“Gotteslästerung” schreit die Kirche und ruft nach dem Staatsanwalt , weil eine kreuzöde Megadiva sich öffentlich nageln lassen will – ans nämliche, und natürlich nur im Spaß. Daß § 166 StGB die Störung des öffentlichen Friedens voraussetzt, damit ein Straftatbestand vorliegt, wird nicht erwähnt, auch nicht von dem Sprecher der Staatsanwaltschaft, der posaunt: “Sollte das Konzert so ablaufen, wie bereits andere Konzerte, werden wir zu prüfen haben, ob eine Straftat in Betracht kommt“. Was er wohl damit meint? Will er vielleicht eine begehen?
Meinen Segen hätte er, wenn auch nicht aus religiösen Gründen. Für eine Attacke auf Madonna bekäme er allemal mildernde Umstände, wäre es doch ein Akt ästhetischer Notwehr.
Kultur
Das Kabinett Rüttgers in NRW hat ein Ladenschlußgesetz verabschiedet, das die Öffnungszeiten beinahe vollständig freigibt. Einzig der Sonntag bleibt geschützt, wenngleich ebenfalls mit Einschränkungen. So darf es nur vier verkaufsoffene Sonn- und Feiertage im Jahr geben, die von den Kommunen bestimmt werden können. Interessant ist die Einschränkung: “Dabei ist auch auf die Zeit der Hauptgottesdienste Rücksicht zu nehmen“.
Was im rechtlichen Sinne ein Hauptgottesdienst ist, wird vielleicht noch zu klären sein. Jedenfalls handelt sich bei diesem Passus um eine wirklich rührende Aussrucksform des christlichen Fundamentalismus’. Es gäbe eine Reihe guter Gründe, die Liberalisierung einzuschränken, aber ausgerechnet die fünf Leute, die auf ihren Hauptgottesdienst in einer christlichen Kirche abonniert sind, müssen vor den sonntäglichen Schnäppchenjägern geschützt werden. Das ist in etwa so, als hätte eine SPD-geführte Regierung vorgeschrieben, daß sonntags in den Supermärkten nur Arbeiterlieder gespielt werden dürfen.
Etwas ist ans Licht gekommen. Sofort tauchen Journalisten massenhaft ins Dunkel und suchen Stimmen. “Intellektuelle” sind gefragt, moralische Instanzen, Experten. Während die öfentliche Debatte über Holocaust, Nationalsozialismus und die Emanzipation der Bundesrepublik längst viel weiter ist und man sich über gewisse grundsätzliche Differenzierungen längst geinigt hat, watet die Yellowpress des deutschen Feuilletons noch immer durch den Sumpf von Moral und Heiligenverehrung. Man holt “Meinungen” ein und wertet sie hernach, als handele es sich um Sachbeiträge. Das muß auch so sein, denn sonst wird aus dem Skandal sehr schnell eine Lappalie. Nur im Dunst der Moral funktioniert noch, was im Diskurs sofort untergeht: Der einfache Satz, das große Wort, die simple Wahrheit. Für derlei Vereinfachungen braucht man Prominente, die man zu “Instanzen” verklärt. Dumm nur, daß einzig die katholische Kirche erkannt hat, daß ein solches System ohne Unfehlbarkeitsdogma nicht funktioniert.
Menschen, die Lesen können, werden Herrn Grass dankbar sein, der mit seiner Offenbarung belegt, daß Schriftsteller Keine Moral- und Zitatmaschinen für jeden Anlaß sind. Für die anderen gilt es zu erkennen, daß die einfache Moral immer Doppelmoral ist. Sie dürfen sich entscheiden, ob sie auch eimal zu differenzieren versuchen oder Grass einfach ein Nazi ist.
