Journalismus


Bleiben wir noch für einen Moment im Schützengraben. Aus Sicht von Qualitätsbloggern ist dem Journalismus gar nicht drastisch genug vor Augen zu halten, wie arrogant, abgehoben, einäugig, tendeziös und inkompetent er daherkommt. Vom “Netz” haben Journalisten schon gar keine Ahnung, sind unfähig, einen brauchbaren Link zu setzen, hinken Bloggern hinterher und bedienen sich schamlos und ohne Angabe an deren Inhalten. Ansonsten schreiben sie eh alle nur dieselben Agenturmeldungen ab. Gern ungeprüft.

Aus Sicht der Journalisten sind Blogger bloß ihre Zweitverwerter, recherchieren nicht, es sei denn bei Google, wollen alles umsonst haben, sind aggressiv, extremistisch und ungehobelt, verbreiten mit Vorliebe Verschwörungstheorien und glauben, das Internet habe immer recht, egal, welcher Unsinn da anonym gezwitschert wird. Außerdem sind nur Journalisten wahre “Gatekeeper”, die ihren Lesern auf seriöse Weise die unübersichtlich Nachrichtenlage zurechtlegen. Blogger haben hingegen nur die eigene Meinung im Sinn.

Können wir besser

Tatsächlich treffen alle diese Vorwürfe zu. Sie treffen sogar in einem Maße zu, die bemühten Vertretern beider Seiten peinlich sein darf. Ein Grund, sich zu bessern und sich an denen hüben und drüben zu orientieren, auf die möglichst viele der genannten Vorwürfe eben nicht zutreffen.

Berufsjournalisten, die immer seltener werdenden Vertreter jedenfalls, die davon leben können, sind in einer komfortablen Situation. Sie werden eben für ihre Arbeit bezahlt. Es sollte sich verstehen, daß sie dafür entsprechende Qualität abliefern.
Blogger sind in einer komfortablen Situation. Niemand schmeißt sie raus, wenn sie etwas abliefern, das den Limbo unter der Türkante schafft. Niemand sagt ihnen, was und wie sie zu schreiben haben.

Die Organisation der Redaktionen mit Zugang zu Nachrichtengenturen und einer gewachsenen Arbeitsteilung versetzt sie in die Lage, täglich relevante Artikel zu veröffentlichen, die auf Lesergewohnheiten und -erwartungen abgestimmt sind.
Die Freiheit der Blogger ermöglicht ihnen, schnell und gezielt Stellung zu beziehen und abgeschliffene Routinen durch überzeugende persönliche Statements zu ergänzen, teilweise zu ersetzen.

Wir wollen gelesen werden

Eines eint beide Seiten: Wir wollen gelesen werden. Diejenigen unter uns, die ihr Handwerk verstehen, schaffen dabei den Spagat, zu informieren und Stellung zu beziehen. Beides ist erwünscht und nötig. Daß längst auf beiden Seiten Bericht nicht mehr von Meinung(smache) getrennt ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Es kommt darauf an, die Leser nicht zu belügen und auszutricksen. Die Meinung muß erkennbar sein. Das gelingt Journalisten und Bloggern durch handwerklich saubere Artikel und die Wiedererkennbarkeit der Autoren. Mit unterschiedlicher Gewichtung freilich. Wahre “Gatekeeper” zeichen sich gerade dadurch aus, daß sie ihre ganz persönliche Perspektive anbieten. Daran können sich Leser am besten orientieren.

Die unterirdische Qualität geifernder Rechthaber auf beiden Seiten kennen wir von Boulevard schon lange, darin unterscheidet er sich nicht von den beleidigenden Tiraden schlechter Blogger. Das muß sich niemand vorwerfen lassen, der erst nachdenkt und dann schreibt. Ein erster Tabakskrümel in der Friedenspfeife: Rauchen wir diejenigen darin, die so etwas für ihr Handwerk halten.

Heißt “Meinung”, ist meine

“Meinung” ist allerdings etwas, das man sich erarbeiten muß. Journalisten müssen sie sich offenbar leisten können, es sei denn, sie wabert im Mainstream. Gewisse Professoren und ihre ruinösen Weisheiten werden unkritisch oder unkenntlich bis zum Eimern zitiert. Blogger wissen hingegen etwa, daß Marx immer Recht hat. Was soll das? Meine Meinung heißt so, weil sie meine ist. Zweiter Vorschlag: Schreibt das, was ihr selber denkt, macht es kenntlich. Laßt es zu, fördert es, daß Eure Angestellten auch so verfahren, zitiert höchstens in jedem zehnten Artikel oder Kommentar denselben Guru. Werdet euch darüber klar, woher ihr eure Weisheiten bezieht.

