Leute, zahlt ihr eigentlich immer noch Kirchensteuer? Weil ihr vielleicht noch mal den Arbeitgeber wechseln und dann bei den Kreuzhanseln anheuern wollt? Weil ihr euch nicht traut? Weil ihr dann in die Hölle kommt?
Bendedetto, der Allmerkbefreite, ruft zum Boykott von Amnesty International auf. Nun sind Katholiken ja besonders gute Heuchler, und Bigotterie ist ihnen quasi ins Taufbecken gelegt. Aber lohnt es sich im Jahr 2007 noch, ständig blöde Ausreden zu suchen, warum man noch “katholisch” tut?
Ihr habt ja recht, die Kirche ist nicht mehr die des Mittelalters. Sie ist auch nicht mehr die des Dritten Reiches. Sie segnet heute nur noch die Waffen der Guten, trägt zur Verbreitung von AIDS bei wie niemand sonst und deckt Kinderschänder zwar systematisch, aber nur, wenn’s unbedingt sein muß. Sie predigt Keuschheit, heuchelt den Zölibat und läßt Priesterfamilien ein unwürdiges Leben im Halbdunkel führen. Da hat sich doch einiges gebessert!
Amnesty ist böse, weil es Abtreibung nicht verdammt. Aha. Nicht etwa deshalb, weil es Regime kritisiert, mit denen sich der Klerus immer fein zu arrangieren weiß?
Katholiken, ihr unterstützt gottloses Unrecht. Aber das wißt ihr ja. Dann mal huschhusch zur Beichte, und nachhher ordentlich den Arsch versohlen lassen!
Kultur
Die Talkshows auf NDR (freitags 22:00-24:00 Uhr) sind allgemein nicht schlecht, besondere Erwähnung verdient 3 nach 9. Heute (also gestern) ragten zwei Gäste heraus: Peter Krämer, der die Hoffnung nährt, daß Unternehmer durchaus nicht immer semmelhohle Kapitalisten sein müssen, und Heiner Geißler, der ganz trocken vorrechnete, was eine schlichte Umsatzsteuer für Börsengeschäfte einbringen würde. Dazu später mehr in diesen Theater.
Wer am späten Abend die Sternfeuerung in die Hand nimmt, trifft allgemein auf bekokste Buzzeranbeter, Dauergerontensexwerbesendungen und sonstigen Medienschrott, der deutlich macht, warum öffentlich-rechtlicher Rundfunk die letzte Rettung vor der Verblödungsturbine ist, und man sollte es nicht unterschätzen! Daß derzeit ein Grimme-Preis für Blogger ausgelobt wird, bei dem Jurymitglieder sich selbst auszeichnen, ist zwar mehr als bedauerlich und offenbahrt die Inkompetenz der klassischen Medien, insbesondere der staatlich verwalteten. Dennoch ist darauf hinzuweisen, daß die Alternative “privater” Massenmedien noch viel grausamer ist und die wie auch immer kritikwürdigen staatlichen Anstalten bei allem die letzten Aufrechten in ihren Reihen haben. Die GEZ gehört abgeschafft, das muß ich hier nicht diskutieren. Aber wer der Abschaffung des Staatsfunks das Wort redet, sollte sich einmal klarmachen, was dann noch übrigbleibt.
Die gedopten Schweinehunde, die ihre Ärzte, Betreuer, Sponsoren, Teamchefs, Zuschauer, Funktionäre, Eltern und Trainer jahrelang betrogen haben, weil sie nicht ehrlich und mit menschlicher Größe ihr Fahrrad schieben können, gehören nicht in die menschliche Gesellschaft.
Zum vorläufigen Abschluß der Doping-Serie in diesem Blog zunächst eine Erklärung für diejenigen, die Radsport für irrelevant halten und sich fragen, was Feynsinn damit zu tun hat: Der Grund liegt in dem unerträglichen Blödsinn, der durch die Medien “kommuniziert” wird. Dem muß einfach widersprochen werden.
