Archiv

Januar 2009


Es kam wie erwartet: Der Mann, den seit Jahren niemand mehr haben will, regiert weiter. Der Ministerpräsident und die CDU fühlen sich nun offiziell als Sieger, denn sie stellen weiterhin den Chef: Koch. Daß sie noch weniger Stimmen bekommen haben als bei der letzten schon als “Schlappe” geltenden Wahl, davon kein Wort.
Es ist gut zu wissen, daß die Hessen ihn schon wieder abgewatscht haben, auch wenn er es nicht merkt. Die FDP hat so viel dazugewonnen, daß sie ihn auf den Schild heben können. Dieser Zugewinn ist freilich fast allein der SPD zu verdanken. Die Scharen an “Nichtwählern” aus ihren Reihen sind schon einmal eine Menge für die anderen wert, es gibt dadurch mehr Prozent pro Stimme. Die vermeintlichen Wähler der “Mitte”, denen sich die Agenda-Fraktion so rückgratlos vor die Füße wirft, fühlen sich bei der FDP besser aufgehoben. Wenn schon neoliberal, dann richtig. Der Rest des Zugewinns für die FDP rekrutiert sich aus denen, die das Unvermeidliche zwar wollen, womöglich gar die CDU, aber bitte nicht mehr Roland Koch! Daß Koch sich jetzt hinstellt und posaunt, die FDP-Wähler wollten doch auch alle ihn, ist eine pathologoische Selbstüberschätzung.
Die Grünen gewinnen aus ähnlichen Gründen wie die FDP mächtig dazu, was sie sich ebenfalls nicht selbst zuschreiben sollten. Der Einäugige sieht besser als der Blinde, das kann sich aber bei der nächsten Begegnung mit dem Schwarzen Ritter ganz schnell ändern. Die Linkspartei schließlich wird sich freuen, es mit einem chaotischen Haufen dennoch in den Landtag geschafft zu haben – und kann sich auch artig bei der SPD bedanken.
Wir hatten das zur Genüge, das Jahr 2008 war das “Jahr Ypsilanti”, die von einer Kampagne der Neoliberalen in Parteien und Medien überrollt wurde. Sie hat es nicht geschafft, aus der Rolle der unfreiwillig nützlichen Idiotin heraus zu finden. Ihre Sturheit und die grobe Fehleinschätzung der Entschlossenheit ihrer Gegner waren ihr Beitrag zum Desaster. Daß sie jetzt zurücktritt, ist in Ordnung. Ich wüsche ihr die Weisheit, aus der Katastrophe zu lernen und gestärkt wiederzukommen.
Da die Hessen-Oper eine mulitmediale Farce war, lohnt sich auch heute ein Blick ins journalistische Umfeld. Drei aktuelle Beispiele dazu:

Bei Zeit.de liefert Ludwig Greven eine nüchterne Analyse der Lage. Es finden sich allerdings noch Nachwehen des Anti-Yps-Kurses: Die Formulierung vom “verhängnisvollen Kurs Ypsilantis” ist zwar akzeptabel, verschweigt aber mehr, als sie aussagt. Die Rede von den vier “SPD-Rebellen” hingegen ist schon grenzwertig.

Sensationell ist der live-Kommentar von Stephan Hebel für die FR: Bissig, informiert und gegen den Strom. Ein journalistisches Highlight, wie ich es lange nicht erlebt habe. Ich hoffe, dieses Dokument bleibt lange auf dem Server.

Sogar für das heruntergekommene Niveau des “Spiegel” noch eine Schande ist der Dreck, den C.C. Malzahn Frau Ypsilanti hinterherwirft. Schon die Eingangsphrase ist angesichts des Wahlsiegers so dumm, daß man sich fragt, ob Mahlzahn überhaupt je von einem Mann namens Koch, Roland, gehört hat:
Die Wählerbotschaft an die SPD ist von simpler Klarheit: Du sollst nicht lügen.
Kollege Hebel erinnert da ganz selbstverständlich an die erfundenen “jüdischen Vermächtnisse”, die Koch sich ausgedacht hat, um sein Schwarzgeld in Sicherheit zu bringen.
Ich habe den Spiegel-Artikel nur aufgerufen, weil mir dies in der Einleitung aufgefallen war. Motto: “Mal sehen, was C.C. sonst noch an Blödsinn erzählt”.
Aber selbst der kann mich noch überraschen, versteigt er sich doch in folgende Formulierung:
Wie man zuletzt mit den sogenannten “Abweichlern” umgesprungen ist und sie mit Hass und Häme abstrafte, war mehr als unwürdig. Es war geradezu abschreckend, wie der kalte Hauch vom Hotel Lux da über Hessens SPD wehte.”
Gegen diese bodenlose Frechheit sind die allermeisten Nazivergleiche noch in die Kategorie “Kompliment” einzuordnen. Diese völlige Verdrehung der Tatsachen und der Vorwurf, die SPD sei gegen die Verräter vorgegangen wie bei einer stalinistischen Säuberung, sind selbst für Malzahn beachtlich niveaulos. Der Mann ist ein widerwärtiger Hetzer und tritt noch auf Leute ein, wenn sie längst am Boden liegen. Dieser Mist wird hier natürlich nicht verlinkt.

