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Mai 2011


Mo hat sich ein wenig umgeschaut, Mrs. Mop hat mich auf folgendes aufmerksam gemacht. Wer mehr Quellen oder Informationen hat zu den Protesten im Südwesten, möge dies in den Kommentaren kundtun.

 
peerstRecht interessant ist die Funktion sogenannter “Referenten-Makler“, die unter anderen Prominenten Rednern natürlich auch Politiker vermitteln. Diese quatschen ihren Quatsch im Auftrag der Maklerei und werden dafür fürstlich entlohnt. Schaut man sich beim “Bundestagsradar” zum Beispiel um, findet man unter den Nebeneinkünften solche, die über derartige Agenturen abgewickelt werden. Damit geht wiederum ein Teil der Transparenz verloren, denn wer den Vortrag bestellt und bezahlt hat, wird so nicht deutlich.

Bildquelle: Peter Schmelzle

Peer Steinbrück etwa ist Großkunde von “London Speaker Bureau”, neben “Celebrity Speakers” eine große Nummer im Business, deren Polit-Talker übrigens auffällige Überschneidungen mit der INSM aufweisen. Schelm, der ich bin, denke ich mir etwas dabei. Dass für solche Vorträge obszön hohe Summen bezahlt werden, versteht sich von selbst. Und wenn sogar Edmund “in den Bahnhof einsteigen” Stoiber noch Geld bekommt für die Strapaze, die er seinem Auditorium unterzieht, kann mir niemand mehr erzählen, das stünde in irgend einem Bezug zur abgelieferten Leistung.

Leider erfahren wir nicht, ob die Zuhörer ebenfalls entschädigt werden. Das wäre vielleicht ein weiteres Modell, um unseren Parlamentariern das Joch allzu großer Unabhängigkeit zu ersparen. Warum nicht gleich das Ganze im Reichstag abfrühstücken? „Diese Sitzung wurde Ihnen präsentiert von der Finanzsturmabteilung Drücker&Berger“.

Wie wir aber wissen, fängt Korruption im Kleinen an. Hier zum Beispiel. Da mein Halbtagsjob mich schon dauernd krank macht, ist mehr nicht drin und ich kann jeden Euro gut brauchen, der hier reinkommt. Vor einigen Monaten hatte ich pillepalle PayPal aus der Sidebar genommen, aus Gründen. Die sind zwar immer noch vorhanden, und sogar flattr hat inzwischen eine Alternative dazu eingerichtet: Moneybookers, der Laden, in dem Thomas Middelhoff Aufsichtsratsvorsitzender ist. Da kommste ja vom Regen in die Traufe.

Da die Spenden zuletzt stark eingebrochen sind, bin ich aber so freidemokratish und mache einen faulen Kompromiss und setze PillePalle wieder ein. Ich werde in der Hölle schmoren, in der Abteilung gleich über der, wo die Affiliate-Partner von Amazon brutzeln. Ach ja, und wer es mit mir und der Welt gut meint, kann mir auch immer noch eine Mail schreiben und nach den Kontodaten fragen.

Selbst eine Parteiendemokratie, die weitgehend auf Alternativlosigkeit gebaut ist, kann einem ganz schön blöd kommen. Niemand kann es besser wissen als die FDP-Funktionäre, dass ihre Klientel allein sie nicht in die Parlamente wählen kann. Das sind einfach zu wenige. Zuletzt scheinen die Wirtschaftsliberalen doch glatt vergessen zu haben, dass Korruption eine Fassade braucht. Eine Pizzeria ohne Tische und Stühle, ach ja, und in der es gar keine Pizza gibt, ist zur Geldwäsche nicht ganz so gut geeignet. Ähnlich verhält es sich mit der FDP: Kein Programm, keine Themen, nicht einmal halbwegs attraktive Lügen sind mehr auf Lager. Wer soll so etwas wählen?

     senke

Wir sind keine Ein-Themen-Partei“, meint der neue Vorturner Rösler. Richtig, Kollege. Hieße es doch “Thema” im Singular, aber selbst das findet sich nicht. Welches Thema denn auch?
Selbst zum Namen seiner Partei, auf den sich Rösler in seiner Verzweiflung beruft, fällt ihm nichts ein. Freiheit, das ist wenn man Fleisch essen darf, ohne dass einem die Vegetarier auf den Keks gehen. Da hat doch einer das Ohr am Puls der Zeit.