Es liegt eine gähnende stilitistische Kluft zwischen holzmedial sozialisierten Journalisten und meinungsstarken Freischreibern. Die einen sind z.T. bis zur Totenstarre seriös, die anderen schlagen schon beim virtuellen Wetterbericht gern über den Strang. Beides hat seine Attraktivität, kann aber auch abschrecken. Lassen wir das sich doch einfach entwickeln. Journalisten brauchen viel mehr Mut, um nicht stilsitisch völlig zu veröden. Blogger viel mehr Beherrschung, um aus dem persönlichen Engagement einen Stil zu entwickeln und nicht bloß ihren Unmut heraus zu rotzen.

Zum Abschluß eines unvollkommenen Artikels habe ich einen Vorschlag an die angestellten Schreiber bezüglich des Umgangs mit “uns” und dem mit dem großen Netz. Da könnt und müßt ihr noch eine Menge lernen. Ich bin im Gegenzug sehr geneigt, mir fundierte Kritik von der anderen Seite anzuhören.
Lernt endlich, Links zu setzen! Derzeit ist die Sueddeutsche ganz vorn bei einem Slapstick, den SpOn vorgemacht hat, nämlich völlig sinnfrei zufällige Verlinkungen in ihren Artikeln zu streuen, die auf preiswürdig irrelevante Suchabfragen der eigenen Site verweisen. Wen etwa interessiert das Thema “Rücken” bei der Lektüre eines Artikels zur Politik, bloß weil das Wort dort auftaucht?

Autorenprinzip, ja bitte!

Lest Blogs, wie Blogger Zeitungen lesen, verlinkt sie und würdigt unsere Arbeit, wie wir eure würdigen. Ganz en passant könnt ihr dabei diejenigen fördern, die eben nicht bloß pöbeln. Stellt eure Qualität heraus, indem ihr uns in Grund und Boden schreibt. Wenn die Kriterien, die zur Anwendung kommen, nachvollziehbar sind, kann dadurch ein gegenseitiger Lernprozeß in Gang kommen, von dem die Publizistik allgemein profitiert.

Und trennt euch von dem Vorurteil, den doofen Bloggern damit zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Wer nur einmal erwähnt wird, weil er Schrott gepostet hat, ist damit wahrlich nicht geadelt. Und das aktuelle Beispiel zeigt mir, daß ihr gigantischen Nachholbedarf habt. Eure Leser klicken Links nämlich kaum an, weil sie offenbar gar keine relevante Information erwarten. Keine hundert Leser sind dem Link zu meinem Blog im Leitartikel der von mir sonst sehr geschätzten Frankfurter Rundschau gefolgt. Wenn ich selbst verlinke, kommt da erfahrungsgemäß wesentlich mehr zusammen, obwohl ich deutlich weniger Leser haben dürfte.

Ich bin es leid, entweder pauschal als pöbelnder Nerd behandelt oder – wenn es einer gut mit mir meint – als auch-Journalist vereinnahmt zu werden. Unser Endgegner Jörges spricht vom “Autorenprinzip“, das wäre ein guter Ansatz, könnte ich der ausgesprochenen Absicht nur vertrauen. Ich will ihm und den Kollegen gern Kredit geben. Machen wir was draus!

Die Frankfurter Rundschau hatte einen Link auf mein Blog gesetzt, weil ich schon vor fünf Tagen die Aussage Köhlers abgetippt und online gestellt hatte. Das wurde hier in den Kommentaren mit Genugtuung zur Kenntnis genommen.

Inzwischen ist der Artikel der FR geändert worden und der Link wieder draußen. Die Kommentare unter dem Artikel wurden also zum Teil zu einem anderen Inhalt abgegeben. Nicht einmal ein Hinweis auf Blogs als Informationsquelle ist mehr zu finden. Ebensowenig einer darauf, daß der Inhalt geändert wurde. Dieser Umstand ist zwar deutlich weniger relevant als das Verschwinden der Aussage Köhlers, wirft aber die Frage auf, ob es gängige Praxis ist, Artikel zu ändern wie es einem gerade paßt und darauf zu hoffen, daß es keiner merkt.

