Archiv

Januar 2010


Im Rahmen der Eroberung des öffentlichen Sprachgebrauchs durch die neoliberale Propaganda haben sich einige Vehikel durch stetige Wiederholung durchgesetzt, deren Funktion in der Aushöhlung von Sinn und Bedeutung ganz generell besteht. Die inhaltsleeren Floskeln werden an die Stelle einer ausdrucksfähigen Sprache gesetzt, um nur diejenigen Assoziationen zuzulassen, die das propagierte Weltbild stützen. Der Nichtbegriff der “Eigenverantwortung” transportiert die Behauptung, jeder sei seines Glückes Schmied, und wer sich seiner “Eigenverantwortung” entzöge, sei faul und verhalte sich parasitär. Er stehe damit seinem Glück und dem anderer im Wege. Genau dafür wird er “verantwortlich” gemacht: Er ist eben selbst schuld.

Auf diese Weise leugnet der Begriff jede Wirkung eines Systems. Die wirtschaftliche Lage und deren Entwicklung, Möglichkeiten und Hindernisse durch eine gesellschaftliche Struktur, die Verteilung von Vermögen und Einfluß – das alles wird durch dichten Nebel verhüllt, während unterstellt wird, jeder Einzelne könne frei entscheiden, ob er sein Schicksal selbst bestimmt oder sich auf den Schultern anderer tragen läßt.

Allein das Verhältnis offener Stellen zu möglichen Berwerbern überführt dieses Konstrukt bereits seiner Lächerlichkeit, soweit es um Arbeitslose geht. Noch krasser tritt der Widerspruch zwischen Propaganda und Realität zutage, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß weitere Millionen nicht oder nur auf äußerst niedrigem wirtschaftlichem Niveau von ihrer Arbeit leben können. In welcher Welt leben diejenigen, die so tun, als seien “faule Arbeitslose” ein relevantes Problem?

Das ist freilich nur die eine Seite einer wahnhaft absurden Lüge. Noch irrwitziger wirkt der semantische Selbstmordanschlag “Eigenverantwortung”, wenn man die beschuldigten Marktversager denen am anderen Ende der ökonomischen Nahrungskette gegenüberstellt: Die “Leistungsträger” – womit nichts anderes gemeint ist als Bezieher hoher Einkommen, ganz gleich, was jemand dafür faktisch leistet – nehmen nämlich jederzeit jene Systemwirkung für sich in Anspruch, die sie sonst so vehement leugnen, und zwar, um sich selbst, ihr Verhalten, ihr Versagen und ihre Fehlentscheidungen damit reinzuwaschen.

Hohe Boni trotz riesiger Verluste, explodierende Vermögenszuwächse bei schrumpfender Wirtschaftsleistung, zweistellige Gewinne bei stetig sinkenden Reallöhnen – das ist halt ‘Business’, und ausgerechnet diejenigen, von deren Tun der Lauf dieser Dinge abhängt, sind dafür nicht ‘verantwortlich’. Dort ist es dann die Globalisierung und der Zwang des Wettbewerbs.

Dieser Wettberwerb soll nach derselben Ideologie allerdings stets gefördert werden, wobei der Zwang, der daraus resultiert, vor allem im Herdentrieb der Anleger und Investoren besteht. Diese sind ganz zufällig dieselben, die solchen Zwang immer behaupten, um ihn zu verlängern. Der Anspruch auf Rendite wird schließlich genau von solchen “Leistungsträgern” gestellt, die den ‘Eigenverantwortlichen’ da unten immer predigen, man müsse sich des Wachstums wegen eben nach der Decke strecken.