Der Mann, der vor einem knappen Jahr noch erklären konnte, wieso höhere Beiträge mehr Nettolohn ergeben – weil gleichzeitig die Steuern wichtiger Klienten gesenkt werden – hat also erkannt, dass Steuersenkungen, die nicht einmal stattfinden, kein Wahlkampfschlager mehr sind. Was er nicht erkannt hat: Die Substanz seiner Partei ist (meist) legale Korruption. Das Programm allein dazu angetan denen zu geben, die schon reichlich haben. Rösler scheint der erste Vorsitzende zu sein, der das tatsächlich nicht weiß.

Vom Bock zum Gärtner und zurück

Westerwelle hat es sich zu einfach gemacht und zu bequem. Der letzte und größte Erfolg ein Paradoxon im Geld/Politik-Kontinuum: Die Finanzkrise hat den Bock ein letztes Mal zum Gärtner gemacht. Ausnahmsweise waren es aber einmal offenbar die Wähler, die den Politikern eine Falle gestellt haben. Der Bock wird geschlachtet, nachdem ihm – sogar zurecht – die Schuld auferlegt wurde für das ganze Desaster. In dessen kopflosem Kadaver sucht der Veterinär wider Willen jetzt nach Material, das noch irgendwie brauchbar aussieht. Ob Klonen hilft?

Die FDP hat geschafft, was zuvor der SPD schon gelungen war: Sie weiß nicht mehr, wer sie noch wählen könnte und wer die Geschichten erzählen soll, die da draußen noch wer glaubt. Auf Stein gebaut haben diese Experten schon lange nicht mehr, und zuletzt fliegen ihnen auch noch die billigen Kulissen um die Ohren.

Dazu gehört übrigens auch das Märchenschloss von den “Bürgerrechten”. Die sind alles andere als ein “Alleinstellungsmerkmal”, der eh nur so genannten “Liberalen”. Im Gegenteil, da sei nur an Ingo Wolfs Verfassungsschutzgesetz in NRW erinnert oder an all die rechten Scharfmacher, mit denen sie schon koaliert haben. Nein, die “Freiheit” der FDP ist allein die des Privateigentums. Irgendwer hat das ausgeplaudert. Das ist ihr Problem.

jesterEigentlich wollte ich immer Kabarett machen. Oder wenigstens Satire. Mit fiel aber schon bald nichts mehr ein, das ich als solche noch hätte verkaufen können. Der Fehler lag vor allem darin zu denken, Satire hätte etwas mit Überhöhung zu tun. Als könnte man quasi, nachdem man erkannt hat, was ist, das Ganze ein wenig überspitzt darstellen und damit zugleich kritisch und komisch wirken. Sehr schnell musste ich zugeben, dass eine satirische Überhöhung der meisten relevanten Vorgänge in Politik und Gesellschaft gar nicht möglich ist. 1982 hätte man noch denken können, ein Witz über den Tölpel Helmut Kohl könnte komisch sein. 1998 habe ich dann eine Art Requiem geschrieben mit dem Titel “politisches Gedicht”, das nur aus den Jahreszahlen der Ära Kohl bestand.

Am Ende landet man oft bei Nazivergleichen. Wenn man schlecht ist , freiwillig; wenn man gut ist, unfreiwillig. Ich ließ mir dann eine Parodie auf alles gleichzeitig einfallen: Ein Typ, der sich als kritischer Historiker versteht und eigentlich ein glühender Nazi ist, ohne das selbst zu bemerken. Grandiose Satire, dachte ich, bis die Figur zum Leben erwachte und unter dem Namen “Guido Knopp” diverse Fernsehpreise und das Bundesverdienstkreuz einheimste.

“Völlig absurd”

Ich ließ mir die irrsten Sachen einfallen. Zum Beispiel das Ende der Kohl-Ära durch den Sieg der Sozialdemokraten. Habe ich mir einen Quatsch zusammen phantasiert: Einen Sozen-Kanzler, der Arbeitslose schikaniert bis aufs Blut. Lässt Gesetze von einem Industriemanager machen, der seinen Betriebsrat korrumpiert, indem er ihn in den Puff mitnimmt. Einen SPD-Vorsitzenden, der unter dem Beifall seiner Genossen ausruft: “Wer nicht arbeitet, muss auch nicht essen”. Einen SPD-Sozialexperten, der eine neue Rassentheorie auflegt und dabei von Ausländern schwafelt, die Erbgutschäden in die Gesellschaft tragen. Das wurde alles abgelehnt, die Verlage meinten, das sei “völlig absurd” oder “fanatisch übertrieben”.

