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2008


Es gibt wohl nur zwei Möglichkeiten für Schäuble, seinen paranoiden Traum vom Sicherheitsstaat zu verwirklichen: Entweder Bomben auf Karlsruhe – wobei man sich noch überlegen kann, ob der Taliban dafür herhalten soll oder gleich die Bundeswehr innerlich dort einmarschiert – oder die Abschaffung des Bundesverfassungsgerichts. Die roten Roben nehmen ihm sonst jedes neue Spielzeug gleich wieder aus der Hand.

Zur lächerlichen Steuersenkung für Spritschleudern findet sich ein halbgarer Gedanke in der FR:
Als Gegenmodell denke die SPD etwa an eine “Abwrackprämie”. Diese solle Verbrauchern gezahlt werden, die “ihre alten Dreckschleudern der Euro-Stufen 1 und 2″ verschrotten ließen und sich dafür “ein höchstens zwei Jahre altes Auto” kauften.
Na klar, wer gefördert werden will, muß schon etwas haben, denn wer will schon den Habenichtsen Almosen zukommen lassen?
Eine wirklich gute Idee wäre eine satte Abwrackprämie mit weniger strengen Bedingungen. Wer sich einen Gebrauchten niedrigerer Schadstoffklasse kauft, sollte subventioniert werden. Das hilft den gesamten Markt von billigen Gebrauchten bis hin zu Neuwagen. Dabei noch den CO-2-Ausstoß berücksichtigen, und wir hätten eine ökologisch und ökonomisch durchschlagende Wirkung auf das System mit hoher Eigendynamik.

Tiefensee hat sich also “durchgesetzt”. Das alberne Theater um die Rettung seiner Imkompetenz, wieder einmal eine traurige Rolle Steinbrücks und insgesamt unwürdiger Postenschacher mit Kollateralnutzen.

Die Springerpresse und die Stasi: IM gesucht! Um die bösen Kommunisten nach wie vor unter jedem Teppich zu suchen, ist kein Krampf zu schmerzhaft. Ich frage mich bei dieser Gelegenheit, ob es nicht sinnvoll wäre, einen Schlußtrich zu ziehen unter eine Geschichte von Einzelfällen, die keiner mehr aufarbeiten kann. Sollte man den Job nicht Historikern überlassen, die sich unaufgeregt an die Analyse begeben? Fälle von schweren Verbrechen natürlich ausgenommen. Das Köcheln einer schimmeligen Suppe auf dem Herd einer tendenziösen Journaille ist sicher nicht dazu geeignet, “Vergangenheit aufzuarbeiten”. Ich bitte hier um Widerspruch, wenn es gute Argumente für eine öffentliche Debatte über “IM” gibt.

Congratulations, Obama!
Sagte ich es nicht seit Monaten? ;-) Es ist mir eine große Freude.