Konkret gebührt mir die Aufmerksamkeit ohnehin nur als pars pro toto – andere waren schon früher raus mit der Meldung und wieder andere engagierter als ich. Daß aber auch die FR erst mittelbar und letztlich durch die Blogsphäre aufmerksam wurde, hätte durchaus stehen bleiben dürfen.
Im übrigen sind mir die 96 Leserlein lieb und teuer, die im Laufe des Tages auf diesem Weg zu mir fanden. Wenn ich einen Link auf die FR setze, haben sie drüben allerdings garantiert mehr davon. Kurzum: Was als scheinbar erfreulicher Umstand begann, endet unkollegial und schlicht peinlich.

Die haben’s nach fünf Tagen auch schon bemerkt. Allerdings geben sie keinen Hinweis auf die offenbar als “üblich” eingestufte Manipulation des Inhalts bei dradio. Man kann nicht alles haben, gelle?

Robert von Heusinger erklärt und begrüßt einen Sinneswandel in Europa, der unter der Hand und quasi zufällig ein wenig von der Regulierung leistet, über die sonst nur geredet wird. Geradezu erfreut nehmen es sogar die “Spekulanten” hin, die wie kleine Kinder erkennen, daß es ihnen hilft, wenn die Eltern für Ordnung sorgen.

Eine wesentliche Rolle spielt hier die Abkehr von der panischen Inflationsangst und dem starrsinnigen Beharren auf “Stabilität” angesichts einstürzender Wände. Natürlich haben nicht alle den Knall gehört – der Bundesbankchef gibt noch immer den kadavergehorsamen Inflationswächter.

Die tumbe deutsche Schuldenallergie, die Marc Beise natürlich teilt, zeugt nach wie vor von einem groben Unverständnis für volkswirtschaftliche Zusammenhänge. Zur Rettung der Banken waren Schulden einmalig von jeder Hemmung befreit, für das eigene Wohl und Wehe soll der Staat hingegen keine machen dürfen. Stattdessen sollen, wie schon in Irland, jetzt auch in Resteuropa wieder einmal die Ärmsten bluten. Alleinerziehende, die in Deutschland eh schon benachteiligt sind, gehören ebenso dazu wie Bildungsträger und Kindergärten.

Roland Koch, Deutschlands oberster Beschützer der Steuerhinterzieher, findet das ganz prima. Es sei “nur eine Provokation”, wenn er von den besagten Einsparungen spricht. Daß das aber gar kein Witz war, wird sich sehr bald erweisen. Spätestens, wenn er Bundesfinanzminister ist.

Zurück zu Beise. Er bringt Sinn in die Sache – den Hans-Werner. Kennt er doch die alleinige Ursache des Problems:
Die Staaten dieser Welt haben in einer langen Ära des Friedens über ihre Verhältnisse gelebt“.
Na klar, die explodierenden Kosten im Sozialbereich. Er spricht es nicht aus, das ist aber kaum mehr nötig bei einem, der die brunzblöde Proganda der neoliberalen Ära aus Eimern gesoffen hat.

Es wäre doch nett gewesen zu hören, wer über seine Verhältnisse gelebt hat, wo das Geld bleibt und wer dafür wieder und wieder am Nötigsten knappst, damit die Leistungsträger den Standort Europa nicht ins Ausland verlagern. Oder halt wenigstens ein paar Gründe mehr zu suchen für die Krisenrallye. Das eindimensionale Geplapper solcher journalistischer Schulversager zum Beispiel hat massiv dazu beigetragen. Wir würden gern darauf verzichten – alternativlos, versteht sich.

Der letzte Staatsratsvorsitzende der SED, Egon Krenz, und der heimliche Chef der ehemaligen “Staatssicherheit”, Mischa Wolf, erklärten in einem Doppelinterview, die Partei “Die Linke” sei ein angepaßter Haufen von Anbetern des Kapitals. Der Weg in den Sozialismus führe nur über den konsequenten militanten Klassenkampf. Nach der Weltrevolution werde man Lafontaine und Gysi als erste an die Laternen hängen.

Über eine solche Meldung würden sich vermutlich nicht mehr allzuviele empören, weil es zurecht für lächerlich gehalten würde, wenn die Versager von gestern den Führungskräften von heute mit den gescheiterten Rezepten von vorgestern kämen. Aber auch das gilt nicht für ganz Gallien.

Die Abteilung Desinformation des ehemaligen Nachrichtenmagazins läßt Friedrich Merz und Wolfgang Clement auflaufen, um diese virtuosen Eigentorschützen gegen die Bundespolitik grätschen zu lassen. Selbstverständlich findet sich kein Hinweis darauf, daß beide im Dienste des neoliberalen Stupidity Tanks “INSM” stehen.

