Politik


 
Ich wurde neulich dazu aufgefordert, mich zu wiederholen, als ich nörgelte, ich könne doch nicht zu jedem Mist immer wieder neu denselben Senf hinzu geben, zumal Mist mit Senf weder schmackhaft ist noch zur Metapher taugt. Es sei wichtig, sich zu wiederholen, meinte der Kollege, und er hat recht, denn dem Einträufeln der Propaganda durch Wiederkäuen ist nicht mit täglich Neuem beizukommen – zumal da draußen nichts Neues passiert. Ich habe also mal den April 2006 besucht und einige interessante Geschichten gefunden, die ich kurz vorstelle und kommentiere. Es gleicht weitgehend einem Dejà-vu, aber mit einem gewissen Entsetzen stelle ich fest, was sich in mir inzwischen hat ändern müssen.

22.04.2006:

Es ist nicht zu fassen, aber die Kanzlermimin plant schon wieder einen Gipfel. Diesmal sollen die größten deutschen Familienunternehmen über die “Erbschaft- und Unternehmensteuern” entscheiden. Eine große Koalition, die mit allen herumkuschelt, nichts mehr selbst entscheidet und die Reichen fragt, ob sie Steuern zahlen wollen, während sie das Arbeitslosengeld kürzt – wer braucht so etwas? Hast du das gewählt, Deutschland?
Das Bündnis für Currywurst muß also noch warten, erst einmal gibt es den Erbschaftssteuergipfel mit den Betroffenen. Der “Integrationsgipfel” müßte konsequenterweise unter Beteiligung führender Neonazis und angehender Selbstmordattentäter stattfinden, der “Rat für Innovation und Wachstum” mit der katholischen Kirche und der “IT-Gipfel” im Hause Microsoft.
Angesichts des Irrsinns, den sich diese Nichtregierung leistet, müßten die Straßen brennen und der Generalstreik ausgerufen werden. Was aber sagt Du-bist-Deutschland dazu? Alle finden das Merkel ganz prima. Allmählich mache ich mir ganz eigene Gedanken über Integration. Und darüber, auszuwandern.

Wer sich in diesen Tagen also über die Frechheit der FDP echauffiert, sollte nicht vergessen, wer das Netzwerk der Korruption verantwortlich installiert hat. Im Gefolge von Schröders Kumpelhaftigkeit hat die Bleierne sich zu Beginn ihrer Ägide alles an den Tisch geholt, mit dem sich kungeln ließ. Seitdem wird vom Kapital durchregiert.

07.04.2006:

Wenn eine öffentliche Debatte entsteht, schwärmen sofort die Clowns der Meinungsindustrie aus, um Erheiterung in Form bedeutungsloser Zahlen zu verbreiten. Ihr zweckfreies Spiel mit Fragen und Statistiken darf wohl als zeitgemäße Form der Kunst anerkannt werden.
So auch aktuell, da es um den Erhalt der Hauptschulen geht. Weiß der Volksmund sehr wohl um die Weisheit “Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal das Maul halten”, ist Kompetenz für die Artisten der Demoskopie keine Größe, die man irgend berücksichtigen müßte. Eifrig fragen sie die Menschen nach deren “Meinung”, ob diese nun eine haben oder nicht.
Bezogen auf die Hauptschulen fragen sie ein Volk, das gar nichts anderes kennt als die Dreigliedrigkeit. Sie fragen ein Volk, das Gesamtschulen kennt als Hauptschulen mit Zusatzoption. Ein Volk, das sich in einer unsäglichen “Stop-Koop”-Kampagne hat vormachen lassen, integrative Beschulung sei kommunistische Gleichmacherei. Kurz: Das befragte Volk reagiert auf jede Alternative zum bestehenden Schulsystem mit Angst aus Unwissen.
Der besondere künstlerische Wert besteht nun darin, daß sich das Volk in seiner Inkompetenz nicht im mindesten von seinen verantwortlichen Vertretern unterscheidet. Das ist das eigentliche Ergebnis der Umfrage.

Als ich jüngst auf die Eintrübung der Freude über die Erfolge der Steinbrück-SPD hinwies, habe ich das vor allem auf den Meinungsschmied Güllner (Forsa/SPD) bezogen. Man müsste aber eigentlich ins tägliche Mantra einbinden, wie unqualifiziert die Settings der meisten “Erhebungen” sind. So etwas hätte ich im zweiten Semester Sozialwissenschaften um die Ohren gehauen bekommen. Macht aber nix, ist ja nur für die ‘politische Meinungsbildung’.

