Die SPD ist nicht mehr zu retten. Die Prinzengarde rings um die Stones, das Karriere-Nahles, Agenda-Münte, den ewigen Struck und ihre Hofnarren wie Hubertus Heil haben wir schon häufig angemessen begutachtet. Aber auch in der zweiten Reihe drängen sich Akrobaten des Zwiesprech, ideologische Blendgranaten und Rhetorikzombies dicht an dicht. Heute wollen wir uns mit einem beschäftigen, dem man schon ungern zuhört, weil seine Intonation eine Zumutung ist. Befasst man sich auch noch mit dem, was er an Inhalt zu bieten hat, wird es unerträglich.
Karl Lauterbach, die Fliege mit dem Mann, hat der TAZ ein Interview gegeben, das ihn unter anderen Umständen als schwachsinnig oder psychotisch qualifizieren würde. Für einen Sachbearbeiter sozialdemokratischer Restposten sind die Alternativen zu dem trüben Quark, den er anrührt, allerdings recht dünn gesät. Es mag sich also bei dem Stuß, den er da verzapft, um das Resultat der verzweifelten Bemühung handeln, die SPD als “sozialdemokratisch” darzustellen.
Lauterbach hat verinnerlicht, was führende Sozen gefälligst zu denken haben: Daß die SPD “links” ist und die Agenda 2010 ein Segen für die Menschheit. Die Verwüstungen, die diese Anstrengung hinterläßt, kommen einem schweren Schädel-Hirn-Trauma gleich. In medias res:

[TAZ:] Und wie haben die Hartz-Gesetze diese Jobvermehrung bewirkt? Durch erhöhten Druck auf Arbeitslose?

[Lauterbach:] Zum Teil – ja. Es gibt Arbeitslose, die erstens heute weit schlechter bezahlte Jobs annehmen. Zweitens: Weil die Aufstockung möglich ist, arbeiten viele Hartz IV Empfänger nebenher. So sind Niedriglohnjobs entstanden, die es vorher nicht gab. Es gibt also mehr Leute, die überhaupt Arbeit wollen und es gibt mehr niedrig bezahlte Jobs. Das zusammen hat, drittens, dazu geführt, dass die Löhne im unteren Bereich gesunken sind. Das wiederum hat dazu beigetragen, dass dort noch mehr Jobs entstanden sind.

Er beschreibt es beinahe richtig. Es werden immer mehr Menschen in Niedriglohnjobs gedrängt. Sie verdienen dort weniger als jemand, der gar nicht arbeitet. Sie werden schlicht ausgebeutet, und zwar in immer größerer Masse. Damit sie leben können, gehen sie nebenbei noch zur ARGE. Hier liegt der Fehler seines Berichts: “Nebenbei” wäre demnach ein Synonym für “effektiv unbezahlt”.

[TAZ:] Aber empirische Beweise, dass Arbeitslose angesichts von Sanktionen Jobs annehmen, fehlen…

[Lauterbach:] Wer Vermögen und Einkommen verliert, ist eher geneigt, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Wenn dies anders wäre: Bitte, warum gab es denn so viel Protest gegen die Hartz-Reformen? Sie können schlecht behaupten, dass die Arbeitsmarktgesetze nicht wirken, der Protest gegen sie aber berechtigt ist. Das ist doch widersprüchlich.

Lauterbach versteht die Frage nicht. Der empirische Nachweis des Effekts wäre dann gegeben, wenn man nachweisen könnte, daß es Menschen gibt, die nicht arbeiten wollen, unter Druck aber doch Arbeit annehmen. Zunächst müßten beide Aspekte isoliert und dann der Zusammenhang nachgewiesen werden. Außerdem dürfte die “Wirkung” der Maßnahmen auf das Anwachsen prekärer Arbeitsverhältnisse zurückzuführen sein. Dies sind die neuen Jobs, in die “vermittelt” wird, und dagegen richtet sich vor allem der Protest.

[TAZ:]Nur eine Nebenwirkung? Die Löhne sind im Niedriglohnsektor um zehn Prozent gesunken.

[Lauterbach:]Ich will nichts beschönigen. Ich bestreite nicht, dass es wichtig ist, das Lohnniveau zu halten. Aber Arbeit zu schaffen, ist noch wichtiger. Denn was nützen dem, der keine Arbeit hat, hohe Löhne?

Welch eine Exkrementallogik! In der Folge sollte man zuerst die Gewerkschaften abschaffen. Es dürften dann kurzfristig deutlich mehr Arbeitsplätze entstehen, der Lohn allerdings womöglich nur noch in einem Teller Suppe pro Arbeitstag bestehen. Daß niedrige Löhne die Wirtschaft massiv gefährden, könnte ihm anhand dieses Beispiels deutlich werden. Nur, wer etwas übrig hat vom Lohn, kann auch etwas kaufen. Lauterbach aber kommt aus Schröders neuer Welt. Da kaufen Autos noch Autos, und Arbeit ist ein Wert an sich. Sie ist auch ohne Lohn gut. Das heißt aber nicht etwa, daß jede Tätigkeit, die etwa den Interessen der Menschen entspricht, “Arbeit” wäre. Nein, auch hier gilt, was dem Gewinn dient. Arbeit ist gut, wenn irgendwer davon einen wirtschaftlichen Gewinn hat. Das ist “links” nach Lauterbach:

Ja, ich glaube [...], dass sich der Wert von Politik daran bemisst, was sie für die erreicht, denen es am schlechtesten geht. Das sind, neben chronisch Kranken, die Langzeitarbeitslosen. Insofern sind die Hartz-Reformen linke Reformen.

Ob das diejenigen sind, denen es am schlechtesten geht, darf man schon bezweifeln. Für die Langzeitarbeitlosen ist also etwas erreicht worden: Sie dürfen bei Bezügen auf Sozialhilfeniveau evtl. arbeiten. Sie müssen alles verscherbeln, was sie sich erspart haben. Sie haben keine Aussicht auf eine Rente. Man verhetzt sie als “Schmarotzer”.
Was Lauterbach ganz bewußt außen vorläßt, ist die Situation der Familien mit Kindern. Dank der “linken” Reformen sind sie diejenigen, denen es am schlechtesten geht. Dank der grandiosen Reformen gibt es überdies eine wachsende Masse von Menschen, die nicht mit Arbeitslosigkeit in Berührung kommen und dennoch von “HartzIV” leben müssen. Denen aber geht es per definitionem gut.
Darin besteht nämlich die Hohe Kunst der Agenda-Politik: Was nicht paßt, wird passend gemacht. Auf historisch niedrigem Niveau machen SPDler damit den altbekannen Fehler: Daß sie sich kaum selbst überzeugen können, geschweige denn irgendwen außerhalb ihrer geschlossenen Station. Das hat einen ganz einfachen Grund: Diese Politik stinkt. Mit ihr kann man niemanden überzeugen.