Also trat ich die Flucht nach vorn an und setzte noch ein paar drauf. Vier Parteien, die alle von der Finanzindustrie korrumpiert worden waren, unterstützt von der gesamten deutschen Presse. Den “Spiegel”, das Sturmgeschütz der Demokratie, habe ich umgedreht und zum Kampagnenblatt der bürgerlichen Rechten gemacht in meiner großen Posse. Ich habe die komplette Parteienlandschaft weit nach rechts verlagert und ließ in meiner Polemik die Presse das ganze als “Linksruck” verkaufen. Die Verleger nannten dies eine “billige Posse ohne jeden Bezug zur Realität”.

Das Ende ist nah

Ich strickte weiter an meiner lustigen Dystopie, ließ den Vorstand der NPD und überhaupt die ganze Partei durchseuchen vom Verfassungsschutz. Ein Verbortsverfahren scheiterte in meinem Roman daran, dass man nicht mehr wusste, wer V-Mann war und wer einfach nur ein Nazi.
Dann wurde ich international: Ein tumber Alkoholiker als US-Präsident, der die Folter wieder einführte und Lager für Rechtlose einrichten ließ. Sein Nachfolger ein Schwarzer, der mit dem Versprechen die Wahlen gewann, das wieder rückgängig zu machen – und dann selbst weiter foltern und morden ließ.

Ich erfand einen korrupten Mafia-Nazi als Regierungschef in Italien, der mit der Erbin Mussolinis paktierte, rechtsradikale Parteien wie die “echten Finnen”, die “wahren Dänen” und die “ungern umzäunten Ungarn”. Eine Wirtschaftskrise, in deren Folge völkische Parteien die Parlamente dominierten und so weiter, das, was halt inzwischen niemanden mehr überrascht. Und siehe da: Es findet sich ein Verleger, der das alles in Ordnung findet, unter der Bedingung einer winzigen Ergänzung allerdings. In der jüngsten Version verbünden sich die Nationalen mit der Linken und verbieten die Gewerkschaften. Vor dem neuen “Nationalkommunismus” gibt es dann nur noch eine Rettung: Die Front freiheitlicher Demokraten. Die sorgen für die Wiedereinsetzung von Marktwirtschaft und Demokratie. Der neue Kanzler der Einheit ist ein Habsburger. Ich frage mich jetzt zwar, wer das noch komisch finden soll, aber man muss ja auch irgendwann einmal zum Schluss kommen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, nach Weisheit im Neoliberalismus zu suchen, nach Wahrheiten, die in seinen Konzepten stecken: Entweder man hat sehr viel Geduld und interpretiert so lange herum, bis etwas Brauchbares herauskommt, oder man erstellt ein Negativ. Wenn man alle Kernaussagen umkehrt, kommt man der Wirklichkeit sehr nahe.

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Zum Beispiel die Forderung nach “Entbürokratisierung”, die Teil des Konzeptes “schlanker Staat” ist. Zur ‘Verschlankung’ – Drücken der ‘Kosten’ und Privatisierung von Staatseigentum – ist an anderer Stelle bereits viel gesagt worden. Was nun die Entbürokratisierung angeht, so mag man ja jedem zustimmen, der gegen Papierkrieg und einen Dschungel sinnarmer Vorschriften ist. Allerdings sind die Segnungen der Bürokratie häufig das Resultat der Arbeit eben jener neoliberalen Lobby, die öffentlich so vehement dagegen spricht. Dazu nur zwei Beispiele:

Dem Amtsschimmel die Sporen geben

Wer sich einmal mit den Sozialgesetzbüchern befasst hat und der daraus resultierenden Praxis für die Antragsteller von Leistungen, wer also die Hartz-Gesetze kennt und den Alltag von Arbeitslosen, kann nur müde kichern, wenn von Entbürokratisierung die Rede ist. Hartz, McKinsey und Roland Berger haben eine Bürokratie in eine kontrollwütige Bürokratie umgewandelt.