02.04.2006:

Die Nichtwählerschaft besteht zu immer größeren Teilen aus ärmeren und weniger gebildeten Menschen. Der Hartz IVer geht nicht hin, er hat die Hoffnung aufgegeben. Dieser Effekt, den man oberflächlich betrachtet als “Nebenprodukt” der Politik Schröders und seiner Nachfolger bezeichnen kann, weist auf die eigentliche Erosion sozialdemokratischer Politik hin. War es schon immer ein Fehler, Fürsorge in der Sozialpolitik auf finanzielle Hilfen zum Lebensunterhalt zu reduzieren, so schlägt nunmehr die Entwürdigung der Abhängigen voll durch und führt sie in die Depression. Der Skandal des Schröderismus besteht nicht in der Kürzung von Mitteln. Er manifestiert sich in der schikanösen Behandlung von Empfängern staatlicher “Almosen” und dem gegen sie ausgesprochenen Generalverdacht, sie seien faule Säcke und selbst schuld an ihrem Elend. Dieser fatale Trend bedeutet das (hoffentlich nur vorläufige) Ende der Sozialdemokratie in Deutschland.

Bis zur Schuld am Elend nichts Neues, das kann man allerdings auch gern öfter wiederholen, wer die letzte Stufe der Propaganda gegen Lohnabhängige – denn die sollen getroffen werden, ganz gleich ob sie noch lohnarbeiten dürfen oder nicht – gezündet hat. Inzwischen sind ja bald die meisten Europäer faul. Dann aber komm die Stelle, an der ich in der Magengrube erbleiche. Das steht da wirklich: Ich hoffte darauf, es möge wieder eine Sozialdemokratie entstehen, die sich um die Belange der Lohnabhängigen kümmert. Heute betrachte ich das als unerhört naiv und jenseits aller Erkenntnisse, die über den Sozialdemokratismus herrschen. Schmerzen!

 
schoibagol2Schäuble fordert Portugal zum Sparen auf. Das ist so unsagbar dämlich, dass es allein deshalb schon ungeheuer provoziert. Solche Kommunikationsbeiträge sind inhaltlich nicht mehr verwertbar, weil sie sich zu allen Grundlagen der Vernunft konträr verhalten. Sie verstoßen gegen die Logik, jede Erfahrung und die Gesetze der Sprache, in denen sie formuliert werden. Dem Troll ist damit Aufmerksamkeit sicher – die der empörten Gegner, die ein Dutzend Anlässe finden, sich zu echauffieren und die derer, welche einfach Freude daran finden, anderen eins auszuwischen. Kaum nötig darauf hinzuweisen, dass Macht und Ohnmacht hier allerdings sehr real sind und die Konsequenzen ebenfalls.

Südeuropa ist an der Austerität bereits zu Boden gegangen, jetzt wird ihr von den Zuchtmeistern aus Deutschland noch mehr davon verordnet, auf die am Boden Liegenden noch eingetreten. Die sperrige Vokabel “Austerität” hat sich übrigens durchgesetzt, weil es kompletter Unfug ist, von “Sparen” zu reden, wenn einer nichts hat. Die Propaganda aber suggeriert, diese Portugiesen, Griechen, Spanier wollten unsere Reichtümer verprassen. So hat früher nicht ganz zufällig Kriegspropaganda geklungen, das Niveau liegt daher auch ziemlich genau auf dem der nordkoreanischen Diplomatie.

Derweil wird innenpolitisch dasselbe getrieben, auch hier sind die Ärmsten der Feind. Es war in der Kriegspropaganda des zwanzigsten Jahrhunderts üblich, den Feind als Tier darzustellen, als Monster, das seine Krallen gegen das Vaterland ausgefahren hatte und zu bekämpfen war. Diese Darstellungsweise hatte vor allen zwei Ziele: Die Gefahr sollte betont werden und die Leute, die es zu vernichten galt, ihrer Menschlichkeit beraubt. Da die Nazis es damit dezent übertrieben hatten, ist dergleichen inzwischen nicht mehr das Mittel der Wahl. Trotzdem werden die europäischen Staaten, die am meisten unter der Krise des Kapitalismus leiden, als “PIGS” bezeichnet.

Der Krieg und seine Sprache

Entwürdigung geht heute anders. Man wiederholt endlos, ein Leben müsse sich durch Arbeit verdient werden, um den Umkehrschluss zu etablieren: Wer nicht arbeitet, soll verhungern (“muss auch nicht essen”). Trotz einer Arbeitslosigkeit, die regional einen regelrechten Kahlschlag bedeutet, werden nach wie vor die Opfer der Flaute zu Tätern erklärt. Dabei bleibt es freilich nicht, zumal in Deutschland, wo dem Urteil die Vollstreckung folgt, weil das eben Vorschrift ist. Die faulen Arbeitslosen müssen nahtlos überwacht werden und ihnen unverzüglich ihr Unwert nachgewiesen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Wer sich von denen krank meldet, kann ja nur der Faulpelz der Faulpelze sein. So etwas gehört sanktioniert, denen wird “zu Leibe gerückt“.