Aber immerhin, 100 Euro pro Kind, das ist doch schon was! Auf die Zeitspanne berechnet, in der man für ein Kind aufkommen muß, sind das ca. fünf Euro pro Jahr. Dafür können sich die Eltern dann jedes Jahr Weihnachten eine Schachtel Kippen kaufen. Da ist Steinbrück gar nicht geizig.
2500 Euro gibt es sogar als Abwrackprämie, nicht für kleine Kinder, aber für alte Autos. Auf die Lebensdauer der verschrotteten Autos gerechnet, sind das etwa 278 Euro pro Jahr. Wirtschaftlich gedacht, ist das sehr konsequent, denn Deutschland exportiert keine Kinder, und diese kaufen auch keine Autos. Die Abwrackprämie sorgt zudem dafür, daß nicht Konsumenten der untersten Charge begünstigt werden. Wer sich keinen Neuwagen leisten kann, geht leer aus, und das ist dann ganz neusozialdemokratisch “auch gut so”. Gefördert werden soll nämlich echter Konsum, der der Wirtschaft hilft. Mit dem Kinderbonus ist der Gerechtigkeit schließlich genüge getan – sie kommt dem Reichen ebenso zugute wie den Armen. Ein Zeichen für eine funktionierende Demokratie.
Peer Sparbrück, der als Finanzoberexperte für dieses Meisterwerk sozialdemokratischer Marktwirtschaft verantwortlich ist, sorgt gleichzeitig dafür, daß es kein Mehr und kein Zurück gibt. Sollte irgendwann wieder genug Geld durch die Banken und Konzerne fließen, soll dieses moderat wieder das Sparschwein füllen. Dem Prekariat soll mit Vefassungsrang deutlich gemacht werden, daß es auch in besseren Zeiten nicht die Hand aufzuhalten hat. Zuerst kommt die Wirtschaft, dann der ausgeglichene Haushalt und dann – nichts mehr. So gehen die Sozen mit Geld um. Von deutschem Boden soll nie wieder der Vorwurf ausgehen, die SPD verschwendete das Geld mit Almosen.
Noch beeindruckender als dieser politische Höhenflug ist allerdings die Wirtschaftskompetenz der Union, die ganz allgemein die Steuern senken will, um damit die höheren Staatsausgaben zu finanzieren. Das größte ökonomische Genie aller Zeiten, Glos der Große, sonnt sich im Glanz der Krise wie ein Hähnchen im Grill – geistig ähnlich lebendig, dabei aber weniger nahrhaft. Wem ist es bloß eingefallen, diesen Experten zum Wirtschaftsminister zu machen? Wer überläßt diesem sporadisch Aufgeweckten in schwerster See das Ruder des Flaggschiffs, auf daß er mit ruhiger Hand lässig unter jedem Riff hinwegtaucht?
Es ist die Bundeskanzlerin, der meine volle Bewunderung gilt: Wem es gelingt, sich hinter solchen Schmalhanseln zu verstecken ohne entdeckt zu werden, dem kann keiner das Wasser reichen – selbst wenn es allen bis zum Halse steht.
Das beste Konjunkturprogramm wäre freilich eine Abwrackprämie für den Kutter, auf dem diese Geisterfahrer die Crew geben.

“Der Westen” berichtet von der Kritik, die “Pro Bahn” an der Hatz auf “Schwarzfahrer” übt. Dort ist die Rede von einer “Prüftruppe“, die “von Zug zu Zug springt“. Einer aus dieser Jägertruppe gibt zu Protokoll: „Der verschärfte Ton bei den Kontrollen ist gewollt [...] Außerdem haben wir Anweisungen, nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Schaffner zu kontrollieren. Dadurch steigt der Druck und die Fehlerzahl.”

Der Konzern organisiert eine Treibjagd. Es kommt dabei überhaupt nicht darauf an, Schwarzfahrer von irritierten Kunden zu unterscheiden. Der gute Kunde kennt sich aus, macht alles richtig und hat daher ein gültiges Ticket. Alles andere ist Ausschuß, der gefälligst ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu bezahlen und das Maul zu halten hat. Dazu ein Bericht von Heiligabend:
Ein 23-Jährige Frau hat es nicht mehr geschafft, ihr Ticket am Bahnsteig abzustempeln und dachte übderdies, es gebe im Zug noch Stempelautomaten. Zumindest dachte sie, wenn sie den ungestempelten Fahrausweis vorzeigt, könne der Schaffner diesen entwerten.
Dieser war aber alles andere als zuvorkommend und beschuldigte die junge Dame sogleich des vorsetzlichen Erschleichens der Beförderung, was sie empört zurückwies. Daraufhin führte der Bahnbedienstete sie in ein leeres 1.-Klasse-Abteil, um dort mit ihr zu diskutieren, ob er sie nun auch noch als “unkooperativ” einstufen solle – was immer das bedeutet.
Die attraktive junge Frau kam offenbar gar nicht auf die Idee, darin eine sexuelle Belästigung zu sehen, weswegen sie womöglich nicht in den Genuß des Status “kooperativ” kam. Sie hat jedenfalls keine Angebote ihrerseits gemacht, sondern den nicht recht weihnachtlich gestimmten Uniformierten grob kritisiert.
Dies ist nur eine von zahlreichen Anekdoten, die niemand lesen möchte. Bei der Bahn ist das offenbar so gewollt. Wenn selbst an Heiligabend in einer leeren Bahn ein derart grenzwertiges Gewese gemacht wird, kann es auch nicht ums seriöse Geschäft oder ums Prinzip gehen. Was sich da so zuträgt, ist die schlichte Normalität auf den Weg zum “privaten” Großkonzern. Hier zahlt der Mensch und zählt nichts mehr. Dies ist der Kern einer Ideologie, die Gewinne heiligt und sich einen Kehricht darum schert, wie sie zustande kommen.

