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August 2007


Der freie Markt regelt alles. Woher das Geld kommt, wird nicht gefragt. Aus Schutzgelderpressung, Kinderarbeit, Ausbeutung, geerbt oder aus harter Arbeit, Geld ist Geld, da ist der Markt ganz demokratisch. Was den Hütern des Marktes allerdings nicht gefällt, ist, wenn der Staat sich einmischt. Sie nehmen ihm nicht nur übel, wenn er böse bürokratische Regeln erläßt oder Steuern erhebt, was der Wirtschaft schadet. Sie haben auch sehr erfolgreich die Mär verbreitet, es sei schädlich für Staat und Wirtschaft, wenn der Staat Anteile an Betrieben hält oder gleich ganze Betriebe besitzt.
Die dummen Kommunisten in China und die lupenreinen exkommunistischen Demokraten in Rußland sehen das anders. Und siehe da, plötzlich werden sie zur Gefahr für den Markt! Die Helden, die sonst bei jedem lauen Versuch der Regelung ihrer Geschäfte den bösen Sozialismus an die Wand malen, schreien plötzlich nach dem Staat. Die Besserverdiener, die bislang keine Grenze akzeptierten, die ja ihre Gewinne hätten beeinträchtigen können, wollen jetzt unter die Fittiche der politischen Macht kriechen, um nicht von den Milliarden überrollt zu werden, die China und Rußland gehortet haben. Die Amerikaner haben natürlich längst dergleichen Gesetze, sie waren sich noch nie zu schade für rücksichtslosen nationalistischen Protektionismus. Bislang konnten sie sich das auch leisten.
Jetzt wollen deutsche Großkonzerne auch ein bißchen davon. Ein bißchen Schutz, damit nicht die Falschen profitieren. Und ganz selbstverständlich stehen die Großkoalitionäre Gewehr bei Fuß. Anstatt aber jetzt das Faß endlich aufzumachen und die entscheidende Frage aufzuwerfen, wie ein sozial ausgewogenes Verhältnis von Politik und Wirtschaft aussehen könnte, ist ihr Blickwinkel schlicht reaktionär: Es geht vordergündig nur um die Frage, wie “deutsche” Konzerne vor “ausländischem” Einfluß geschützt werden können. Im Endeffekt geht es aber darum, daß die Kaste westlicher Kapitaleigner, die es für ihr Geburtsrecht hält, allein die Gewinne abzuschöpfen, auch weiterhin ungestört “Markt” spielen darf. Das kann aber nicht gutgehen. Hier tut sich eine recht interessante Lücke auf, die Nationale wie Sozialisten gleichermaßen nach vorn bringt: Wer fordert, daß deutsche Arbeitnehmer bei der Verteilung der Gewinne Vorrang haben müssen vor ausländischen Mächten, kann hier ganz groß abräumen. Die Suppe, die da gekocht wird, ist so ekelhaft, daß einem schon von ihrem Geruch übel wird. Das Absonderliche ist, daß außer den Nazis niemand davon profitieren wird. Nicht die CDU und ganz sicher nicht die SPD. Wieder einmal bleibt bei dem Versuch, es dem hiesigen Ökonomenmob recht zu machen, jede Vernunft auf der Strecke. Aber daran haben wir uns ja inzwischen gewöhnt.