Schaut man sich auf der anderen Seite das Marken- Patent- und Urheberrecht an, kann man nur verzweifeln angesichts der völlig unsinnigen Rechts- und Anspruchspraxis, des behördlichen und gerichtlichen Wütens auf Veranlassung durch private Unternehmen. Das Beispiel der Kartoffelsorte Linda ist da nur eines von tausenden. Es sind nicht die Bürger und der Staat, die hier dem Amtsschimmel die Sporen geben, es sind private Interessenvertreter.

Das ist ein weiteres Detail, anhand dessen sich belegen lässt, dass die Konzepte, Behauptungen und Slogans neoliberaler Weltanschauung einer Überprüfung in der Praxis nicht standhalten. Sie entpuppen sich vielmehr als Zerrbilder, als Karikatur einer politisch-wirtschaftlichen Wirklichkeit. Schlimmer wird es allerdings noch, wenn man sich mit den Leitmotiven befasst, vor allem mit der offensiven Lobpreisung sozialer Ungerechtigkeit. Auf die Spitze getrieben hat dies die glühende Antikommuistin und CDU-Politikerin Lengsfeld mit ihrem Motto “Freiheit statt Gerechtigkeit”.

Lob der Ungerechtigkeit

Der Popanz eines “Kommunismus” dient hier der Etablierung angeblicher Alternativlosigkeit: Die oder wir, so oder Schießbefehl. Dabei offenbart sich längst die Notwendigkeit (aus dieser Sicht) sozialistischer Elemente im Staatsgefüge, ohne die eine demokratische Gesellschaft ebenso wenig existieren kann wie eine Wirtschaft, die nicht offen in Sklavenhaltung übergeht. Eine bizarre Ironie, dass der Sozialismus aus den Ruinen des Neoliberalismus aufersteht.

Die vollständige Entsolidarisierung, der totale Wettbewerb, “Freiheit” in Form maximaler Ungleichheit, dieses Konzept ist nicht nur aus sozialer Perspektive eine Katastrophe, sondern ebenso aus wirtschaftlicher. Dass diese Ideologie nicht nur antisozialistisch ist, sondern ebenso anti-bürgerlich, können auch die semantischen Kunststückchen nicht kaschieren, die noch irgendwie von “Gerechtigkeit” oder “Gleichheit” als der von “Chancen” fabulieren. Das gleiche Recht, dem anderen auf den Kopf zu treten, ist nicht mehr gleich, wenn der Ameise ein Elefant gegenüber steht. Die Weigerung, den Wettbewerb als solchen zu beschränken und durch ausgleichende Elemente einzudämmen, ist der Untergang dieser Ideologie.

Chermany – ein fataler Erfolg

Sozial oder sozialistisch sind hingegen Konzepte, die auf solchen Ausgleich bedacht sind. Nur die allerdümmsten denken dabei an eine totale Gleichheit, und von Orwell wissen wir ohnehin, dass dann immer noch manche “gleicher” sind. Sinnvoll ist hingegen ein liberaler Sozialismus, der seinen Bürgern die Freiheit gibt, sich zu engagieren und nach ihrer Fasson zu leben, dabei aber stets eine Balance im Auge hat, die nicht ganze Bevölkerungsschichten oder gar Völker entmachtet. Dabei ist es unerheblich, ob diese Macht militärischer, politischer, wirtschaftlicher oder sonstiger Art ist. Sie gehört eingeschränkt.

Was hingegen geschieht, wenn Wettbewerb unausgeglichen stattfindet, zeigen nicht bloß Einkommenspyramiden oder Machtverhältnisse, in denen verschwindende Minderheiten auf Kosten der Mehrheiten leben. Gerade die ganz unskandalösen und vordergründig als ‘Erfolg’ betrachteten Phänomene zeigen deutlich auf, dass die Idee vom Guten des Wettbewerbs grandioser Unfug ist.

Was China und Deutschland sich erlauben, wird zunehmend selbst von erzkapitalistischen Wettbewerbsanhängern als fatal erkannt. Deren Außenhandelsbilanzen sind ein toller Erfolg, das wird ja vor allem uns Deutschen nach wie vor so präsentiert. Ausgerechnet dieser “Erfolg” aber ist ein Sargnagel jenes globalen Wettbewerbs, von dem “Chermany” derzeit so profitiert.
Ich wünschte, ich lebte in dem Jahrhundert, in dem die Menschheit aus solchen Prozessen endlich etwas lernt.

