Rach, der politische Restauranttester
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12. Jan 2009 0:24
Zu den vielen Varianten der “Reality”-Unterhaltungs- und Kochshows, mit denen wir täglich berieselt werden, gehört auch die Coachingshow von Christian Rach. Der Titel der Sendung ist ein wenig mißraten, denn der Sternekoch “testet” keine Restaurants, sondern berät die Inhaber vielmehr, wie sie ihren untergehenden Schuppen noch retten können. Das eine oder andere Geschenk bringt er auch mit, aber mehr als vom Sender gesponsorte materielle Hilfen zählt seine Beratung.
Ich stehe solchen Soaps generell skeptisch gegenüber, und auch das Format dieser Sendung ist kritikwürdig. Allein die inzwischen üblichen Wiederholungen von Sequenzen nach den Werbeeinblendungen haben ein wenig von “Fernsehen für Doofe”. Interessant ist aber allemal, wie sich jemand aus professioneller Perspektive um Läden kümmert, die häufig von naiven Laien geführt werden – die sich freilich oft ungern selbst so sehen.
Kraft seiner Autorität setzt der Coach sich aber immer durch, zumeist eindeutig zum Vorteil seiner Klienten. Dabei geht er nicht mit der monetären Meßlatte druchs Haus, schmeißt ein paar Leute raus und läßt die anderen mehr arbeiten, sondern er hat Ideen und kann Ordnung ins Chaos bringen.
Ungewöhnlich sind auch seine Ansichten, die man nicht teilen muß, aber immerhin denkt er umsichtig, wie in einem Interview mit der FR deutlich wird. Zwei Besipiele daraus:
“[FR:] Als RTL-Restauranttester verirren Sie sich gelegentlich auch in Gaststätten, die zu betreten einem schon der gesunde Menschenverstand verbietet. Dabei gehören die deutschen Lebensmittelgesetze zu den strengsten der Welt. Was läuft in diesen Läden verkehrt?
[Rach:] Es gibt natürlich Dreckfinken. Aber ich habe in der Zeit, in der ich den Leuten helfe, sehr viel über existenzielle Not gelernt. Wenn Sie so sehr finanziell am Krückstock gehen wie die Leute, die sich für die Sendung bewerben, schränkt sich Ihre Wahrnehmung ein. Die Leute sehen die Verwahrlosung und den Dreck nicht mehr. In der Großzahl der Fälle gelingt es mir, dieses Bewusstsein wieder freizulegen.”
Man wünschte sich die Einsicht in solche Prozesse bei den Dichtern der Leistungslyrik, die hier ganz fix bei der Hand wären mit Vorwürfen, Schuldzuweisungen und Urteilen. Daß materielle Not und Mißerfolg die Menschen abstumpfen lassen, ist ein ganz gewöhnlicher Effekt. Rach setzt auf echte Hilfe und Ideen, um den Elan dieser Deprimierten wieder zu beleben. Die Arbeitsagenturen und die politischen Hetzer gegen Hilfebezieher sollten sich davon eine große Scheibe abschneiden.
Daß auch so etwas einfaches wie Essen eine politische Dimension hat, formuliert Rach sogar wörtlich:
“[FR:] Obwohl im deutschen Fernsehen mittlerweile 30 Kochsendungen laufen, wurde noch nie so wenig gekocht wie heute. Wie erklären Sie sich dieses Missverhältnis?
[Rach:] Das wäre mal ein schönes Thema für Maybrit Illner. Ich denke, das hat eine politische Dimension, wenn Sie bedenken, wohin sich die Familie entwickelt. Es gibt keine Wertschätzung der Familie mehr. Essen und Trinken ist eigentlich der zentrale Ort der Kommunikation, auch zu Hause. Wenn diese Art der Kommunikation nicht mehr stattfinden kann, weil die Arbeitszeiten in den Firmen oder die Schulzeiten in der Ausbildung der Kinder nicht mehr zulassen, dass zumindest eine gemeinsame Mahlzeit stattfindet, ist das ein großer Verlust.”
So könnte konservatives Denken aussehen, das die Zusammenhänge sieht. Rachs Kniff, der ihn turmhoch über jedem Politikergeschwätz stehen läßt, ist die schlichte Wahrnehmung einer menschlichen Dimension. Die Schlüsse, die er zieht und die Schwerpunkte, die er setzt, kann man ebenfalls kritisieren. Daß er als Restaurantleiter die Verbindung von menschlichem Alltag und Politik erkennt und darlegt, ist aller Ehre wert. Daß diejenigen, die sich für Politiker halten, das nicht fertigbringen, ist eine Schande.
