Bleiben wir noch für einen Moment im Schützengraben. Aus Sicht von Qualitätsbloggern ist dem Journalismus gar nicht drastisch genug vor Augen zu halten, wie arrogant, abgehoben, einäugig, tendeziös und inkompetent er daherkommt. Vom “Netz” haben Journalisten schon gar keine Ahnung, sind unfähig, einen brauchbaren Link zu setzen, hinken Bloggern hinterher und bedienen sich schamlos und ohne Angabe an deren Inhalten. Ansonsten schreiben sie eh alle nur dieselben Agenturmeldungen ab. Gern ungeprüft.

Aus Sicht der Journalisten sind Blogger bloß ihre Zweitverwerter, recherchieren nicht, es sei denn bei Google, wollen alles umsonst haben, sind aggressiv, extremistisch und ungehobelt, verbreiten mit Vorliebe Verschwörungstheorien und glauben, das Internet habe immer recht, egal, welcher Unsinn da anonym gezwitschert wird. Außerdem sind nur Journalisten wahre “Gatekeeper”, die ihren Lesern auf seriöse Weise die unübersichtlich Nachrichtenlage zurechtlegen. Blogger haben hingegen nur die eigene Meinung im Sinn.

Können wir besser

Tatsächlich treffen alle diese Vorwürfe zu. Sie treffen sogar in einem Maße zu, die bemühten Vertretern beider Seiten peinlich sein darf. Ein Grund, sich zu bessern und sich an denen hüben und drüben zu orientieren, auf die möglichst viele der genannten Vorwürfe eben nicht zutreffen.

Berufsjournalisten, die immer seltener werdenden Vertreter jedenfalls, die davon leben können, sind in einer komfortablen Situation. Sie werden eben für ihre Arbeit bezahlt. Es sollte sich verstehen, daß sie dafür entsprechende Qualität abliefern.
Blogger sind in einer komfortablen Situation. Niemand schmeißt sie raus, wenn sie etwas abliefern, das den Limbo unter der Türkante schafft. Niemand sagt ihnen, was und wie sie zu schreiben haben.

Die Organisation der Redaktionen mit Zugang zu Nachrichtengenturen und einer gewachsenen Arbeitsteilung versetzt sie in die Lage, täglich relevante Artikel zu veröffentlichen, die auf Lesergewohnheiten und -erwartungen abgestimmt sind.
Die Freiheit der Blogger ermöglicht ihnen, schnell und gezielt Stellung zu beziehen und abgeschliffene Routinen durch überzeugende persönliche Statements zu ergänzen, teilweise zu ersetzen.

Wir wollen gelesen werden

Eines eint beide Seiten: Wir wollen gelesen werden. Diejenigen unter uns, die ihr Handwerk verstehen, schaffen dabei den Spagat, zu informieren und Stellung zu beziehen. Beides ist erwünscht und nötig. Daß längst auf beiden Seiten Bericht nicht mehr von Meinung(smache) getrennt ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Es kommt darauf an, die Leser nicht zu belügen und auszutricksen. Die Meinung muß erkennbar sein. Das gelingt Journalisten und Bloggern durch handwerklich saubere Artikel und die Wiedererkennbarkeit der Autoren. Mit unterschiedlicher Gewichtung freilich. Wahre “Gatekeeper” zeichen sich gerade dadurch aus, daß sie ihre ganz persönliche Perspektive anbieten. Daran können sich Leser am besten orientieren.

Die unterirdische Qualität geifernder Rechthaber auf beiden Seiten kennen wir von Boulevard schon lange, darin unterscheidet er sich nicht von den beleidigenden Tiraden schlechter Blogger. Das muß sich niemand vorwerfen lassen, der erst nachdenkt und dann schreibt. Ein erster Tabakskrümel in der Friedenspfeife: Rauchen wir diejenigen darin, die so etwas für ihr Handwerk halten.