Heute komme ich zu der Konsequenz, die m.E. aus den gegenwärtigen Zuständen folgen sollte: EPO muß freigegeben werden. Dazu betrachte man zunächst das bisherige Vorgehen in Sachen “Doping”:
Es gibt allerlei erlaubte Substanzen wie Vitamin-und Nahrungskonzentrate, Kortison und Asthmamittel (diese nur in “Einzelfällen” auf Rezept, allerdings sind die meisten Radprofis merkwürdigerweise Asthmatiker). Darüber hinaus gibt es Mittel, die nur in einer bestimmten Konzentration erlaubt sind wie etwa Koffein. Eine Tasse Kaffee etwa ist erlaubt, aber Koffeindoping mit entsprechend hohen Konzentrationen eben nicht. Verboten sind auch andere Substanzen wie zum Besispiel THC (Cannabis), von denen man nicht wirklich eine leistungssteigernde Wirkung erwarten darf.
Unbekannte Substanzen sind nicht unbedingt verboten, aber auch nicht erlaubt. Da sie in der Regel aber nicht nachgewiesen werden können, ist es natürlich entsprechend reizvoll, damit zu experimentieren. Wird jemand beim Dopen erwischt, gibt es zunächst meist eine einjährige Sperrre, danach eine zweijährige oder gar lebenslänglich. Der Fleiß bei der Recherche nach den Wegen des Dopes zum Sportler hielt sich bislang eher in Grenzen. Der Fahrer wurde gehängt, und gut war’s. Erst die (über-)eifrigen spanischen Behörden haben daran etwas geändert. Danach haben sich die Teams, allen voran die Telekom, gegen die Fahrer versichert. Diese mußten unterschreiben, die Drogen nicht genommen zu haben, die das Team ihnen zuvor verabreicht hatte.
Derzeit outen sich viele ehemalige Fahrer, womit die Absicht des Auslösers, Bert Dietz, beinahe erfüllt wird: Das System fliegt als solches auf. Aber selbst im Angesicht der unumgänglichen Wahrheit mauern noch immer die allermeisten. Jenseits der deutschen Grenzen schweigt man noch immer eisern. Mitnichten wäre die Rede von flächendeckendem Doping, die Wirklichkeit hat noch immer keine Chance, Wahrheit zu werden.
Unter diesen Bedingungen geht es also weiter, wie zuvor schon: Doping ist Alltag, und die Fahrer haben zwei Möglichkeiten: Sie riskieren ihren Job, indem sie weiter dopen und vielleicht nicht geschickt genug vertuschen. Oder sie riskieren ihren Job, indem sie den weiterhin gedopten Konkurrenten das Siegen überlassen.
Das Ende dieses Systems wäre das Bröckeln der Mauer. Einzelne werden erwischt werden, einzelne werden ihr Schweigen brechen. Es werden diejenigen bestraft, die auffallen, der Rest bleibt unbehelligt. Der best mögliche Effekt wird der sein, daß EPO zu heiß wird und nicht mehr in dem Maße zum Einsatz kommt.
Und dann? Womöglich führen wir hier eine Diskussion, die längst überkommen ist, und eine andere Substanz steht oben auf der Hitliste. Womit das Spiel von vorn losgeht. Daß sich eine Alternative zu EPO findet, ist bestenfalls eine Frage der Zeit.
Was aber, wenn EPO freigegeben wäre?
Die Schummelei hätte schlagartig ein Ende. Man darf endlich über die Wirklichkeit reden. Transparenz würde zu einer echten Kontrolle führen. Man könnte sich über eine Obergrenze des erlaubten Hämatokritwertes einigen, was unmittelbar im Interesse der Fahrer wäre. Ob Höhenkammer, Training in Mexiko oder EPO – wurscht, wie ihr an die Erythrozyten kommt. Das Ganze könnte legal von Ärzten beobachtet werden, die dafür sorgen können, daß sich nicht jemand übernimmt. Niemand müßte Angst vor der Wahrheit haben und sich das Zeug im Hinterhof spritzen.