 
brdbanaDer Neoliberalismus ist leiser geworden in den letzten Jahren. Seit der Bankenkrise darf man zaghaft von “Kapitalismus” sprechen, seit der Eurokrise werden Exportrekorde nicht mehr ganz so triumphierend abgefeiert, seitdem in vielen Branchen Mindestlöhne als nationale Selbstverteidigung gelten, wird die Lohndrückerei ein wenig subtiler betrieben. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Praxis der Ideologie weiterhin die Lage bestimmt, und zwar wirtschaftlich ebenso wie sprachlich.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank frohlockte gestern, die Exporte könnten in 2011 “die Billion knacken”. Nach alter Weisheit helfen die Gewinne der Wirtschaft ja auch den Beschäftigten, nach ebenso alter Wahrheit ist das Gegenteil der Fall. Es kann passieren, was will, die Reallöhne sinken. Wer den Gürtel nicht mehr enger schnallen kann, der möge sich doch bitte ein Armband um die Taille legen.

Zwiesprechexperten

Kein Witz ist übrigens, dass die Bundesregierung Zwiesprechexperten beschäftigt, deren Aufgabe in der Färbung unangenehmer Begrifflichkeit besteht. “Hartz IV” klingt hässlich, nennen wir es doch besser “Chancenförderungsgesetz” oder “Chafög”. Weitere Vorschläge meinerseits: Sanktion bzw. Leistungskürzung heißt ab sofort “Minuserhöhung” und Ein-Euro-Jobs “Lohnhobby”.

Nein, das Pack muss gedrillt werden, aber nach außen hin bleibt der Schein gewahrt, es handele sich hier um reine Menschenfreundschaft. Und während die Existenz immer häufiger das Minimum nicht wert ist und darunter gekürzt wird, werden schamlose Bereicherung und Korruption weiterhin nach Kräften gefördert. Wer ein Beispiel für wirklich eklige Schmiermittel zur Steuerflucht braucht, lese dies hier über Exxon Mobile Spain. Hauptsache, der Hartzer kriegt nichts mehr zu rauchen.

Augen zu, Hand auf

roeslerraEines der größten Probleme dieses unseres Landes ist bekanntlich das völlige Fehlen von Korruption. Da müssen natürlich Anreize her, und der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages hat großartige Ideen dazu. In Tranchen von 9999 Euro zerlegt, kauft man den Abgeordneten danach zukünftig ohne die Gefahr lästiger Nachfragen. Den wirklich wichtigen Amtsträgern schustert man dann auch schon mal ganz unauffällig ein Milliönchen zu. Das geht niemanden etwas an.

Alles wie gehabt: Hand auf, Augen zu und aufgepasst beim Postenschacher. Eigentlich wollte ich noch etwas sagen zu den unqualifizierten Politclowns einer drei-Prozent-Partei. Oder zu der Frage, seit wann der Zahnarzt die Bundesminister einsetzt. Lassen wir das, wir wollen schließlich nicht als unseriös gelten.

 
duchamp“Kranke Verzweiflung” will ein Kommentator festgestellt haben in meinen Artikeln. Ich fühle mich weder krank noch verzweifelt, muss aber zugeben, dass mich gewisse Zustände nicht eben optimistisch stimmen und es immer schwieriger wird, das Reale noch satirisch zu kommentieren. Der fröhliche Faschismus ergreift schleichend Besitz von Europa, jedenfalls war Demokratie gestern, und was vorgestern war, ist wieder groß im Kommen.

Wenn man Hildegard Hamm-Brücher zuhört, könnte man ins Schwärmen geraten von der guten mittelalten Zeit, der Zeit, als viele aus dem Grauen etwas gelernt zu haben schienen und es sogar in der CSU Antifaschisten gab. Dazu muss man die sozialliberale Ära übrigens keineswegs glorifizieren. Es reicht ein Blick auf die Gegenwart, um zu erkennen, das demokratische Gesinnung mega-out ist bei denen, die sich zur Wahl stellen und bei furchtbar vielen, denen es ausreicht zu wissen, wo der Feind wohnt.

Der Anti-Terror-Spuk …

Aktuell lispelt die Kanzleuse unentwegt das neue Wort, das ihre PR-Berater ihr eingetrichtert haben, in jedes verfügbare Mikrophon: “Mindestspeicherung”. Der Begriff, in den die Werbefuzzis, denen die Politik überschrieben wurde, alles Wichtige hineingelegt haben: Mindestforderung, Vorratsspeicherung, alternativlos. Und doch klingt es gar nicht schlimm und wurde vom Bundesverfassungsgericht in dieser Formulierung noch nicht abgewatscht. Inhaltlich ist die Idee nach wie vor grundgesetzwidrig. So wie fast alles aus der Schmiede der bleiernen Kanzlerin.