Clement geht gar so weit, vor einer Zusammenarbeit der NRW-SPD mit den Grünen zu warnen. Er erinnert sich noch daran, wie letztere dem Berufscholeriker mehrfach Anlaß zum Aktenweitwurf gaben. Daß es – wie auch immer unverdient – seiner Expartei gelingen könnte, endlich wieder einmal bei einer Wahl nicht mit wehenden Fahnen unterzugehen, scheint ihm ein besonderer Dorn im Auge zu sein. Immer, wenn die SPD sich zu erholen droht, wenn sie gar eine Ministerpräsidentin stellen könnte, ballert er ihr beherzt seine rechte Klebe ins Netz.

Sozial ist, was Sklavenarbeit schafft. Demokratie ist, was die Vorstände beschließen. Sozialdemokratie ist die Forsetzung dieser Politik mit allen Mitteln.
Qualitätsjournalismus ist, diese Weisheiten “professionell aufzubereiten und [sie] als Nachricht, Bericht oder Reportage wieder in die Gesellschaft einzuspeisen“.
Der Montagsleser kann sich auf diese Weise stets ein Bild vom aktuellen Wüten des furchtbaren “Linksrutschs” machen.

Wie man Meinung macht ohne eine zu äußern, demonstriert einmal mehr SpOn. Da wird die Linke einfach aus Sicht der CDU porträtiert und selbstverständlich die extremsten Forderungen in den Vordergrund gestellt. Man stelle sich vor, die Poltitk der CDU würde in demselben Medium aus der Sicht der Linken und mit deren Vokabular beschrieben – und das mitten im Wahlkampf. Ganz nebenbei ist es ja kein Geheimnis, daß die Linke die einzige Partei ist, die in Opposition zum gängigen Wirtschaftsmodell steht. Ihre Positionen vermeintlich der Lächerlichkeit preiszugeben, spricht für die völlige Unfähigkeit, über den Status Quo hinaus zu denken. Das Artikelchen von Björn Hengst ist einfach nur peinlich.

Wer eine Meinung hat, zumal eine fundierte, muß sich nicht hinter dem vorgeblichen Common Sense verkriechern, sonden äußert sie einfach. Mely Kiyak ist eine der letzten ihrer Art und schreibt, was sie denkt, weil sie denkt. Es ist eigentlich ganz einfach: Nicht jeden Mist glauben, der in der Tagesschau erzählt wird, eine Vorstellung für die Situation der jeweils betroffenen Menschen entwickeln und Schlüsse daraus ziehen. So einfach geht guter Journalismus. Eines ist freilich noch einfacher: Dieselbe Trommel zu rühren wie alle anderen und denen nach dem Mund reden, die einem groß und mächtig erscheinen.

Ich bin ein wenig neben der Spur. Meine Tochter leidet an einer Augenmuskelentzündung nebst übler Nebenwirkungen, wir warten noch auf die genaue Diagnose. Die “Agentur” sitzt mir im Rücken, und das Besäufnis gestern war wenig hilfreich. Dienstag ist wieder Termin in der Klinik, nach der Beerdigung meiner Großmutter.

Nicht wirklich inspirierend ist auch das Nebenwirken des kranken Online-Auftritts der Spiegeleier, die uns wieder einmal auf unsere Sterblichkeit hinweisen und kreuzkatholisch darauf hoffen, als Mehrtürer zu sterben – wenn es schon nicht im Phaeton sein soll, dann wenigstens durch den deutschen Taliban Banana, der immer radikaler wird, Gott allein weiß, wie er das macht.

“Die dritte Generation” bärtiger Bundesbomber sehen sie am Werk, die den blutroten Gebetsteppich vom Tor zur Hölle bis Bielefeld für uns ausgerollt haben:

Fast hundert Namen stehen auf dieser Liste, es ist ein Verzeichnis der dritten Generation nach den Todespiloten vom 11. September und der Sauerlandgruppe.

Drei Generationen in achteinhalb Jahren, diese Sarrazin-Sarazenen vermehren sich wie die Karnickel.
Ich plädiere für einen Warnhinweis unter derartigen kuhjournalistischen Produkten. Dauerhaftes Erbrechen und Augenentzündungen sind kein Spaß. Herr Rösler, übernehmen Sie!