Auch hier dasselbe Resultat: Während die einen sich fragen, warum der Verlust der Arbeitsstelle ein so schweres Verbrechen darstellt, dass den Betroffenen nachgestellt wird wie gefährlichen Kriminellen, dröhnt von der anderen Seite der Applaus derer, die noch nicht so tief gefallen sind – umso lauter, je größer ihre Angst ist. Dahinter stehen dann die bezahlten Claqeure derjenigen, in deren Interesse die Verschleierung der wahren Ursachen liegt. Eine beachtliche kritische Masse an Lügnern, die einheizt. Dabei sparen sie an keiner Projektion und werfen alles, was sie an sich und ihrer Situation hassen, dem Feind vor.

Wie gesagt: Solcher Techniken bedienen sich Trolle, wenn man sie lässt. Sitzen solche Trolle in der Regierung, bewegen wir uns allerdings auf einem anderen Terrain. Das ist jener Weg, den wir angeblich nie wieder gehen wollten. Da sind Nazivergleiche vollkommen unangebracht.

 
Diesmal nicht, trotz gut gebrüllt: ‘Europa’ – Sie wissen schon, das ach so geeinte, weil nicht ‘sozialistische’, war immer “Marktwirtschaft”, also immer Kapitaleuropa. “Kein Freizeitpark für Finanzfaschos“? Dieser Analyse kann ich mich nicht anschließen. Sagen wir einmal so: Ein Spielplatz fürs Kapital war es, das Westeuropa, dem die “Union” folgte und selbige schon ein Vehikel der Finanzmarktfachexperten, zumal die “Zone”, in der der Euro die Wirkung seiner bizarren Konstruktionslöcher entfaltet. Sie wissen schon, die Hohlräume, in denen sich oh Wunder der ganze Sprengstoff angesammelt hat, der gerade detoniert. Die Finanzfaschos – und nicht nur die der Finanz – werden dabei wie von selbst losgelassen, das sind halt die ökonomischen und politischen Aasgeier, die kommen in dieser Phase immer angeflattert.

Frieden kann nicht an die Börse gehen“, fast richtig. Denn er hat seinen Preis, der Frieden, und wenn er an den Börsen zu teuer wird, wird er eben abgestoßen. Börsen können Frieden weder bringen noch erhalten. Sie sind der Freizeitpark des Kapitals, das nichts Vernünftiges zu tun hat. Unterstellen wir einmal , es gäbe das: Kapital, das sich vernünftig verhält. Dann ist das halt so, dass es zwangsläufig auch das Gegenteil tut. Zunächst vielleicht nur so zum Spaß. Spätestens aber, wenn es sich partout nicht mehr ‘vernünftig’ vermehren lässt, also durch Produktion und Konsum, beschäftigt es sich halt anders, und zwar verbrecherisch. Das geht legal und illegal, und so wird es dann auch gemacht. Legal wie illegal. Das ist keine Idee von “Finanzfaschos”, sondern die Dynamik des Kapitals. Die Arschgeigen, von denen Sie da sprechen, finden sich von ganz allein, wenn es soweit ist. Sie sind austauschbar. Es gibt sie immer und überall, und das Kapital lockt sie an wie das andere Zeugs die anderen Fliegen.

Schließlich zu Ihrem wichtigsten Halbsatz:”[...] statt über Banken, über alternative Finanzkreisläufe und neue Formen Geld anzulegen zu sprechen [...]“.
Neue Formen Geld anzulegen? Aus Geld mehr Geld machen, es quasi “arbeiten lassen”? Das tut weh. Genau das wollen sie doch alle, die Finanzfaschos, und hätten sie nur eine Idee, wäre eine Idee auch nur entfernt möglich, wie das Spiel weiterginge, man würde sie nur zu gern umsetzen. Aber es gibt diese Idee nicht, weil es sie nicht geben kann. Das Spiel ist aus, Frau Kiyak. Es braucht etwas völlig anderes. Trauen Sie sich, das zu denken. Und dann sagen Sie es!

 
fuboRoberto schreibt heute über Privatsphäre und die merkwürdigen Ansätze, die der Nutzung des Internets entspringen. Ich traf einmal eine Dame, die beinahe stolz verkündete, sie sei “post privacy” und ob ich wohl noch “privacy” wäre. Ich musste die Frage erst einmal mechanisch verarbeiten, fehlte mir doch spontan die Einsicht in deren Sinn. Dann fielen die Schuppen: Ach ja, Generation Facebook (die ist übrigens altersunabhängig) hat sich ein Label verpasst, um darunter jede Entwürdigung für cool zu verkaufen, die man da im Interesse geschäftseifriger Anbieter mitmacht.