Die Legitimation für den Anti-Terror-Spuk soll wieder einmal die EU liefern. Dabei ist der Vertrag von Lissabon ausdrücklich nicht dazu geeignet, die Vorgaben der nationalen Verfassungen außer Kraft zu setzen. Überhaupt, die EU und der Terror: Zwar interessiert sich offenbar nur die TAZ für den ungarischen Staatsfaschismus und dessen Ausgestaltung im Alltag. Wäre es aber nicht durchaus die Aufgabe der EU-Mitgliedsstaaten, dazu wenigstens Stellung zu beziehen? Ungarn gehört in und mit dieser Verfassung nicht in die EU.

… und der Staatsterror

Terror und Willkür sind der Kern des Orbán-Regimes und seiner Putsch-Verfassung. Ich will nichts hören von einem “Antiterror”, den die EU fordert, so lange Faschisten vie Orbán dazu gehören. Dass Italien immer noch daran laboriert, seinen Duce loszuwerden, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass in Europas Regierungen niemand die Eier in der Hose hat, sich dem Schlimmsten entgegen zu stellen. Schönwetter-Reden und “Kritik” an der Lage der Menschenrechte in China, das ist alles, was sie zustande bringen.

Das kann einen krank machen oder verzweifelt, aber so weit bin ich gar nicht. Es steht mir nur nicht zu Gesicht, die Wut, die mich angesichts dieser erbärmlichen Simulation von Politik überkommt, in Geifer zu verzaubern. Dass dabei ein manchmal dadaistischer Humorersatz ans Tageslicht tritt, kann ich mir durchaus nachsehen. Me absolvo.

There are going to be many more questions raised after the release of these videos, because there have been videos and images in the past that were thought to be of bin Laden, but some of those turned out to be fake.

(Noch viel mehr Fragen kommen auf nach der Veröffentlichung dieser Videos, denn es gab in der Vergangenheit Videos und Bilder, von denen gedacht wurde, sie seien von bin Laden, aber einige davon haben sich als Fälschung erwiesen.)

Wo mag solch kritisches Hinterfragen noch zu lesen sein in diesen Tagen? In keiner deutschen Zeitung, schon gar nicht beim nationalen Kampfnachrichtenmagazin, das nur noch “er war es, erwar es” schreit und schon lange nichts mehr fragt, das es nicht schon vorher wusste.

Der in diesem Punkt unermüdliche Heribert Prantl weist derweil darauf hin, das die “Überprüfung” der sogenannten “Antiterrorgesetze” auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit gänzlich verzichtet. Was ist das aber für eine Prüfung, die darauf fokussiert, ob Maßnahmen, welche sich nicht mehr um gesetzliche Einschränkungen scheren, “effizient” sind? War das nicht eher die Voraussetzung? Oder werden Bürgerrechte nur zum Spaß eingeschränkt? Die Antwort darauf wird wohl eine interne Ethikkommission des BKA geben.

Dabei ist das alles gar nicht nötig. Muss man Angst vor einem Pöbel haben, der auf die Barrikaden geht? Wohl kaum, es sei denn, man geht in ein Fußballstadion. Da setzt der proletarische Klassenkämpfer ganz klare Prioritäten: Bürgerrechte einschränken, den Sozialsstaat zersägen, wahllos Kriege führen, das ist in Ordnung, so lange die “Klasse erhalten” wird. Die im Spielbetrieb der Fußballiga. Niemand hat die Absicht, die Commerzbank zu stürmen. Im gleichnamigen Stadion hingegen tobt der Mob. Die Griechenkrise ist ein Stürmer namens Gekas, und der Terrorfürst heißt Uli Hoeneß. Guten Abend, das Wetter.