Zu den vielen Varianten der “Reality”-Unterhaltungs- und Kochshows, mit denen wir täglich berieselt werden, gehört auch die Coachingshow von Christian Rach. Der Titel der Sendung ist ein wenig mißraten, denn der Sternekoch “testet” keine Restaurants, sondern berät die Inhaber vielmehr, wie sie ihren untergehenden Schuppen noch retten können. Das eine oder andere Geschenk bringt er auch mit, aber mehr als vom Sender gesponsorte materielle Hilfen zählt seine Beratung.
Ich stehe solchen Soaps generell skeptisch gegenüber, und auch das Format dieser Sendung ist kritikwürdig. Allein die inzwischen üblichen Wiederholungen von Sequenzen nach den Werbeeinblendungen haben ein wenig von “Fernsehen für Doofe”. Interessant ist aber allemal, wie sich jemand aus professioneller Perspektive um Läden kümmert, die häufig von naiven Laien geführt werden – die sich freilich oft ungern selbst so sehen.
Kraft seiner Autorität setzt der Coach sich aber immer durch, zumeist eindeutig zum Vorteil seiner Klienten. Dabei geht er nicht mit der monetären Meßlatte druchs Haus, schmeißt ein paar Leute raus und läßt die anderen mehr arbeiten, sondern er hat Ideen und kann Ordnung ins Chaos bringen.
Ungewöhnlich sind auch seine Ansichten, die man nicht teilen muß, aber immerhin denkt er umsichtig, wie in einem Interview mit der FR deutlich wird. Zwei Besipiele daraus:
[FR:] Als RTL-Restauranttester verirren Sie sich gelegentlich auch in Gaststätten, die zu betreten einem schon der gesunde Menschenverstand verbietet. Dabei gehören die deutschen Lebensmittelgesetze zu den strengsten der Welt. Was läuft in diesen Läden verkehrt?

[Rach:] Es gibt natürlich Dreckfinken. Aber ich habe in der Zeit, in der ich den Leuten helfe, sehr viel über existenzielle Not gelernt. Wenn Sie so sehr finanziell am Krückstock gehen wie die Leute, die sich für die Sendung bewerben, schränkt sich Ihre Wahrnehmung ein. Die Leute sehen die Verwahrlosung und den Dreck nicht mehr. In der Großzahl der Fälle gelingt es mir, dieses Bewusstsein wieder freizulegen.

Man wünschte sich die Einsicht in solche Prozesse bei den Dichtern der Leistungslyrik, die hier ganz fix bei der Hand wären mit Vorwürfen, Schuldzuweisungen und Urteilen. Daß materielle Not und Mißerfolg die Menschen abstumpfen lassen, ist ein ganz gewöhnlicher Effekt. Rach setzt auf echte Hilfe und Ideen, um den Elan dieser Deprimierten wieder zu beleben. Die Arbeitsagenturen und die politischen Hetzer gegen Hilfebezieher sollten sich davon eine große Scheibe abschneiden.
Daß auch so etwas einfaches wie Essen eine politische Dimension hat, formuliert Rach sogar wörtlich:

[FR:] Obwohl im deutschen Fernsehen mittlerweile 30 Kochsendungen laufen, wurde noch nie so wenig gekocht wie heute. Wie erklären Sie sich dieses Missverhältnis?

[Rach:] Das wäre mal ein schönes Thema für Maybrit Illner. Ich denke, das hat eine politische Dimension, wenn Sie bedenken, wohin sich die Familie entwickelt. Es gibt keine Wertschätzung der Familie mehr. Essen und Trinken ist eigentlich der zentrale Ort der Kommunikation, auch zu Hause. Wenn diese Art der Kommunikation nicht mehr stattfinden kann, weil die Arbeitszeiten in den Firmen oder die Schulzeiten in der Ausbildung der Kinder nicht mehr zulassen, dass zumindest eine gemeinsame Mahlzeit stattfindet, ist das ein großer Verlust.

So könnte konservatives Denken aussehen, das die Zusammenhänge sieht. Rachs Kniff, der ihn turmhoch über jedem Politikergeschwätz stehen läßt, ist die schlichte Wahrnehmung einer menschlichen Dimension. Die Schlüsse, die er zieht und die Schwerpunkte, die er setzt, kann man ebenfalls kritisieren. Daß er als Restaurantleiter die Verbindung von menschlichem Alltag und Politik erkennt und darlegt, ist aller Ehre wert. Daß diejenigen, die sich für Politiker halten, das nicht fertigbringen, ist eine Schande.