Solchermaßen Transparent, könnten die Fahrer ganz offen über neuartige Substanzen sprechen. Es gibt etwas besseres als EPO? Dann diskutiert man eben darüber, ob man die neue Droge anstelle der alten auf die Whitelist setzt. Jeder weiß bescheid, das ist kein Betrug. Und da EPO eine höchst wirksame Droge ist, wäre es sehr unwahrscheinlich, daß sich so schnell etwas besseres findet, das man heimlich einwerfen könnte. Eine ähnliche Diskussion kann man über Wachstumshormone führen und was da sonst noch im Rennen ist. Die Fahrer, die so ins Geschäft gekommen sind, dürfen bleiben. Sie wären sonst bis auf wenige Ausnahmen berufsunfähig. Die Zuschauer schließlich müßten sich nicht bei jedem Rennen fragen, wer noch immer gedopt ist und wer nicht.
Aber diese Variante würde ja der Heuchelei vom “sauberen Sport” den sudden Death versetzen. Die aktiven Heuchler an allen Fronten werden das vermutlich zu verhindern wissen, das ist wohl ihre Berufung.
Der Gedanke ist einfach, und er bedenkt wirklich die Konsequenzen. Wer etwas anderes will, soll deutlich machen, wie er sich das in der Realität vorstellt.
Zum Schluß noch eine Bemerkung zum fröhlichen Ullrich-Bashing. Der Mann weiß offenbar nicht, wie man mit den Medien umgeht. Seine Berater sind zum großen Teil Idioten. Ullrich mit seinen begnadeten körperlichen Voraussetzungen wäre der erste, der von einem dopingfreien Sport profitiert hätte. Aber das ist nicht die Welt, in der wir leben. Die Heuchler in den Redaktionen, die jetzt nach einem “Geständnis” schreien, verschweigen, daß er der einzige ist, der ein Strafverfahren an den Hacken hat. Hier ist das System von Verbieten und Bestrafen at it’s best: Da wird einer zum Schweigen gedrängt, obwohl die Wahrheit längst raus ist.
Wie spätestens seit den Berichten der Telekom-Radprofis Dietz und Henn klar ist und demnächst von Rolf Aldag bestätigt werden wird, [edit: just bestätigt worden ist] ist Erythropoietin spätestens seit 1995 ein beliebtes Dopingmittel. Die ersten Beweise gegen EPO-Doper gab es 1998 bei der Festina-Affäre. Durch eine Durchsuchung der Teamunterkunft kam man nach einer Denunziation dahinter. Betroffen waren u.a. die Tour-Helden Alex Zülle und Richard Virenque. Seitdem ist der “Skandal” Dauerzustand. Seit 2001 gibt es Verfahren, EPO durch eine Urinprobe nachzuweisen, seitdem gibt es aber auch Methoden, die Nachweisbarkeit im Urin zu verhindern. Der erste, den es meines Wissens durch den Test erwischte, war ein Fahrer des Euskaltel-Teams, es folgten in den nächsten Jahren Fälle bei Lampre, Kelme und Cofidis. Die nächste große Affäre, die ein Team betraf, war 2004 der Fall Phonak, hiervon betroffen mindestens drei Profis, u.a. der Klassementfahrer Tyler Hamilton. Das nächste Mal, bei dem es fast ein ganzes Team erwischte, war 2006 Liberty Seguros, hervorgegangen aus ONCE, und nach dem Rückzug des Sponsors übergegangen in Astana(-Würth). Dem Topfahrer, Alexandre Vinokourov, wurde erstaunlicherweise kein Doping nachgewiesen. Der langjährige Teamchef Manolo Sainz ist tief in den Fall verwickelt und mußte daher ebenfalls zurücktreten, der Teamarzt, Eufemiano Fuentes, ist Dr. Dope persönlich..
Der große Knall kam mit dem Fall Fuentes. Pünktlich zum Vortag des Starts der Tour de France 2006 (deren Sieger, Floyd Landis, des Dopings überführt wurde) wurden von der spanischen Polizei Ermittlungsergebnisse bekannt gegeben. Daraus geht hervor, daß einige Dutzend Fahrer von ihm dopingtechnisch betreut wurden, von denen mindestens 30 mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert sind. Anlaß der Untersuchung waren die Ermittlungen gegen den Top-Fahrer Roberto Heras, der des Dopings überführt worden war.
