Nach der Tour de Farce im letzten Jahr, die Resultat der Inszenierung einer spanischen Ermittlungsbehörde und ihrer Helfershelfer war, ist beinahe ein Jahr vergangen, und alles, was inzwischen passiert ist, hat dazu beigetragen, daß “Radsport” immer tiefer in den Sumpf des Irrsinns gerät. Jan Ullrichs Karriere ist ruiniert, derzeit ist Basso reif, und ihnen werden Tröpfchenweise weitere Helden der Berge folgen. Das Vorgehen ist abstrus: Eine ominöse Hitliste Verdächtiger (!) wird abgearbietet, wer dabei ist, ist Glücksache, und am Ende der großen Rundfahrten stehen Leute auf dem Podium, von denen jeder annehmen muß, daß sie im Nachhinein disqualifiziert werden oder halt besonders clever geschummelt haben. Während gegen die Fahrer das Prinzip “Schuldig bei ausreichendem Verdacht” gilt, wird das System noch immer nicht hinterfragt, geschweige denn fände sich auch nur einer, der ehrlich wäre.
Fakt ist, daß seit Jahren, vermutlich seit Jahrzehnten, niemand mehr die Tour de France gewonnen hat, der nicht gedopt war. Jeder Insider weiß das, aber alle tun so, als gäbe es “Einzelfälle”. Selbst die tapferen Nestbeschmutzer, die gegen (frühere) Kollegen aussagen, tragen also zur Verfälschung der Wirklichkeit bei. Die Leistungen, die die Großen des Radsports erbracht haben, zumindest bei den großen Rundfahrten, sind ohne Doping nicht möglich. Es waren aber diese unglaublichen Leistungen, an denen sich alle ergötzt oder bereichert haben: Teams, Sponsoren, Medien, Zuschauer und Ärzte. Die einzigen, die recht wenig davon hatten, waren und sind die Radsportler selbst. Ihnen wäre es recht, wenn sie sich nur quälen müßten und nicht auch noch chemisches Training bräuchten. Sie sind die ersten, die die Konsequenzen tragen, egal, ob sie erwischt werden oder nicht. Im Blickpunkt der ewigen Ermittlungen ist ein Arzt, der wohl gutes Geld am Doping verdient hat und beinahe alle Spitzenfahrer betreute. Er scheint gut gewesen zu sein. Die Fahrer haben ihm vertraut, und offenbar ist ihm keiner tot von Rad gefallen. Das spricht für ihn. Seltsam auch, daß nur dieser eine im Rampenlicht steht. Gab es sonst keinen? Ist es besser, zu einem Quacksalber zu gehen, der dieselben Mittel verabreicht, aber weniger kompetent ist? Wenn man nicht erwischt werden will, schon. Dunkeldoping ist angesagt.
Ich kann nicht verstehen, warum sich noch immer keine Fahrergewerkschaft findet, die dafür sorgt, daß die Szene endlich professionell arbeiten kann und der “Betrug” in geordnete Bahnen kommt. Was nicht wirklich nachweisbar ist, muß freigegeben werden. Generell muß Doping erlaubt sein, denn man kann es nicht verhindern. Eine rote Liste verbotener Substanzen soll es weiterhin geben, aber deren Nachweis muß unter sportlich tragbaren Bedingungen möglich sein. DNA-Tests und Hausdurchsuchungen gehören definitiv nicht dazu. Wenn man wissen will, wie Tests verbessert werden können, muß man wissen, wie sie verwässert werden. Das wissen die am besten, die es schon immer gemacht haben. Fragt sie! Eine Generalamnestie ist hier das einzige Mittel, um endlich die nötigen Informationen zusammenzubringen. Nur wenn die Opfer – die Fahrer – nicht zu Tätern gemacht werden, ist Aufklärung möglich. Nur in vernünftigen Grenzen ist der Kampf gegen Doping sinnvoll. Das heißt auch, daß er nur dann Sinn macht, wenn man ihn nicht endgültig gewinnen will.