Einen für interessierte Nichtprofis verständlichen Artikel hat Dieter Wermuth beim Herdentrieb veröffentlicht. Die Materie ist kompliziert, aber die Erklärung lobenswert verständlich.
Es ist oft leicht, die Zocker und ihre blinde Marktideologie mit Häme zu übergießen, und ich werde es mir auch weiterhin genehmigen. Hier nur einige besonnene Worte dazu:
Man kann nur den Kopf darüber schütteln, daß sogenannte Ökonomen die soziale Komponente des Wirtschaftens für nicht weiter betrachtenswert halten. Sie glauben, sie hätten ihre Zahlenspiele im Griff und wundern sich doch tatsächlich, wenn ihnen nicht einmal das gelingt. Verantwortung in der Form, daß “Handeln” an den Märkten in Beziehung stehen sollte zu einem realen Geschehen, also zum Warentausch und zu sozialer Verteilung von realen Werten, wird nicht wahrgenommen.
Die Frage, die wenigstens nun in den Raum gestellt gehört, ist die nach einer Psychologie, die solche Vorgänge noch erklären kann.
Man käme dann sicher zu dem Schluß, daß die Begünstigung fahrlässiger Gewinnmaximierung auf Kosten jeder Vernunft ein Ende finden muß. An dieser Stelle kommt man nicht mehr umhin, das Marktgeschehen wesentlich strenger zu kontrollieren. Das hat nichts mit hinderlicher Bürokratie zu tun, sondern mit der Wahrnehmung der Verantwortung durch die Politik. Der “Markt” ist dazu ganz offensichtlich nicht in der Lage.

In der TAZ zieht Ulrike Herrmann eine Zwischenbilanz nach fünf Jahren “Hartz IV”und stellt fest: Wir verdanken Hartz die “Erfindung der Angst” als Knute für deutsche Arbeitnehmer.

Die Hartz-Reformen haben in Deutschland Ängste ausgelöst. Im reicheren Westen sorgen sich sogar 94,3 Prozent um ihre Zukunft, im Osten sind es 88,5 Prozent. 70,5 Prozent fürchten ganz konkret, dass sie irgendwann einmal zum Hartz-IV-Empfänger werden könnten. 77,9 Prozent sehen wenig Chancen für ihre Kinder.

Der große Skandal besteht in der Erniedrigung der Lohnabhäbgigen und Lohnersatzempfänger, der Demütigung der Verlierer. Die Behauptung, es werde “gefordert und gefördert” wird, zurecht, verstanden als Vorwurf an diejenigen, die dabei nicht erfolgreich “gefördert” werden. Wir sind noch Lichtjahre davon entfernt, daß man von einer echten Förderung der Arbeitslosen sprechen könnte. Ganz zu schweigen von einem Arbeitsmarkt, der auch die Interessen und Kompetenzen der Einzelnen berücksichtigen würde.
Wer von den “Agenturen” abhängig ist, hat Angst. Angst, auch noch das Nötigste zu verlieren, Angst, in einen Job gezwungen zu werden, in dem er überfordert ist und in dem er als Mensch nicht respektiert wird. Diese Angst schlägt längst auch durch auf diejenigen, die täglich beweisen dürfen, daß sie nicht zum Faulen Pack© gehören. Sie wissen, daß sie ihren Job verlieren können. Sie wissen, daß ihr Job unerträglich werden kann. Sie wissen, daß jede Veränderung dazu führen kann, daß sie zu Verlierern werden. Und das ist der schlimmste Effekt: Der Markt (ehemals die “Gesellschaft”), der äußerste Flexibilität von den Marktteilnehmern (ehemals Personen) verlangt, lähmt sie zugleich durch die permanente Drohung des Abstiegs. Damit geht einher, daß die Menschen längst glauben, ihr Selbstwert sei in Euro und Cent zu beziffern. Bislang führt dieser Effekt “nur” in die Depression. Auf lange Sicht aber liegt darin die größte Gefahr, die einer demokratischen Gesellschaft drohen kann.

