Wie ich im gestrigen Artikel bereits ankündigte, werde ich mich im folgenden kurz mit einer Vokabel beschäftigen, die nicht dem neoliberalen Neusprech überlassen werden darf, der sie längst pervertiert hat: Verantwortung.
In genannten Zusammenhang war die Rede davon, Empfänger von Sozialleistungen übernähmen keine “Selbstverantwortung”. Was damit gemeint ist, hat mit “Verantwortung” rein gar nichts zu tun. Gemeint ist, diese Leute sollten sich um sich selbst kümmern. “Verantwortung” ist in diesem Sinne schlicht Selbstsorge.

Die Verantwortung der Leistungsträger

Diese Begriffsbildung steht ganz im Zeichen dessen, was dem Volk so gern als Begründung für überhöhte Einkommen Einzelner geboten wird: Die “Verantwortung” der “Leistungsträger”, der Unternehmer und Manager. Tatsächlich haben diese Leute häufig eine Wirkunsgmacht, für deren Folgen sie sich zu verantworten haben sollten. Sie können erwiesenermaßen immensen Schaden anrichten und sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden. “Verantworten” hieße im Wortsinne, daß sie Rede und Antwort zu stehen hätten und in der Folge Konsequenzen tragen sollten, die ihrem Verhalten angemessen wären. Während aber jeder Erfolg ihres Unternehmens ihnen persönlich vergütet wird, haben sie bei Verlusten, Inkompetenz und Versagen aus Gier nichts Schlimmeres zu befürchten als die Kürzung ihrer immensen Einkünfte.
Die Struktur der großen Unternehmen, in deren Aufsichtsräten Ex-Manager sitzen, die danach womöglich wieder solche werden, findet eine ernsthafte Kontrolle kaum statt. Unrühmlich auch die Rolle der Arbeitnehmervertreter in den Kontrollgremien: Sie lassen sich gern schmieren oder wechseln nach vollbrachtem Wegschauen ins Management. Der exklusive Club sorgt vor allem dafür, daß es eines nicht gibt: Kontrolle, aus der Verantwortung resultiert.
In der Tat: Sie sind die Macher, diejenigen, die etwas bewegen. Das allein gilt schon als “Verantwortung”, die selbst in der Form schamlosester Plünderung noch honoriert wird. Auch hier gilt Selbstsorge als Verantwortung: Wer etwas tut, handelt “verantwortlich”, ohne sich jemals wirklich verantworten zu müssen.

Die wahren Verantwortungsbewußten

Durch hohe Gehälter und die beinahe gänzlich fehlende strafrechtliche Relevanz wirtschaftlichen Handels tragen sie nicht einmal ein persönliches Risiko. Ihre Lebenssituation ändert sich nicht, ganz gleich, wie rücksichts- und verantwortungslos sie tatsächlich handeln. Es ist oft sogar einträglicher, auf einen Sinn für solche sozialen Dimensionen ganz zu verzichten.
Noch merkwürdiger als dieser semantische Eiertanz über angeblich verantwortungsvolle Spitzenverdiener ist aber die damit verbundene Aberkennung der Verdienste wirklich verantwortlich handelnder Menschen. In der institutionalisierten Wirtschaft sind dies vor allem Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten. Ihnen wird nicht nur der Dank, sondern ganz radikal auch der Lohn für ihre Leistung und Verantwortungsbereitschaft aberkannt. Wenn Erzieher/innen, Polizist/innen, Kranken- und Altenpfleger/innen Fehler machen, kann das schlimmste Folgen haben. Arbeiten sie gut, können sie Leben retten. Sie sind meist unmittelbar von den Konsequenzen ihres Handelns betroffen. Das betrifft nicht nur ihre berufliche Karriere, sondern auch und gerade sie selbst als Menschen. Sie befassen mit sprichwörtlich mit der Scheiße, die andere nicht anfassen wollen. Sie dürfen sich große Fehler kaum jemals leisten. Warum bekommen sie nur ein tausendstel des Gehaltes eines Managers? Nach der marktgängigen Begründung deshalb, weil sie angeblich keine Verantwortung tragen. Sie gelten als weniger “mündig”, weil sie durch leitende Angestellte oder Beamte kontrolliert werden. Ändert das irgend etwas an ihrer Leistung und daran, daß sie diejenigen sind, die durch ihre Hände, ihre Konzentration und Aufmerksamkeit tatsächlich äußerst verantwortlich handeln? Sind nicht gerade sie diejenigen, die Rede und Antwort stehen müssen und im Zweifelsfall ihren Job verlieren, ohne von ihrem Vermögen leben zu können?

Es ist der geballten Macht der Medien und ihrem Zwiesprech zu verdanken, daß sich die Bedeutung des Begriffs pervertiert hat. Hätten die wahren Verantwortungsbewußten auch nur den Hauch einer Lobby, würden sie dafür sorgen, daß ihnen neben dem verdienten Dank und Lohn nicht auch noch die Sprache genommen würde, mit der man ihre Wirklichkeit beschreiben kann.