Die Kampflyrik des Neoliberalismus, die in solchen Begriffen gerinnt, bewirkt solchermaßen die Moralisierung gegebener Verhältnisse. Diese entfaltet eine doppelte Wirkung:
Erstens wird die Realität beliebig drehbar und Fakten jederzeit im Sinne der Ideologie interpretierbar. Zweitens steht von vornherein fest: Jeder kriegt, was er verdient. Reichtum und Armut sind von Gott und der Marktwirtschaft nach ihrem Vorbild so geschaffen worden. Wer keine einträgliche Arbeit hat, lebt eben nicht gottgefällig. Schlimmer sind noch die, die nicht arbeiten wollen. Sie sind Heiden und fallen der Verdammnis anheim. Am schlimmsten aber sind diejenigen, die nicht bloß leugnen oder sündigen, sondern die heilige Mutter Marktwirtschaft anzweifeln und ihren Namen mißbrauchen. Sie sind die Ketzer, denen jede Erlösung und der Zutritt zum Tempel vewehrt bleibt.

[update: epikur hat einen Hinweis auf seinen Artikel zum Thema gut versteckt. Ich fand ihn dennoch.]

WDR2 meldet heute den Fall eines Vertrags, den die Stadt Bonn mit einem Entsorgungsunternehmen geschlossen hat und der nicht angemessen ausgeschrieben worden war. Der Europäische Gerichtsshof verlangt nun unter der Androhung drakonischer Strafzahlungen, daß der Vertrag aufgelöst wird. Der WDR macht darauf aufmerksam, daß sich Ähnliches bereits in Rostock ereignet hat. Das dort betroffene Entsorgungsunternehmen verlange “darum in einer ersten Reaktion rund 100 Millionen Euro Schadenersatz”.

Auf den ersten Blick klingt das alles wie ganz normale Korruption, die man vor allem am Rhein in bezug auf die Entsorgungsbetriebe bereits gewöhnt ist, und man könnte denken, es sei gut, daß dem jetzt ein Ende gemacht wird.

Auf den zweiten Blick fällt einem dann aber wie in Slowmotion der Kitt aus der Brille.
Da schließt eine Stadt mal eben einen Vertrag ohne entsprechende Ausschreibung, für den die Bürger über Jahrzehnte bluten müssen – in Bonn 18 Jahre, in Rostock 25 Jahre. Man weiß nicht, was die freundlichen Partner aus der Entsorgungsbranche den Entscheidungsträgern dafür Gutes tut, die Müllprofiteure haben aber ganz sicher auf Basis eines rechtswidrigen Vertrags viel unverdientes Geld eingesackt.

Da sich jetzt herausstellt, daß das eben so nicht weitergeht, machen die Freunde öffentlicher Mittel ihren “Schaden” geltend – und verlangen im Rostocker Fall bescheidene 100 millionen Euro als Wiedergutmachung für den geplatzten Klüngel. Das Rechtsempfinden des ohnehin schon geprellten Melkviehs, das jetzt doppelt abgezockt werden soll, läßt ihm den Saft im Euter gefrieren. Nicht etwa die der Korruption verdächtigen Dilettanten auf städtischer Seite sollen haften und schon gar nicht die andere Seite des sinistren Paktes. Wäre es nicht durchaus angebracht, von der Müllmafia das Geld zurückzufordern, das sie zu unrecht über Jahre kassiert hat? Wäre nicht sogar ein Strafverfahren gegen alle Beteiligten das Mittel der Wahl?

Nein, private Unternehmen und ebensolches Eigentum sind unantastbar. Die Gebühren zahlenden Opfer dieser Deals sollen zitternd ihr Haupt beugen und ihren monetären Peinigern auch noch Blutgeld hinterher werfen.
Eine Bürgerschaft, die nicht völlig sediert durchs Leben schlufft, würde darauf beharren, daß öffentliche Gelder nicht für illegale Müllverbrennung doppelt verheizt werden und stattdessen eine öffentliche Müllverbrennung in die Wege leiten – in den Betrieben, von denen sie nach dem gelungenem Betrug auch noch erpreßt werden.

Feinsinnige Satire bietet die “Zeit” heute in einem Posting, das als Meldung zu spekulativ und als Artikel zu wenig informativ ist. Die Wortwahl ist großartig, obwohl damit zu rechnen ist, daß die kunstvoll darin eingewobene Ironie purer Zufall und eben keine Absicht war. Mark Schieritz durfte ein paar Zeilen tippen, hier das Resultat:

Künftig könnten Banken für staatliche Rettungsaktionen stärker zur Kasse gebeten werden. Die Bundesregierung diskutiert bereits konkrete Modelle.