oskar
Zu den Medien, die es für eine journalistische oder politische Auseinandersetzung halten, Lafontaine zu diffarmieren, gehört jetzt auch die Zeit, nachdem sich SpOn schon ähnlich hervorgetan hat. Thomas “E” Schmidt versucht sich in einer Art Trashlyrik daran, den bösen Demagogen anzuprangern. Was er sich dabei zusammenlamentiert, schreit nach starken Betäubungsmitteln:
Macht hat er als »Phänomen«, will sagen als Fantasie- und Projektionsfigur, als Hoffnungsträger und Gottseibeiuns, als Populist, von dem niemand weiß, wie stark seine Bataillone wirklich sind – und deswegen sind sie zunächst einmal besonders stark
Ahja. Wer den Satz verstanden hat, bitte melden! Mit der diesem inhärenten Logik kann man vermutlich revolutionäre Raumschiffantriebe kreieren.
Die Zeit ist Politikern günstig, die erkennbar keine Parlamentsprofis sind
Meint er jetzt das Wochenmagazin? Lafontaine kein Parlamentprofi? oder Gysi? Wenn Schmidt nachsetzt:
Nur der Paria des Establishments kann ein echter Volksversteher sein
meint er vielleicht, daß Oskar nun quasi nicht mehr dazugehört. Aber ist der dadurch kein Profi mehr? Und was ist daran “erkennbar”? Egal, je ärmer die Syntax, desto stärker wirkt der semantische Rest, will heißen: “Volksversteher” ist die Message. Das kann nur etwas anrüchiges sein.
Es ist ein gewaltiges deutsches Trauma und zugleich ein unsterbliches deutsches Faszinosum, dass einer Politik unmittelbar zum Volk macht, vorbei an einer das Gute filtrierenden Institutionenordnung
Noch so ein Patent: Schmidt kann das Gute filtrieren! Dann noch fix das Böse frittieren, und die Koalition des Guten ist angerichtet. Kurzer Sinn: Keine Ahnung, was der Blödsinn bedeutet, aber “gewaltiges deutsches Trauma”, das heißt: Lafontaine ist der Hitler des Jahres.
Man muss anerkennen: Was er da einsammelt, ist ihm gelungen, »links« zu nennen – und es für sich und seine Partei zu reklamieren, jedenfalls für den Augenblick
Ah, der Jäger und Sammler, der primitive. Vorläufig “links” sind also diejenigen, die sich schon zuvor “Die Linke” nannten, sonst gern als “ehemalige SED” bezeichnet werden, sowie westdeutsche Gewerkschaftler und Altlinke. Da ist es diesem Schmutzfinken doch gelungen, diese “links” zu nennen. Wie schafft er das bloß?
Was die Deutschen umtreibt, ist [...] der Wunsch nach einer staatlich garantierten Versicherung gegenüber Jobverlust und Terroranschlägen“.
Woher weiß er nun dieses? Es bleibt sein Geheimnis. Zum Wunsch nach Jobgarantie siehe unten, was die “Terroranschläge” angeht, kann ich mich nur wundern, sagt Schmidt doch auch:
Die stillschweigende Zustimmung zu Wolfgang Schäubles Maßnahmen der inneren Sicherheit in der Bevölkerung ist beim besten Willen nicht mit der Tradition der Linken zu verrechnen. Die Neigung zum nationalen Isolationismus und zu einer Freunde und Feinde sortierenden Ideologie ist ebenfalls eindeutig rechts, und es bedeutet etwas, wenn Lafontaine auch im NPD-Milieu seine Fans findet.
Hä?? Nicht nur, daß der Experte für alles nun auch weiß, daß selbst Stillschweigen (jenseits der immer lauter werdenden Proteste) Zustimmung bedeutet, kreidet er Lafontaine an, daß angeblich Schäubles Position Konjunktur hat? Lafontaine ist Volksversteher, muß daher also auch Positionen verantworten, die nicht seine eigenen sind, weil das Volk das angeblich will? Andererseits ist das aber wiederum nicht links, weshalb der Tribun kein Tribun sein kann? und ist er deshlab nicht links, sondern rechts, womit er wieder Tribun ist, also links? Hallo, ist da noch irgendwer zu Hause?
So sehen sie meist aus, die Artikel derjenigen, die im laut schreienden Konsens der Zeitungsdemokraten auch mal was sagen zum Phänomen “Linkspartei”. Außer dem durchaus originellen und unterhaltsamen Stuß, der dabei herumkommt, ist diese Pampe vollkommen ideenlos und fad. Wie wäre es etwa mit dem Gedanken, daß Gysi und Lafontaine überflüssig sind? Warum? Weil sie populäre Ansichten vertreten und bereits hinlänglich als Politiker und Redner bekannt sind. Sie könnten also Platz machen für junge Talente, die genau so gut eine Partei vertreten könnten, die aus der aktuellen gesellschaftlichen Lage heraus reichlich Auftrieb hat. Und bei dieser Gegelegenheit: Es geht nicht um “Jobgarantien” und schon gar nicht um “Terrorismus”, der mit Lafontaine und der Linkspartei schon mal gar nichts zu tun hat. Es geht um die Angst der Leute und die nackte Erfahrung, daß es in diesem Land sehr schwierig werden kann, sich das Nötigste zu leisten. Es geht darum, daß die anderen Parteien sich keine Gedanken mehr um Menschen machen, für die ein Brötchen unerschwinglich teuer ist. Die Linkspartei und ihre Vertreter müssen gar nichts tun, um Erfolg zu haben. Die Ignoranz der anderen ist ihr Erfolg. Und ein wohlverdienter obendrein.

