorgt, dass Begriffe wie “Kapitalisten”, “Profite” und “Ausbeutung” tabuisiert wurden. Es werden “Gewinne” gemacht von “Unternehmern”, und das ist natürlich “sozial”. Es werden absurde Erzählstränge aufgebaut wie zum Beispiel das “Trickle down”, also die Behauptung, wenn die Reichen reicher würden, fiele für alle etwas davon ab. Dieser Akt der Propaganda verfängt freilich bislang nur bei den Idioten der “Tea-Party” in den USA. Interessanterweise führt aber ausgerechnet die Propaganda wieder die Fäden zusammen, die sie eigentlich getrennt haben will, weil sie sich nicht in ein Narrativ einpassen lassen:
So ist es der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (INSM) zu verdanken, dass die Trennung von “Kapitalismus” und “Marktwirtschaft” wieder aufgehoben wird und hinter der Fassade der wahre Kern zum Vorschein kommt. Während eifrige Verfechter einer sogenannten “Marktwirtschaft” (nicht zuletzt Sozialdemokraten) versuchen, Kapitalismus einen hübschen Anstrich zu geben und sie gegen die bösartige Verlaufsform “Neoliberalismus” abzugrenzen, gehen ausgerechnet die knallharten Neolibs hin und nennen ihre Konzepte trotzig “soziale Marktwirtschaft”. Es sind diese Risse durch Narrativ und Propaganda, in die man Wasser gießen kann, um die Fassade aufzubrechen. Dazu muss man sich traurigerweise allerdings zuerst mit denen anlegen, die sich für die Freunde der “Arbeitnehmer” halten.
April 12th, 2013 at 18:18
In irgendeinem Blog las ich kürzlich, wie jemand sich über ein mieses Stellenangebot für Videojournalisten aufregte. Vorher musste der Autor aber unbedingt voranschicken, er sei weder ein “Verteilungssozialist, Jammerlappen oder links-alternativer Aufwiegler, aber…”
Kurzum: Lieber tot als rot. Solchen Leuten ist beim besten Willen nicht zu helfen. Das gilt ebenso für solche, die mir sagen “ich bin ja kein CDU-Fan, aber die Merkel macht nen echt guten Job.”
Wenn die bestehenden Narrative an der Wirklichkeit scheitern, dann um so schlimmer für die Wirklichkeit.
April 12th, 2013 at 21:40
@Maxim, 1.
“Vorher musste der Autor aber unbedingt voranschicken, er sei weder…”
Was er dann selbst ist, davon hat er nichts geschrieben. Nur in der Abgrenzung sieht er die Berechtigung, sich über ein mieses Angebot auch kritisch äussern zu dürfen.
Dabei kommt ihm wohlmöglich der Gedanke, dass ihm Unrecht geschehen sei, wo doch all diese negativen Eigenschaften, die er da aufzählt, auf ihn nicht zutreffen und daraus den Schluss zieht, dass ihm daraus ein Vorteil erwachsen müsse?
Was ihm wohl nicht in den Sinn kommen wird ist, dass das Angebot ohnehin davon ausgeht, dass seine politische Gesinnung keinen Anlass für Bedenken zulassen darf und sich die Lohnhöhe eben nicht nach seinen persönlichen Lebensbedürfnissen richten will.
Aber das ist auch ganz schwierig zu verstehen.
April 12th, 2013 at 22:40
@1 “ich bin ja kein CDU-Fan, aber die Merkel macht nen echt guten Job.”
Klingt wie ein Satz aus “Endlich Nichtraucher”…Autosuggestion (;
Manche Leute würden ein Rededuell mit ihren eigenen Ausscheidungen verlieren…
Darf ich zum Thema Major Consensus Narrative auf diese interessante Folge alternativlos verlinken
https://www.alternativlos.org/23/
April 13th, 2013 at 00:47
“Es werden absurde Erzählstränge aufgebaut wie zum Beispiel das “Trickle down”, also die Behauptung, wenn die Reichen reicher würden, fiele für alle etwas davon ab.”
Yep, wir haben uns damals alle köstlich amüsiert!
https://www.lolbrary.com/post/19990/trickle-down-/
April 13th, 2013 at 01:20
Schönes Gleichnis von vatikanscher und plutokratischer Macht!