Broderismus ist ein hartes Brot. Die Kunst, sich einen ideologischen Gegner zu basteln, ist dann besonders schwer, wenn es sich um einen schweigenden handelt. Nörgler sind ein gefundenes Fressen, Kritiker muß man zum Popanz überzeichnen, aber was macht man, wenn eigentlich niemand gegen etwas ist, für das man kämpfen will?
Einfach desselbe wie immer. Tanja Dückers zeigt, wie hart es für Antiamerikanisten ist, Obama als das schlechthin Böse anzuprangern. Denn so kennt sie ihre Antiamerikaner: Alles, was von “drüben” kommt, ist denen spinnefeind. Mit dieser Prothese konnten die Broderisten jede Kritik an der abscheulichen Bush-Administration abtun, als sei sie ein Spleen der verbohrten Yankeehasser. Dückers scheint diesen publizistischen Trend für bare Münze zu nehmen, anstatt ihn auch nur ansatzweise zu hinterfragen. Was dabei herauskommt, ist eine triumphierende Rechthaberei im sinnfreien Raum. Beispiel:
Kaum hatten wir “unseren“ Amokläufer in Erfurt, brachten uns die Amis mit ihrem Virginia-Tech-Desaster, bei dem über 30 Menschen von einem einzigen Schüler erschossen wurden, zum Schweigen. Und zum schauderhaft-verzücktem Fingerzeig: So was passiert doch nur in Amerika.”
Im folgenden kommt sie uns mit den Verfehlungen europäischer Politiker, die auch nicht besser seien als die Amis, das Ganze im Anstrich mutiger Kritik:
Wie konnte eine deutsche Regierung akzeptieren, dass ein deutscher Staatsbürger mit ihrem Wissen und Einverständnis im von uns unermüdlich angeprangerten Guantánamo für sechs Jahre eingebuchtet wird? Wieso wird so ein Fall nach ein paar Wochen gedämpfter Erregung wieder aus den Medien gekehrt wie eine mäßig spannende Nachricht aus Heidi Klums Privatleben?
Ja was denn nun? Sie sieht “Fingerzeige”, die niemand gegeben hat und liest offenbar ihren eigenen Text nicht, der an dieser Stelle widersrüchlicher nicht sein könnte. Die Quelle für jende “Fingerzeige” ist ihre eigene Projektion, die jeder Realität entbehrt. Hernach kritisiert sie die Praxis derjenigen Journalisten, die einen stramm pro-amerikanischen Kurs durch den selbsterzeugten Nebel ihrer “uneingeschränkten Solidarität” fuhren.
Diejenigen, die sie damit treffen will, können das getrost abschütteln. Volker Pispers hat es auf den Punkt gebracht mit den Worten: “Mein Antiamerikanismus ist überhaupt nicht unreflektiert”. Vielleicht sollte Tanja weniger ihr eigenes Weltbild händchenklatschend pflegen und so von Erkenntnis zu Erkenntnis hüpfen. Besser wäre es, zu lesen, zu denken und zu diskutieren. Mit echten Meinungen und den dort vorfindlichen Differenzierungen. Dies würde sie zu wahrhaft erschütternden Erkenntnissen führen. Dagegen aber ist sie wohl immun, denn sie weiß es ja immer schon besser.

Jürgen Walter, das neoliberale U-Boot in der hessischen SPD, wäre beinahe ein Ehrenmann. Er macht es anders als der Meuchler von Heide Simonis und stänkert öffentlich gegen den Kurs seiner Chefin. Einiges schränkt dennoch den Respekt vor ihm ein, zum Beispiel seine Motive und die Tatsache, daß er nicht einmal in der Lage ist, sich festzuglegen oder an entscheidenden Abstimmungen teilzunehmen. Walter denkt vor allem an Walter und hält Fraktionsdisziplin offenbar genau dann für verhandelbar, wenn sie nicht seinen Zielen dient. Er weiß sich gestützt durch die machtpolitische Spitze in Berlin und die produzierte Öffentlichkeit. Dies macht ihn stark und trägt ihm den Titel “Gegenspieler” ein, wie SpOn ihn nennt. Ypsilanti muß alles auf eine Karte setzen. Da Walter meint, “Verstecken” spielen zu können, versucht sie, ihn zur “Disziplin” zu zwingen. Die Zustimmung für ihren Versuch, eine illegitime Regierung abzulösen, ist gewaltig. Ihre Gegner berufen sich auf ein “Gewissen”, das sie zuvor noch nie entdeckt haben und ein Wahlversprechen, das an der Realität scheitert. Wären sie konsequent, wären sie nach der Mehrwertsteuererhöhung aus der SPD ausgetreten. Jene aber war ein dreister Wahlbetrug der Machtspitze, mit der sie sich im Bunde wissen.
Figuren wie Walter hat es schon immer gegeben. Daß dieser Menschenschlag Konjunktur hat, liegt nicht nur an der SPD, aber in ihr sind sie offenbar bestens aufgehoben. Der “Gegenspieler” ist ein Geisterfahrer aus Kalkül und insofern kein “Gegenspieler”, sondern ein potenzieller Verräter. Die Wortwahl bei SpOn und anderen ist daher tendenziös, zumal im Zusammenhang mit der penetranten Etikettierung Lafontaines als “Populisten”. Worte machen Leute.
Was Jürgen Walter sich da leistet, ist unerträglich. Es spricht Bände, daß sich niemand finden will, der sein Spiel wirksam unterbindet. Man darf wohl davon ausgehen, daß er sich der Unterstützung von höherer Ebene versichert hat. Nicht nachvollziebar ist für mich daher die aus der hessichen SPD geäußerte Ansicht, er bekomme in der SPD “keinen Fuß mehr auf den Boden”, noch weniger das, was Christian Teevs bei SpOn dazu schreibt:
Wenn Ypsilanti am Dienstag scheitert, reißt sie ihn mit in den politischen Abgrund. Egal ob er ihr die Stimme verweigert oder nicht.
Sollte sie dagegen Erfolg haben, wird sie ihm diesen Auftritt in Fulda wohl kaum verzeihen – und ihn auf Dauer von einflussreichen Positionen fernhalten.
“.
Einflussreiche Positionen in der SPD und vor allem in den ihr angeschlossenen Seilschaften werden nicht von Andrea Ypsilanti vergeben. Wenn Jürgen Walter Karriere macht, dann als Büchsenspanner unter seinesgleichen. Und er macht alles richtig: Die hessische Koalition ist schon desavouiert, ganz gleich, ob sie zustande kommt oder nicht. Der Agenda-Fraktion liefert er genau das Chaos, das dem Versuch einer Linken Mehrheit angedichtet werden soll. Die zugeschaltete Presse wartet nur darauf, Ypsilanti das anzukreiden, was die SPD vollends ruiniert hat: Die Intrigen einer potitischen Machtelite, die keinen Wert auf die Meinung der Basis und der Bürger legt. Steinmeier und Münterfering ist es gelungen, ganz im Sinne Schröders zu verhindern, daß in der SPD noch jemand halbwegs sozialdemokratische Politik macht. Ihre Mietmaulwürfe sitzen überall und haben Narrenfreiheit.

