nlepdEr ist ein Paradoxon, der bürgerliche Arbeiter, und war es immer. Er ist eine Erfindung des Kapitalismus seit dem “New Deal” und damit einer jener Kunstgriffe, die ein System am Leben erhalten, dem Widersprüche nicht bloß zueigen sind, sondern quasi ein Markenkern. Jetzt hat sein letzter Kampf begonnen, und das ist nicht etwa der Klassenkampf gegen den Klassenfeind, sondern der um die letzten Plätze im Rettungsboot, das sich als Totenfloß erweisen wird. So ist das eben mit den ‘Rettungen’, die das Kapital zu bieten hat.

Man muss in die 30er Jahre zurückgehen, um das Phänomen zu skizzieren. Nach der ersten Phase des Zusammenbruchs kapitalistischer Systeme musste eine Variante her, die stabiler erschien. Weltweit brachen die Wirtschaften zusammen – Profitraten, Börsen, ‘Arbeitsmärkte’. Der Reset in den USA mit dem New Deal ging nahtlos in den Zweiten Weltkrieg über – und war vermutlich nur deshalb erfolgreich. Der Neubeginn war geprägt von einer Weltmacht USA, die (ebenso wie Deutschland kurzfristig) vor allem durch Hochrüstung und einen neuen Imperialismus den Raum für Wachstum schuf. Parallel dazu fand eine Umstrukturierung von Banken-, Steuer und Sozialsystemen statt. Ohne dies hier im Detail zu besprechen, änderte sich für die Arbeiter in den führenden Industriestaaten vor allem eines, nämlich eine stärkere Beteiligung am Reichtum und damit am Konsum.

Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher

In den USA, dem Land der Einwanderer und Eroberer, gab es damit einen weiteren Anschub für den Traum von Aufstieg. Nachdem die Phase der Eroberung der Neuen Welt endgültig beendet war und damit die Möglichkeit, durch Landnahme und Gründergeist zu leichtem Reichtum zu kommen, sollte nun immerhin durch ordentliche Löhne eine Beteiligung am kapitalistischen Spiel möglich sein. In Europa, vor allem Deutschland, entstand der Traum vom dauerhaften Aufstieg, Beteiligung an der Produktivität und ebenfalls die Aussicht, durch Fleiß, Glück oder Erfindergeist zu Reichtum zu kommen. ‘Jeder kann es schaffen’ war die große Erzählung, und alle glaubten das. Der Klassenkampf hatte (endgültig) Pause und wurde in den Kalten Krieg transformiert.

Der Arbeiter wurde somit zum neuen Kleinbürger, die Interessen des Kapitals waren scheinbar identisch mit seinen eigenen. Wenn das System nur läuft wie geschmiert, haben alle etwas davon: Immer mehr Lohn, Zinsen auf Sparguthaben, eine gigantische Auswahl an Konsumgütern. Obendrein fiel diese Phase in die gewaltiger Fortschritte in Produktivität und Technik: Automobilisierung, Fernsehen, Elektronik, Pharmakologie und anderes. Die Identifikation mit diesem Paradies für alle gelang flächendeckend. Auch Ölkrisen, Beschäftigungskrisen (u.a. durch Automatisierung) und bröckelnde Profitraten taten dem keinen Abbruch. Während das Kapital längst – spätestens seit den frühen 80ern – den neoliberalen Klassenkampf eröffnet hatte, wurde den Arbeitern suggeriert, ihr Glück werde nur ein wenig eingetrübt, bis die anstehenden ‘Reformen’ Erfolg zeitigten.

Klassenkampf ohne Gegner

Diese Phase dauert nun schon gut 30 Jahre an, etwa so lang wie die der Entstehung der bürgerlichen Integration der Arbeiter. Auf deren Seite ist aber kaum ein Erwachen zu erkennen. An die Stelle des Narrativs von der Beteiligung am Reichtum ist nichts Neues getreten. Die Propaganda singt das alte Lied von den goldenen Zeiten inmitten neuer Trümmerlandschaften und fügt die Strophe von den bösen Müßiggängern hinzu, die dem Glück im Wege stünden. Die Betroffenen scheinen keinerlei Gegenwehr zu leisten – nicht einmal in Form des Widerspruchs gegen die absurden Beschreibungen ihrer eigenen Wirklichkeit.

Die Desorientierung ist total. Während längst erschreckende Arbeitslosigkeit herrscht nebst ebensolcher Korruption und Entrechtung der Armen, ist keine Alternative ersichtlich, die man sich auch nur wünschen würde. Die alte sozialdemokratische Vorstellung vom glücklichen Arbeiter in einer ‘Sozialen Marktwirtschaft’ ist total gescheitert, was die Sozialdemokraten freilich als letzte bemerken würden. Anstatt den brutalen Klassenkampf auch nur zur Kenntnis zu nehmen, pflegen sie einen religiösen Wettbewerbswahn, der nur das vermeintliche Rettungsboot im Blick hat, während rundherum die Massen absaufen. “Hilfe” und “Rettung” sind die Titel für die Prügelei um die letzten Plätze auf dem Floß, dessen Passagiere sich am Ende gegenseitig fressen werden. Das ist der “Linksruck”, das bedeutet “Sozialdemokratisierung”. Die Frage an die Hinterbliebenen ist offen: Wohin treibt es uns?