Ein großes Wort: Verantwortung
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
05. Jan 2009 0:00
Wie ich im gestrigen Artikel bereits ankündigte, werde ich mich im folgenden kurz mit einer Vokabel beschäftigen, die nicht dem neoliberalen Neusprech überlassen werden darf, der sie längst pervertiert hat: Verantwortung.
In genannten Zusammenhang war die Rede davon, Empfänger von Sozialleistungen übernähmen keine “Selbstverantwortung”. Was damit gemeint ist, hat mit “Verantwortung” rein gar nichts zu tun. Gemeint ist, diese Leute sollten sich um sich selbst kümmern. “Verantwortung” ist in diesem Sinne schlicht Selbstsorge.
Die Verantwortung der Leistungsträger
Diese Begriffsbildung steht ganz im Zeichen dessen, was dem Volk so gern als Begründung für überhöhte Einkommen Einzelner geboten wird: Die “Verantwortung” der “Leistungsträger”, der Unternehmer und Manager. Tatsächlich haben diese Leute häufig eine Wirkunsgmacht, für deren Folgen sie sich zu verantworten haben sollten. Sie können erwiesenermaßen immensen Schaden anrichten und sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden. “Verantworten” hieße im Wortsinne, daß sie Rede und Antwort zu stehen hätten und in der Folge Konsequenzen tragen sollten, die ihrem Verhalten angemessen wären. Während aber jeder Erfolg ihres Unternehmens ihnen persönlich vergütet wird, haben sie bei Verlusten, Inkompetenz und Versagen aus Gier nichts Schlimmeres zu befürchten als die Kürzung ihrer immensen Einkünfte.
Die Struktur der großen Unternehmen, in deren Aufsichtsräten Ex-Manager sitzen, die danach womöglich wieder solche werden, findet eine ernsthafte Kontrolle kaum statt. Unrühmlich auch die Rolle der Arbeitnehmervertreter in den Kontrollgremien: Sie lassen sich gern schmieren oder wechseln nach vollbrachtem Wegschauen ins Management. Der exklusive Club sorgt vor allem dafür, daß es eines nicht gibt: Kontrolle, aus der Verantwortung resultiert.
In der Tat: Sie sind die Macher, diejenigen, die etwas bewegen. Das allein gilt schon als “Verantwortung”, die selbst in der Form schamlosester Plünderung noch honoriert wird. Auch hier gilt Selbstsorge als Verantwortung: Wer etwas tut, handelt “verantwortlich”, ohne sich jemals wirklich verantworten zu müssen.
Die wahren Verantwortungsbewußten
Durch hohe Gehälter und die beinahe gänzlich fehlende strafrechtliche Relevanz wirtschaftlichen Handels tragen sie nicht einmal ein persönliches Risiko. Ihre Lebenssituation ändert sich nicht, ganz gleich, wie rücksichts- und verantwortungslos sie tatsächlich handeln. Es ist oft sogar einträglicher, auf einen Sinn für solche sozialen Dimensionen ganz zu verzichten.
Noch merkwürdiger als dieser semantische Eiertanz über angeblich verantwortungsvolle Spitzenverdiener ist aber die damit verbundene Aberkennung der Verdienste wirklich verantwortlich handelnder Menschen. In der institutionalisierten Wirtschaft sind dies vor allem Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten. Ihnen wird nicht nur der Dank, sondern ganz radikal auch der Lohn für ihre Leistung und Verantwortungsbereitschaft aberkannt. Wenn Erzieher/innen, Polizist/innen, Kranken- und Altenpfleger/innen Fehler machen, kann das schlimmste Folgen haben. Arbeiten sie gut, können sie Leben retten. Sie sind meist unmittelbar von den Konsequenzen ihres Handelns betroffen. Das betrifft nicht nur ihre berufliche Karriere, sondern auch und gerade sie selbst als Menschen. Sie befassen mit sprichwörtlich mit der Scheiße, die andere nicht anfassen wollen. Sie dürfen sich große Fehler kaum jemals leisten. Warum bekommen sie nur ein tausendstel des Gehaltes eines Managers? Nach der marktgängigen Begründung deshalb, weil sie angeblich keine Verantwortung tragen. Sie gelten als weniger “mündig”, weil sie durch leitende Angestellte oder Beamte kontrolliert werden. Ändert das irgend etwas an ihrer Leistung und daran, daß sie diejenigen sind, die durch ihre Hände, ihre Konzentration und Aufmerksamkeit tatsächlich äußerst verantwortlich handeln? Sind nicht gerade sie diejenigen, die Rede und Antwort stehen müssen und im Zweifelsfall ihren Job verlieren, ohne von ihrem Vermögen leben zu können?