Das Pfeifen wird allmählich unerträglich, und auch die Sueddeutsche stimmt mit ein: Blogs sind keine “Alternative zu etablierten Medien“, darf Johannes Boie dort sagen. Dieser Qualitätsjournalist muß es wissen, ist er doch Blog-und Netzexperte, d.h. er schreibt immer wieder denselben Artikel, zitiert den “Soziologen Schmidt” und weiß, daß es wenige A-Blogger gibt, wie er schon in seinem intensivst elaborierten Bericht über die “re-publica” niederschrieb. Was Boie an “Wissen” über die Blogosphäre anbietet, ist so erbärmlich, daß man in zehn Minuten Eigenrecherche ungleich mehr über Blogs erfährt, als in seinen “Artikeln”. Die strotzen nur so vor Stereotypen und sonstigem Zeitungsmufti-Tinnef.
Beispiel: “Hinzu kommt, dass sich der Teil der deutsche Bloggerszene, der überhaupt wahrgenommen wird – intern spricht man stolz von “Blogosphäre” – in dauerhaftem Clinch befindet.
“Intern”, das sind, ob Blogsphere oder Blogosphäre, einige Millionen Weblogs. Die sind alle “stolz”? Woher weiß er das? Wie äußert sich das? Rhetorische Fragen, denn es geht ja nur darum, Blogger als Clique von Freaks darzustellen, eine Art Jugendgang mit Clubemblem.
Daß alle Blogger zur Blogosphäre gehören und eben nicht nur die, “die wahrgenommen werden”, sprich: Die denen bekannt sind, von denen Boie abgeschrieben hat, weiß er natürlich nicht. Setzen, sechs!
Weiter:
Rund 100 000 weitere Weblogs sind bestenfalls öffentlich einsehbare und dennoch private geführte Tagebücher, denen jede gesellschaftliche Relevanz fehlt.” 100 000? Woher diese Zahl? Was ist mit den anderen? Und hätte er sich doch nur, sagen wir einmal, zehn dieser Blogs angeschaut, er hätte es besser gewußt oder wenigstens geschwiegen. “private Tagebücher?” Mich beschleicht die Ahnung, er hat bei Blogg.de drei Links angeklickt und sich derart umfassend informiert. Eine Blogroll wird er nicht heimgesucht haben.
Hinzu kommt auch bei Boie, wie bei allen anderen Halbhirnen zuvor, das Grundmißverständnis, Blogs seien Zeitungen. Das sind sie aber nicht, sondern, merkt es Euch zur Hölle endlich, ein NETZWERK! Jedes kleine Blog kann jederzeit mit einem Flügelschlag für Aufruhr sorgen, die große Welle in Gang setzen. Schlicht gelogen ist ja auch, es gäbe keine “Initialereignisse”. Im Gegenteil sind die bekannten Blogs oft deshalb bekannt, weil sie solche ausgelöst haben.
Keine “gesellschaftliche Relevanz”? Was heißt das? Daß nicht jedes Katzenblog die Meinungsführerschaft über Deutschland beansprucht oder massiv die breite Öffentlichkeit belügen kann wie ein Großteil der Journaille? Blogs sind die Gesellschaft, ein bedeutender Ausschnitt derselben und ganz sicher zukunftsweisender als irgend etwas, das der Blätterwald derzeit anzubieten hat.
Die SZ ist ja noch immer mein Lieblingsblatt, aber Pfeifen wie Boie, der sich übrigens bei SpOn schon hervorgetan hat, indem er besonders furchtbare Verbrechen entdeckte, die nur durch das böse Internet möglich sind, haben in dem Stall nichts zu suchen. Peinlicher als das, was er sich da zusammenschmiert, geht es nämlich nicht mehr.