Ein Musterbeispiel für das Management kognitiver Dissonanzen, zumal sich damit obendrein stumpfes Desinteresse, wahlweise völlige Inkompetenz, als fortschrittliche Einstellung zu Markte tragen lässt. Dass es gleich mit “Ich bin” eingeläutet werden muss, spricht Bände: Die postmoderne Lüge ist das “Ich”, weiter kommt das Subjekt gar nicht mehr, um sich vollständig in seinen marktkonformen Untergang einzukuscheln. Früher nannte man das “Verdinglichung”, heute wäre selbst das eine Verharmlosung. Wofür Generationen gekämpft haben – den Schutz der Privatsphäre vor der Macht des Staates – das opfern die Zombies des Kapitalismus willig der Markenbindung.

Stolz auf die eigene Entrechtung

Sie blicken nicht, welche Konsequenzen das hat. Teils reicht ihr Halbwissen dazu nicht, teils verschließen sie willentlich ihre Augen davor. Die Macht der Konzerne über die privatesten Belange der Massen birgt ein Potenzial, mit dem verglichen die Geheimpolizeien autoritärer Staaten Amateurclubs waren. Wie können sie ernsthaft glauben, auf lange Sicht bezweckten die Datenhehler damit etwas anderes als Erpressung? Ist Zuckerberg vielleicht einer von den Guten, ‘einer von uns’? Ist Google eine karitative Einrichtung und Payback der Weihnachtsmann?

Was das große Ganze bislang noch halbwegs rettet, ist die Flut der Daten. So viel kann noch kein Mensch auswerten. Dies ändert aber nichts daran, dass Massen von Einzelnen gläserne Bürger sind, jeder von ihnen berechenbar, erpressbar, manipulierbar. Dass so etwas möglich ist, dagegen haben wir auch in den letzten Jahrzehnten gekämpft, zum Beispiel gegen die Volkszählungen oder die Vorratsdatenspeicherung. Aber wir sind ja “privacy”, was so viel heißt wie gestrig, öde, spießig. Mir kommen diese psychedelischen Narren vor wie Leute, die T-Shirts mit dem Namen des Mafiosos tragen, der von ihnen Schutzgeld erpresst. “Ich bin post legality” ist das Motto. Wenn solche Leute dann auf irgendwelche Rechte pochen, wundern sie sich noch, dass die Antwort ein Stiefeltritt ist.

 
gauswester

Links: Das findet der Kommunist Gauß “normal”. Rechts: Die Korrektur durch den Bundesaußenminister

Was in gewissen Kreisen, zumal im Netz, als “Neusprech” bezeichnet wird, ist längst nichts Neues mehr, im Gegenteil: Es ist die völlig verkrustete Sprachverwaltung einer Ideologie, die sich seit Jahrzehnten der Realität verweigert. Daher sucht sie ständig Deckung vor dem Licht der Wahrheit und flüchtet sich in ihren absurden Code. Ihre eifrigen Anwender sowie deren Zulieferer aus den PR-Bordellen bewegen sich dabei in so engen Bahnen, dass ihnen bestenfalls Varianten des immer Gleichen einfallen. Die DDR wurde gut 40 Jahre alt. Das Geschwätz der Lambsdorff-Schröder-Westerwelles herrscht seit mehr als 30 Jahren. Ist das ein Zeichen?

Die Journaille assistiert nicht mehr bloß, sie ist eingebettet in die Produktion der Lüge, die natürlich nicht so heißen darf. Eines der skurrilen Tabus in der öffentlichen Debatte ist ausgerechnet das, einen Lügner “Lügner” zu nennen. Das heißt dann höflich-infantil “Unwahrheit”. Die hat sprachlich keinen Akteur, es gibt keinen “Unwahrheiter”. Wie praktisch!

So kommt es dann, dass ein Magazin unbeschadet behaupten darf, die FDP nehme eine “Debatte über soziale Gerechtigkeit an“. Das geschieht in der Form, dass die Sprechpuppe Westerwelle knarzt, es gehe um “Chancengerechtigkeit”, die “Mittelschicht” und nicht um “Umverteilung”. Dies – in Form von Steuererleichterungen – wiederum sei deren “Alternative”. Das Artikelchen hat kaum 20 schmale Spalten und doch geht so viel Lüge hinein. Wo soll man da anfangen?