Es ist der geballten Macht der Medien und ihrem Zwiesprech zu verdanken, daß sich die Bedeutung des Begriffs pervertiert hat. Hätten die wahren Verantwortungsbewußten auch nur den Hauch einer Lobby, würden sie dafür sorgen, daß ihnen neben dem verdienten Dank und Lohn nicht auch noch die Sprache genommen würde, mit der man ihre Wirklichkeit beschreiben kann.
Januar 5th, 2009 at 01:01
Man wird nicht seiner Leistung entsprechend “entlohnt”, sondern seiner relativen Macht entsprechend – und man wird im Gegenzug seiner Ohnmacht entsprechend zur Verantwortung gezogen … so laeufts eben. Und deshalb hoer ich schon gar nicht mehr hin, wenn ich “Verantwortung” hoere.
In Bezug auf die “niederen Raenge” bedeutet dieses Wort: “jetzt kriegst Du eine reingewuergt.” und auf der Seite der sog. “Verantwortungs- und Leistungstraeger” ist Verantwortung bloss eine kryptische Umschreibung fuer: “Ihr koennt mich alle mal, ihr Pfeifen …”
Januar 5th, 2009 at 03:18
[...] Feynsinn über den schamlosen Sprachblendzauber mit dem Wort »Verantwortung« in der …: [...]
Januar 5th, 2009 at 08:06
Der Beitrag greift ein Thema auf, dass mir schon lange sauer aufstößt.
Warum sind gerade die Dienste am Menschen, der bei allem Handeln immer im Vordergrund stehen sollte, so schlecht entlohnt und warum gibt es in einer Gesellschaft keine öffentliche Diskussion? Was ist eigentlich mehr Wert; die Verantwortung für 10 Millionen (Spiel-) Papiergeld oder für ein Menschenleben?
Gerade bei diesem Thema wird doch die verkehrte Gedankenwelt unseres Systems besonders deutlich. Wer oder was bestimmt den Wert einer Tätigkeit und was kann eine Änderung im Denken und Handeln herbeiführen?
I
Für die vorgegebene Verantwortung in den Führungsebenen, die oft so dick und aufgebläht sind, dass man diese schön verteilen kann, gibt es ein vielfaches von dem eines einfachen Angestellten. Weniger aufgeblähtes Management ließe in jedem Betrieb eine bessere Vergütung für alle einfachen Angestellten zu. Und genau wird immer der Begriff der Verantwortung in den Ring geworfen, den so schnell in diesem Zusammenhang niemand wirklich fassen kann und so als Totschlag-Argument benutz wird.
Fast jeder erzählt Dir von klein auf, das Karriere machen wichtig ist, fortwährendes Lernen und besser sein als die Anderen unabdingbar, um Chancen am (Sklaven-) Arbeitsmarkt zu haben. Das schafft ein System von Misstrauen jeder gegen jeden, dem insbesondere Führungsebenen ausgesetzt sind, da sie täglich ihren Machtverlust befürchten.
Irgendwann haben sie nur noch die Verantwortung für ihren Positionserhalt im Blick, alles andere fällt mehrheitlich hinten herunter und wird verteilt, delegiert usw.. Das viele Geld steckt man sich trotzdem gerne ein und lässt das Fußvolk schuften und erzählt viel von Leistung, Verantwortung, Ziel-Übererfüllung usw..
Wie kann es sein, dass ein ehemaliger Firmenlenker direkt im Aufsichtsrat landet und zwangsgemäß alle Schweinereien verschweigen muss, da er sich sonst selbst bloßstellen würde. Warum bekommen in vielen Fällen Aufsichtsratsmitglieder Sonderkonditionen und -leistungen der zu überwachenden Firma? Für einen normalen Angestellten wäre da der Tatbestand der Bestechung schon längst erfüllt.
Wie können Personen neben ihrem öffentlichen Job noch ein Dutzend Aufsichtsratsmandate innehaben? Von Verantwortung für diesen Job kann doch aufgrund von Zeitmangel schon keine Rede sein, sondern es ist einfach ein Amigo-System, in dem eine bestimmte Kaste jeder jeden deckt.