Zu Fuentes’ Kunden gehören beinahe alle aktuellen Spitzenfahrer:
Jan Ullrich, Ivan Basso, Jörg Jaksche, Alejandro Valverde, Joseba Beloki und viele mehr. Darunter auffallend viele Spanier, was dafür spricht, daß Fuentes außer der Weltspitze auch die Region versorgt hat. Daraus folgere ich, daß andere Spitzenfahrer, vor allem die Amerikaner und Australier, deshalb nicht zu seinen Kunden gehören und eigenes medizinisches Personal haben, wie bekanntermaßen ja auch das Team Telekom. Womöglich ist Ullrich zu Fuentes gegangen, weil der nicht so ein Dilettant war wie die Freiburger Ärzte. Auch nicht ganz unverdächtig ist übrigens das Team Discovery Channel, ehedem US-Postal, unter Leitung von Lance Armstrong. Seine ehemaligen Edelhelfer Hamilton und Heras sind überführt, ihm selbst wurde im Nachhinein zumindest für 1999 EPO-Doping per Probe nachgewiesen. Juristisch ist das strittig, als Beobachter kann man sich den Zweifel aber durchaus klemmen.
Neben den oben genannten Tourgrößen sind also weiterhin verdächtig Lance Armstrong und Bjarne Riis, der 1996 mit einem legendären Hämatokritwert auffiel, überlebte und nicht überführt werden konnte. Er leitet seit Jahren das Team CSC.
Damit sind also folgende Teams betroffen:
T-Mobile (Ex-Telekom), CSC, Discovery Channel, (Ex-US-Postal), Astana (ex-Liberty Seguros), Phonak, Caisse d’Epargne-Illes Balears, Saunier Duval-Prodir, ag2r Prévoyance, Gerolsteiner, Euskaltel, Lampre, Cofidis und weitere kleinere oder inzwischen aufgelöste Teams (wie etwa Kelme).
Diese Zusammenfassung ist nicht Ergebnis einer langen Recherche, sondern aus dem Gedächntis mit ein wenig Hilfe von Google zustande gekommen. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Irrtümer lasse ich gern korrigieren.
Ich frage mich nun allerdings, wie immer noch Leute durch die Gegend schleichen und Einzelfälle suchen können – seien es “einzelne” Fahrer oder Teams. Aber es gibt ja die tollen Journalisten, die alles aufklären, etwa beim WDR, dessen Intendantin sich heute zu folgendem erblödete:
“Gerade wir im WDR haben für die ARD eine neue Redaktion gegründet Anfang dieses Jahres – eine Redaktion, die sich mit nichts Anderem als mit Doping beschäftigt.[...] Und wir haben absolute Fachleute dort eingesetzt, die nichts Anderes tun, als sich dem Thema Doping zu widmen, damit wir es auch in der ARD-Berichterstattung deutlich machen.[...]
Das wäre für mich der Punkt, an dem deutlich wird, dass es wirklich keine Einzelfälle von überehrgeizigen Sportlern sind, Einzelfälle, die sich auch außerhalb der Kenntnis der Verantwortlichen abspielen, also mit irgendwelchen dubiosen Ärzten in anderen Ländern oder auch in deutschen Hinter-Praxen, sondern wenn klar würde: Das ist geduldet worden von den Verantwortlichen, das ist wirklich stillschweigend geduldet oder sogar unterstützt worden. Aber, wie gesagt, immer aktuelle Fälle und nicht alte Fälle.”
Verlogener geht’s wirklich nicht.
Mehr Feynsinn zum Thema:
Doping – Warum eigentlich nicht?