“Andauernde Propaganda gestaltet das Narrativ, hat längst dafür gesorgt, dass Begriffe wie “Kapitalisten”, “Profite” und “Ausbeutung” tabuisiert wurden.”
Nicht ganz überall.
“Dazu muss man sich traurigerweise allerdings zuerst mit denen anlegen, die sich für die Freunde der “Arbeitnehmer” halten.”
Gern doch.
https://dudeweblog.wordpress.com/2013/03/22/geld-regiert-die-welt-dreckskapitalismus-teil-i/
Liebe Grüsse vom Dude
Ps. Ich bin ein anderer Dude als Kommentator ‘lebowski’. ;-)
April 13th, 2013 at 05:05
[...] (via feysinn) [...]
April 13th, 2013 at 05:55
@lebowski: “Yep, wir haben uns damals alle köstlich amüsiert! …/trickle-down-/”
Hahaha! Das Bild nenn’ ich mal Treffer versenkt :)
Und wo wir gerade mit Bildchen narren, kleb’ ich ein weiteres ins Fotoalbum: auch so funktioniert das Narrativ
April 13th, 2013 at 07:30
@troptard
>>> dass sich die Lohnhöhe eben nicht nach seinen persönlichen Lebensbedürfnissen richten will.
Hilf mir bitte,
ich bin ökonomisch überfordert:
Wonach sollte sich die Lohnhöhe richten?
April 13th, 2013 at 07:31
Weiterhin gehört auch noch zur großen Erzählung die Behauptung, dass der Mensch einen strukturierten Tagesablauf brauche, was man dann gerne auch mal Obdachlose in die Kamera aufsagen lässt.
Zur Ausbeutung wird auch noch folgender Trick angewendet:
es gibt in Deutschland sogar ein Gesetz gegen Ausbeutung, das sinngemäß besagt, dass Ausbeutung ab einer bestimmten Schwelle tatsächlich Ausbeutung genannt werden darf.
April 13th, 2013 at 09:10
Hat nicht auch schon die “Urhorde” dem Narrativ ihres Horden-Schamanen geglaubt?
Denkfaulheit ist der überwältigenden Mehrheit genetisch eingestanzt. Die kleine Minderheit, bei der es anders ist, nutzt ihre Andersartigkeit entweder, um die denkfaule Mehrheit auszuplündern (vulgo: Leistungsträger) oder zündelt mit revolutionärem Gedankengut. ;)
April 13th, 2013 at 09:19
“Ein “Arbeitgeber” nimmt doch nichts und sein “Arbeitnehmer” kann ihm nichts geben, per definitionem eben.”
Gehört das nicht umgedreht?
April 13th, 2013 at 10:06
Achtung ich sülz jetzt bisschen rum, aber Feynsinn ist ja sowieso Publizismus für Arme (;
@9 Ich denke(!), Menschen brauchen/bilden immer ein gemeinsames “Narrativ”, als (sub-)kulturelle Basis, welches die 3dimensionale Wirklichkeit quasi 2dimensional wiedergibt und deswegen natürlich immer auch an ersterer vorbeigeht, mehr oder weniger.
Nur, daß auch die Konstruktion ein gemeinschaftlich balancierter Prozess ist, jeder(Personen/Medien) möchte das Narrativ manipulieren- aber die einen sind dabei erfolgreicher als die anderen, was dazu führen kann, daß sich eine Gesellschaft von der Wirklichkeit verabschiedet.
https://www.taz.de/US-Politiker-mit-wirren-Ansichten/!114386/
Ich glaube(!!) auch, daß “Denkfaulheit” oftmals in Zusammenhang steht mit einem Mangel an Begriffen, eher “Denkhilflosigkeit” a la Neusprech.
Die von Flatter im letzten Absatz beschriebenen Phänomene kannt ich auch schon irgendwie, hatte aber bisher keinen Begriff dafür…
“Risse im Kitt” ziehen sich über den ganzen Erdball und durch alle Ebenen(nicht zuletzt wg.Internet?) und sind geradezu ein Zeichen unserer Zeit sowie für mich ganz allgemein eine Hoffnung auf Veränderung.
Die Existenz dieses Narrativs/dieser Narrative ist z.B. ein Wissen, daß ich gern in den Köpfen der meisten Menschen verankert wissen würde!