[edit:] Ohwei, und den Schmidt hat er auch nicht verstanden…

notting

Das Adrenalin, das durch seine Arbeit schießt, lässt sich im Alltag schwer deckeln

Hatte ich noch vor zwei Tagen behauptet, die Hetze gegen “faules Pack” sei derzeit nicht en vogue, hält der “Spiegel” dagegen. Für gewöhnlich kommentiere ich das dümmliche Geschwätz des Herrn Broder nicht, weil es immer dasselbe ist. Diesmal aber hat er knallhart recherchiert und das “Prekariat” für sich entdeckt. Er ist fürwahr ein großer Hetzer und zieht mit seinem Tiraden sogar das Niveau von SpOn noch herab. Für jemanden, der die Zeiten unter Augstein noch erlebt hat, ein unfaßbarer Niedergang.
Broder nimmt eine Fernsehsendung, “ARD Exklusiv”, zum Anlaß, primitivste Stereotypen zu pflegen. Dort hat er sie entdeckt, die Familie, die sich von Sozial-und Jugendhilfe den Arsch nachtragen läßt, “drei Kühlschränke” hat, sich für 3500 Euro die Bude renovieren läßt und “rauchend und aus sicherer Distanz zu[schaut].” Dort sind sie am Werk, die blöden Sozialfuzzis, “sympathische und empathische Menschen. Sie treffen sich regelmäßig, um den Fall der Familie zu besprechen. Sie haben für alles Verständnis und bieten für jedes Problem eine Lösung an“.
Broder gibt uns aber den finalen Fingerzeig: “da ist auch eine Gesellschaft, in der die Idee von “Verantwortung” durch Begriffe wie “Maßnahmen” und “Fürsorge” ersetzt wurde. Eine Gesellschaft, in der die Vorstellung, dass Wohlstand etwas mit Arbeit und Leistung zu tun hat, als reaktionär und “sozial unverträglich“.
Soviel zu den Fakten, Fakten, Fakten, die Henrik recherchiert hat. “Recherche”, das ist, wenn man Fernsehen guckt. Journalismus bedeutet, keine Zeile an die Frage zu verschwenden, wo der Unterschied ist zwischen dem, das da über den Bildschirm flimmert und dem echten Leben. Wer, wie Broder, wirklich weiß, was dieser Gesellschaft hilft, begibt sich nicht in die Niederungen, wo einem der verwöhnte Mob die Ohren vollheult. Nein, dazu bedarf es der kühlen Distanz, aus der man sich nicht von empathischen Gutmenschen einlullen läßt.
Broders Herrenmenschen-Zymismus geht so weit, daß er in einem unverzeihlichen Fauxpas sogar den Widerspruch benennt, der eigentlich Aufhänger sein müßte, wenn man den von ihm geschilderten Beitrag besprechen wollte.
Der Mann vom Landratsamt sagt dazu“, so erzählt Broder nämlich: “Unser Ziel ist, dass die Familie ohne Ämter und Behörden leben kann. Das bedeutet regelmäßige Arbeit.” Hier hätte er sich fein an dem Problem abarbeiten können, wie man Menschen aus gelernter Hilflosigkeit führen kann und erläutern dürfen, warum er das auch alles besser weiß.
In der nächsten Stunde nehmen wir ihn dann einmal mit an die Front, wo er erleben darf, wie die Kinder von der Jugendhilfe verwöhnt werden. Den ganzen Spaß von Mißbrauch, Sucht, Vernachlässigung, Überbehütung, Krankheit und Orientierungslosigkeit darf er dann einmal ganz empathisch miterleben. Und wenn er sich schickt, lernt “bitte” und “danke” zu sagen und aufhört, seinen Dreck über Menschen auszukippen, von deren Leben er keine Ahnung hat, dann lassen wir ihn von den großzügigen Mitteln aus Hartz IV Schulbücher für drei Kinder kaufen. Spätestens dann wird er sich seinen konstruierten Sozialneid dahin stecken, wo er ihm herausgekrochen ist.