Verantwortung kann ich da nicht entdecken, da hat die Masse der normal Arbeitenden mehr Ehre im Leib als dieser Zweig der Wirtschaft.
Wahrscheinlich ist es an der Zeit, das Wort Verantwortung genauer zu untersuchen und für die verschiedenen Lebens- und Wirtschaftsbereiche neue Bezeichnungen zu finden, damit sowohl dem Wort als auch den Menschen mehr Gerechtigkeit widerfährt (oje, schon wieder so ein diskussionswürdiges Wort…;-)
Januar 5th, 2009 at 09:50
besonders absurd wird es, wenn die sogenannten “leistungsträger” behaupten, ihre vergütung “sei noch nicht einmal angemessen”, weil sie mehr als 80 stunden pro woche “arbeiten” würden. schon klar, wenn alle mahlzeiten als arbeit deklariert wird (und nebenbei auch bezahlt wird).
auch sonst wird im grunde genommen nur gelabert. richtige arbeit, also konzentrierte arbeit ist das nicht.
Januar 5th, 2009 at 14:08
Ich finde es interessant, dass gerade diejenigen so lauthals vom Neusprech der Linkspartei reden, dies sich des (neoliberalen) Neusprech am meisten bedienen.
Januar 5th, 2009 at 14:14
[...] https://archiv.feynsinn.org/?p=1015 [...]
Januar 5th, 2009 at 14:26
@jane doe: ich habe auch schon mehr als 80 stunden in der woche gearbeitet, und trotzdem nur BAT IVa bekommen.
Januar 5th, 2009 at 18:16
Danke für diesen Artikel. Absolut zutreffend.
Januar 5th, 2009 at 21:21
Im April 2008 hab ich den Begriff der “Eigenverantwortung” sowie deren Verwendung, Konnotation und Besetzung vor allem in Parteiprogrammen untersucht. Ist hierin Kurzform nachzulesen!
Januar 5th, 2009 at 22:20
Dieser Artikel ist in allen Aussagen zutreffend! Gleichwohl ist die Instrumentalisierung des Begriffs Verantwortung keine neue Erfindung, sondern im politischen Alltag Deutschlands seit Jahr und Tag in Gebrauch, um wirkliche Bedeutungen zu verschleiern. Mir persönlich fällt dabei immer wieder ein Beispiel aus dem Jahr 1997 ein, das mich schon damals besonders geärgert hat:
Als die SPD bei der Senatswahl im November 1997 ein beispiellos schlechtes Ergebnis erzielte, trat der damalige Bürgermeister und Spitzenkandidat H. Voscherau von allen Ämtern zurück (im Politjargon: Stellte seine Ämter zur Verfügung) mit den Worten er übernähme die Verantwortung für das schlecht Ergbnis seiner Partei und wünsche seiner Heimatstadt viel Glück, denn sie werde es brauchen. (Den genauen Wortlaut wird man sicher irgendwo im Netz finden.)
Und ganz genau das, was er sagte, tat er eben nicht: Verantwortung übernehmen! Stattdessen schmiss er einfach alles hin, nach ihm die Sintflut, sein persönliches Auskommen war ja gesichert. In meiner Ansicht das exakte Gegenteil von Verantwortung übernehmen!
Dies nur als kurzer Exkurs zum längjährigen Mißbrauch des Wortes Verantwortung. Wann immer diese Begriff jemandem in Politik oder Wirtschaft in posoitivem Sinne zugeschieben wird, dann kann man eigentlich fest davon ausgehen, dass die betreffende Person besonders verantwortungslos handelt!
Januar 5th, 2009 at 22:24
Ergänzung @10
Es ist von der Senatswahl November 1997 in Hmburg die Rede
Januar 5th, 2009 at 22:34
Vielleicht ist in diesem Zusammenhang das Buch
“Das Seerosen-Prinzip – Wie uns die Gier ruiniert” (2008) von dem ehemaligen Top-Manager und Kritiker der heutigen Managerkaste Daniel Goeudevert interessant. Seerosen mögen einen schönen Schein erzeugen, ähnlich wie das Manager, die keine Verantwortung für ihr Tun übernehmen, machen.