Die Frankfurter Rundschau macht sich in persona Tonio Postel keine Sorgen mehr um die Jugend. Diese ist verderbt und verloren durch Porno und Internet und Porno im Internet. Die “Datenlage” ist zwar “ungenau” und Betroffene kennt die FR nur per E-Mail, aber das ändert nichts an der Gewissheit: Unsere Kinder werden süchtig und kennen keine Liebe mehr – durch Internet.
Einige Zitate aus dem Zusammenhang:
Nach dem Ausfüllen eines Fragebogens hatte er Gewissheit: Sören wurde als onlinesexsüchtig eingestuft.”
Hätte er bloß nicht diesen Fragebogen ausgefüllt!
Laut einer aktuellen Studie des Kinsey Instituts in Bloomington, USA, besuchen weltweit 40 Millionen Erwachsene jährlich Pornoseiten im Internet.”
Es ist erschütternd, wie wenige Menschen Zugang zum Inernet haben, oder? Wenn man sich aber etwa diese .pdf anschaut, wird deutlich, daß allein in den USA mehr als 40 millionen Erwachsene Pornoseiten besuchen. Beruhigend.
Laut Gabriele Farke, der Vorsitzenden des Vereins HSO, seien von den 60 Millionen deutschen Internetnutzern “fünf bis neun Prozent”, also etwa zwei Millionen onlinesüchtig.”
Fünf Prozent von 60 millionen sind schon 3 millionen, macht aber nix. Ich bin übrigens einer von ihnen. Außerdem bin ich luftsüchtig, kaffeesüchtig, autosüchtig, telefonsüchtig und bis vor kurzem freundinsüchtig. So what?
Während sich der Verein seit neun Jahren mit Onlinesucht auseinandersetze, trete die Onlinesexsucht verstärkt erst seit zwei Jahren auf und stelle in der Gesellschaft immer noch ein großes Tabu dar.”
Also: Der Verein ist sieben Jahre älter als die Onlinesexsucht. Na Hauptsache, es gibt sie, wovor sollte er sonst warnen?
Dass die Streifen aus dem Internet extremer sind als jene aus der Videothek, ist kein Geheimnis mehr.”
Daß die Streifen aus dem Internet auch aus der Videothek kommen, ist wohl noch ein Geheimnis? Psst, wir behalten das für uns!
Der Pastor der Friedenskirche in Hamburg-Jenfeld und Leiter des dortigen Hilfsprojektes “Arche”, Thies Hagge, differenziert
Was zur Hölle ist in einen Pastor gefahren, der differenziert?
Schon ist man drin – und viele finden nicht mehr raus.”
Gemeint ist nicht die bevorzugte Vagina, sondern ein einschlägiger Internetauftritt. Hier tut Aufklärung not, man sollte das in der Schule lernen. Vielleicht sogar beides.
Pastor Bernd Siggelkow sieht durch Pornos gar die Liebe in Gefahr.
Na geht doch, ein Pastor nach meinem Geschmack!
Er berichtet von 22-jährigen Frauen, die vier Kinder von vier verschiedenen Männern hätten und in Chat- Rooms auf der Suche nach einem neuen Partner seien. Oder von einer Mutter, die mit ihren vier und fünf Jahre alten Kindern Pornos schaute und der dazu nur einfalle: “Ist doch bloß Sex.” ”
Andere gehen in die Kneipe und legen sich nackt auf den Tresen. Was ein Aufwand! Und mal angenommen, dieses Gequatsche sei nicht frei erfunden: Sitzt dann der Pastor mit der Mutter und den Kindern vor dem Rechner? Wenn die Mutter das so normal findet, hat sie das wohl kaum gebeichtet?
Kränkungen sind nach Ansicht von Experten dabei programmiert: Partnerinnen, die von der Pornosucht erfahren, fühlten sich oft nicht mehr attraktiv genug und unterzögen sich deshalb sogar Schönheits-Operationen.”
Ach so, deshalb lassen sich die ganzen Bratzen ihre Tüten aufblasen, wegen Internetporno! Daher sicher auch Magersucht, Botox, Schuhshopping und Klimawandel.
“Um die jungen Leute vor Pornos zu schützen, könnte man eine bestimmte Schutzsoftware auf den Rechnern installieren. Worte wie “Porn” oder “Sex” kommen auf den Index, die Seiten können nicht länger erreicht werden. Blöd nur, dass es keine Version für Mac-Rechner gibt.”
Muuhaha, ich sehe Myriaden von Mamis und Papis, die ihren Kindern zeigen, wo der Hammer nur noch hängt im Internet. Und Söhne, die sich deshalb einen “Mac-Rechner” kaufen.
Kinders, wenn ich viel Geld bekommen hätte, um einen möglichst dämlichen Artikel über Porno im Inernet zu schreiben, dieses Meisterwerk wäre mir nicht gelungen. Um einmal kurz sachlich zu werden: Wie das mit der Liebe vor der gnadenlosen Kommerzialisierung von allem und jedem war, kann man sich noch bei Oswalt Kolle anschauen. Damals hat sich noch nicht jeder Schnösel einen blasen lassen, aber ich wage zu bezweifeln, daß die Missionarsstellung und vollkommene Ahnungslosigkeit nebst klerikaler Bigotterie bessere Mittel für die Liebe waren. Und wenn man denn die spezifischen Gefahren neuer Technologien für die Jugend diskutieren will, wäre es nicht schlecht, ein wenig Sachkenntnis mitzubringen. Von der Jugend, vom Internet oder für den Anfang wenigstens von irgendwas.

p.s.: Feynsinn ist hiermit endlich Kiloblog. Dies ist mein tausendster Eintrag. Ich hatte Spaß daran, und das ist auch gut so.

Er kann nicht so glänzen, der Oskar, wenn er ganz normal befragt wird. Der “Freitag” tat dies, und es fällt schon auf, wenn Journalisten ihm nicht geifernd gegenübertreten, sondern einfach ein Interview führen und ihn reden lassen. Dann wirkt er beinahe ein wenig gestanzt, genau wie alle seine Kollegen. Wer ihn entzaubern will, behandelt ihn einfach wie einen Menschen. Daß man schon dankbar sein muß für solch journalistische Magerkost, ist nicht wirklich ein Lob an Lutz Herden und Tom Strohschneider, die für den Freitag die Fragen stellten. Es ist vielmehr eine Ohrfeige für die Konkurrenz.
Ärgerlich allerdings, daß auch der Freitag es für opportun hält, kritiklos die Meinungsmacher von “Forsa” zu zitieren. Das muß aufhören.