April 13th, 2013 at 10:12
@7: So lange jemand nicht weiß, was Lohn ist, soll sich die Lohnhöhe nach seinen Lebensbedürfnissen richten, oder meinetwegen nach der gemeinten erbrachten Leistung.
Wer weiß, was Lohn ist, dem ist “soll, müßte, könnte” nur noch hohle Phrase…^^
Edit @10: Ja sicher, das ist ja das Neusprech daran – der Arbeitgeber nimmt die (fremde) Arbeit und der Arbeitnehmer gibt seine Arbeit dem Eigentümer dieses privaten Produktionsmittels, weil er es muß um zu überleben. Ersterer hat die Gewalt über die Existens derer, die für ihn sein privates Eigentum erhalten und ihn ernähren.
Verdreht, aber so funktionieren Ausbeuterordnungen, also hier Kapitalismus/Marktwirtschaft.
April 13th, 2013 at 11:06
Yep, flatter, so isses. Das Volk lebt lieber mit/in der Illusion als mit/in der Wahrheit. Adorno: Übernehmen sie!!
April 13th, 2013 at 12:38
@Vogel(13): Also wie jetzt? Das Volk ist grundsätzlich blöd, demzufolge auch Du und ich, also braucht es eine Elite, die uns (immer) sagt, wo es lang geht, odda wie^^
Oder sollen jetzt Du und ich die Elite sein, die weiß, wo es lang geht…
Schönen Dank auch, kein Bedarf ;-)
April 13th, 2013 at 13:45
@10 + 12:
Yo, das Narrativ ist absolut nix Neues, ich gehe sogar so weit und meine, dass es dasselbe ist, was Weber und Luhmann als “Theodizee” bezeichnet haben, allerdings nicht mehr nur auf ein allmächtiges Wesen bezogen: Luhmann sagte ausdrücklich (müsste ich raussuchen, die Stelle), dass alles, was sich nicht in (Differenz-)Differenzenen auflösen ließe, ein Problem der Theodizee sei. Ich habe das so ausgelegt, dass Luhmann alles meint, was Identitäten schafft, also das, was ist, was gut ist, was wahr ist usf.. Theodizee ist demnach ein sozialer Prozess, in dem sich Normen etablieren, in dem am Narrativ gesponnen wird. Das ist für mich ein plausibleres Modell als das, was Habermas in seinen “Sprechakten” zur “Geltung” kommen lässt. Wäre eine sinnige Aufgabe, den Zugang zu den Narrativen und deren Entwicklung unter die Lupe zu nehmen. Propaganda wäre in dieser Wissenschaft eine eigene Unterdisziplin.
April 13th, 2013 at 14:53
@16 >> Wäre eine sinnige Aufgabe, den Zugang zu den Narrativen und deren Entwicklung unter die Lupe zu nehmen. Propaganda wäre in dieser Wissenschaft eine eigene Unterdisziplin. <<
Mir erscheinen Narrative in diesem Kontext als ein Weg der 9x%, sich die Welt so schön zu denken, dass man sie erträgt und sie nicht verbessern muss.
April 13th, 2013 at 16:06
“Narrativ”? Herzlich willkommen in der Postmoderne, verehrter flatter. ;)
Die Übertragung dieses zuvor ausschließlich literaturwiss. Begriffs auf andere Bereiche der Wirklichkeitserfassung geht bekanntlich auf Autoren wie Lyotard oder Hayden White zurück, die gemeinhin der Postmoderne zugerechnet werden (-> “Ende der großen Erzählungen”).
Man sollte sich vor Augen führen, welcher Relativismus und Skeptizismus mit diesem Begriff transportiert wird. Ein Forscher geht gemeinhin davon aus, die Wirklichkeit begrifflich (und experimentell) erfassen zu können, zumindest ansatzweise. Um nachfolgend auf dieser Grundlage handeln zu können!
Erzähler dagegen tauschen mehr oder weniger originelle Geschichten aus, im Rahmen derer die Frage nach der Wahrheit in den Hintergrund tritt.