Wo andere längst die Kelle schwingen und sie der Kanzleuse um die Ohren hauen, um ihr die Untat ihrer Untätigkeit strafend deutlich zu machen, kratzt Herr Schieritz mit dem Skalpell ein wenig an der Hornhaut des Sitzfleischs. Ei, wie das kitzelt!
Die Kombination “diskutiert bereits” ist vom Besten, das das deutsche Kabarett bislang zur Deregulierung beigetragen hat. Wenn das so weitergeht, werden nach der übernächsten Dauerkrise ernsthafte Konsequenten angedroht. Dann brennt aber der Baum im Hause Ackermann!

Die FR bringt heute einen weiteren Sample über den Korrumpator Koch heraus sowie ein Update zum Steuerfahnder-Skandal. Gleichzeitig erinnert Telepolis an den Wahlsieg Ypsilantis, der ihr von einer wildgewordenen “Öffentlichkeit” und Verrätern aus der eigenen Partei genommen wurde, um eine der widerwärtigsten Figuren der deutschen Politik im Amt zu halten.

Zentral war dabei das Wort vom Wortbruch, das in den verlinkten Quellen wieder auf Koch bezogen wird, so wie es ursprünglich auch der Fall war.
Schaut man sich die Häufigkeit der Erwähnung von “Ypsilanti + Wortbruch” an, so fallen zwei Peaks auf, Termine, um die herum die gesammelte deutsche Presse diese Kombination ihrer Leserschaft ins Hirn publiziert hat (Klick aufs Bild führt zu Google):

wortbruch

Demnach standen offenbar unmittelbar nach der Wahl bereits alle in den Startlöchern, um Ypsilanti einen “Wortbruch” vorzuwerfen, den sie noch gar nicht begangen hatte. Ebenso wurde um die Nichtwahl der Ministerpräsidentin herum noch einmal kräftig nachgelegt.
Vor dieser Kampagne wurde die Kombination dieser Schlagworte auf Kochs gebrochenes Versprechen bezüglich des Flughafenausbaus bezogen. Was die hessische Opposition also als eher schwache Kritik an einem “unerhört” selbstherrlichen Roland Koch an den Start gebracht hatte, wendete die PR des Sonnenkönigs und seiner Presse gegen Ypsilanti.

Dabei tat sich vor allem ein PR-Mann hervor, der die Kampagne völlig unverblümt voran brachte: Alexander Demuth, Berater “für strategische Unternehmenskommunikation”, der mit der Site wortbruch.info die Kampagne auch offen im Netz betrieb.

Schaut man sich die Liste der Medien an, die diese Vokabel übernommen haben und willig die Reihen der Kampagneros schlossen, so sieht man eine beinahe vollständige Liste der relevanten deutschen Massenmedien. Der Erfolg, der erst durch diese Verstärker und ihren gnadenlos antilinken Kurs möglich wurde, ist die fortdauernde Herrschaft eines Landesregimes, dessen leidenschaftliche Zerstörung der demokratischen Kultur selbst von der Original-SED nicht übertroffen würde. Zu den täglichen Skandalen, die Koch und sein Mob sich leisten, hört man übrigens nichts von den ach so gewissenhaften “Rebellen” und ihren Seeheimern. Geschweige denn von der Mehrheit der willfährigen Journaille, die dafür mitverantwortlich ist.

An die Spitze der Offensive der Rechten gegen Arbeitslose hat sich nach der “Welt” jetzt Roland Koch gestellt, der Arbeit als “Abschreckung” für Langzeitarbeitslose fordert. Hatte er zuletzt noch in einem wirren Halbsatz die Entdeckung von “Leistungsträgern” unter den Arbeitslosen angedeutet, die besser zu stellen seien, geht es jetzt wieder dem faulen Pack an den Kragen. “Niederwertige Arbeit” sollen diese leisten müssen, damit es nicht zu gemütlich für sie wird.