Die Beherrschung der Begriffe ist ein wichtiges Anliegen der Ideologen, namentlich der des Neoliberalismus. Wir haben das hier bereits diskutiert, im Zusammenhang mit dem Begriff “Verantwortung” oder dem der “Freiheit”, wie die INSM sie verstehen will. Aktuell befaßt sich weißgarnix intensiv mit solcher “Freiheit”.
Es ist aber nicht nur die Besetzung der Begriffe, die die Sprache zur Waffe macht. Auch die merkwürdige Unterdrückung bestimmter Begriffe läßt aufhorchen. “Profit” wäre etwa ein solcher, der von den Marktgängigen gemieden wird wie das Weihwasser vom Teufel.
Im politischen Diskurs muß es verwundern, daß jedes Wort, das irgend etwas mit “Wirtschaft” zu tun hat, souverän in die Mikorophone salbadert wird, während das innerste Anliegen des Politischen keinen Ausdruck mehr findet. Der Begriff “Macht” wird zumeist abgehandelt, als stecke dahinter ein Phantom oder etwas ungemein Anrüchiges. Man kennt ihn aus Wortschöpfungen wie “Machthaber”, womit Despoten gemeint sind, “Machtergreifung” oder “Machtübernahme”, mit der die Nazis gemeint sind oder eben Frau Ypsilanti.

Gewaltenteilung

Nach der Macht, so scheint es, darf nicht gefragt werden. Böse Menschen üben Macht aus, gute treffen notwendige Entscheidungen. Artikel 20 GG wird gern falsch zitiert, nämlich “Alle Macht geht vom Volke aus”. Tatsächlich heißt es “alle Staatsgewalt“, womit ein feiner Unterschied markiert ist. Ich glaube nicht, daß es die Absicht der Autoren gewesen ist, diesen Unterschied in der sozialen Realität derart deutlich werden zu lassen. Wer aber dem Volk die Macht nicht zugestehen will, fordert nachgerade die Staatsgewalt heraus.
In der beherrschenden politischen Frage der letzten Jahrzehnte, der nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Staat, wurde die Machtfrage nie so recht gestellt: Wer hat die Macht, wie wird sie genutzt, wer kontrolliert wen wie, und wie ist das Ganze legitimiert? Diese Kernfragen des Rechtsstaats sind völlig verdrängt worden vom Streit um die vorgeblich notwendigen Bedingungen, die der Staat der Wirtschaft zu erfüllen habe.
Intern hat der Staat sich durch seine Verfassung zu seiner Macht und deren notwendiger Kontrolle bekannt. Er ist in unabhängige Gewalten geteilt, die sich gegenseitig zu kontrollieren haben. Er bezieht seine Legitimation aus diesem Bekenntnis. Daß diese Macht eingeschränkt ist, bedeutet nicht, daß er irgend eine übergeordnete Macht zu dulden habe – im Gegenteil.
In der Wirtschaft und ihrem Verhältnis zum Staat herrschen andere Gesetze. Hier wurde und wird angenommen, das “freie Spiel der Kräfte” führe zu einer Art natürlicher Gewaltenteilung. Diese Rechung geht freilich schon nicht auf, wo die Kräfte sich in unangefochtenen Machtzentren konzentrieren. In dem aus dem 18. Jahrhundert stammenden Staatsmodell, auf dem auch die BRD beruht, war eine solche Ballung wirtschaftlicher Macht nicht vorgesehen. Schon im 19. Jahrhundert entstand daher mit dem Marxismus/Sozialismus ein Korrektiv, das die westlichen Staaten allerdings nur sehr mittelbar beeinflußt hat. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schien dieses Korrektiv gänzlich zu schwinden.
Hinzu kommt, daß mit der gleichzeitigen Privatisierung der Medien und anderer ehemals hoheitlicher Aufgaben weitere Aspekte konkreter Macht aus der Obhut des Staates entlassen wurden. Diese Bereiche wurden dadurch einer wirksamen Kontrolle entzogen.

Wessen Gesetz gilt

Die Auslagerung wichtiger Kernkompetenzen hätte also ggf. kompensiert werden können, indem der Staat eine starke Kotrollfunktion gegenüber den neuen Mächten eingenommen hätte. Alternativ wäre es auch denkbar gewesen, die Macht über Infrastruktur und Medien in ein neues Konzept der Gewaltenteilung einzubeziehen.
Mit den kritischen Medien der 60er bis 80er Jahre hat sich ein solcher Effekt quasi zufällig ergeben. Vor allem Printmedien, herausragend “Der Spiegel”, ünernahmen eine wichtige Funktion öffentlicher Kontrolle. Journalisten sahen sich als Schutztruppe der Demokratie und Gegengewicht zur Hofpresse der Mächtigen.
Seitdem aber auch die Medien dem Gesetz der Gewinnorientierung unterworfen sind, hat sich dieser Effekt verkehrt, und die Kontrollfunktion der Medien ging weitgehend verloren.
Wer kontrolliert die Medien, die Großkonzerne, den Staat? Wie kann ein System sich gegenseitig kontrollierender Mächte etabliert werden, das den Realitäten des 21. Jahrhunderts gerecht wird? Dies wäre die große Aufgabe der Politik. Politik darf nicht infrage stellen, ob sie oder sonstwer die Regeln bestimmt, an denen eine Gesellschaft sich auszurichten hat. Die Abtretung der Macht an Wirtschaftsbosse und Medienkonzerne war und ist insofern ein Verstoß gegen Artikel 20 des Grundgesetzes. Hier wäre eine Verfassungsänderung nötig und völlig begrüßenswert. Es sollte wirklich heißen: “Alle Macht geht vom Volke aus”.