Es wird nicht besser mit dir, und ich meine es auch nicht mehr gut mit dir.
Daß man unter “Titten und Hitler” bei Google an erster Stelle meinen Artikel über die Qualität der journalistischen Resterampe findet, haben wir beide verdient.
Heute habe ich mich zuerst ein wenig geärgert über den boulevardesken Artikel zum Fall Wolski. Wie treffend warnt uns Anne Seith doch vor ihrem Artikel:

Eigentlich ist die ganze Geschichte unglaublich, gleicht einer Seifenoper.

So wird das dann auch serviert. Während die FR seit Monaten am Ball bleibt und die Skandale um die Kochs und ihre Familie detailiert aufdeckt, hängt sich der “Spiegel” lustlos verquast an eine “Geschichte”, als sei sie kein Politikum erster Güte. Ich will nur einen Satz zitieren, der belegt, wie unabhängig von Fakten sich ein solcher Stil weiß:

Die Beamten taten nichts. Der Verdacht dränge sich auf, sie hätten bewusst weggesehen, sagt [Richter] Buss – wegen totaler Überlastung.
Die ‘mangelnde personelle Ausstattung habe dazu geführt, dass auch die Behörden in diesem Fall ein “unglaubliches Bild abgegeben’ hätten.

Kein Wort dazu, daß der verantwortliche Minister nicht nur systematisch eine Steuerfahndung verhindert, sondern erfolgreiche Beamte zu Psychopathen erklären lassen hat.
“Sex” und “Schmuddel” stehen stattdessen im Mittelpunkt der Interessen des “Spiegel”. Da halten solche Zusammenhänge nur auf.

Das wäre mir aber noch keine weitere Erwähnung wert gewesen, wäre ich nicht auf einen Kern des reaktionären Weltbildes gestoßen, dessen Verbreitung den biederen Brandstwietern offenbar ein Anliegen ist. Allen Ernstes leistet sich Matthias Matussek dort einen Kniefall vor der katholischen Kirche. Würde der Augstein sich heute beim “Spiegel” bewerben, man wiese ihn vermutlich ab. Er wäre zu nüchtern und nicht auf Linie. Das geht heute gar nicht mehr.

Gestern habe ich mir noch einmal “From Dusk till Dawn” angeguckt. Heute las ich ein weiteres Statement vom ewigen Jörges auf seinem Kreuzzug für das Wahre, Gute und Journalistische, in der das Böse – “Blogger” – seinen festen Platz hat. Ich finde Jörges gruseliger als Tarantino, vor allem, weil er so fad humorfrei durchs Leben doziert.
Es gibt viele Pussies, wissen wir vom Türsteher des Titty-Twisters, und es gibt ebensoviele Blogger.

Wir haben
Fotoblogger, Freizeitblogger, Wirtschaftsblogger, Politiblogger, Fetischblogger, Kochbuchblogger, Metablogger, es gibt ach
linke Blogger, rechte Blogger, liberale Blogger, bürgerliche Blogger, langweilige Blogger, rüde Blogger, intelligente Blogger, saudoofe Blogger, wir haben
Amateurblogger, Samtblogger, Holzblogger, Videoblogger, Textblogger, IT-Blogger, Reiseblogger,
da sind so viele Blogs und Blogger, wir wissen gar nicht, wohin mit all denen. Wer noch mehr Blogger oder noch andere Blogger findet -
lest sie !

Das ist freilich zuviel für einen, der anderen sagen will, worüber sie zu schreiben haben, was sie dabei sagen dürfen und was nicht. Zu unübersichtlich für den Ankläger und Richter, der allein darüber befindet, wer Aufmerksamkeit “verdient” hat, und wer nicht. Jörges schwingt sich auf zum Dieter Bohlen einer publizistischen Castingshow, die nur in seiner eitlen Einbildung stattfindet. Obendrein steht schon immer vorher fest: Gewinner ist der Journalist.

Daß immer noch die Leser entscheiden, wem sie Aufmerksamkeit schenken und wem nicht, geht dem Jörges gegens Credo, da hat der Leser halt keine Ahnung und verschleudert seine Aufmerksamkeit an Nichtverdiener.
Das alles kennen wir schon, es wäre keine Zeile wert, garnierte seine Heiligkeit das Hohelied auf seinesgleichen nicht mit einer quer zum Anzug gebügelten These:

Das wertet den Journalismus auf. Das macht ihn noch unverzichtbarer. Und das verlangt nach Journalisten, die für ihr Blatt zur Marke werden – vom Leser gesucht, von der Redaktion herausgestellt, vom Verlag gepflegt. Um es anders auszudrücken: Das Autorenprinzip gewinnt im rasenden Wettbewerb um Aufmerksamkeit an Bedeutung.