Es ist sicher aufschlussreich, dass aus den Reihen der Naturwissenschaftler vehement gegen eine solche Zuschreibung rebelliert wurde. Mit Zustimmung der interessierten Öffentlichkeit. Unter den Geisteswissenschaftlern dagegen hält sich das. Habermas hatte m.E. durchaus recht, als er der Postmoderne Konservativismus attestierte. Denn wenn alle Positionen als “Erzählungen” gleichberechtigt nebeneinander stehen sollen, die Zustimmung zu ihnen gewissenmaßen zur Geschmacksfrage wird, dann hält “die Welt in ihrem Lauf” eben nichts auf.
(Wobei sich Habermas die Verhältnisse selbst affirmativ zurechtlegt, indem er Kommunikation, noch dazu “herrschaftsfreie”, für den Ort hält, an dem gesellschaftliche Weichen gestellt werden.)
April 13th, 2013 at 16:24
@18 >> dieses zuvor ausschließlich literaturwiss. Begriffs <<
na ja, wohl eher über das "Denglische", wo in jedem besseren Videoschnittprogramm das Einspielen von gesprochenen Kommentaren als "Narration" bezeichnet wird.
April 13th, 2013 at 16:45
@DJ – der Relativismus relativiert sich, wenn das Narrativ im Singular gebraucht wird. ;) Als ‘Theodizee’ der an sich guten, wahren und richtigen Gesellschaft wird’s dann aber auch brutal:
“In der Abwärtsspirale des gesellschaftlichen Niedergangs werden die Phänomene der Entfremdung immer totaler. Und so muss der Appell an die höheren Wahrheiten auch als eine höhere Weisheit erscheinen, als Medium einer Bereinigung, der Aufhebung einer Entfremdung dienen. [...] Es ist der Appell an die Persönlichkeiten, eine Wahrheit herzustellen, die verschwunden sei, das Ursprüngliche des Lebens wieder zur Sache der Politik zu machen. Es lässt sich diese Vorstellung allerdings nur in der Bekämpfung der Träger von diesem Übel verwirklichen. Und das sind die Menschen, die sich in den idealisierten Vorstellungen vom Menschsein nicht einordnen lassen, weil sie sich leicht als Lebensfremde identifizieren lassen. Und damit gilt dies Fremde nicht mehr als Phänomene dieser Kultur sondern als eine Fehlleitung, die aus ihr entfernt werden muss, weil sie eine Gefahr für das Leben im Ganzen darstellt.
So baut sich das Ideal als Ressentiment gegen die Individuen auf, die das “wahre Leben” stören, die als die Verursacher seiner Entfremdung gelten und von daher das eigentlich wahre, schöne und gute, des gesunden Wesen der menschlichen Lebensverhältnisse wieder rein ist, wenn sie als Persönlichkeiten der Fremde an den Pranger gestellt sind. Durch ihre Entfernung, durch die Bestrafung und Ächtung der zur bloßen Bosheit herabgesetzten Entfremdung wird dem Guten auf seinen kulturellen Altar verholfen. Das ist simpel und in einer komplizierten Welt dann wenigstens naheliegend.” Schreibt zB der Pfreundschuh im jüngsten Beitrag seiner Reihe ‘Die neue Rechte kommt von links‘.
April 13th, 2013 at 16:48
@Wat(15)
So schwierig isses doch gar nicht ;-): Nicht nur die Erzähler lieben ihre Narrative, auch die Zuhörer … wenn auch aus gegenteiligen Motiven. Richtig, odda?
April 13th, 2013 at 16:51
@Vogel(15): Statt narrativ jetzt suggestiv? ;-)
April 13th, 2013 at 16:53
@Systemfrager, 8
Meine Antwort auf Deine Frage!
Die Lohnhöhe richtet sich ganz allgemein danach, was für den Erhalt der Arbeitskraft des Lohnarbeiters angemessen erscheint. Deshalb spricht man ja auch so gerne von den Lebens(er)haltungskosten.
Das ist von Land zu Land verschieden und auch von der beruflichen Stellung im Unternehmen.
Gehen wir mal von den Grundbedürfnissen wie Nahrung, Kleidung, Unterkunft und möglicherweise noch von einem Mobil, damit Lohnarbeiter seine Arbeit erreichen kann.