Ich habe es schon so oft gesagt: Die dusselige Pflicht, Schnee von den Wegen zu räumen, führt zu Unfällen. Auf Schnee kann man sich vielleicht nicht komfortabel bewegen, aber der überfrorene Bodensatz, den geräumter Schnee hinterläßt, ist glatt wie Eis.
Nachdem ich heute meiner heiligen Pflicht im Rahmen meines Dienstes für Geld und an die Menschheit nachgekommen war, verließ ich meine Einrichtung über die Treppe, von der ich zuvor den Schnee gekratzt hatte. Ich war quasi auf dem Heimweg und wollte noch zum Schuppen, um Streusalz für den Treppenaufgang zu holen (jaja, das hätte ich sofort tun sollen), als ich plötzlich quer in der Luft lag und dann mit dem Rücken auf der Steintreppe aufschlug. Etwa zwei Minuten später konnte ich wieder halbwegs atmen. Eine Rippenprellung war bislang nicht in der reichhaltigen Sammlung leichter Verletzungen, die meine Biographie zieren, aber ich kann euch sagen: Laßt das! Es macht überhaupt keinen Spaß. Liegen geht gar nicht, weshalb ich mich heute Nacht an die Wand lehnen werde und derart versuchen will, meinen Schlaf zu bekommen.
Heute also wieder jammern auf niedrigem Niveau und eine doppelte Lese- und Hörempfehlung vom geschätzten Kollegen Jens Berger.

Wie ich im gestrigen Artikel bereits ankündigte, werde ich mich im folgenden kurz mit einer Vokabel beschäftigen, die nicht dem neoliberalen Neusprech überlassen werden darf, der sie längst pervertiert hat: Verantwortung.
In genannten Zusammenhang war die Rede davon, Empfänger von Sozialleistungen übernähmen keine “Selbstverantwortung”. Was damit gemeint ist, hat mit “Verantwortung” rein gar nichts zu tun. Gemeint ist, diese Leute sollten sich um sich selbst kümmern. “Verantwortung” ist in diesem Sinne schlicht Selbstsorge.

Die Verantwortung der Leistungsträger

Diese Begriffsbildung steht ganz im Zeichen dessen, was dem Volk so gern als Begründung für überhöhte Einkommen Einzelner geboten wird: Die “Verantwortung” der “Leistungsträger”, der Unternehmer und Manager. Tatsächlich haben diese Leute häufig eine Wirkunsgmacht, für deren Folgen sie sich zu verantworten haben sollten. Sie können erwiesenermaßen immensen Schaden anrichten und sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden. “Verantworten” hieße im Wortsinne, daß sie Rede und Antwort zu stehen hätten und in der Folge Konsequenzen tragen sollten, die ihrem Verhalten angemessen wären. Während aber jeder Erfolg ihres Unternehmens ihnen persönlich vergütet wird, haben sie bei Verlusten, Inkompetenz und Versagen aus Gier nichts Schlimmeres zu befürchten als die Kürzung ihrer immensen Einkünfte.
Die Struktur der großen Unternehmen, in deren Aufsichtsräten Ex-Manager sitzen, die danach womöglich wieder solche werden, findet eine ernsthafte Kontrolle kaum statt. Unrühmlich auch die Rolle der Arbeitnehmervertreter in den Kontrollgremien: Sie lassen sich gern schmieren oder wechseln nach vollbrachtem Wegschauen ins Management. Der exklusive Club sorgt vor allem dafür, daß es eines nicht gibt: Kontrolle, aus der Verantwortung resultiert.
In der Tat: Sie sind die Macher, diejenigen, die etwas bewegen. Das allein gilt schon als “Verantwortung”, die selbst in der Form schamlosester Plünderung noch honoriert wird. Auch hier gilt Selbstsorge als Verantwortung: Wer etwas tut, handelt “verantwortlich”, ohne sich jemals wirklich verantworten zu müssen.

Die wahren Verantwortungsbewußten

Durch hohe Gehälter und die beinahe gänzlich fehlende strafrechtliche Relevanz wirtschaftlichen Handels tragen sie nicht einmal ein persönliches Risiko. Ihre Lebenssituation ändert sich nicht, ganz gleich, wie rücksichts- und verantwortungslos sie tatsächlich handeln. Es ist oft sogar einträglicher, auf einen Sinn für solche sozialen Dimensionen ganz zu verzichten.
Noch merkwürdiger als dieser semantische Eiertanz über angeblich verantwortungsvolle Spitzenverdiener ist aber die damit verbundene Aberkennung der Verdienste wirklich verantwortlich handelnder Menschen. In der institutionalisierten Wirtschaft sind dies vor allem Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten. Ihnen wird nicht nur der Dank, sondern ganz radikal auch der Lohn für ihre Leistung und Verantwortungsbereitschaft aberkannt. Wenn Erzieher/innen, Polizist/innen, Kranken- und Altenpfleger/innen Fehler machen, kann das schlimmste Folgen haben. Arbeiten sie gut, können sie Leben retten. Sie sind meist unmittelbar von den Konsequenzen ihres Handelns betroffen. Das betrifft nicht nur ihre berufliche Karriere, sondern auch und gerade sie selbst als Menschen. Sie befassen mit sprichwörtlich mit der Scheiße, die andere nicht anfassen wollen. Sie dürfen sich große Fehler kaum jemals leisten. Warum bekommen sie nur ein tausendstel des Gehaltes eines Managers? Nach der marktgängigen Begründung deshalb, weil sie angeblich keine Verantwortung tragen. Sie gelten als weniger “mündig”, weil sie durch leitende Angestellte oder Beamte kontrolliert werden. Ändert das irgend etwas an ihrer Leistung und daran, daß sie diejenigen sind, die durch ihre Hände, ihre Konzentration und Aufmerksamkeit tatsächlich äußerst verantwortlich handeln? Sind nicht gerade sie diejenigen, die Rede und Antwort stehen müssen und im Zweifelsfall ihren Job verlieren, ohne von ihrem Vermögen leben zu können?