Geschenkt sei an der Stelle die abenteuerliche Lüge, es gebe millionenfache Arbeitslosigkeit, weil die Leute nicht arbeiten wollten. Geschenkt auch der Unsinn, es sei angenehm, von Almosen zu leben.
Daß es allerdings erzwungene Arbeit aller Art gibt, kann man hier nicht mehr verschweigen, denn daraus folgt, daß Arbeit als “Abschreckung”, “niederwertige” also, offenbar darüberhinaus möglichst demütigend sein soll. Zieht man die Vorstellung der rechten Hetzer zusammen, so sollen die Erfolglosen sich zukünftig also “glücklich” schätzen, wenn sie für einen Euro die Stunde eine menschenwürdige Arbeit verrichten dürfen. Denn jenseits dessen droht der Schrecken von Arbeiten als Strafe all derer, die nicht schnell genug einen Job annehmen, von dem sie nicht leben können.

Dieses Vorhaben verfeinert die Kunst der Bestrafung für die Sünde ihrer Existenz, der sich die Kinder des Prekariats schuldig machen. Koch geht damit inzwischen ganz offen um: “Leistungsträger” sollen gefördert, werden, wenn sie einmal arbeitslos werden, die faulen Versager hingegen bis aufs Blut gefordert.
Der doppelte Nebeneffekt trifft die Arbeitsverhältnisse all derer, die sich nach der Decke strecken und Lohnarbeit verrichten. Sie sollen wissen, daß eine Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses als Straftat ausgelegt wird – und zwar grundsätzlich als die des Arbeitnehmers. Sie werden jeden “Lohn” akzeptieren, auch wenn sie gerade dadurch in die Hartz-Mühlen geraten.

Die wunderbare Entwicklung hin zu Leiharbeit, befristeten Arbeitsverhältnissen und Aufstockung führt dabei nicht nur zu massenhaften Armutsrenten, sondern vor allem zu einer eklatanten Schwächung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften. Wer überhaupt noch einer definierten Branche zuzuordnen ist und sich einer Gewerkschaft anschließen könnte, wird sich dreimal überlegen, ob er einem Streik zustimmt. Noch viel besser ist aber, daß Millionen, die unter Arbeitszwang stehen, gar nicht streiken dürfen. Das ist das Kalkül, das wirklich dahinter steht.

Und die Gewerkschafter? Raufen sie sich zusammen und rufen zum Generalstreik auf? Wohl kaum, denn so wird das ja nichts mit dem Posten im Vorstand und dem Bundesverdienstkreuz.

Kritische Kritikaster mögen mir verzeihen, daß ich schon wieder SpOn verlinke, aber die melden das nun mal: Eine Millionenspende hat die FDP von Hotelbetreibern erhalten – und offenbar im Gegenzug die Mehrwertsteuer für Hotels gesenkt. Korrupter ist schwierig.
SpOn muß an dieser Stelle Elmar Wigand von LobbyControl und Hildegard Hamm-Brücher zitieren, um daran etwas zu finden. Früher, ja ganz früher, hatte bei denen schon mal jemand den Mut, das, was da so stinkt, selbst “Scheiße” zu nennen.

Politiker müssen Ziele haben. Wenn man sonst keine hat, mehrt man halt den Schaden beim Gegner. Was “Sozialdemokratisierung” heißt, wird allmählich deutlich, wenn man sich anschaut, was die offenbar gelangweilten und sonst eben planlosen Regierungstruppen veranstalten. Die Geschwader der FDP tun einfach im Glauben an zünftige Klientelpolitik, was sie immer tun: Sinnfrei ihren Götzen dienen und möglichst hohe Verluste in der Zvilbevölkerung verursachen.

Die CDU will viele Stimmen. Von allen. Die SPD hat vorgemacht, wie man ohne Programm ziemlich lange regieren kann und sich keine Sorgen um die Zukunft macht. Das kann die CDU auch. Mit dieser Taktik kann sie die ehemals neuen Stammwähler der SPD einfangen, die zuletzt etwas anderes gewählt haben. Immerhin könnten einige wenige doch noch versehentlich ihr Kreuzchen in der zweiten Reihe gemacht haben, und das sind diejenigen, die ihr auch noch genommen werden müssen. Sollte Gabriels Resterampe also, worauf man durchaus spekulieren kann, die alte Wählerschaft nicht mehr ansprechen können, stünde mit der neuen christlichen Beliebigkeit ein weiterer Sargnagel für die Kiste zur Verfügung, in der die Sozen zur Hölle fahren sollen.