bundad
Es ist schon erstaunlich, wie die F.D.P. und andere Lobbyisten der Besserverdienenden sich für die Bürgerrechte ins Zeug schmeißen. Guido Westerwelle entdeckt gar die Gefahr eines Überwachungsstaates: “Nach dem gläsernen Bürger, dem gläsernen Patienten und dem gläsernen Bankkunden kommt jetzt auch noch der gläserne Steuerzahler.” Schäubles ungestüme Attacken gegen das Grundgesetz waren ja noch akzeptabel, aber ein Gesetz, das effektiv Steuerflucht verhindert, geht zu weit. So sehen das auch die anderen Kumpel des oberen Fünftels: Der BDI und sieben weitere Industrieverbände haben ebenfalls Bedenken, dass der Datenschutz nicht eingehalten wird.” Auch ihnen ging bislang kein Sicherheitsgesetz zu weit.
Aber Schwamm drüber, es schadet nicht, wenn sich neue Verbündete finden, die feststellen, daß etwas faul ist in einem Staat, dem seine Bürger suspekt sind, und die ebenfalls die Gefahr sehen, daß es bei den Möglichkeiten nicht bleiben wird, die solche Schnüffelgesetze mit sich bringen.
Die Gurkentruppe vom Spreebogen wird’s nicht weiter interessieren. Mit Steinbrück findet sich ein weiterer Sozialdbürokrat, emsig wie die Biene und blind wie ein Maulwurf, dem die Grundrechte nichts gelten. Die Kanzlerin hat damit einmal mehr gar nichts am Zettel, sie weilt in den Ferien, während ihre Mannen das Boot aufs nächste Riff zusteuern. Das ist das Widerlichste an der ganzen Veranstaltung: Völlig unbeteiligt und fernab jeden Schmerzempfindens zieht das untere Mittelmaß, das wir uns da zusammengewählt haben, den Streifen durch. Dabei erweisen sich die Darsteller in diesem Trauerspiel einmal mehr als inkompetent, kurzsichtig und beratungsresistent. Daß sie nun, ganz aus Versehen, auch noch ihrer heimlichen Klientel auf die Füße treten, ist der beste Beweis dafür.

In der ZEIT befaßt sich Elisabeth Niejahr mit der fehlenden Arbeitsmarktpolitik der Merkeltruppe. Am Aufschwung haben sie keinerlei Schuld, und konsequenterweise machen sie auch nichts draus. In Deutschland ist die Infrastruktur für Beschäftigung auf den Gebieten Bildung, Arbeitsrecht und Jobförderung miserabel, und die aktuelle Regierung hängt völlig antiqiuerten Modellen nach.
Einzig die öffentliche Kommunikation hat sich verändert. Es zeigt sich, daß Arbeitslose massenhaft in neue Jobs streben, sobald diese nur angeboten werden. Wer ausreichend ausgebildet ist, nimmt gern entsprechende Beschäftigungen auf. Das geht bekanntermaßen so weit, daß es in diesem Land für bestimmte Berufe nicht mehr genügend Menschen gibt, die ihn ausüben könnten und man daher aus dem Ausland anheuert.
Während der Politmumie Müntefering, unglücklicherweise Arbeitsminister, nichts anderes einfällt als ABM, weil er nix anderes kennt, setzt die CDU weiter auf die heilige KKK-Familie. Die Frau wird an den heimischen Herd subventioniert, damit sie fein abhängig bleibt, nichts lernt und dem Markt weitere gut ausgebildete Menschen fehlen. Grandios!
Während unter diesen römisch-katholischen Bedingungen aber dafür gesorgt wird, Menschen von Arbeitsmarkt fernzuhalten und ein armseliges Rollenschema für Frauen aufrecht zu erhalten, bleiben Alleinerziehende weiterhin im Elend hocken, und Langzeitarbeitslose sind immer noch faules Pack. Was auffällt: Man nennt sie derzeit nicht so. Da die Fakten allzu deutlich machen, daß der ganze Terror, mit dem Arbeitslose seit Hartz überzogen werden, völlig überflüssig ist, hat man wenigstens die Demütigung der Verlierer in der öffentlichen Debatte eingestellt. Ob das schon Grund zur Freude ist?