Einem Lohnarbeiter, der im Unternehmen leitende Aufgaben übernimmt, also Kontrollfunktionen wahrnimmt, dem wird auch gerne ein Firmenwagen,z.B. Porsche, zugestanden. Für einfache Tätigkeiten reicht schon mal die Monatskarte für ne Tram, nur so als Beispiel.
Das Angebot auf dem Arbeitsmarkt ist natürlich auch einzubeziehen.
Je grösser das Arbeitsangebot im Vergleich zur Nachfrage, desto geringer fällt das aus, was man zur Erhaltung des Lebens der Arbeitskraft aufwenden will.
Dabei stehen sich die Lohnarbeiter dann auch selbst noch im Wege, weil sie untereinander Konkurrenten und gezwungen sind, jede noch so mies bezahlte Arbeit anzunehmen.
Manche machen es dann auch mal für ein paar Monate umsonst.
Und der “fürsorgliche” Staat hat es mit HartzIV doch auch genauso eingerichtet, dass von den Lebensbedürfnissen nur noch das übrig bleibt, was kaum ausreicht um zu überleben.
April 13th, 2013 at 16:54
Alle Erzählungen, die ich geschrieben habe, scheiterten daran, dass in ihnen die Plausibilität abhanden kam. Eines Tages habe ich sie (via Papierkorb) dem Altpapier zugeführt. Nun hoffe ich, dass aus diesem meinem Handeln eine Massenbewegung wird.
Nicht ganz unbegründet, findet ihr nicht?
April 13th, 2013 at 17:33
@DJ Holzbank (18): Mit Verlaub, das ist m.E. wieder so ein Reflex auf etwas, das jemand (in dem Fall du) wiederzuerkennen glaubt. Ist Theodizee beliebig? Oder nimm einen anderen Ansatz für dasselbe, die “Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis” (Kant) oder die Bedingung der Unmöglichkeit, etwas zu denken (Foucault). Dies sind Beschreibungen aus unterschieldichen Perspektiven. Die Anlayse des Narrativs ist im besten Sinne Diskursanalyse, fröhlicher Positivismus. Sie muss gar nicht erst versuchen, nach einer belastbaren Wahrheit zu fahnden, weil sie ohnehin keine finden wird. Die Frage ist: Wie entstehst ein Narrativ, wie verändert es sich, was sind die Bedingungen, wer oder was wirkt darauf ein? Du wirst vermutlich einen Haufen Hinweise finden, dass es der Selbtserhaltung eines Systems dient, aber damit hast du noch keinen Einfluss auf seine Gestaltung. Wenn du weißt, was ein Narrativ ausmacht, weißt du vielleicht auch, welche Bedingungen ein alternatives erfüllen muss. Allein schlaue Bücher zu schreiben bringt nämlich gar nichts.
April 13th, 2013 at 18:38
#18. Man sollte nun aber vielleicht auch die Bemühung um einen kritischen Diskurs nicht mit dem verwechseln, was als postmoderne Beliebigkeit gescholten wird. Den Unterschied zur Beliebigkeit erkenne ich – jedenfalls in den elaborierteren Bemühungen heutiger Kritik – darin, was (mangels dt. Pendant) im Französischen als L’esprit de l’escalier bezeichnet wird: Das heißt, die Unruhe, nach Ausgang des Disputs nicht alles gesagt zu haben, was zu sagen ist. Postmoderner Beliebigkeit ist das fremd, sie begnügt sich mit fluktuierendem Sprechdesign eines an sich sklerotisierten Verhältnisses; sie unterscheidet ja nicht mal mehr stringent zwischen Kultur und Zivilisation, bisweilen alles ein Affirmationsbrei. Was ihr da als Konservatismus vorgeworfen wird, liegt gar nicht in ihrem operativen Reflexionskontext.
Kritischer Diskurs, wie ich ihn u.a. hier schon erfahren habe, oszilliert dagegen doch ständig um diesseitige Transzendenz, um Progression. Oder mit einem Zitat d’Holbachs formuliert, sie oszilliert noch deutlich um das Problem zur “Vereinigung von Menschen, die durch ihre Bedürfnisse zusammengeführt sind, um in Eintracht an ihrer gemeinsamen Erhaltung und an ihrer Glückseligkeit zu arbeiten.”
Ich sehe da längst nicht die Gefahr des in #20 verlinkten Fatums einer neuen Rechten von links.