Einfacher, niedriger, gerechter

Dieser Maximalblödsinn trifft auf eine halbgare Debatte über Armut und Reichtum, wobei die Faktenbasis längst unbestritten ist: selbst fast 80% der FDP-Anhänger wissen demnach, dass Reiche immer Reicher und Arme immer ärmer werden. Selbst die sind nicht so doof, das zu leugnen; warum dann die Funktionäre? Sie müssen Gauß für einen Kommunisten halten, der mit marxistischer Mathematik das Volk aufstachelt. Verteilung, so lernen wir, ist genau die Dynamik der Akkumulation. Jede Form von Ausgleich wäre “Umverteilung”. Allein die Röslers, Westerwelles und ihre kondebilen Trommelschläger leugnen den Klassenkampf und wollen das noch irgendwie “gerecht” finden.

Zu denen gehört selbstverständlich auch das Mastermind Günther Oettinger, der nicht mal den Flassbeck versteht und daher als EU-Bürokrat ausgerechnet die “Wettbewerbsfähigkeit” Deutschlands in Gefahr sieht. Man weiß es nicht: Ist das intellektuelles Versagen interstellaren Ausmaßes oder ebensolche Frechheit?

Ganz Gallien aber glaubt diesen fetten Pfaffen, und die journalistischen Ministranten gehen bei Fuß. Ganz Gallien? Nein. Stephan Hebel zum Beispiel bleibt standhaft und vergleicht den Austeritäts-Schäuble mit einem Mafiaboss. Warum zweifelt er bloß und stimmt nicht ein in die große Erzählung von der Chancengerechtigkeit, die da sagt: Wer arm ist, wird eines Tages die Reichen überholen. Er muss dazu die Reicheren nicht einholen. Er muss nur fest stehen im Glauben an die soziale Marktwirtschaft® und die demokratische deutsche Republik.

 
Mal ganz langsam. Ich saß eben hier, wo ich meistens sitze, wenn ich blogge und sah aus dem Fenster. “Endzeit ist langweilig”, dachte ich bei mir, denn das da draußen scheint alles so weit weg wie die berühmten “Tiere, die von weitem aussehen wie Ameisen”. Neulich wurde angeblich die Geige des Kapellmeisters der Titanic gefunden. Kinder, wenn das kein Omen ist! Die werden doch sonst nie unterbewertet. Aber Ruhe ist die erste und letzte Bürgerpflicht. Es herrscht mentale Egalität. Alles eins und nichts für ungut.

Zypern? Langweilig! Haben wir lange kommen sehen, wurde oft genug dementiert und musste also kommen. Klimakatastrophe? Iwo! Das hohe Handicap am Golfstrom ist doch kein Grund zur Sorge, das haben wir uns hart erkämpft. Wer will schon etwas von all dem wissen, was eh alle wissen, von dem aber niemand Gebrauch zu machen scheint. Gibt es dazu etwas zu sagen? Das will doch niemand hören.
Machen wir’s also einfach mal umgekehrt, und zwar wie die Verlautbarungsmaschine selbst: Dementieren wir einmal etwas, was dann hundertprozentig eintritt. Siehe oben.

Finden Sie den Fehler

Die unsympathischen Rechtsausleger der Henkel-Lucke-Bande sind auf dem Vormarsch, ihr Programm ist mager, aber explosiv: “Schafft den Euro ab!”, fordern sie und schlagen damit drei Fliegen auf einen Streich: Die Mehrheit der Wähler hat Sympathie für die D-Mark und hatte keine Zeit, sich auch nur annähernd an den Euro zu gewöhnen, ehe der zur Seuche wurde. Alles, was nationalliberal unterwegs ist – in anderen europäischen Staaten ein Erfolgsmodell – hat darauf nur gewartet, und wer die Augen aufmacht, muss konzedieren, dass tatsächlich alle anderen diese Lösung ausschließen, obwohl sie die einzig realistische sein könnte.

Das verkrustete Establishment von Grün bis Christlich verbietet sich kategorisch, die Fehlkonstruktion so zu nennen, so zu betrachten und entsprechende Maßnahmen auch nur zu denken. Sie vertreten die Gewinner des Freilandexperiments und haben den Anschluss an die Realität längst verloren. Und nun zu etwas völlig anderem:

Das historische Versagen der Linken, gewisse Kollegen würden es ein “Verkacken im Industriemaßstab” nennen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Euro hat sich seit seiner Einführung als ein Vehikel erwiesen geboren aus Betrug und Dilettantismus, Herrschsucht und Gier, kurzum: In der Spätphase des Nachkriegskapitalismus der Bagger, der das Grab aushob, in dem Demokratie und Sozialstaat verscharrt wurden. Wer wenn nicht die ‘Linke’ musste das kommen sehen? Wer wenn nicht die ‘Linke’ muss das analysieren, anprangern und dagegen vorgehen?