Die alte europäische Aufklärung, man sollte es nicht für möglich halten, ist so aktuell wie selten zuvor. Auf dem Markt der Überzeugungen tummeln sich in diesen Zeiten reaktionäre und menschenverachtende Ansichten, die an Dummheit und Brutalität nicht zu überbieten sind, dabei ist ihnen allen gemein, daß sie behaupten, Gott auf ihrer Seite zu haben. Das geistige Mittelalter hat Konjunktur und erinnert uns daran, daß Freiheit und Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit sind, sondern täglich neu erkämpft werden müssen. Während religiös motivierte Amokläufe in den U.S.A. noch halbwegs amüsant sein können, hört der Spaß spätestens auf, wenn der Präsident eines EU-Staates die Wiedereinführung Todesstrafe fordert. “Katholiken” nennen sich diese. Da wir Papst sind, sollte uns das zumindest peinlich sein. Daß sich Juden und Muslime ebenfalls im Namen des Allherrschers gegenseitig umbringen, daran hat man sich bereits gewöhnt. Es ist an der Zeit, das Faß wieder aufzumachen und deutlich zu machen: Wo Gott lebt, stirbt zuerst die Freiheit und dann der Mensch. Die aufgeklärte Toleranz gegen die Religionsausübung ist Resultat einer grandiosen kulturellen Entwicklung. Sie darf nicht wieder umschlagen in den Irrglauben, es seien die Ungläubigen, die von den Eiferern toleriert werden oder auch nicht. Religion hat in der Politik nichts verloren. Dafür sollten sich aufgeklärte Menschen nachdrücklich einsetzen.
Cerebraliendiät dank Dianetik
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
02. Aug 2006 11:58
Der drittklassige Science-Fiction-Autor und erstklassige Sektengründer Ron L. Hubbard wirft einen langen Schatten unter der tiefstehenden Sonne des deutschen Bildungssystems. Seine Jünger unterwandern die deutsche Schülerschaft. Mit Nachhilfeangeboten wollen Scientologen arme Pisaschwächlinge manipulieren, auf daß sie die Lehre des großen Philosophen (“Make money, make more money!”) hören und verbreiten. Diese Form organisierter Gehirnwäsche kennt man sonst nur von einer Institition, die die Herrschaft von Männern in Frauenkleidern propagiert und sich für ein weltweites Verbot von Kondomen einsetzt. Oder von der Klingeltonmafia. Alles im grünen Bereich, möchte man meinen.
Ist Panik angebracht? Erst einmal bis zehn zählen, denn Scientology hat nichts zu bieten, das sie attraktiv macht. Wer ernsthaft glaubt, Kinder und Jugendliche würden sich von dem Dianetik-Gefasel der abgebrochenen Titane beeindrucken lassen, kennt wohl keine mehr. Und wenn Scientology auf die Idee kommt, Kinder so auszubeuten wie ihre Mitglieder unterer Ränge, hätte man eine feine rechtliche Handhabe gegen die Organisation. So what?
Freies Geleit für FLoyd Landis
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
31. Jul 2006 22:09
Ähnlich geistig begrenzt wie die Funktionäre sind die erwischten Fahrer. Nicht nur, daß sie glauben, man würde sie nicht erwischen. Nicht nur, daß sie nicht den Charakter haben, von sich aus etwas gegen den unfairen Wettbewerb zu tun. Am schlimmsten wird es, wenn sie sich zu ihren Taten äußern. Dann reagieren sie wie der Kleinkriminelle mit dem talentierten Anwalt in der Familie: Erst mal leugnen, dann evtl. zugeben, was eh bewiesen ist und schließlich versuchen, sich mit sinistren Winkelzügen aus der Sache herauszuwinden.
Es ist ja richtig, daß letzlich der Fahrer entscheidet, ob er den Stoff will oder nicht. Es ist aber auch der Fahrer, der glaubt, das sei so in Ordnung. Oder der sich dazu gezwungen fühlt. Wie kommt er dazu? Wie kann man ihn eines besseren belehren?
Die nötigen Erkenntnisse und Konsequenzen, die ein Ende des Dopingalltags zeitigen können, können nur von den Fahrern selbst kommen. Von den erwischten und den nicht erwischten. Sie müssen auspacken, sich gegen den Druck wehren, der dazu führt und einen fairen Wettbewerb unter sich ausmachen.
Sie werden allerdings niemals aus der Deckung kommen, wenn man ihnen diese Chance systematisch nimmt, indem man sie zum Schweigen verdammt. Laßt sie aussagen. Gewährt ihnen Amnestie!
Platini auf der dunklen Seite der Macht
Posted by flatter under KulturKommentare deaktiviert
24. Jul 2006 23:18
Nachdem der Fußball die Politik drei Wochen lang so herrlich entlastet hat, ist es wohl an der Zeit, daß die Politik den Fußball belastet. Michel Platini will UEFA-Chef werden. Im Gegensatz zu den anderen Lichtgestalten und Schacherweltmeistern hat er eine Vision, bezeichnet sich als “Romantiker”. Platini will die Jugend fördern und die Entwicklung des Sports auf einer breiten Basis. Die Underdogs liegen ihm mehr am Herzen als die großen Vereine und Veranstaltungen. Ja, is scho wieda Weihnochtn? Wo kämen wir hin, wenn wir künftig mehr Zeit mit der Talentsuche verbrächten als mit der Pflege der Sponsoren? Der Mann ist wahrlich in die falsche Zeit geboren. Vielleicht erbarmt sich doch noch die Lichtgestalt, wird FIFA-Chef auf Lebenszeit und gibt dem Franzmann von von oben was auf den Deckel. Das wäre eine kleine Wiedergutmachung, nachdem er Klinsmann nicht verhindert hat.