Der Radsport ist tot
Der Schwachsinn fährt weiter
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
22. Mai 2007 23:06
Nachdem mit Christian Henn ein weiterer ehemaliger Telekom-Fahrer vom Doping berichtet, sprechen die Reflexe wieder an. Es ist nicht zu fassen: Es wird tatsächlich wieder auf diejenigen eingedroschen, die verdächtigt werden oder sich outen, während das System nicht in Frage gestellt wird. Zwar ist das Thema “Amnestie” endlich im Gespräch, aber es findet sich sofort ein Moralkasper, diesmal in Gestalt des Grünen-Sprechers Winfried Hermann (Wer ist das? Was will der?), der mit allen Mitteln versucht, nicht zu viel Vernunft aufkommen zu lassen. Ernsthaft schwafelt der Mann, Ullrich solle der Toursieg aberkannt werden. Nur noch saubere Sportler wie Riis und Armstrong stünden dann in den Annalen – ein Kracher! Oder streichen wir gleich alle Ergebnislisten der letzten 20 Jahre? Der Oberdummbatz der deutschen Funktionärsszene, Rudolf Scharping, drischt derweil die altbekannten Phrasen von wegen “schnelle Aufklärung” und “ohne Ansehen der Person” – er wird der letzte sein, der kapiert, daß es nicht um Personen geht. Es gibt auch, Herrgottnochmal, keine Causa Telekom. Read my lips: It’s the system, stupid!
Wie immer sind die beteiligten Journalisten keinen Deut schlauer. Überall dieses unerträgliche Gefasel von “Sünder”, “Beichte”, “Schuld”, Betrug” und “sauber”! Es ist gibt kein Gut und Böse, keine Betrüger und Betrogenen, es gibt nur Leistungsdruck und dessen Wirkung. Jeder, wirklich jeder, der noch in den steinzeitlichen Kategorien von sauberem Sport und verwerflichen Dopingsündern denkt, ist nicht qualifiziert, sich am weiteren Disput zu beteiligen. Oder anders gesagt: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Schnauze halten!
Nein, es gab systematisches Doping im Radsport?! Da hättet ihr auch gleich jemanden fragen können, der sich damit auskennt.
Via Dr. Dean bin ich auf einen weitschweifigen Artikel von Klaus Merten gestoßen, der die “Lüge” ins rechte Licht zu rücken versucht und (v)erklärt, warum PR gar nicht so schlimm ist. Im Ganzen ist der Artikel langatmig, eine Melange aus kommunikationstheoretischen Versatzstücken und einem Plädoyer gegen die Wahrheit. Die Wahrhaftigkeit simulierende Aufforderung: “Die hier vorgetragenen Argumente sind mitnichten als Freigabe der Lüge, sondern statt dessen als Aufforderung zu einem bewussteren Umgang mit derselben zu verstehen” will ich wörtlich nehmen.
Tatsächlich gibt es Grenzen der Wahrheit, die nur durch Dogmatismus zu halten wären. Irgendwo wird’s relativ, und tatsächlich ist es nicht hilfreich, immer die ganze Wahrheit herauszuposaunen. Die gesellschaftskonzeptionellen Extreme von Wahrheit und Wahrheitsverzicht liegen im Einparteienstaat einerseits und in moderner PR andererseits. Das Oktoberparadebeispiel für die Dummheit der “Wahrheit” ist ihre Festlegung durch das herrschende Dogma. “Die Partei hat immer recht” – exakt das ist die Wahrheit der Realkommunisten, heute noch zu finden in Kuba und Nordkorea. Das Gute daran: Das Dogma bewegt sich nicht, es gibt also gar keine Lügen, sondern nur Verkündung und Ketzerei.
Kompliziert sind aufgeklärte Zivilisationen, in denen es einen Kampf um Erkenntnis gibt, insofern auch um Wahrheit. Liberal ist die Gesellschaft, die unterschiedlichste Modelle von Wirklichkeit frei gegeneinander antreten läßt. Um nicht zu einer psychotischen Kultur freier Lügner zu verkommen, bedarf die Konstruktion von Wirklichkeiten aber der Grenzen, die ihr im besten Fall ein sozialer Konsens setzt. Wie auch immer Wahrheit als begrenzte Wirklichkeit zustande kommt, sie ist natürlich weniger flexibel als Lüge. Lüge darf alles, Wahrheit recht wenig. Insofern ist die von Wahrheit abgekoppelte Kommunikation unschlagbar flexibel, schnell und effizient. Sie ist das perfekte Vehikel der beschleunigten Tauschwirtschaft – allerdings nur für den Täuscher und nur befristet. Fortgesetzte Täuschung nämlich führt zum Ausschluß aus dem Kreis der Tauschenden, sofern sie bemerkt wird.