Linke Versager

Das aber ist nicht ihr einziges Versagen. Kann sich wer erinnern, dass es eine öffentliche Diskussion gibt darüber, was Sozialismus eigentlich bedeutet? Wie man ihn entwickeln kann und inwiefern er eine Alternative ist zur Alternativlosigkeit? Dass jemand sich die Mühe gemacht hat, Sozialismus als Konzept gegen den Irrsinn des Faktischen konkret in Stellung zu bringen? Dass die PdL irgend etwas anderes in ihren parlamentarischen Präsenzen veranstaltet hat als Machtspielchen und keynesianische, also erzkapitalistische Kaffeekränzchen? Ja richtig, die dilettantischen Äußerungen von Frau Lötzsch in bezug auf “Kommunismus”. Vielleicht wäre das sogar eine gute Möglichkeit gewesen, die durchaus existierenden Diskussionen endlich öffentlich zu führen und sich als inhaltliche Alternative zu präsentieren.

Nein, auch diese Truppe trommelt ihren Funktionären nach, die weder wirklich über Sozialismus sprechen noch den Euro anzweifeln dürfen. Dann gibt es nämlich Mecker von der Tagesschau, das kann man nicht riskieren. Also warten, bis jemand kommt, der es sich leisten kann, auf volksnahe Opposition zu machen. Fehlt nur noch einer mit Charisma. Bis dahin kämpfen wir wie die Löwen für ein bisschen Mindestlohn und ein paar Prozent Vermögenssteuer.

 
nlepdEr ist ein Paradoxon, der bürgerliche Arbeiter, und war es immer. Er ist eine Erfindung des Kapitalismus seit dem “New Deal” und damit einer jener Kunstgriffe, die ein System am Leben erhalten, dem Widersprüche nicht bloß zueigen sind, sondern quasi ein Markenkern. Jetzt hat sein letzter Kampf begonnen, und das ist nicht etwa der Klassenkampf gegen den Klassenfeind, sondern der um die letzten Plätze im Rettungsboot, das sich als Totenfloß erweisen wird. So ist das eben mit den ‘Rettungen’, die das Kapital zu bieten hat.

Man muss in die 30er Jahre zurückgehen, um das Phänomen zu skizzieren. Nach der ersten Phase des Zusammenbruchs kapitalistischer Systeme musste eine Variante her, die stabiler erschien. Weltweit brachen die Wirtschaften zusammen – Profitraten, Börsen, ‘Arbeitsmärkte’. Der Reset in den USA mit dem New Deal ging nahtlos in den Zweiten Weltkrieg über – und war vermutlich nur deshalb erfolgreich. Der Neubeginn war geprägt von einer Weltmacht USA, die (ebenso wie Deutschland kurzfristig) vor allem durch Hochrüstung und einen neuen Imperialismus den Raum für Wachstum schuf. Parallel dazu fand eine Umstrukturierung von Banken-, Steuer und Sozialsystemen statt. Ohne dies hier im Detail zu besprechen, änderte sich für die Arbeiter in den führenden Industriestaaten vor allem eines, nämlich eine stärkere Beteiligung am Reichtum und damit am Konsum.

Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher

In den USA, dem Land der Einwanderer und Eroberer, gab es damit einen weiteren Anschub für den Traum von Aufstieg. Nachdem die Phase der Eroberung der Neuen Welt endgültig beendet war und damit die Möglichkeit, durch Landnahme und Gründergeist zu leichtem Reichtum zu kommen, sollte nun immerhin durch ordentliche Löhne eine Beteiligung am kapitalistischen Spiel möglich sein. In Europa, vor allem Deutschland, entstand der Traum vom dauerhaften Aufstieg, Beteiligung an der Produktivität und ebenfalls die Aussicht, durch Fleiß, Glück oder Erfindergeist zu Reichtum zu kommen. ‘Jeder kann es schaffen’ war die große Erzählung, und alle glaubten das. Der Klassenkampf hatte (endgültig) Pause und wurde in den Kalten Krieg transformiert.