Es ist der geballten Macht der Medien und ihrem Zwiesprech zu verdanken, daß sich die Bedeutung des Begriffs pervertiert hat. Hätten die wahren Verantwortungsbewußten auch nur den Hauch einer Lobby, würden sie dafür sorgen, daß ihnen neben dem verdienten Dank und Lohn nicht auch noch die Sprache genommen würde, mit der man ihre Wirklichkeit beschreiben kann.

In einem Interview mit Oskar Lafontaine zelebriert Ulf Poschardt für die “Welt” seine heillose Verstrickung in einen Sprachgebrauch, der nichts anderes mehr zulassen will als Definitionen, die der verinnerlichten Ideologie zuträglich sind. Während Lafontaine es sich nicht nehmen läßt, die Dinge so zu erläutern, wie er sie denkt, hält der Interviewer ihm die Arroganz medialer Definitionsmacht entgegen. Der Journalist will nicht diskutieren, er will Bedeutungen festgelegt wissen:

WELT ONLINE: Meinen Sie Chancen- oder Ergebnisgerechtigkeit?

Lafontaine: Das sind Täuschungswörter des Neoliberalismus. Schon von Chancengerechtigkeit zu reden ist angesichts der gravierend ungleichen Verteilung der Startchancen ein schlechter Witz.

Es soll nur als “Gerechtigkeit” gelten dürfen, was in den genannten Dualismus paßt. Selbstverständlich ist “Ergebnisgerechtigkeit” dann falsch, weil sozialistische Gleichmacherei. Es soll ergo nur “Chancengerechtigkeit” geben, die unter Hand als gegeben behauptet wird. Mit Recht hält Lafontaine dem die soziale Realität entgegen.

Lafontaine: All diejenigen, die die Menschen mit den Lügenwörtern des Neoliberalismus hinters Licht führen.

WELT ONLINE: Was ist aus Ihnen geworden, dass Sie das Wort „liberal“ als Schimpfwort einsetzen? Sie galten früher in der SPD als ein moderner Linksliberaler.

Die Gleichsetzung von “Neoliberalismus” mit “liberal” und der anschließende wirre Vorwurf zeugt von einem Geist, dem die Sprache abhanden gekommen ist. Es geht nur noch um das Hüben vs. Drüben der vermeintlichen ideologischen Gräben.

WELT ONLINE: Dann verstehen Sie sich als Liberaler?

Lafontaine: Moment. Ich will noch etwas sagen. Und drittens: Einer der Vordenker des Neoliberalismus, Alexander Rüstow, sagte, der Staat muss dorthin, wo er hingehört, über die Wirtschaft. Davon kann in einer Zeit, in der ein ehemaliger Bundesbank-Präsident zutreffend gesagt hat, die Finanzmärkte kontrollieren und beherrschen die Politik, nicht mehr die Rede sein.

WELT ONLINE: In diesem – zugegebenermaßen kruden Verständnis des Liberalismus – wären Sie dann ein Neo-Liberaler?

Was “krude” sein soll am Verständnis, erschließt sich mir nicht. Die Anschlußfrage taugt nicht einmal mehr zum schlechten Witz. Sie ist schlicht peinlich.

WELT ONLINE: Dennoch benutzen Sie das Wort „liberal“ in diesem Gespräch meist so, wie es im Augenblick viele benutzen: als Schimpfwort. Gemäß dem Diktum von Wittgenstein: Bedeutung entsteht im Gebrauch. Sie galten früher als Feingeist in der Politik, jetzt geben Sie den Polemiker. Macht Ihnen das Spaß?

Schimpfwort gemäß Bedeutung als Gebrauch, das ist also Wittgenstein? Und macht das Spaß? Wittgenstein kann leider nicht antworten, vermutlich würde er den Wörterkasper verklagen.

WELT ONLINE: Dafür erhalten die Arbeitnehmer einen Lohn.

Lafontaine: Das genügt nicht. Der Unternehmer kriegt neben dem Zuwachs des Betriebsvermögens seinen Gewinn und seinen Unternehmerlohn. Uns geht es nicht um die Enteignung der Unternehmer, sondern darum, dass die ständige Enteignung der Arbeitnehmer beendet wird.

WELT ONLINE: Sie betreiben Politik als Sprachspiel.