Hans-Werner Sinn hält sich noch immer für berufen, dem Volk und der Welt zu erklären, was es zu denken habe. Es gibt keinen Bereich des öffentlichen Lebens, in den er sich nicht einmischt. Daß er als Hobbyhistoriker ein antisemitischer Propagandist ist, ist eine Sache. Daß er als Ökonom ein Totalausfall ist, eine andere. Jetzt geriert er sich auch noch als Umweltpolitiker.

Die “Prinzipien”, nach denen er vorgeht, sind recht einfach: Er spricht grundsätzlich aus Sicht eines neoliberalen Lobbyisten und biegt sich die Wirklichkeit so zurecht, wie sie ihm paßt. So will ausgerechnet er schon immer gewußt haben, wie gefährlich die “Öffnung der Finanzmärkte” war. Zwei Gründe nennt er dafür:

Schon 1977(!) habe er in seiner Dissertation “die Analyse der überhöhten Risikobereitschaft, die durch zu geringes Eigenkapital verursacht wird” geleistet. Damit war dann wohl alles gesagt, wir hätten nur vor, sagen wir, zehn Jahren, seine Arbeit lesen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen müssen. Im Gegensatz zu ihm.
Der zweite Beleg für seine Allwissenheit ist sein Schweigen. Er hat immer alles gewußt, nur nichts verraten:

Gedacht schon, aber keiner wollte die Krise herbeireden. Ich selbst bin seit langem überzeugt, dass die Regulierung zu lasch ist.

Wenn Sinn immer von dem schweigt, was er eigentlich denkt und dann das Gegenteil sagt, wird mir einiges klarer. Der Kampf gegen Windräder ist sein jüngstes und duchaus passendes Projekt. Kernkraft ist besser. Natürlich denkt er heute bereits an die unmögliche Endlagerung und die Risiken, sowie das nackte Grauen eines möglichen GAUs. Das wird er dann souverän offenlegen, wenn es dazu kommt.

Auch die Krise, die durch die Monopolisierung der Stromwirtschaft vorangetrieben wird, ist ihm völlig gewahr. Er weiß, daß nur die Großen der Branche AKWs betreiben können. Sein Setzen auf dieses tote Gleis der Energiegewinnung ist in Wirklichkeit die weise Einsicht, daß man aussteigen sollte. Dies teilt er dann mit, wenn keiner mehr seine Stromrechnung bezahlen kann.