Der Arbeiter wurde somit zum neuen Kleinbürger, die Interessen des Kapitals waren scheinbar identisch mit seinen eigenen. Wenn das System nur läuft wie geschmiert, haben alle etwas davon: Immer mehr Lohn, Zinsen auf Sparguthaben, eine gigantische Auswahl an Konsumgütern. Obendrein fiel diese Phase in die gewaltiger Fortschritte in Produktivität und Technik: Automobilisierung, Fernsehen, Elektronik, Pharmakologie und anderes. Die Identifikation mit diesem Paradies für alle gelang flächendeckend. Auch Ölkrisen, Beschäftigungskrisen (u.a. durch Automatisierung) und bröckelnde Profitraten taten dem keinen Abbruch. Während das Kapital längst – spätestens seit den frühen 80ern – den neoliberalen Klassenkampf eröffnet hatte, wurde den Arbeitern suggeriert, ihr Glück werde nur ein wenig eingetrübt, bis die anstehenden ‘Reformen’ Erfolg zeitigten.

Klassenkampf ohne Gegner

Diese Phase dauert nun schon gut 30 Jahre an, etwa so lang wie die der Entstehung der bürgerlichen Integration der Arbeiter. Auf deren Seite ist aber kaum ein Erwachen zu erkennen. An die Stelle des Narrativs von der Beteiligung am Reichtum ist nichts Neues getreten. Die Propaganda singt das alte Lied von den goldenen Zeiten inmitten neuer Trümmerlandschaften und fügt die Strophe von den bösen Müßiggängern hinzu, die dem Glück im Wege stünden. Die Betroffenen scheinen keinerlei Gegenwehr zu leisten – nicht einmal in Form des Widerspruchs gegen die absurden Beschreibungen ihrer eigenen Wirklichkeit.

Die Desorientierung ist total. Während längst erschreckende Arbeitslosigkeit herrscht nebst ebensolcher Korruption und Entrechtung der Armen, ist keine Alternative ersichtlich, die man sich auch nur wünschen würde. Die alte sozialdemokratische Vorstellung vom glücklichen Arbeiter in einer ‘Sozialen Marktwirtschaft’ ist total gescheitert, was die Sozialdemokraten freilich als letzte bemerken würden. Anstatt den brutalen Klassenkampf auch nur zur Kenntnis zu nehmen, pflegen sie einen religiösen Wettbewerbswahn, der nur das vermeintliche Rettungsboot im Blick hat, während rundherum die Massen absaufen. “Hilfe” und “Rettung” sind die Titel für die Prügelei um die letzten Plätze auf dem Floß, dessen Passagiere sich am Ende gegenseitig fressen werden. Das ist der “Linksruck”, das bedeutet “Sozialdemokratisierung”. Die Frage an die Hinterbliebenen ist offen: Wohin treibt es uns?

 
Es war nie so simpel: Einfach mal Bargeld holen. Venceremos!

 
Bin ich jetzt uninspiriert oder nur uminspiriert? Also von der ursprünglichen Inspiration quasi abgefallen, um einer anderen anheim zu fallen. Die Urinspiration jedenfalls wird vermisst, wobei das jetzt nichts mit pinkeln zu tun hat. Das wäre dann eher so etwas wie Urininspiration, von der ich nichts zu berichten wüsste. Na jedenfalls bin ich eher auf Abwegen beschäftigt, weniger mit Bloggen, weil mir dazu jedenfalls in der mir bekannten Weise der Antrieb fehlt. Die Ideen auch. Soll ich etwa etwas über Zypern schreiben? Was sollte das werden? Zypern gibt es nämlich gar nicht.

Zypern ist das Bielefeld an der Grenze zum Postkapitalismus. Zypern ist unmöglich. Als ob! Als ob die Großbriten eine Flugzeugladung voller Bargeld irgendwo hin flögen, weil sie befürchten, die Bankomaten gäben kein Geld mehr heraus! Da hat sich Reuters aber einen ganz schönen Scherz ausgedacht, und natürlich verbreitet dieser Fefe das sofort, weil der ja nichts für sich behalten kann, was an verschwörerischem Nonsens so kursiert. Dabei wissen wir ja nun wirklich nicht erst seit Schäuble, dass der Euro sicher ist und die Kleinsparer auch und die Bäume und die Häuser und die Kühe.

Wo ist drüben?

Darum ist es auch ganz folgerichtig, die Leute, die da für Unfrieden und Unmut sorgen, ordentlich an die Kandare zu nehmen. [Bei dem farblich leicht unterschiedenen Teil des vorangehenden Satzes, zu finden rund um “an die Kandare”, handelt es sich nicht um einen Link, dem man vielleicht einmal zu folgen erwägen könnte. Es handelt sich vielmehr um einen gottverdammten Lesebefehl. säzzer] Muss man denn in schweren Zeiten auch noch unterm Deckmäntelchen der Kritik – Kritik üben?