Hier nun kommt PR ins Spiel. Sie ist im Idealfall die fortgesetzte Täuschung, die kein Mißtrauen erregt. Sie transportiert Inhalte frei von einer Bindung an ideelle Werte, mit denen sie freilich dennoch hantiert. Was gestern mit XY der Renner am Markt war, ist heute ohne XY der letzte Schrei im Umweltschutz. PR hat kein Gedächtnis, kein Gewissen, keine Pflicht. Sie ist das Gegenteil von Wahrheit, die wiederum an Rituale, Instanzen, Behörden, womöglich an Bürokratie gebunden ist. Das macht Wahrheit so träge und really not sexy. Der Reiz der Lüge und ihrer Professionalisierung ist also nachvollziehbar. Wer ihm erliegt, muß sich dennoch damit abfinden, daß er als Abschaum der Menschheit bespuckt und geächtet wird. Es geschieht ihm recht, und keine noch so geniale Kampagne kann das ändern.
Nach der Tour de Farce im letzten Jahr, die Resultat der Inszenierung einer spanischen Ermittlungsbehörde und ihrer Helfershelfer war, ist beinahe ein Jahr vergangen, und alles, was inzwischen passiert ist, hat dazu beigetragen, daß “Radsport” immer tiefer in den Sumpf des Irrsinns gerät. Jan Ullrichs Karriere ist ruiniert, derzeit ist Basso reif, und ihnen werden Tröpfchenweise weitere Helden der Berge folgen. Das Vorgehen ist abstrus: Eine ominöse Hitliste Verdächtiger (!) wird abgearbietet, wer dabei ist, ist Glücksache, und am Ende der großen Rundfahrten stehen Leute auf dem Podium, von denen jeder annehmen muß, daß sie im Nachhinein disqualifiziert werden oder halt besonders clever geschummelt haben. Während gegen die Fahrer das Prinzip “Schuldig bei ausreichendem Verdacht” gilt, wird das System noch immer nicht hinterfragt, geschweige denn fände sich auch nur einer, der ehrlich wäre.
Fakt ist, daß seit Jahren, vermutlich seit Jahrzehnten, niemand mehr die Tour de France gewonnen hat, der nicht gedopt war. Jeder Insider weiß das, aber alle tun so, als gäbe es “Einzelfälle”. Selbst die tapferen Nestbeschmutzer, die gegen (frühere) Kollegen aussagen, tragen also zur Verfälschung der Wirklichkeit bei. Die Leistungen, die die Großen des Radsports erbracht haben, zumindest bei den großen Rundfahrten, sind ohne Doping nicht möglich. Es waren aber diese unglaublichen Leistungen, an denen sich alle ergötzt oder bereichert haben: Teams, Sponsoren, Medien, Zuschauer und Ärzte. Die einzigen, die recht wenig davon hatten, waren und sind die Radsportler selbst. Ihnen wäre es recht, wenn sie sich nur quälen müßten und nicht auch noch chemisches Training bräuchten. Sie sind die ersten, die die Konsequenzen tragen, egal, ob sie erwischt werden oder nicht. Im Blickpunkt der ewigen Ermittlungen ist ein Arzt, der wohl gutes Geld am Doping verdient hat und beinahe alle Spitzenfahrer betreute. Er scheint gut gewesen zu sein. Die Fahrer haben ihm vertraut, und offenbar ist ihm keiner tot von Rad gefallen. Das spricht für ihn. Seltsam auch, daß nur dieser eine im Rampenlicht steht. Gab es sonst keinen? Ist es besser, zu einem Quacksalber zu gehen, der dieselben Mittel verabreicht, aber weniger kompetent ist? Wenn man nicht erwischt werden will, schon. Dunkeldoping ist angesagt.