Ganz auf der Höhe des verzweifelten Agendasettings der kapitalistischen Lohndrücker weiß er sich mit Karl Lauterbach in einem Boot: “Autos kaufen Autos”, wissen die beiden, und sind vermutlich schon bei der Mofaprüfung vor die Ampel gefahren. Da Sinn nicht links sein muß, kann er noch haltloser daherschwätzen:

Doch leider ist das Kaufkraftargument schon aus logischen Gründen falsch: Eine Lohnerhöhung ist eine Gewinnsenkung, und so wie Lohnerhöhungen die Kaufkraft der Arbeitnehmer erhöhen, senken sie jene der Arbeitgeber. Die bestehende Kaufkraft wird also nur anders verteilt. Zwar steigt der Konsum der Arbeitnehmer, wenn bei gegebener Beschäftigung mehr Lohn gezahlt wird. Doch nimmt die Investitionsneigung ab, weil die Lohnerhöhung viele potenzielle Investitionsprojekte unter die Rentabilitätsschwelle drückt, und das verringert die Nachfrage.”

- “Eine Lohnerhöhung ist eine Gewinnsenkung.”
Wer sich solcher Sätze erblödet, mag in einer Talkshow gern gesehen sein. Sich dann aber “Ökonom” zu nennen, zeugt von einer ungeheuren Chuzpe. Dieser Satz ist nur dann richtig, wenn man ihn so doof wie möglich interpretiert, im Sinne von “Was ich ausgebe, ist weg”. Jede andere Sichtweise, jede noch so kleine Differenzierung, führt zu anderen Schlüssen. Etwa zu dem, daß es auch noch ein Folgequartal gibt, in dem die Produktivität von der Qualität der Arbeit abhängt. Etwa von der Möglichkeit, Produkte nicht nur herzustellen, sondern sie auch abzusetzen.

Das folgende Lamento bezüglich “Konsum” versus “Investition” ist blanker Nonsens, Gefasel im Luftleeren Raum. Um letztendlich zu bestimmen, ob Lohnerhöhungen Investitionen verhindern, muß man Zahlen haben. Das ist allgemein nicht in gültiger Weise zu formulieren.
Man kann höchstens spekulieren, wogegen ich nichts habe. Dann aber kann man feststellen, daß Lohnerhöhungen auf breiter Basis, vor allem im unteren bis mittleren Einkommensbereich, unmittelbar zu höherem Konsum führen, der wiederum äußerst willkommen ist in einem ewig schwächelnden Binnenmarkt.

Investitionshemmend wirken sich höhere Löhne hingegen dann aus, wenn der Gewinn zu gering ist, um noch investieren zu können. In weiten Bereichen der deutschen Wirtschaft kann davon nicht die Rede sein. Die Kassen sind voll. Allerdings sind es meist die der Shareholder, die gar nicht investieren wollen. Ein wirkliches Investitionshemmnis besteht in den irrsinnigen Renditeversprechen der letzte Jahre. Wer so abkassieren will, ist an keiner Zukunft interessiert. “Investition” bedeutet dann nur das Abgrasen der nächsten Wiese. Es läuft aber immer auf dasselbe hinaus: Löhne runter, damit hier genau so große Gewinne möglich sind wie Ausland. Löhne runter, damit investiert werden kann. Gewinne nicht schmälern.

Eine Gesellschaft, die im Verhältnis zu ihrer gesamtwirtschaftlichen Produktivität niedrige Löhne hat und die dementsprechend dauerhaft einen höheren Prozentsatz ihres Sozialprodukts investiert und einen kleineren Prozentsatz konsumiert, baut ihre Produktionskapazität schneller auf und wächst deshalb schneller.”
Auch das ist blanker Unsinn, weil es den einbrechenden Absatz nicht berücksicht, ebensowenig wie die Tatsache, daß Gewinne eben nicht zu stabilen Investitionen geführt haben.

Einen noch, mir ist selbst schon schlecht:
Konsum ist schädlich für das wirtschaftliche Wachstum und unnötig für die Konjunktur. Der derzeitige Boom der deutschen Wirtschaft ist der beste Beweis dafür, dass es für eine gute Konjunktur auf eine sofortige Erhöhung der Konsumgüternachfrage gar nicht ankommt.