Da nimmt es nicht wunder, wenn jemand zu Besuch kommt in der Dunkelheit und die staatsbürgerlichen Pflichten in Erinnerung ruft. Das geht am einprägsamsten, indem der Officer mit einigen geballten Fingern auf die Stelle weist, der die Verfehlung entsprang. “Den Finger in die Wunde legen” ist schließlich auch den Journalisten erlaubt, da wird man doch wohl einmal über Waffengleichheit reden dürfen. Dazu ist tatsächlich nichts mehr zu sagen und auch nicht zu dem, was dann noch folgt. Es geschieht nichts ohne Grund. Niemand wird ohne Grund zum Schweigen gebracht, verhaftet oder gezüchtigt, so ist das in der Demokratie. Wem das nicht passt, der soll doch dahin gehen, wo das anders gehandhabt wird.

 
loeza

Die Schere klappt immer weiter auf, genau wie die zwischen arm und reich: Es gibt Menschen, die sich täglich noch von Boulevard bis TV-Nachrichten umschmeicheln lassen, den Kanon in sich aufnehmen dessen, was gut ist und so bleibt. Sie sind die Mehrheit derer, die nicht wissen können, weil sie nicht wissen wollen warum und wozu. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die schon seit Jahren nicht mehr hören können, was von Anfang an gelogen war.

Vor allem von Vokabeln aus dem Mantra der Propaganda, Vokabeln wie “Rettung”. Opelrettung, Bankenrettung, Eurorettung, Griechenrettung, Zypernrettung, Kleinsparerrettung. Rettung aus der Not der “Krisen”, die genau so gelogen sind: Immobilienkrise, Bankenkrise, Eurokrise, Staatsschuldenkrise. Von einer unausweichlichen Phase des Kapitalismus keine Spur und auch kein Einsehen, dass eine Rettung keine gewesen sein kann, wenn danach die nächste und dann die übernächste und dann noch eine fällig wird. Nichts ist da zu retten. Zu retten sind am allerwenigsten diejenigen, die diesen Quatsch noch immer glauben.

Alles wird gut

Aber: Die Welt ist mindestens vierdimensional und so scheint es, als sei der Weg von einer Spitze der aufgeklappten Schere zur anderen gelegentlich kürzer als die Strecke dazwischen. Will heißen: Ich vermeine festzustellen, dass der Widerstand der Indoktrinierten geringer wird. Immer häufiger erfahre ich Zustimmung für meine ‘linksradikalen’ Analysen, wo mir vor wenigen Jahren noch der blanke Hass entgegengeschlagen wäre. Das ist das Faszinierende an der Ignoranz der Mehrheit: Sie hören die Botschaften und wiederholen sie sogar, verbinden sie aber immer weniger mit Überzeugung, wie auf Valium. Eigentlich hätte ich ja recht, aber. Lieber vereint im Falschen als zu früh auf der anderen Seite. Es wird schlimm genug, wenn alles für die Katz war, das muss man doch nicht schon vorher wissen.

Auch die Ideologie erstarrt in der Routine ihrer absurden Weltbeschreibung. Schon wieder gerettet, na und? Noch eine Krise – wen interessiert’s? Ein “Exportweltmeister” tödlich bedroht durch „globalen Wettbewerb“, na klar. Nach Jahren des Wachstums und des Verzichts müssen wir kürzer treten, egal. Gewerkschaft fordert Lohnzurückhaltung, who cares? Milliardäre mit Rekordgewinnen; wie wird das Wetter morgen? Eine Propaganda, die ihre Aufgabe ernst nähme, würde vierzehn Minuten Wetterbericht senden und dann kurz die Nachrichten. Aber wozu? Alles wird gut, sagt das Lächeln der Tagesschau.

Als die systemrelevanten Banken gerettet wurden, hieß es, es gäbe keine weiteren Steuergelder mehr. Als die Milliarden an Steuergeldern dann bereitgestellt wurden, hieß es, niemals gäbe es einen Schuldenschnitt. Als die Schuldenschnitte kamen und die Billionen bereitgestellt waren, hieß es, die ‘Spareinlagen’ seien das Wichtigste. Jetzt werden die ‘Spareinlagen’ rasiert, und wie nennen sie das? Richtig: “Rettung” und “vernünftig“. Die Verfechter dieses Systems bezeichnen es nicht nur als “rational”, sondern betrachten es meist als einzig rationales. Das ist nichts anderes als eine schwere Psychose. Dagegen helfen keine Argumente.

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