Ich kann nicht verstehen, warum sich noch immer keine Fahrergewerkschaft findet, die dafür sorgt, daß die Szene endlich professionell arbeiten kann und der “Betrug” in geordnete Bahnen kommt. Was nicht wirklich nachweisbar ist, muß freigegeben werden. Generell muß Doping erlaubt sein, denn man kann es nicht verhindern. Eine rote Liste verbotener Substanzen soll es weiterhin geben, aber deren Nachweis muß unter sportlich tragbaren Bedingungen möglich sein. DNA-Tests und Hausdurchsuchungen gehören definitiv nicht dazu. Wenn man wissen will, wie Tests verbessert werden können, muß man wissen, wie sie verwässert werden. Das wissen die am besten, die es schon immer gemacht haben. Fragt sie! Eine Generalamnestie ist hier das einzige Mittel, um endlich die nötigen Informationen zusammenzubringen. Nur wenn die Opfer – die Fahrer – nicht zu Tätern gemacht werden, ist Aufklärung möglich. Nur in vernünftigen Grenzen ist der Kampf gegen Doping sinnvoll. Das heißt auch, daß er nur dann Sinn macht, wenn man ihn nicht endgültig gewinnen will.
Humor ist, wenn der Stammtisch lacht
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
28. Apr 2007 18:17
Wie auch der Öffinger feststellt, gibt es Bestürzung, Empörung, ja “Entsetzen” über eine satirische Aktion von Stefan Raab. Er stellt den Musiker Buskohl dar, wie ehedem Schleyer von der RAF abgebildet wurde. Das Thema “RAF aktuell” ist mir in dem Zusammenhang zu blöd, dazu wurde genug geschrieben. Was aber die Deutschen und den Humor anbetrifft, fällt mir einiges ein. Vorab: Ich mag Raab nicht. Sein Humor geht zu oft auf Kosten anderer, er ist flach, beliebig und proletenhaft. Gerade aber weil das nicht my cup of tea ist, liegt mir etwas an der Feststellung, daß auch solcher Humor zulässig und sicher nicht politischen Gesichtspunkten zu unterwerfen ist.
Der Öffinger stellt zurecht fest, daß sogar der Nationalsozialismus veralbert wird, hierüber ist die Empörung in der Tat übersichtlich. Auch dazu habe ich meine Meinung: Ich kann nicht darüber lachen, daß jemand wie Hitler herumschreit, sich ein Chaplin-Bärtchen anklebt und dann Belanglosigkeiten von sich gibt. Ich bin der Ansicht, daß derartiger Blödsinn verkennt, wo Satire aufhört und dumme Ignoranz beginnt. Letztere finde ich überflüssig, gelegentlich verdammenswert, aber für Empörung reicht das nicht aus.
Nun lag ich ganz zufällig gestern im Wachkoma vor dem Fernseher und durchlitt eine ungemein stumpfsinnige Rankingshow, in der demonstriert wurde, warum der deutsche Humor selbst dann todernst ist, wenn er gut ist. Da saß ein Freak wie Pocher auf einer Couch mit Loriot und Dieter Nuhr, da wurde jeder, über den jemals im TV gelacht wurde, gerankt, geränkt, gerenkt, und am Ende gewann Loriot vor Heinz Erhardt, wen interessiert das schon? Das Beste aber war die für das ZDF unerläßliche Moderation durch Johannes Baptist Kerner. Tiefsinnig und doch offenherzig, freundlich, aber gern auch sarkastisch, voller Selbstironie und Souveränität. So kennen wir den Deutschen Humor, so kennen wir auch die Sportreportagen und die Talkshow Kerners leider nicht. [edit] Und so hat er die Granden und Sternchen des Deutschen Humors denn in seiner bekannt desinteressierten Art öffentlich verwaltet. Fragen ohne Sinn und Verstand, ein Abfertigen der Befragten, das Zuhören nicht vorsieht, schleimiges Getue, mit dem ein hellwacher alter Mann wie ein Schwachsinniger angesprochen wurde, und überhaupt: Völlig humorfrei zog der Talkinator das Ding bis zum bitteren Ende durch.
Was lernen wir daraus? Es gibt durchaus witzige Deutsche und sogar eine Menge mit Humor. Aber das geht nur gut, solange alle, die Lachen, über dasselbe lachen. Man ist gern unter sich und pflegt den reinrassigen Humor. Wer es hingegen wagt, mit seinen abartigen Vorstellungen eines abweichenden Humors an die große Öffentlichkeit zu gehen, kann sich des Zorns und der Verachtung aller anderen sicher sein.