Blöd nur, daß Särge bei einer Seebestattung noch immer keine Konjunktur haben. Selbst verbrannte Parteibücher finden ihren Platz eher in einer Urne. Aber wer im im Glauben ans Wachstum unerschütterlich sein will, sieht hier sicher einen neuen Markt.
Der umweltfreundliche Wachstumssargnagel für alle, liberal in der Anwendung, Symbol für die posthume Bewahrung der Schöpfung, links und rechts eingeschlagen ins Leichentuch oder die Urne, rustikal aber dennoch modern. Irgendwie sind wir alle Sozialdemokraten, das sagt schließlich die Presse, und am Ende meist ziemlich tot. Wem das Leben der anderen so egal ist, kann sich den Tod ins Leben holen, ein bißchen Krieg spielen hier, ein wenig kaputt machen da und sich aufs Jenseits freuen.

Die Leere vom Hirn bis in den Zettel am Zeh durchweht eiskalt das bleischwere Tagesgeschäft. Bewahrung der Erschöpfung bei völliger Tatenlosigkeit ist eine furchtbare Bürde. Nicht einmal der verdiente Ruhestand als volltrunkener Redner auf Veranstaltungen von Versicherungskonzernen und Energieriesen kann einen noch recht motivieren. Der Altministercontainer steht schon gähnend offen. Man hält sich ein wenig bei Laune und spielt “den anderen was wegnehmen”. Stimmen von der SPD sollen es sein. Irgendwie traurig, aber wer gewinnen will, muß halt schauen, daß andere verlieren. Auch wenn sie längst unter dem Tisch liegen und modrig riechen.

Allmählich stellt sich wieder etwas mehr Ordnung ein in der deutschen Medienlandschaft. Durch die Bankenkrise haben einige Medien, die jahrelang keinen Knall gehört haben, immerhin ein paar Trümmer gesehen und schwenken hier und da von der neoliberalen Kampflinie ab. Einige wenige dürfen sogar mit Recht als “kritisch” eingestuft werden.
Und weil derlei Normalität einkehrt, sind auch die Produkte des Springer-Verlags wieder besser erkennbar in ihrem billigen Kunsthandwerk des Verblendens und Verblödens.

Was die “Welt” da heute auftischt, schwitzt schon ideologische Verzweiflung aus. Ein “Segen” sei der neue Sklavenmarkt aus Leiharbeit, Arbeitszwang und Hungerlöhnen. Der ökonomische “Erfolg” der Lohndrückerei wird anhand unbelegter, erlogener und wirr interpretierter Zahlen als die übliche Brühe serviert. Soweit kann man sich das Lesen wie immer sparen.

Bemerkenswert merkbefreit ist allerdings das Totlachargument, mit dem den glücklichen Sklaven der Segen vom Kloster Axel Cäsar erteilt wird:

Arbeit ist ein Wert für sich. Studien zeigen: Menschen, die arbeiten, sind glücklicher als Menschen, die arbeitslos sind. Selbst wenn es nur ein Ein-Euro-Job ist – sie werden wieder gebraucht.

Arbeit macht glücklich, egal welche. Wer nicht arbeitet, muß auch nicht essen, wird verhetzt und zum Parasiten erklärt. Wer sich der Knute beugt, sich ausbeuten läßt und sich ohne jede Hoffnung auf ein Leben ohne Kummer abstrampelt, ist ab sofort glücklich.

Es wäre nicht das Schlechteste, wenn dieser Herrenmenschenzynismus in Zukunft wieder exklusiv bei Springers seine Heimat fände. Dort waren sie schon immer braun.
Der Rest der Medienwelt darf jetzt ein einträgliches Geschäft in lautem Fremdschämen suchen. Das sollte doch machbar sein.