Januar 6th, 2009 at 12:07
als Ergänzung vielleicht noch was passendes von Arte…https://www.arte.tv/de/Videos-auf-ARTE-TV/2151166,CmC=2285944.html
Januar 7th, 2009 at 00:14
[...] des Neoliberalismus. Wir haben das hier bereits diskutiert, im Zusammenhang mit dem Begriff “Verantwortung” oder dem der “Freiheit”, wie die INSM sie verstehen will. Aktuell befaßt sich [...]
Januar 7th, 2009 at 12:00
Wir haben etwas, was ich als eine Kultur der Verantwortunglosigkeit bezeichnen würde, denn wie Du auch schon in Deinem Artikel erwähnt hast, profitieren in unserer Gesellschaft am meisten diejenigen, die am geschicktesten dabei sind sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass in einer solchen Gesellschaft der Dienst am Menschen nichts wert ist, denn diejenigen sind fast schon wie ein Gegenpol zu unserer Fun-Gesellschaft, die nur feiern, konsumieren und Geld scheffeln will; wo das Älterwerden fast schon wie eine Krankheit behandelt wird und wo das soziale Engagement als wertloses Gutmenschentum abgestempelt wird. Eine solche Gesellschaft kann einem fast schon Angst machen, denn in einem solchen Klima verhalten sich Erwachsene bestenfalls wie pubertierende Teenager, die alles verzocken und versaufen, was ihnen die Eltern zur Verfügung gestellt haben – und wenns schief läuft wird der Papa angerufen, der dann in einem dicken Benz kommt und aus der Klemme heraus hilft.
Gleichzeitig kann man sich aber nur wundern, denn es kann schon einem schwindellig werden, wenn man sich ansieht wer heute alles von ‘Verantwortung’ redet. Diese Mentalität haben wir nämlich alle ein Stück weit verinnerlicht, ohne es teilweise zu wissen und zu wollen. Das fängt schon damit an, wenn man als Erwachsener sich beim PC-Spielen abends nach Feierabend vergnügt und endet damit, dass man am Wochenende betrunken ins Auto steigt (und dabei selbstverständlich davon ausgeht, dass es gut gehen wird). Es gibt eben keine Vorbilder, die uns etwas anderes vorleben würden und auch das soziale und verantwortliche Engagement bleibt auch unhonoriert, ergo nur etwas für Leute, die viel Zeit haben (und materiell abgesichert sind) oder für Altruisten, die ihre Berufung darin sehen anderen zu helfen.
Es wird halt Zeit für eine neue Form des (Öko)humanismus, die uns nicht nur Respekt voreinander erneut beibringt, sondern auch uns das Verständnis unser Existenz als die ‘Krone der Schöpfung’ abgewöhnt. Dadurch würden nämlich lernen füreinander verantwortlich zu sein und gleichzeitig auch die Lebensräume anderer Lebewesen auf diesem Planeten zu achten. Ich weiss, das klingt alles sehr idealistisch, aber Idealismus ist in heutigen Tagen eine wichtige Fähigkeit auf dem Weg dahin die Ordnung so zu gestalten, dass alles seinen Platz hat – und gerade die, wie auch die Innovationsfähigkeit und den Willen Dinge besser zu gestalten, lassen die heutigen ‘Eliten’ schmerzlich vermissen. Aber was beklage ich mich… viele aus den ‘Eliten’ sind geistig minderbemittelter als manchein Hilfsarbeiter.
Januar 8th, 2009 at 12:55
zur “Eigenverantwortung”: die korrekte Übersetzung dieses neusprechs lautet ‘zahl’selbst’.
Januar 27th, 2009 at 18:14
[...] Diskriminierung zu verantworten haben. Es ist überschrieben mit dem Schuldvorwurf der “Eigenverantwortung“, als hätten nicht inkompetente Zyniker in der Legislative miserable Arbeit geleistet, [...]
Januar 30th, 2009 at 18:47
[...] gewordene Diskriminierung zu verantworten haben. Es ist überschrieben mit dem Schuldvorwurf der “Eigenverantwortung“, als hätten nicht inkompetente Zyniker in der Legislative miserable Arbeit geleistet, sondern [...]
Juli 18th, 2009 at 18:01
[...] Zeit deutlich, liegt das Geld faul herum, die es haben, sitzen drauf und wissen so viel von “Verantwortung” wie ein Radprofi von sauberem Sport. Die Bänker lassen ihre Institute fein retten und sind [...]