P.S.: Endlich darf ich auch mal Optimismus zeigen ;)
April 13th, 2013 at 19:39
DJ Holzbank meint:
April 13th, 2013 at 16:06
SUPER!
April 13th, 2013 at 23:03
Ich freue mich, dass dieses Thema noch einmal aufgelegt wird.
Arbeitsmarkt – hier wird Arbeit(Fähigkeiten, Fertigkeiten u. Dienstleistungen) gegen Geld angeboten – bzw. Jemand, der zu blöd ist einen Nagel in die Wand zu schlagen sucht per Finanzausgleich einen kompetenten Handwerker z.B..
Arbeitgeber, ist Derjenige, der die beanspruchte Arbeit ausführen kann. Er gibt Arbeit und nimmt Geld.
Arbeitnehmer, ist Derjenige, der besagte Arbeit beauftragt und bezahlt. Er ist scheinbar nicht in der Lage derartige Arbeiten selbst auszuführen und nimmt sie.
Das hat in der Vergangenheit halbwegs funktioniert. Mit dem Leihsklavensystem von Hartz IV klappt das natürlich nicht mehr.
Jetzt werden “Agenturen” dazwischen geschaltet. Die Agenturen wollen Geld verdienen. Der Arbeitgeber kann nicht mehr so viel Geld für die von ihm geleistete Arbeit verlangen.
Der Arbeitnehmer verhandelt nur noch mit den Agenturen – nicht mehr mit dem Arbeitgeber. Gewerkschaften und Betriebsräte sind überflüssig. Resultat – der Arbeitgeber hat verdammt schlechte Karten.
Die Wettbewerbsfähigkeit – mit Indien, China u. Pakistan mag gegeben sein – ein Überleben in Deutschland nicht.
Überlegt genau – seid Ihr Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?
April 13th, 2013 at 23:31
@ 20 Peinhardt
Ich kann nicht genau erkennen, in welchem Zusammenhang mit meiner Bemerkung dieser Beitrag stehen könnte.
@ flatter
“@DJ Holzbank (18): Mit Verlaub, das ist m.E. wieder so ein Reflex auf etwas, das jemand (in dem Fall du) wiederzuerkennen glaubt.”
Jein. Ich habe gesehen, mit welcher Bereitschaft “das Narrativ” aufgenommen worden ist und konnte mir deshalb diesen kleinen begriffsgeschichtlichen Exkurs nicht verkneifen. Um darauf hinzuweisen, was man sich u.U. da einhandelt.
Den Reflex gebe ich allerdings zu. Die “postmodernen” Autoren, deren grundsätzliche Positionen – insofern richtig zeitgeschichtlich eingeordnet – mir durchaus verständlich erscheinen, haben leider gerade in der Linken einen solchen Begriffsschleim hinterlassen, dass …
Man fragt sich im nachhinein auch, wie Autoren z.B. der 20-er Jahre zurechtgekommen sind, die noch nicht die fancy Begriffe “Diskurs” oder “Narrativ” zur Verfügung hatten. :) Was haben die armen Brecht oder Tucholsky eigentlich statt “Diskurs” sagen müssen?
Ich bitte meine Ausführungen nicht als “feindlich-negativ” aufzufassen. ;)
April 14th, 2013 at 08:35
@Gecko(28)
Wenn ich das von Dir geschriebene so ‘weiterstricke’, käme doch dann raus, daß ich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer bin – denn ich kaufe ja auch Arbeiten, die ich selbst nicht ausführen kann (oder will).
Das ist aber so dargestellt: falsch!
Ich verkaufe meine Arbeitskraft um zu (über-)leben. Damit – und nur damit – komme ich an die Mittel um mein Leben bestreiten zu können.
Ist es da nicht unerheblich an wen?
Denn, um mein (Über-)Leben bestreiten zu können, muß ich wegen der Arbeitsteilung auch andere Arbeiten ‘einkaufen’.
Mir gehört einfach nicht die Brötchenfabrik, daß ich mir meine Nahrungsmittel selbst herstellen darf, nicht mal, wenn ich es könnte oder wollte.