Dieser unfassbare Schwachsinn stammt von einem deutschen Wirtschaftsprofessor. Schon die Behauptung ist so abseitig, daß jeder Hirninhaber innegehalten hätte, anstatt dafür auch noch Gründe zu suchen. Sinn hingegen gelingt es, so zu argumentieren. Er glaubt tatsächlich, es gebe Konjunktur ohne Konsum. Der Gartenzwerg, der uns ewig das Lied der “Globalisierung” gesungen hat, damit hier die Löhne gesenkt werden, kapiert nicht, daß der Konsum im Ausland auch einer ist. Er kapiert nicht, daß sich diese Schuld just zu rächen beginnt. Ich bin inzwischen davon überzeugt, daß dieser Mann gar nicht der sinistre Ideologe ist, für den ihn viele halten. Er ist vielmehr von erschreckend schlichtem Gemüt.

Die SPD ist nicht mehr zu retten. Die Prinzengarde rings um die Stones, das Karriere-Nahles, Agenda-Münte, den ewigen Struck und ihre Hofnarren wie Hubertus Heil haben wir schon häufig angemessen begutachtet. Aber auch in der zweiten Reihe drängen sich Akrobaten des Zwiesprech, ideologische Blendgranaten und Rhetorikzombies dicht an dicht. Heute wollen wir uns mit einem beschäftigen, dem man schon ungern zuhört, weil seine Intonation eine Zumutung ist. Befasst man sich auch noch mit dem, was er an Inhalt zu bieten hat, wird es unerträglich.
Karl Lauterbach, die Fliege mit dem Mann, hat der TAZ ein Interview gegeben, das ihn unter anderen Umständen als schwachsinnig oder psychotisch qualifizieren würde. Für einen Sachbearbeiter sozialdemokratischer Restposten sind die Alternativen zu dem trüben Quark, den er anrührt, allerdings recht dünn gesät. Es mag sich also bei dem Stuß, den er da verzapft, um das Resultat der verzweifelten Bemühung handeln, die SPD als “sozialdemokratisch” darzustellen.
Lauterbach hat verinnerlicht, was führende Sozen gefälligst zu denken haben: Daß die SPD “links” ist und die Agenda 2010 ein Segen für die Menschheit. Die Verwüstungen, die diese Anstrengung hinterläßt, kommen einem schweren Schädel-Hirn-Trauma gleich. In medias res:

[TAZ:] Und wie haben die Hartz-Gesetze diese Jobvermehrung bewirkt? Durch erhöhten Druck auf Arbeitslose?

[Lauterbach:] Zum Teil – ja. Es gibt Arbeitslose, die erstens heute weit schlechter bezahlte Jobs annehmen. Zweitens: Weil die Aufstockung möglich ist, arbeiten viele Hartz IV Empfänger nebenher. So sind Niedriglohnjobs entstanden, die es vorher nicht gab. Es gibt also mehr Leute, die überhaupt Arbeit wollen und es gibt mehr niedrig bezahlte Jobs. Das zusammen hat, drittens, dazu geführt, dass die Löhne im unteren Bereich gesunken sind. Das wiederum hat dazu beigetragen, dass dort noch mehr Jobs entstanden sind.

Er beschreibt es beinahe richtig. Es werden immer mehr Menschen in Niedriglohnjobs gedrängt. Sie verdienen dort weniger als jemand, der gar nicht arbeitet. Sie werden schlicht ausgebeutet, und zwar in immer größerer Masse. Damit sie leben können, gehen sie nebenbei noch zur ARGE. Hier liegt der Fehler seines Berichts: “Nebenbei” wäre demnach ein Synonym für “effektiv unbezahlt”.

[TAZ:] Aber empirische Beweise, dass Arbeitslose angesichts von Sanktionen Jobs annehmen, fehlen…

[Lauterbach:] Wer Vermögen und Einkommen verliert, ist eher geneigt, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Wenn dies anders wäre: Bitte, warum gab es denn so viel Protest gegen die Hartz-Reformen? Sie können schlecht behaupten, dass die Arbeitsmarktgesetze nicht wirken, der Protest gegen sie aber berechtigt ist. Das ist doch widersprüchlich.