Als er gestern bei “Spiegel Online” die Überschrift las: “Das gefährlichste Foto der Welt”, die sich auf den mutmaßlich zurückgehaltenen Schnappschuss des just als Verlust gemeldeten Usama B. bezog, war er sofort begeistert: “Das ist genau der Journalismus, der die Menschen interessiert. Sie wollen Nachrichten mit Unterhaltungswert. Da müssen Geschichten erzählt werden, in die man sofort einen Einstieg hat. Sex, Krimi, Hitler, das ist es, was ein Nachrichtenmagazin ausmacht.

roleitKnopp griff sofort zum Hörer seines Schellacktelefons und rief in der Chefreaktion auf der Brandstwiete an. Dort saßen Georg Mascolo und Mathas Müller von Blumencron über ihren taufrischen Angeboten von Fox News und berieten über eine würdige Nachfolge.
“Wenn Real Madrid ruft, bleibst du nicht in Mailand”, sagte Mascolo Später und freute sich wund über die Anfrage von Deutschlands klügstem Historiker. Man wurde sich schnell einig. “Das war wie ein Blitzkrieg“, scherzte der Geschichtsexperte.

Knopp brachte gleich zwei Vorschläge mit, die ihn auf der Stelle zum Liebling der Redaktion gemacht haben: “Warum reden wir so kompliziert von Osama, Usama oder wie auch immer? Was bei Saddam geklappt hat, klappt bei Bin Laden erst recht. Reden wir doch vom neuen Hitler, lassen wir das Sperrige ‘neu’ gleich gleich weg, dann haben wir zwei Dutzend brandaktuelle und doch zeitlose Titel!

Ulfkotte Vizechef

Damit nicht genug, hat er den Terrorismusexperten Udo Ulfkotte für den neuen “Spiegel” gewinnen können. “Man muss eine persönliche Beziehung zum Thema haben“, meint Knopp, “die großen Emotionen reinbringen. Das kann der Udo wie kein anderer“.
Das zensierte Foto hat der Verlag ebenfalls vorweg veröffentlicht (siehe oben). Der “Spiegel” traut sich, wofür andere den Mut nicht aufbringen.

Der Aufmacher der nächsten Ausgabe wird dann auch gleich ein Kracher werden: “Ferien bei Hitlers” macht den Besuch von Osamas Wolfsschanze in Pakistan schmackhaft. Ein großer Coup, meint Knopp, denn das verbindet Spitzenjournalismus mit aktiver Entwicklungshilfe und sorgt für potente Anzeigenkunden. Während die Konkurrenz auf breiter Front einbricht, zeigt das kritischste Nachrichtenmagazin der Welt wieder einmal, warum es stets die Nase vorn hat.

Ich weiß, dass es nicht klug ist, seinen Namen zu nennen und die reaktionären Hetzartikelchen zu beachten, die er schreibt. So etwas ignoriert man gemeinhin, schreit der Humbug doch eh nur nach Aufmerksamkeit. Einer Diskussion ist so etwas nicht würdig. Dennoch muss gelegentlich gezeigt werden, wie er funktioniert und auch muss gelegentlich darauf hingewiesen werden, wie der “Spiegel” zum Kampfblatt der antidemokratischen Rechten geworden ist.

Dass dabei nicht nur eine demokratische Kultur unter die Räder kommt, sondern gleichermaßen das Niveau journalistischer Argumentation, ist kein Zufall. Man muss kein Aufklärer sein, um zu erkennen, dass Propaganda Dummheit befördert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass eine bauernschlaue Verdrehung von Fakten letztlich ins Chaos führt. Wer sich stets die Wirklichkeit so zurecht lügt, dass sie in die Gesinnung passt, muss irgendwann die Orientierung verlieren. Danach ist nur noch Parolen dreschen, die sich immer weiter von dem entfernen, was man noch sehen und hören kann.

Chat Atkins hatte neulich ein Beispiel zerpflückt, das ich noch mit der Empfehlung kommentierte, er solle Fleischhauer besser gar nicht erst ignorieren. Aber vielleicht ist es richtig, jeweils ein Mal den groben Unfug als das zu benennen, was er ist. Nur Schweigen ist auf die Dauer auch keine Option.

Recht als Mittel der Vergeltung

Nun hat sich der Besagte aufgeschwungen, das Strafrecht als Mittel der Vergeltung zu proklamieren. Kein Scherz. Das kann man tun, wenn man ein rechter Hanswurst ist und lieber den Kreislauf der Rache installiert, anstatt zu versuchen, Kriminalität wirklich einzudämmen. Das nämlich ist der Sinn der Resozialisierung. Sie ist der effektivste Opferschutz, den wir kennen, denn rückfällige Täter schaffen sich eben immer neue Opfer. Wenn also drakonische Strafen zu hohen Rückfallquoten führen, ist deren Forderung eine Förderung der Kriminalität. Leute wie Fleischhauer wollen mehr Opfer, nicht weniger.