Januar 12th, 2009 at 01:09
Die beschriebene Blockade gegenüber bestimmten Eindrücken ist leicht zu erklären, weil sie uns z.B. vom Geruchssinn her bekannt ist:
Überschwellige Reize gehen nach einer gewissen Dauer in unterschwellige Reize über – sie sind zwar noch da, werden aber nicht mehr wahrgenommen. Ein Schutzmechanismus, der verhindert, daß wir Menschen vor lauter eingehenden Informationen überhaupt nichts mehr einordnen können ….
Das trifft insbesondere dann zu, wenn es um überlebensnotwendige Entscheidungen geht: Selbsterhaltung geht vor Reinlichkeit, ist die Selbsterhaltung gewährleistet, dann bleibt auch wieder Raum dafür Sauberkeit herzustellen ….
Rach ist ein Mensch, Politiker sind ‘Funktion’, seelen- und meist charakterlos ….
(Ja, ich weiß, Pauschalurteile sind nicht produktiv – sie sind aber ein Ventil: Das brauche ich manchmal …. weil ich ein Mensch bin.)
Januar 12th, 2009 at 01:54
[...] Rach, der politische Restaurantester Man wünschte sich die Einsicht in solche Prozesse bei den Dichtern der Leistungslyrik, die hier ganz fix bei der Hand wären mit Vorwürfen, Schuldzuweisungen und Urteilen. Daß materielle Not und Mißerfolg die Menschen abstumpfen lassen, ist ein ganz gewöhnlicher Effekt. [...]
Januar 12th, 2009 at 08:04
Die Politik kann immer gut bestimmte Zustände im Land beklagen, aber warum die Gesellschaft sich verändert, versucht sie nicht zu verstehen.
Wenn man stundenlang im Auto oder der Bahn sitzt, um irgendwo seinen Job nachzugehen, ist das die Flexibilität, die man aufbringen muss. Wenn Schüler in 12 statt in 13 Jahren ihr Abi durchhecheln müssen und dadurch immer weniger Zeit für Privates bleibt, ist auch der Lernbetrieb der Ökonomie unterworfen.
Das sind nur zwei Punkte und es gibt noch verdammt viel weitere Dinge, die da zu beleuchten wären.
Die Politik schielt aber wie es scheint eher nach dem Titel des Exportweltmeisters als zu schauen, wie die Geschehnisse das Leben der Menschen untereinander grundsätzlich verändert und tut scheinheilig so, als ob es noch die Familienverbünde wie vor Jahrzehnten in der Mehrzahl gäbe.
Dass ihre Politik aber ausschließlich den Einzelkämpfer und nicht den Gemeinsinn stützt, ignoriert sie.
Ein Schwager von mir ist letztes Jahr arbeitslos geworden und wird seitdem vom Finanzamt gedrängt, sich doch selbständig zu machen. Das er dies nicht will und vielleicht auch nicht kann, interessiert da Niemanden, Hauptsache die Statistik ist sauber.
Wäre mal interessant zu wissen, wie viele Arbeitslose die Politik so in eine Selbständigkeit gedrängt hat, die vom Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
Bei Rach und Co. laufen jedenfalls sehr viele von Talent freie Selbständige durch die Sendungen.
Januar 12th, 2009 at 09:37
Dafür gebührt Dir Dank. Ich habe diese Sendung immer skeptisch gesehen und sehe es wohl weiterhin so – auch ist mir das Gebaren Rachs teilweise unerträglich. Er dringt mir zu oft in die Menschen, bohrt hundertfach nach, versucht gelegentlich auch, den Wesenszug eines Menschen zu verändern – dazu muß man sagen, dass die Mehrzahl derer, die dort teilnehmen, wahrscheinlich besser daran täten, ihren Laden dichtzumachen, nicht weil er arg schlecht läuft – obwohl er das ja auch meist tut -, sondern weil sie die persönlichen Prämissen nicht aufbieten können. Wer jeden Tag grantig ist, der kann schlecht hinter der Theke bedienen…
Aber dennoch hat mir Dein Beitrag ein wenig geholfen, in Rach nicht nur den kochenden RTL-Trottel zu sehen, die nervt und Erwachsene wie Kinder behandelt, sondern jemanden, der vielleicht doch noch fähig ist, eins und eins zusammenzuzählen. Es müßte halt nicht ausgerechnet für RTL sein…
Januar 12th, 2009 at 09:47
@ben Das Finanzamt drängt jmd. dazu, sich selbständig zu machen? Kann ich mir eher nicht vorstellen. Vielleicht meintest Du die Arbeitsagentur.