Lauterbach versteht die Frage nicht. Der empirische Nachweis des Effekts wäre dann gegeben, wenn man nachweisen könnte, daß es Menschen gibt, die nicht arbeiten wollen, unter Druck aber doch Arbeit annehmen. Zunächst müßten beide Aspekte isoliert und dann der Zusammenhang nachgewiesen werden. Außerdem dürfte die “Wirkung” der Maßnahmen auf das Anwachsen prekärer Arbeitsverhältnisse zurückzuführen sein. Dies sind die neuen Jobs, in die “vermittelt” wird, und dagegen richtet sich vor allem der Protest.

[TAZ:]Nur eine Nebenwirkung? Die Löhne sind im Niedriglohnsektor um zehn Prozent gesunken.

[Lauterbach:]Ich will nichts beschönigen. Ich bestreite nicht, dass es wichtig ist, das Lohnniveau zu halten. Aber Arbeit zu schaffen, ist noch wichtiger. Denn was nützen dem, der keine Arbeit hat, hohe Löhne?

Welch eine Exkrementallogik! In der Folge sollte man zuerst die Gewerkschaften abschaffen. Es dürften dann kurzfristig deutlich mehr Arbeitsplätze entstehen, der Lohn allerdings womöglich nur noch in einem Teller Suppe pro Arbeitstag bestehen. Daß niedrige Löhne die Wirtschaft massiv gefährden, könnte ihm anhand dieses Beispiels deutlich werden. Nur, wer etwas übrig hat vom Lohn, kann auch etwas kaufen. Lauterbach aber kommt aus Schröders neuer Welt. Da kaufen Autos noch Autos, und Arbeit ist ein Wert an sich. Sie ist auch ohne Lohn gut. Das heißt aber nicht etwa, daß jede Tätigkeit, die etwa den Interessen der Menschen entspricht, “Arbeit” wäre. Nein, auch hier gilt, was dem Gewinn dient. Arbeit ist gut, wenn irgendwer davon einen wirtschaftlichen Gewinn hat. Das ist “links” nach Lauterbach:

Ja, ich glaube [...], dass sich der Wert von Politik daran bemisst, was sie für die erreicht, denen es am schlechtesten geht. Das sind, neben chronisch Kranken, die Langzeitarbeitslosen. Insofern sind die Hartz-Reformen linke Reformen.

Ob das diejenigen sind, denen es am schlechtesten geht, darf man schon bezweifeln. Für die Langzeitarbeitlosen ist also etwas erreicht worden: Sie dürfen bei Bezügen auf Sozialhilfeniveau evtl. arbeiten. Sie müssen alles verscherbeln, was sie sich erspart haben. Sie haben keine Aussicht auf eine Rente. Man verhetzt sie als “Schmarotzer”.
Was Lauterbach ganz bewußt außen vorläßt, ist die Situation der Familien mit Kindern. Dank der “linken” Reformen sind sie diejenigen, denen es am schlechtesten geht. Dank der grandiosen Reformen gibt es überdies eine wachsende Masse von Menschen, die nicht mit Arbeitslosigkeit in Berührung kommen und dennoch von “HartzIV” leben müssen. Denen aber geht es per definitionem gut.
Darin besteht nämlich die Hohe Kunst der Agenda-Politik: Was nicht paßt, wird passend gemacht. Auf historisch niedrigem Niveau machen SPDler damit den altbekannen Fehler: Daß sie sich kaum selbst überzeugen können, geschweige denn irgendwen außerhalb ihrer geschlossenen Station. Das hat einen ganz einfachen Grund: Diese Politik stinkt. Mit ihr kann man niemanden überzeugen.

Vorher werde ich neunundneunzig Neger erschießen und neunzehn köpfen. Ich kenne einen, der weiß, wo man eine Schießpistole kriegt und habe schon ein großes Köpfemesser.
Wenn mein Freund den Führerschein hat, fahren wir sofort nach Amerika und erschießen Barack Osama. Dann machen wir Pipi auf den.
Komm ich jetzt im Fernsehn?