Leistungsträger, die in Arbeitslosigkeit geraten, haben bisher kaum die Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen. Fördern und Fordern passt hier nicht zusammen“, erklärte Roland Koch dem Hamburger Abendblatt ohne erkennbaren Zusammenhang. Dieser Sinnspruch wird quer durch den Blätterwald getrommelt. Kein Wunder, denn es sind ja reichlich Reflexfloskeln darin enthalten.
Ich gelte gemeinhin nicht als Pisa-Versager, aber es fällt mir äußerst schwer, dies sinnentnehmend zu lesen. Anders formuliert: Hä??

War es bislang Konsens der Rechten, das “Fordern und Fördern” vor allem so zu verstehen, daß faulen Arbeitslosen Beine gemacht werden sollen, vor allem solchen, die sich aushalten lassen und noch mehr verlangen als Almosen, von denen man nicht in Würde leben kann, soll es jetzt Ausnahmen geben – für “Leistungsträger”. Damit sind vermutlich diejenigen gemeint, die noch nicht von Hartz IV leben. Hieße das, daß ehemals hochbezahlte Angstellte ihr ALG I noch aufstocken dürfen? Oder ist Hartz IV womöglich “Leistungsträgern” gar nicht zumutbar? Oder sollen diese bei Langzeitarbeitslosigkeit den vollen Satz bekommen und abzugsfrei einen gut bezahlten Halbtagsjob tun dürfen?

Wie dem auch sei, was Koch da abläßt, hat mit der Situation Bedürftiger nichts zu tun, seien es einfache Arbeitslose oder “Aufstocker”. Es klingt ganz danach, als solle die Solidargemeinschaft auch noch reiche Arbeitslose von den Mitteln der ärmeren alimentieren.
Wie es wirklich gemeint war, hätte man ja nachfragen können. Aber mehr als sinnfreies Zitieren ist von einem Journalistensalär wohl nicht zu leisten.

Einen kleinen Einblick in das System Merkel gibt Günter Bannas für die FAZ. Merkel vereint die Erfolgsrezepte von Kohl und Schröder: Aussitzen und gegen die eigene Partei regieren. Bei ihr funktioniert das geschmeidig wie bei Kohl, ohne daß sie dabei selbst Entscheidungen trifft. Es geht deutlich ruhiger zu als bei Schröder, obwohl bei ihr niemand etwas zu sagen hat, der einen erkennbaren Unionskurs einfordert. Das System ist perfekt. Und es wird den Untergang der CDU bedeuten.

Die Erfolgsrezepte ihrer Vorgänger haben nicht nur einige Haken, die beide schon ihr Amt gekostet haben, sie sind als halbgarer Aufguß auch nicht geeignet, Wähler zu binden, die wissen, daß man das Kreuzchen auch woanders machen kann.
Kohl hat sich durch Ereignisse an der Macht halten können, die er selbst nicht herbeigeführt hat. Als Dauerkanzler hat er sich zum Übervater entwickeln können, vor allem aber wußte er, wie man eine Partei führt. Er hat nicht nur zuverlässige Handlanger wie den unerreichten Wolfgang Schäuble um sich geschart, sondern Kritiker gnadenlos kaltgestellt und durch ständige Kabinettsumbildungen keinen Zweifel daran zugelassen, daß es keine Götter neben ihm geben darf. Merkel hat zwar das Wichtigste mitgenommen und ein paar Vasallen in Ämter gehoben sowie sich mit mächtigen Landesfürsten arrangiert. Sie profitiert aber lediglich von der Schwäche der einen und der Konkurrenz der anderen. Sie ist als Kanzlerin so wie ihre Überzeugung: Nicht vorhanden, beliebig, austauschbar.