Unter der Hand werden also Autoren ohne Presseausweis zu Nichtautoren erklärt. Was sonst ist ein “Journalist”? Einer wie Rainer Meyer vielleicht, der als Historiker und Ur-Onliner schreibt und sich nebenbei auch “Journalist” nennen darf? Thomas Strobl, der als streitbarer und stilsicherer Ökonom ebenfalls von der FAZ eingekauft wurde? Heribert Prantl womöglich, der sich als Jurist und publizierender Verfassungsverteidiger auch “Redakteur” nennen darf? Verdanken diese Leute ihre Autorenschaft und Autorität dem Umstand, daß sie “Journalisten” sind?

Sind die Bildungshänflinge aus den einschlägigen Ausbildungsgängen, die sich durch Kaffeekochen und das Abschreiben von Agenturmeldungen ihre Meriten verdienen, die Zukunft der deutschen Autorenherrlichkeit? Sind tausende deutscher Journalisten, deren Artikel so wiedererkennbar sind wie Eier aus der Legebatterie, journalistische “Autoren”, die Aufmerksamkeit verdient haben?

Das unerträgliche Wiederkäuen kuhjournalistischer Stupiditäten wie die Behauptung aufwendiger Recherche will niemand mehr hören. Jörges mag beim “Stern” eine Qualitätsoffensive erkennen wollen, die das Niveau der Hitlertagebücher überbietet. Daraus sollte er freilich nicht die Lizenz zum Steinewerfen ableiten.

Er hat keine Ahnung von Blogs oder sonstigen publizistischen Auftritten im Netz, die keine abhängige Redaktion und keinen profitorientierten Verlag hinter sich haben. Das wird ihn nicht davon abhalten, auch weiterhin erfolgreich unsinnige Abhandlungen zu verbreiten. Karl May schrieb auch Reiseberichte, die reißenden Absatz fanden. Vielleicht meint Jörges ja das mit dem “Autorenprinzip”.

Sollte er allerdings wollen, daß zukünftig weniger Androide mit Infrarot-Schnittstellen zu Faxgerät und Redaktionsmeinung teures Papier zerstanzen und stattdessen respektable Autoren an die Höfe der Holzmedien geholt werden, kann er sofort damit anfangen. Die Autoren wird er am leichtesten finden, wenn er sich endlich einmal mit denen beschäftigt, die er bislang ohne Ansehen der Person niederschreibt.

Ich gebe ihm gern die Chance, über sein wohlfeiles Lob der Autorenschaft eine Weile nachzudenken und neu lesen zu lernen. Vielleicht bekommen wir dann auch von ihm etwas zu lesen, das Aufmerksamkeit nicht nur erregt, sondern sie auch wert ist.

Ich finde es ja nach wie vor bedenklich, gewisse Experten zu zitieren. Michael Hüther gehört ganz sicher dazu. Robert von Heusinger hat ein Interview mit ihm geführt und ihm Erstaunliches entlockt: Herr Hüther spricht sich für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn aus. Pikanter Weise bringt Heusinger sogar Hans-Werner Sinn in Stellung, um mit einigen neoliberalen Dogmen aufzuräumen.

Habe ich ihn neulich harsch kritisiert, komme ich nicht umhin, ihm diesmal uneingeschränkt Lob auszusprechen: Heusinger konfrontiert Hüther, hakt nach und sorgt für das nötige Maß an Reibung, das ich zuletzt schmerzlich vermißt habe. Beinahe zu bedauern ist, daß Hüther nahezu widerstandslos nachgibt. Dessen Ausführungen zum Problem der deutschen Exportfixierung und Lohnstruktur sind freilich dennoch recht kapriziös. Der Experte macht einen tief verunsicherten Eindruck.

Frei von jeder “Indoktrination” beweist von Heusinger, daß man die Helden von gestern durch breite Schultern und die Konfrontation mit alternativen Positionen zu Äußerungen jenseits ihrer Standardfloskeln bewegen kann. Deren gescheiterte Strategien lassen sich dann nicht mehr als “alternativlos” verkaufen, im Gegenteil: Die (bessere) Alternative avanciert unmittelbar zum Gegenstand der Diskussion. Ich will mehr davon!

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