Die von ihm vorgebrachten Scheinargumente vom Recyclinghof sind dem gemäß. Hauptbeleg: In den 60ern habe es noch viel mehr Freiheitsstrafen gegeben. Seine Formulierung ist ganz nebenbei falsch, denn sie suggeriert, von 1968 auf 1969 (“bis 1968 …, seitdem stabil”) sei die Zahl der JVA-Insassen um 100.000 auf 70.000 gesunken. Es wäre hier durchaus relevant, in welchem Tempo und aufgrund welcher Effekte die Zahl so gesunken ist, dass sie seit den späten 70ern relativ stabil ist. Für den Rechtskonservativen ist natürlich klar: Die Ideologie der 68er ist schuld, und das ist eben schlecht.

Es gibt immer mehr als einen Grund, wenn man aber genauer hinschaut,wird es zu kompliziert für Propaganda. Das macht keinen Spaß. Zum Beispiel hatten wir in den 50er und 60er Jahren noch überall die original Nazirichter im Amt, die erst allmählich durch anders geschulten Nachwuchs ersetzt wurden. Soll deren brutale Justiz also das bessere Vorbild sein?

Nackte Zahlen sagen gar nichts

Und was sagt die Abnahme irgend einer Zahl eigentlich aus? Schauen wir uns den internationalen Vergleich an: Da spielt Deutschland in keiner extremen Liga, außer bei den registrierten Betrugsdelikten, was sich aus der Statistik allein auch nicht erklären lässt.

Die Extremisten unter den Industriestaaten sind, wer hätte das gedacht, die USA und Russland. Bei denen ist nicht nur die Quote der Knackis extrem hoch. Das Verhältnis der registrierten Straftaten zu den Inhaftieren ist erschreckend. Wer dort vor Gericht landet, hat beste Chancen, auch verurteilt zu werden. Das ist wohl die Welt der Fleischhauers. Am besten versorgen wir das Volk dann noch mit Waffen, und wir können wieder ruhig schlafen.

Die verlinkte Statistik zeigt überdies, dass die blanken Zahlen kaum etwas hergeben. Einige Extremwerte bedürfen unbedingt der Erklärung. Wenn in vergleichbaren Ländern die Werte um das hundert- oder tausendfache abweichen, kann man nicht davon ausgehen, dass hie ein Hort des Bösen ist und dort das Paradies. Von den hohen Werten bei Vergewaltigungen in Schweden wissen wir seit Assange immerhin, woran das liegt. Ohne intensive Betrachtung der Hintergünde aber sind solche Zahlen wertlos.

Dummheit als Markenzeichen

Kommen wir aber zum Kern der Sache, die den Reaktionär leider nicht interessiert. Sein Hinweis, dass in “der Heimerziehung und Intensivpädagogik etwas furchtbar schiefläuft“, ist tendenziell richtig. Seine Behauptung, dies liege an zu milden Strafen, ist aber blanker Blödsinn. Diese stellen nämlich das Ende des Prozesses dar, die Ursachen liegen weit davor. Da hat eine “Reform” der Gewerbesteuer, die die Kommunen ausblutet, viel Schlimmeres angerichtet als je ein Jugendrichter vermochte.

Zu wenige Maßnahmen, die vor allem zu spät ergriffen werden, zu wenig Personal in den Jugendämtern, keine Freizeitangebote, keine Prävention, schlecht bezahlte Arbeitskräfte et cetera et cetera. Eine Kommune, die pleite ist, hangelt sich von einem Haushaltsjahr zum nächsten. Die Kinder- und Jugendhilfe wird dabei auf breiter Front kaputtgespart. Das ist das Resultat jenes schlanken Staates, den die Strafverschärfer meist in derselben Aktentasche tragen. Das wollen sie freilich nicht wissen, und ihre Leser sollen es nicht wissen. Dummheit ist hier Markenzeichen.

Dass Fleischhauer dann Karl Binding zitiert, seinen Gewährsmann für die Strafe als “Wunde”, das passt schon. Vielleicht hat er sich zuvor an dessen Werk “Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens” ergötzt. Das ist ja jetzt wieder hoffähig, man darf doch sicher mal darüber reden?

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