Heute alles etwas kürzer: Nach nur 28 Kilometern bin ich heute vom Rad geflossen und habe beschlossen, den Rest des Tages mit intensiver Schonung und der Aufnahme kühler Speisen und Getränke zu verbringen. Daher auch hier nur ein Kurzkommentar:
Während in Blogs die Frage gern diskutiert wird, welche (journalistische) Qualität die Bloggerei allgemein hat, weiß RP-Online die Antwort auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Blog und Zeitung: “Trotz dieser Stärken des Blogs müssen Leser Vorsicht walten lassen. Die Blogger verstecken sich hinter Decknamen, nicht alle geben Informationen über ihre wahre Identität preis. Auch bei Videos und Bildern stellt sich die Frage: Ist hier wirklich das zu sehen, was der Blogger berichtet?” Das ist bei Zeitung und Fernsehen natürlich völlig anders. Man weiß immer, mit wem man es zu tun hat, und die Berichte sind stets seriös und bestens recherchiert. Wie beruhigend!
Wenn es nach mir geht, jedenfalls. Die Autorin mag andere Gründe haben, ihren Protagonisten zu schlachten. Er hat ihr genug eingebracht, er war der ödeste Charakter in den Büchern, und sie mag es halt, wenn Leute schlechte Laune haben. Spätestens als sie ihren Lesern den Gothic-Schinken “Der Orden des Phönix” vor die Füße geworfen hat, wurde das offenbar. 1000 Seiten schlechte Laune in der Rubrik “Kinderbuch” zigmillionenfach zu verhökern, das ist eine der großen Leistungen der Menschheit. Im nächsten Band ließ sie den Sympathieträger abnippeln, und jetzt ist eben der tumbe untalentierte Typ mit der Blitznarbe dran. Mal sehen, durch wie viele Seiten Stilerbrechen und schale Spannungserzeugung sich die Opfer der literarischen Sadistin diesmal quälen müssen. Sie spielt sich inzwischen auf wie wie ein Despot, der über Leben und und Tod entscheidet:
“Zwei Hauptpersonen werden sterben, eine dritte wurde von mir begnadigt”
Begnadigt, aha. Möge sie der Welt eine weitere Gnade erweisen: Daß dieses zweitklassige Fantasyepos endlich zu einem Ende findet.
Eine unerträglich bigotte Szene hat sich heute selbst abgeschossen und Millionen Anhänger verloren. An der Inszenierung der Tour de Farce haben alle mitgewirkt: Depperte Funktionäre, übereifrige Ermittler, windige Trainer, abgezockte Ärzte, halbblinde Medien, doppelbödige Sponsoren und Sportler, die nicht den Mut hatten, “Nein” zu sagen. Das klingt wie eine Entschuldigung für diejenigen, die im Rampenlicht des Dopingskandals stehen, und es ist eine. Ullrich, Basso und Co werden sich ihrer Verantwortung stellen müssen, die Früchte ihrer unerhört harten Arbeit sind für sie verloren. Andere haben ihre Schäfchen längst im Trockenen oder profitieren vom Skandal mehr als vom Sport. Was aber hat die Verantwortlichen geritten, einen Tag vor der Tour diesen Dreck auszukippen? Wie kommt man auf die Idee, den “Beweis der Unschuld” zu fordern, zumal, wenn es dafür definitiv zu spät ist? Wer verfolgt mit diesem Schwachsinn welches Ziel?
Die Radsportfans, um es auf den Punkt zu bringen, hätten gern sauberen Sport, aber sie hätten eher Blutdoping akzeptiert und sich den Kampf der chemisch trainierten angeschaut, als sich das Ereignis des Jahres derart kaputtmachen zu lassen.
Schließlich: Das, was nach hartem Durchgreifen und konsequentem Kampf gegen Doping aussieht, ist dieselbe tumbe Gaukelei, die es schon in den vergangenen Jahren war. Dem Radsport aber hat dieses Fiasko den Dolchstoß versetzt.