Nein, Ausgangspunkt der Ausbeutung sind die, die sich allen Mehrwert aus der (fremden) Arbeit anderer einverleiben können, weil ihnen die Maschinen, die Patente, Rechte, Ländereien und Lizenzen gehören. Sie ‘generieren’ so ihr Kapital, wovon als (nur) Geld letztendlich etwas bei Dir ankommen kann (wieviel und ob überhaupt, entscheiden einzig sie) – damit Du dieses Geld als eine Art Lebensmittelkarte umsetzen kannst. (Falls sie meinen, daß sie Dich vielleicht ‘morgen’ noch mal brauchen könnten zum Arbeiten – und nur dann)
Mehr als Lebensmittelkarte ist es auch nicht, was Du für’s Arbeiten bekommst – es kommt nur eben nicht so plump daher, sondern läßt Dir möglicherweise das Gefühl, frei entscheiden zu können, was Du mit dem erhaltenen Geld resp. Lohn anfängst.
Aber hast Du diese Entscheidung tatsächlich – was bleibt zur freien Verfügung bei Dir, wenn Du alles ‘erledigt’ hast, was Du zur Sicherung Deiner Existenz brauchst!
Bei mir nix, denn Existenz ist bei mir nicht nur Brot, Wasser, Dach über dem Kopf…
Die Arbeitgeber, die die fremde Arbeit nehmen, haben und kriegen alle Arbeitsergebnisse, allen Mehrwert, von da wird ‘verteilt’, daß ihnen dieser ‘Status’, diese Stellung in der Gesellschaft und zu den Produktionsmitteln erhalten bleiben kann.
Diese (privaten) Eigentümer sitzen am ‘Hebel’. Nicht einfach nur der, der da Knete ausgibt, um sich was zu kaufen.
Das zu erkennen, soll die große Erzählung (Narrativ) verschleiern und bis jetzt ‘schafft’ sie das auch ganz gut, weil wir ‘vergessen’ haben, daß wir Brot essen und kein Geld, daß wir in Wohnungen und Häusern wohnen, aber nicht in Geld.
April 14th, 2013 at 11:35
@30 d’accord
>> Das zu erkennen, soll die große Erzählung (Narrativ) verschleiern und bis jetzt ‘schafft’ sie das auch ganz gut, weil wir ‘vergessen’ haben, daß wir Brot essen und kein Geld, daß wir in Wohnungen und Häusern wohnen, aber nicht in Geld. <<
- aber ahnen tun's wohl viele, nur: Wer will schon sein mehr oder weniger bequemes Leben gegen eine Existenz auf den Barrikaden eines Klassenkampfes mit sehr ungewissem Ausgang eintauschen. Allzusehr wurden alle Solidarsysteme durch die interessierten Kreise ruiniert und in Frage gestellt, als dass sich ohne weiteres Solidarität für solche "Kämpfer für eine bessere Zukunft" einstellen könnte.
Und: Kämpfer des edlen Wortes gibt es bereits mehr als genug!
April 14th, 2013 at 11:45
@Gecko, Wat. – Die Wettbewerbsfähigkeit – mit Indien, China u. Pakistan mag gegeben sein – ein Überleben in Deutschland nicht.
Die unmittelbar in ‘unseren’ exportorientierten Branchen Arbeitenden überleben noch relativ gut, trotz der Schneisen, die ua die Leiharbeit schon geschlagen hat. Das ‘wahre Geheimnis’ der Wettbewerbsfähigkeit liegt mE im relativen Mehrwert – verbillige die Reproduktion ‘deiner’ Arbeiter, um so günstiger ist das Verhältnis von (zur Reproduktion) notwendiger Arbeitzeit zur (den Mehrwert bildenden) Mehrarbeit. So kann die Wettbewerbsfähigkeit der exportierenden Branchen auch gesteigert werden ua durch Lohndrückerei in den Bereichen Lebensmittel, (Einzel-) Handel oder personennahe Dienstleistung vom Friseur über Krankenschwester oder Altenpflegerin bis zu den ‘wert-losen’, gar nicht durch Lohn vergoltenen reproduktiven Tätigkeiten, die traditionell dem weiblichen Teil der Bevölkerung zugedacht ist, der sich selbst aber wiederum auch – möglichst billig – reproduzieren muß.
‘Ausbeutung’ ist dann aber auch kein Phänomen mehr nur der direkten Beziehung Arbeitgeber/nehmer mit dem einzelnen Betrieb als Ort, und geht auch nicht mehr vollständig in der entsprechenden Klassenbeziehung auf.