Merkel konnte sich auf dieser wackeligen Basis eine Koalition mit der SPD leisten und eine mit der FDP. Gewollt sind und waren beide nicht wirklich. Es würde mich auch nicht wundern, wenn sie der Linken ein Angebot machte. Mit ihr geht alles, außer Politik.
Von Schröder hat sie sich abgeschaut, daß es nicht nötig ist, auf die Tradition der eigenen Partei Rücksicht zu nehmen. Während jener seine SPD in der Mitte zerrissen hat, hält sie es mit einer nervtötenden Gleichgültigkeit. Konservativ, das ist, wenn sie regiert. Egal, ob die Sozen rechts überholen oder jegliche Errungenschaften auch von der CDU getragener deutscher Grundpositionen über Bord geworfen werden – es ist ihr schlicht egal. Während Koch wenigstens noch gegen Ausländer hetzt und Guttenberg ein bißchen Wehrmachtsflair in die Außenpolitik bringt, darf die FDP reine Klientelpolitik machen. Das steht im Vertrag der Koalition, deren Kanzlerin sie ist. Und wenn sich nach wenigen Wochen herausstellt, daß das schon heute nicht funktioniert, läßt sie andere die Konflikte austragen.

Wer soll da noch CDU wählen? Die glückliche Fügung einer Rentnermasse, die gar nicht anders kann, beschert ihr eine “Zustimmung”, für die sich dennoch jeder Unionschef vor ihr in Grund und Boden geschämt hätte. Die Medien, der im Todeskampf noch einmal aufleuchtende Neoliberalismus und die faden Alternativen sind ihre Freunde. Sie verwechselt das mit echter Macht.
Die CDU ist nicht mehr konservativ. Innerparteiliche Kritiker sagen:

Wir müssen unsere Wähler auf der Grundlage einer erkennbaren christlichen Orientierung mit Botschaften zur Leitkultur, zur Bedeutung von Bindung und Freiheit, zur Familie, zum Lebensschutz und zum Patriotismus ansprechen.”

Dieses reaktionäre Gruselkabinett taugt zwar auch nicht zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts, aber sie formulieren als autoritäres Gegenideal, daß es etwas geben muß, das zu bewahren wäre. Beliebigkeit ist zur Tradition nicht geeignet, deshalb sind Merkels fehlende Überzeugungen für ihre Partei ein stärkeres Gift als für jede andere. Ihre effiziente Ignoranz zerstört die Basis der CDU wie Schröders Neoliberalismus die der SPD gesprengt hat.

Aus dieser Sicht lüftet sich auch ein wenig mehr der Schleier über dem Wahlerfolg der FDP. Es ist so einfach: Wenn die Konkurrenz sich derart selbst zerlegt, reicht es schon aus, sich nicht zu verändern. Die FDP ist inzwischen die konservative Partei. Erzreaktionär konserviert sie die Rezepte von gestern, wobei es ihr durchaus zugute kommt, daß diese bereits als tödliche Mixtur in Erscheinung getreten sind. Unbeirrbar, bar jeden Realitätssinns marschiert sie weiter. Das ist Prinzipentreue! Die FDP macht die Politik, die Guttenberg nur darstellt: Treue bis in den Tod, wissentlich elitär und antidemokratisch.

Es ist der selbst verschuldeten Erosion der Volksparteien zu verdanken, daß die kleineren größer werden. Die Linke wäre unter dem Druck der Medien und ihres unreflektierten Selbstbezugs längst nicht so erfolgreich, obwohl sie die einzige Partei ist, die erkennbar Ziele formuliert. Die Grünen sind ein trauriger Haufen, der irgendwie akzeptabel ist und die wenigsten peinlichen Persönlichkeiten aufbietet – obwohl sie inzwischen ein Maß an Korrumpierbarkeit erreicht hat, das ihr vor Schröder/Fischer kaum jemand zugetraut hätte.

Das ist die Geröllwüste, über die Königin Angela herrscht. Die rosige Zukunft bietet eine organisierte Beliebigkeit, die womöglich in diverse extremistische Experimente mündet – auch jenseits hemmungsloser Begünstigung und Selbstbedienung. Ich erwarte die Renaissance des Streits um politische Grundkonzepte. Vernüftige Überzeugungen, die zu einer wahren Demokratie führen, können dabei auch eine Rolle spielen. Eine äußerst vage Hoffnung.

[update:] Jens Berger diagnostiziert erwartbare Ermüdungserscheinungen ebenso bei der “konservativen” Wonderwoman Ursula von der Leyen.

« Vorherige SeiteNächste Seite »