Uns fällt der Himmel auf den Kopf. Wir Gallier stehen auf unserem Feldherrnhügel und sehen die einst überlegenen Truppen des Imperiums als Häuflein Elend um uns herum liegen. Anders aber als “Anno 52″ (v.Chr.) sind nicht wir es, die verbrannte Erde hinterlassen haben. Die Truppen des Imperiums werden auch nicht fliehen. Wir werden sie nicht vertreiben, im Gegenteil: Wir werden ihnen helfen, weiter stolz ihr Signum durch unsere Länder zu tragen. Haben wir doch glernt: Gallien wurde erst durch die Römer eine bühende Landschaft. Ohne sie gäbe es uns gar nicht.
Wir Gallier, das sind die die Staatsbürger und die Römer sind die Sturmtruppen der freien Marktwirtschaft. Historische Vergleiche haben ja Konjunktur, dieser ist meiner. Eat this!
Die Quintessenz stimmt jedenfalls: Uns fällt der Himmel auf den Kopf. “Hier geht nichts mehr”, meinte der tapfere Börsenerklärbär der Tagesschau heute, und die Restjournaille plakatiert unisono, der Dax sei “gerettet” – weil das strunzdumme Gezocke mit VW-Aktien einen Tageshype verursacht hat, dem in der Oper über diese Zeit sicher ein Akt gewidmet werden wird. Sollten Leerverkäufe nicht verboten werden? Nicht einmal das, und wenn’s der Indexrettung dient, ist doch alles im Lot.
Das Motto stimmt ebenfalls: Die spinnen, die Römer!
Immerhin haben sie jetzt Angst vor uns. Die Radikalgallier der Linken sind den römischen Barden viele Lieder wert, eines singt heute der Schirrmacher, der meint, die “LINKE” könne “über von ihr erzwungene Enthaltungen als Mitspieler in vier Landtagen den Bund in erstaunlichem Umfang kontrollieren“. Das nenne ich “Panik”.
Inzwischen wird sehr ernsthaft über feste Wechselkurse diskutiert, der Urgallier Sarkozy etwa fordert solche. Sollte er sich damit durchsetzen, hätte der radikalgallische Volkstribun auch noch im letzten Detail recht behalten. Eher überquert Hannibal mit Elefanten die Alpen!
Rom wird nicht fallen. Oder? In den Provinzen rumort es. Es heißt, Rom könne seinen Söldnern keine Beute mehr bieten. Noch fallen sie nicht scharenweise ab von der großen Macht. Zu viele Statthalter wissen, daß sie keine Zukunft haben, wenn Rom fällt. Zu viele Söldner haben ihre Familien gegen sich aufgebracht, und noch immer singen die Barden dieselben Lieder. Viele Kinder kennen nur noch deren Gesänge, und bislang haben nur die tapfersten Gallier ihre Barden geknebelt. Neue Lieder werden nur heimlich in Wald angestimmt.
Die Herden sind in Aufruhr. Sie wissen nicht, wohin. Die saftigen Wiesen, von denen die Barden singen, sind karges Land, das niemand mehr bewirtschaftet. Uns fällt der Himmel auf den Kopf. Wird dies das Ende sein? Die Gallier glauben es. Immer mehr Römer glauben es. In Rom macht sich ein neuer Kult breit, der Erlösung und Nächstenliebe verspricht. Unsere Druiden warnen uns, daß am Ende doch wieder Rom das Zentrum der Macht sei. “Erlösung” und “Nächstenliebe” seien nur die neuen Titel der alten Barden. Dann sei es doch besser, uns fiele der Himmel auf den Kopf.
Unser Dorfältester sagte heute zu mir: “Wenn du weißt, daß morgen die Erde untergeht, dann reiße noch heute einen Apfelbaum aus und schlage ihn dem nächsten dekadenten Römer in seine dämliche Hackfresse!”

Ein Artikel zu einem widerlichen Vergleich findet sich bei “ad sinistram”. Ich habe meinen Kommentar dort hinterlassen.