Aber dass die Selbständigen in der aktuellen Diskussion völlig unter den Tisch fallen, ist leider so. Und die Legislative, aber auch die Judikative haben völlig falsche Vorstellungen von den Realitäten.
https://www.foerderland.de/forum/auflagen-gesetze-buerokratie-f17/sozialversbeitraege-nach-ende-des-gruenderzuschuss-t2296.html
Vor allem wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sich Selbständige nicht mehr solidarisch absichern wollen. Man geht einfach davon aus, dass der Selbständige eine private Altersvorsorge wählt und auch eine private Krankenkasse. Dies ist unter dem Strich und auf lange Sicht aber viel zu teuer für gering verdienende Selbständige und solche gibt es viele. Diese werden dann z.B. bei den aktuellen Steuervorschlägen der SPD komplett vergessen. Denn auch sie zahlen meist gar keine Steuern. Statt dessen werden aktuelle für sie nicht nur auch die Krankenkassenbeiträge auf 15,5% angehoben, sondern auch die Mindestbemessungsgrundlage für das Einkommen so dass Krankenkassensteigerungen von fast 10% dabei rauskommen. Beim Arbeitnehmer sind es nur 7%. Auch eine Menge Holz.
Und dem ansonsten erwünschten Gründer wird immer unmöglicher gemacht, sich von Beginn an für das Alter abzusichern, wenn er nicht sofort mit ganz hohen Einnahmen, Honoraren, etc. startet:
Statt dessen betreiben die Parteien Klientel-Politik und am Ende setzen sich die gut organisierten Interessengruppen durch, ob das die (Facharbeiter-)Gewerkschaften sind, die Unternehmerverbände oder die Kassenärztlichen Vereinigungen. Deren Klientel bekommt am Ende, was sie will, mal mehr, mal weniger aber immer etwas.
Leute, die dagegen im täglichen Existenzkampf stehen, ob das die Niedriglöhner, die Selbständige mit geringem Einkommen oder die Transfereinkommensbezieher sind, haben keine Zeit, sich zu organisieren und keine Lobby.
Erst wenn sie höhere Gehaltsgruppen oder Einkommensgrenzen oberhalb der Mindestbemessungsgrenzen erreichen würden, und dass sind nur wenige – die es heute von unten aus schaffen -, hätten sie auch Zeit für eigene Lobbyarbeit.
Januar 12th, 2009 at 11:59
[...] Rach, der politische Restaurantester Daß er als Restaurantleiter die Verbindung von menschlichem Alltag und Politik erkennt und darlegt, ist aller Ehre wert. Daß diejenigen, die sich für Politiker halten, das nicht fertigbringen, ist eine Schande… [...]
Januar 12th, 2009 at 20:58
@schrödibär
hast das natürlich richtig gesehen; man sollte Montagmorgen auf die Schnelle keine Kommentare schreiben…;-)
Januar 12th, 2009 at 22:30
Diese Flut an Kochsendungen auf allen Kanälen kann kein bloßer Zufall sein. Aber die Welt heutzutage ist ja auch ziemlich ungemütlich geworden, und da wollen sich die Menschen wenigstens einmal am Tag an einer warmen Mahlzeit wärmen; auch wenn sie selber nicht (mehr) kochen, ist ja auch verdammt teuer geworden. Wen interessiert da noch Politik?
Januar 12th, 2009 at 23:51
Brot und Spiele.
Nein. Einfacher.
Kochsendungen und Fußball.
Zum Kotzen und zum Schreien.
Was braucht der Pöbel mehr, denken sich die Machthaber.
Januar 13th, 2009 at 19:02
Das interview kannte ich bisher noch nicht, jedoch hat der gute Herr Rach in einer gewissen Weise nun wirklich recht.
Es ist zwar so, dass in immer weniger Familien gekoch wird, aber es ist doch wirklich auch eine Frage, in welchen Familien wirklich nicht mehr gekocht wird.
Eventuell sollte man vorallem die so genannten sozial schwächeren in Sachen Kochen und Ernährung mehr untertsützen. Also eventuell durch gezielte freiwillige Schulungen oder aber auch durch Ernahährungsratgeber…
Januar 13th, 2009 at 23:31
Zu der großen Zahl an Kochsendungen, obwohl immer weniger gekocht wird:
Einerseits mag Markus auf der richtigen Fährte sein (Ersatzbefriedigung gewissermaßen). Andererseits ist es auch möglich, dass es sich da um den Vorboten einer Trendwende handelt: Die Leute wollen wieder mehr selbst kochen, aber vielen in meiner Generation geht die Fähigkeit einfach ab – nie gelernt, den Kram. Und mein Mann guckt die Sendungen einfach gern, um sich neue Tricks abzuschauen.
Was Rachs Interview angeht: Schön, dass Du das ausgepackt hast, Flatter. Rach analysiert da sehr menschlich und sehr verständig.