April 14th, 2013 at 12:00
@Peinhart, 32
Wertabspaltungskritik, liege ich da richtig?
April 14th, 2013 at 14:23
@DJ Holzbank (29):
“Man fragt sich im nachhinein auch, wie Autoren z.B. der 20-er Jahre zurechtgekommen sind, die noch nicht die fancy Begriffe “Diskurs” oder “Narrativ” zur Verfügung hatten.”
Was ist das jetz? Möchtest du die Sprachentwicklung gern einfrieren? Wie hat man “Diskursanalyse” bloß genannt, bevor die Methode erfunden wurde, fragt sich “man”? Ich halte “Die Ordnung der Dinge” für eine Plichtlektüre für Historiker wie Philosophen. Ist das “fancy?” Was hat man nur im 18. Jahrhundert ohne den Begriff “Kapitalismus” gemacht und was sagten die Leute der 20er Jahre statt “Radio”, “Fernsehen” und “Internet”?
Bei aller berechtigter Kritik gegen das reaktionäre Potential der “Postmodernen” ist deine Argumentation selbst reaktionär.
p.s.: “feindlich-negativ” sagt mir gar nichts. Hier kann mit dem Hammer, dem Säbel und dem Florett gefochten werden, so lange es um die Sache geht.
April 14th, 2013 at 15:45
@troptard – auch. In erster Linie ging es mir aber um relativen Mehrwert und überhaupt um die Tatsache, dass Mehrwert eine ‘gesamtgesellschaftliche’ Kategorie ist.
@DJ #29 – dir galt eigentlich nur der erste Satz aus #20.
@flatter – offenbar Hammer. ;)
April 14th, 2013 at 16:41
@ Wat
Betr. (historische) innere Schranke des Kapitals!
Ich hatte mal diesen Begriff benutzt ohne Bezug auf eine Quelle, vielleicht erinnerst Du Dich. Liefere ich jetzt nach.
Karl Marx
Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie
Das sogenannte Maschinenfragment, Seite 602
“Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die grosse Quelle des Reichtums zu sein, hört und muss aufhören die Arbeitszeit sein Mass zu sein und daher der Tauschwert des Gebrauchswerts.
Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört, die Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des Kopfes.
Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen, und der unmittelbare materielle Produktionsprozess erhält selbst die Notdürftigkeit und Gesetzlichkeit abgestreift.
Das Kapital ist der selbst prozessierende Widerspruch, dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Mass und Quelle des Reichtums setzt. “
April 14th, 2013 at 23:11
@Wat
…ich widerspreche in keiner Form.
Wenn wir den Faden weiter spinnen, dann verschafft Produktionsverlagerung (Billiglohn) oder direkte Einführung eines Billiglohnsektors zwar kurzfristig Wettbewerbsvorteile – langfristig jedoch führen derartige Maßnahmen zu Konsumeinbrüchen oder zur unverhofften Eurokrise.
Da hilft selbst Globalisierung nicht weiter. Die Politik wird geordert und hilft (Abwrackprämie, Innenstadtvignette u. Glühbirnenverbot).
Wenn Wachstum auf normale Weise nicht mehr funktioniert – hilft Wachstum durch Wucher oder existenzielle Erpressung (Wohnen, Wasser, Heizung u. Energie) weiter.
Erschwerend zudem ist, dass die meisten Vermögenden zudem geizig (sonst wären sie ja nicht reich) sind. Sie fahren mit ihrem Porsche Cayenne zum Discounter.
Ballungsraumpolitik halte ich für kreuzgefährlich. Bei der FNP-Politik werden Kernzentren in allen Fragen bevorzugt. Mittelzentren und kleinere Bereiche völlig vernachlässigt.
Die Metastasen werden gefüttert und der gesamte Organismus stirbt.
Wir haben keine Staatsverschuldungskrise, auch keine Euro-Krise (obwohl der ein echter Flop ist) wir haben eine waschechte System- u. Sinnkrise. Überproduktion mangelhafter Güter und eine “nachhaltige” Zerstörung der Umwelt.
@peinhart
…na logisch – man braucht immer Anreiz und Abschreckung.
…bleibt stark!