“Sprachspiel”, das ist dem verunsicherten Tendenzjournalisten jeder Widerstand gegen die selbstproduzierte Entmündigung. Wenn marktliberale jede Steuer als “Enteignung” bezeichnen und jemand daherkommt, der das Spiel von Zueignung und Enteignung aus seiner Perspektive beschreibt, sei das “Sprachspiel”. Ein toller Begriff vom großen Wittgenstein, der übrigens nicht das Mindeste mit dem zu tun hat, was der Interviewer hier auftischt. Ginge es nach diesem, dürften Politiker bald gar nicht mehr sprechen, sondern nur noch vorbeten.

WELT ONLINE: Hat die Linke noch nicht verstanden, dass ihre Form der Sozialtransfers das Prekariat in der Unmündigkeit, ohne Selbstverantwortung, hat verkümmern lassen?

Lafontaine: Wir haben einen anderen Begriff von Verantwortung als die Neoliberalen.”

Nun muß man zuerst einmal feststellen, daß nicht “die Linken” für “Sozialtransfers” verantwortlich sind, sondern die bisherigen Regierungen der Bundesrepublik. Die Behauptung, dies sei “Unmündigkeit, ohne Selbstverantwortung”, ist Neoliberalismus in seiner plattesten Prägung. Zum Thema “Verantwortung” werde ich mich in einem der folgenden Artikel noch auseinandersetzen. Selbstverständlich erklärt der Ideologe hier auch nicht, wie denn mehr “Verantwortung” und “Mündigkeit” aussähen und wer in der Wirklichkeit für was die Verantwortung trägt.

(Lafontaine):Im Zentrum des Christentums steht übrigens nicht Eigenverantwortung, sondern Nächstenliebe.

WELT ONLINE: Ja, aber die wird ja auch in Deutschland praktiziert.

Lafontaine: Na ja, Ihr Wort in Gottes Ohr.

WELT ONLINE: Sie wird in Deutschland sehr umfassend praktiziert. Also es gibt keine linke Form von Selbstkritik, was den Erfolg der Sozialleistungen betrifft?

Die Widerrede zeichnet sich einmal mehr dadurch aus, daß sie weder irgendwelche Fakten nennt, noch sich um eine Begründung bemüht. Ein seriöser Interviewer hält sich entweder mit seiner Meinung ganz zurück oder er steigt in die Diskussion ein. Poschardt hingegen weiß sich des Applauses der Rechten sicher, wenn er den Interviewten unprofessionell zurechtweist.

WELT ONLINE: Da sind sich ja alle einig. Ist ein Thema wie Sozialmissbrauch für Sie tabu?

Lafontaine: Ich habe kein Problem mit dem Thema sozialer Missbrauch. Es gibt auch Missbrauch sozialer Leistungen. Nur, wenn man über Missbräuche in der Gesellschaft spricht, dann darf man ?

WELT ONLINE: Jetzt kommen Sie wieder mit der anderen Seite.

Lafontaine: … nicht einäugig sein.

Deutlicher kann sich der Ideologe nicht entlarven. Er will, daß nur eine vorgefasste Meinung zur Sprache kommt. Die Assoziierung von “Sozialleistungen” und “Missbrauch”, die die Öffentliche Meinung beherrscht, soll gefälligst auch von der Linken übernommen werden. Dazu soll Lafontaine auf seine demagogischen Bezüge auf die Wirklichkeit verzichten. Großartig.

WELT ONLINE: Sie glauben weiter an den Segen der Umverteilung?

Lafontaine: Umverteilung ist ein klassisches Täuschungswort, das von denen missbraucht wird, die durch die Umverteilung der Erträge der Arbeit zu großen Einkommen und Vermögen kommen. In den letzten Jahren ist die Lohnquote um acht Punkte gesunken. Anders ausgedrückt: Hätten wir noch die Lohnquote des Jahres 2000, dann hätten die Arbeitnehmer 140 Milliarden mehr pro Jahr in der Tasche. Über diese gewaltige Umverteilung reden wir.”

Auch hier eine inhaltlich fundierte Meinung, die das Phänomen “Verteilung” aus einer übergeordneten Perspektive betrachtet. Das will aber die “Welt” nicht hören:

WELT ONLINE: Interessant: Wir finden keine gemeinsame Sprache.

Lafontaine: Sie müssen die Begriffe klären, sonst reden wir munter aneinander vorbei.

WELT ONLINE: Ihre Definitionen sind gut verständlich. Nur sind Ihre Definitionen nicht sonderlich marktgängig.”

Man muß für diese Offenheit geradezu dankbar sein, und hier gelingt dem Narren ein fürwahr fürstliches “Sprachspiel”. Er will Begriffe nicht klären, er will sie marktgängig angewandt wissen. Der Markt definiert die Begriffe – der Markt der Großverlage und der großen Marktteilnehmer, der Verdiener und Leistungsträger. Gleichzeitig soll der Begriff dem Markt dienen, seinem guten Ruf und denjenigen, die sich ihm verschrieben haben.

WELT ONLINE: Dann ist die Linkspartei im orwellschen Sinne eine Partei, die eine eigene Semantik aufbaut und einen Newspeak hat. Dann müssen Sie eigentlich vor allem dafür sorgen, dass die Wähler Ihre Definition teilen.

Nicht einmal Orwells “1984″ hat Poschardt begriffen, vielleicht sollte er noch einmal bei Pippi Langstrumpf anfangen. Der “Newspeak” ist die Vergewaltigung der Sprache durch eine diktatorische Herrschaft, bei dem Bedeutungen willkürlich besetzt werden und ihre strikte Anwendung Bürgerpflicht ist.
Wem in diesem Interview diese Rolle tendenziell zukommt, ist nur zu offensichtlich.

« Vorherige SeiteNächste Seite »