Wenn das die Position der SPD zur Pressfereiheit ist, gibt es kaum mehr Hoffnung für die Grundrechte, solange diese Koalition regiert. Es würde recht gut zur Parteilinie passen, was Herr Johannes Jung im Interview mit der FR von sich gibt, ist es doch schizophren, desorientiert, halbgar und weltfremd.
Herr Jung war für die Ermittlungen gegen die Journalisten und kommentiert seine eigene Haltung mit den Worten:
Pressefreiheit stelle ich mir anders vor, aber ich kann die Aufregung auf Medienseite auch nicht ganz verstehen“.
Einerseits läßt das “aber” im zitierten Satz nur die Interpretation zu, daß der Sprecher die Pressefreiheit unangemessen eingeschränkt sieht. Andererseits veranlassen seine weiteren Ausführungen zu dem Schluß, die Journalisten hätten ihre Freiheit mißbraucht, die daher zu weit ginge. Genau das ist der Zustand der SPD im Jahr 2007. Mit ihnen geht alles. Sie halten sich für Musterdemokraten, aber wenn das Wetter gerade danach ist, schafft man auch Grundrechte ab. Anything goes, Hauptsache man ist nicht “links”.
Warum die ganze Journaille verroht ist, erklärt Jung auch:
Es geht hier um Auflagensteigerung und die Zahl der Klicks auf Websites“.
Klar, mit den Akten eines Untersuchungsausschusses, dessen Auftrag die meisten Bundesbürger gar nicht verstehen, lassen sich Millionen Leser ködern. Und noch schlimmer: “Klicks auf Websites”! Internet! Sodom und Gomorrha, Porno und Terror!
Ansonsten ist die Verfolgung beinahe der gesamten deutschen Massenpresse nur ein Spaß. Denn Herr Jung findet es zwar sinnvoll, daß man nach dem Cicero-Urteil so gegen Journalisten gar nicht ermitteln darf, aber
Die betroffenen Journalisten können doch ganz gelassen bleiben. In der Sache wird bei den Ermittlungen gegen Journalisten am Ende sowieso nichts herauskommen.
Na dann… Anzeige erstatten, verfolgen, einschüchtern, aber nur so. Kommt eh nichts bei rum. Dieser Mann sitzt im Deutschen Bundestag und verabschiedet Gesetze, gegen die er dann verstößt, weil sowieso nichts dabei herauskommt!
Diese Haltung wird verständlich, wenn man die Beziehung des Abgeordneten zu seiner Arbeit näher betrachtet:
Unsere Arbeit im Ausschuss wird noch mehr von Taktik geprägt sein, als sie das ohnehin schon ist. Der Aufklärung wird das nicht guttun.
Die Taktik gibt die Linie vor. Im Aussschuß, in der Fraktion, in der Partei und im Vorstand. Die Taktik, die Schröder über den Umweg der Kanzlerschaft zu Gazprom geführt hat. Eine Taktik, die das Menschenbild von Nutten-Hartz als “Sozialpolitik” verkauft. Taktik, die dafür sorgt, daß Sozialdemokratie nur in der SPD stattfinden darf, die sich aber keine leisten darf, damit Lafontaine nicht am Ende doch recht behält.
Die Dissoziation der SPD ist so weit fortgeschritten, daß es zu spät ist, den Arzt zu rufen. Es ist an der Zeit, den Nachruf zu schreiben.

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