Heißt “Meinung”, ist meine

“Meinung” ist allerdings etwas, das man sich erarbeiten muß. Journalisten müssen sie sich offenbar leisten können, es sei denn, sie wabert im Mainstream. Gewisse Professoren und ihre ruinösen Weisheiten werden unkritisch oder unkenntlich bis zum Eimern zitiert. Blogger wissen hingegen etwa, daß Marx immer Recht hat. Was soll das? Meine Meinung heißt so, weil sie meine ist. Zweiter Vorschlag: Schreibt das, was ihr selber denkt, macht es kenntlich. Laßt es zu, fördert es, daß Eure Angestellten auch so verfahren, zitiert höchstens in jedem zehnten Artikel oder Kommentar denselben Guru. Werdet euch darüber klar, woher ihr eure Weisheiten bezieht.

Es liegt eine gähnende stilitistische Kluft zwischen holzmedial sozialisierten Journalisten und meinungsstarken Freischreibern. Die einen sind z.T. bis zur Totenstarre seriös, die anderen schlagen schon beim virtuellen Wetterbericht gern über den Strang. Beides hat seine Attraktivität, kann aber auch abschrecken. Lassen wir das sich doch einfach entwickeln. Journalisten brauchen viel mehr Mut, um nicht stilsitisch völlig zu veröden. Blogger viel mehr Beherrschung, um aus dem persönlichen Engagement einen Stil zu entwickeln und nicht bloß ihren Unmut heraus zu rotzen.

Zum Abschluß eines unvollkommenen Artikels habe ich einen Vorschlag an die angestellten Schreiber bezüglich des Umgangs mit “uns” und dem mit dem großen Netz. Da könnt und müßt ihr noch eine Menge lernen. Ich bin im Gegenzug sehr geneigt, mir fundierte Kritik von der anderen Seite anzuhören.
Lernt endlich, Links zu setzen! Derzeit ist die Sueddeutsche ganz vorn bei einem Slapstick, den SpOn vorgemacht hat, nämlich völlig sinnfrei zufällige Verlinkungen in ihren Artikeln zu streuen, die auf preiswürdig irrelevante Suchabfragen der eigenen Site verweisen. Wen etwa interessiert das Thema “Rücken” bei der Lektüre eines Artikels zur Politik, bloß weil das Wort dort auftaucht?

Autorenprinzip, ja bitte!

Lest Blogs, wie Blogger Zeitungen lesen, verlinkt sie und würdigt unsere Arbeit, wie wir eure würdigen. Ganz en passant könnt ihr dabei diejenigen fördern, die eben nicht bloß pöbeln. Stellt eure Qualität heraus, indem ihr uns in Grund und Boden schreibt. Wenn die Kriterien, die zur Anwendung kommen, nachvollziehbar sind, kann dadurch ein gegenseitiger Lernprozeß in Gang kommen, von dem die Publizistik allgemein profitiert.

Und trennt euch von dem Vorurteil, den doofen Bloggern damit zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Wer nur einmal erwähnt wird, weil er Schrott gepostet hat, ist damit wahrlich nicht geadelt. Und das aktuelle Beispiel zeigt mir, daß ihr gigantischen Nachholbedarf habt. Eure Leser klicken Links nämlich kaum an, weil sie offenbar gar keine relevante Information erwarten. Keine hundert Leser sind dem Link zu meinem Blog im Leitartikel der von mir sonst sehr geschätzten Frankfurter Rundschau gefolgt. Wenn ich selbst verlinke, kommt da erfahrungsgemäß wesentlich mehr zusammen, obwohl ich deutlich weniger Leser haben dürfte.

Ich bin es leid, entweder pauschal als pöbelnder Nerd behandelt oder – wenn es einer gut mit mir meint – als auch-Journalist vereinnahmt zu werden. Unser Endgegner Jörges spricht vom “Autorenprinzip“, das wäre ein guter Ansatz, könnte ich der ausgesprochenen Absicht nur vertrauen. Ich will ihm und den Kollegen gern Kredit geben. Machen wir was draus!