Es nervt. Da kommt ein Club daher, den keiner kennt, der keine Fans und keine Geschichte hat und spielt allererste Liga. Jeder weiß, daß es das Geld eines Milliardärs war, das dies ermöglichte. Geld kauft nämlich doch Tore, auch wenn das nicht immer funktioniert.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es nicht sogar begrüßenswert ist, wenn Vereinen wie den Bayern einmal gezeigt wird, daß mit ausreichendem Geld jeder Erfolg kaufen kann. Hoffenheim hat ja nicht einmal die teuersten Spieler der Welt eingekauft, sondern nur erstklassiges Spielermaterial, das von einem ebenfalls gekauften Trainer-Team hervorragend eingestellt wird. Wo ist das Problem?
Daß es noch immer nervt, zum Beispiel. Wer will derart dreist vor Augen geführt bekommen, daß man sich nach oben kaufen kann, wo andere sich jahrelang abmühen? Der Sport, zuallererst der Fußball, ist längst ein Geschäft, in dem einige den Hals nicht voll bekommen können. Längst haben sich in vielen traditionsreichen Clubs Strukturen breitgemacht, die dem Gewinn dienen und parasitär von einem Jahrhundert Fußballkultur zehren.
Ist es angesichts dessen wirklich schlimm, wenn ein Milliardär seinem Noname-Club einen Platz in der Bundesliga kauft?
Ja, es ist, denn es könnte ein Dammbruch werden. Ein Ausverkauf der Clubs könnte daraus entstehen, ein Hype, der den Sport als Geschäft durch das vollends unsportliche Geschäft ablöst. Hoffenheims Besitzer Hopp spielt sich dabei selbst noch als Retter auf vor dem, was er womöglich gerade lostritt:
Wenn irgendwann mal ausländischen Investoren die Tür geöffnet wird in der Bundesliga und Leute kommen wie der Scheich aus Abu Dhabi, dann wird man vielleicht sagen: Wäre schön gewesen, wenn wir noch den einen oder anderen Hopp hätten.
Wir sind ja so dankbar! Wohin das führt, was Hopp da treibt, konnte man jahrelang in der Eishockey-Bundesliga/DEL sehen: Meisterschaften wurden von Clubs gewonnen, die in den Folgejahren nicht mehr aus dem Quark kamen, weil sie ihre Schulden abzahlen mußten – oder sie sind gleich ganz bankrott gegangen. Dabei ist im Eishockey nicht ein Minimum dessen zu holen, was im Fußball durch die Kassen fließt. Die DEL hat zwischenzeitlich sogar den Auf-und Abstieg abgeschafft, der finanziellen Planung wegen. Gerade in Zeiten, da Großinvestoren nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, droht hier der totale Ausverkauf.
Von gekauften Siegen will Hopp freilich nichts wissen. Der Mann, der keine Betriebsräte braucht, ist ein Sympath ohne Vergleich und macht sich sogar Sorgen um seine Feinde: Die bösen Fans anderer Clubs. Er zeigt sie zwar an, zieht seine Anzeige aber mit großer Geste zurück, wenn sie sich “entschuldigen”. Er hat Verständnis für alle. Zum Beispiel für Leute, die ein Transparent mit der Aufschrift “Hoppe hoppe Reiter – wenn er fällt, dann schreit er” ins Stadion mitbringen wollen. Aber auch für den Club, der auf Hopps Drohgebärden gehorsam reagiert und die Leute damit nicht reinläßt:
Der DFB will wohl unterbinden, dass Leute im Stadion festgenommen werden müssen.”
Eine höchst interessante Ansicht von Strafrecht und Demokratie – und eine kaum verhohlene weitere Drohung.
Sein Pressesprecher läßt sich öffentliche Kritik schon gar nicht gefallen und boykottiert deswegen den “Tagesspiegel”.
So dreist ist nicht einmal Uli Hoeneß, und der hat Jahrzehnte gebraucht, um seine Arroganz auf den heutigen Stand zu bringen.
Nein, solche Privatclubs braucht kein Mensch, in keiner Liga der Welt. Es ist nur zu hoffen, daß der zu erwartende Niedergang des 1899 Hoffenheim sich ereignet, ehe das Beispiel Schule macht. Die zerstörerische Wirkung des Kapitalismus auf die Kultur muß gebremst werden – wahrlich nicht nur bei den Banken.

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