Wirtschaft


 
Soso, Nokia hat in Rumänien auch schon wieder fertig. Das kommt davon, wenn man nicht weiß, was eine Investition ist und bloß blöde Erbsen zählen kann. Ich habe in 12/2005 folgendes geschrieben:

‘Management wird dort überhaupt erst gebraucht, wo man nicht mehr quantifizieren kann – und dennoch handeln muss.’
Während jeder Depp nämlich errechnen kann, wie sich ein Gewinn durch Kostensenkungen steigern läßt, sind weder der Erfolg kluger Investitionen noch die politisch/ökonomischen Folgekosten von Unternehmensentscheidungen vorab quantifizierbar.

Und noch in 09/2007, also ebenfalls vor dem Umzug Nokias ins Billigland, dies hier nachgelegt:

nokiaDie Behauptung, ‘die Wirtschaft’ müsse nachgerade ins Ausland fliehen, weil dort alles besser sei, war schlicht falsch. Grundfalsch. Sie diente einzig dem Drücken von Löhnen hier, in dem Glauben, derart die Margen steigern zu können und damit keinen weiteren Schaden anzurichten. Tatsächlich aber hatte das Ganze böse Nebeneffekte. Es wurden nämlich nur noch sogenannte Ökonomen und Manager gehört und gefördert, die tumb auf die Kostenseite schielten und hysterisch den Untergang heraufbeschworen, wenn irgendwer vermeintlich einen Euro zuviel investierte. Sie hatten immer recht, denn was man nicht ausgibt, spart man ja. Wer hält schon mit Visionen dagegen und vertritt die völlig richtige Auffassung, daß höhere Investitionskosten sich nicht nur rechnen können, sondern zu stabileren Gewinnen führen? Einer solchen Prognose fehlt nämlich oft eine Kalkulation in Euro und Cent. Sie ist reine Überzeugungsarbeit, die nichts zählt(e) in diesem Land.

Dass ein Technologiekonzern wie Nokia sich die Dummheit geleistet hat, lieber Schrott für möglichst kleines Geld zu produzieren als sich Gedanken zu machen, wie man eine gewachsene Struktur zur Verbesserung der Produkte nutzen könnte, ist schon große Komik.

Lohnkosten? Damit kann man sich abfinden

Erinnert sich wer an BenQ? In der Folge diverser Lohnabschlüsse, die sich immer nur an angeblicher “Standortsicherung” orientierten, VW folgte da Siemens/BenQ, war hier zu lesen (09/2006):
Makroökonomisch ist Lohnverzicht schon lange ein Gift, das die heimische Wirtschaft belastet. Aber auch betriebswirtschaftlich sind solche Patentideen reine Augenwischerei. Ein Betrieb kann nicht überleben, wenn sich die Produkte nicht verkaufen. Er taugt nichts, wenn sich keine angemessene Entlohnung erwirtschaften läßt. Wer glaubt, er rette irgendetwas, indem er die Produktionskosten künstlich verringert, hat etwas fundamental mißverstanden. [...] Für gute Produkte kann man gute Löhne zahlen. Für schlechte Produkte ist der Standort Deutschland gänzlich ungeeignet.
Damals waren Nokias Produkte übrigens noch eine Orientierungsmarke.

Langfristig ist die neoliberale Ideologie der Kostensenkung fatal. Das gilt für alle Gesellschaften, die keine Sklavenwirtschaft betreiben. Diese Erkenntnis scheint bislang weitgehend verboten, aber nur, wer drauf gepfiffen hat, macht auf Dauer die Umsätze. Man stelle sich vor, ein Jungmanager hielte mit einer Präsentation dagegen, die statt ‘Sparen’ hohe Ausgaben vorsähe und keine Gewinne garantieren würde. Jemand, der unternehmerisches Risiko predigte anstatt effizientere Produktion, sprich: Ausbeutung. Welche Zukunftsaussichten hätte der?

Ich schätze, das liegt eher im Minutenbereich, wenn man ihn überhaupt ausreden lässt. Dabei ist das die Strategie zum Beispiel von Apple, die nicht eben dumm gewesen zu sein scheint. Vielleicht ist solche Weitsicht aber etwas für Freaks und Gutmenschen. Wer ein guter Manager sein will in diesen Zeiten, gibt nicht lange, wenn er einfach nur nehmen kann. Wer zu hohe Löhne zahlt, ist ein Depp, der nicht kapiert hat, dass das alles von seiner Abfindung abgeht.

 
kanotscr
 
Was hat ein Posting über ein Betriebssystem hier zu suchen? Erkläre ich gern noch einmal: Über den Kapitalismus schimpfen und sich von Microsoft oder Macinstosh abhängig machen, das ist irgendwie uncool. Selbst wenn man der Ansicht ist, den MS-Kram könne man ja klauen, fällt man aber auf die Marketing-Strategie des Monopols herein. Da die meisten Zeitgenossen ihre Kisten eh nicht selbst am Laufen halten, können sie den Nerd ihrer Wahl bei Gelegenheit doch auch mal auf eine Linux-Distribution anquatschen. Deshalb gebe ich beizeiten eine Meldung ab, wie es steht. Ich kann auf jeden Fall sagen: Im Gegensatz zu Windows wird Kanotix immer besser.

“Kanotix kann”, schrub ich zuletzt. Nach einem Jahr habe ich das rennende System aus Lust mal geputzt und durch die aktuelle Version ersetzt. Einiges war nicht optimal gewesen, was leider dazu geführt hat, dass ich hauptsächlich weiter XP benutzt habe. Zum Nachteil von Kanotix ist mir dann auch noch proprietäre Bildbearbeitungs-Software zugelaufen, an deren Vorversion ich mich gewöhnt hatte. Die läuft nicht unter Linux – natürlich wegen des Kopierschutzes. Ich werde daher in Zukunft darauf verzichten, das geht nämlich inzwischen ganz gut.

Alles läuft

War ich zuletzt von Kanotix begeistert, bin ich jetzt – begeistert. Es läuft einfach alles, wenn man nur ein wenig nachhilft. Dazu muss man sich auch nicht mehr nächtelang durch Foren wälzen. Alles, was man wissen muss, steht quasi am Eingang über dem Download. Sogar der ATI-Treiber und das Flash-Plugin ließen sich mühelos und flott installieren.
Die Probleme mit der Darstellung mancher Desktop-Themes in Firefox und Thunderbird (bzw. “Iceweasel und Icedove”) lassen sich zum Teil durch einen Mausklick beheben. Schwarz auf Schwarz ist nämlich nicht so prickelnd. Leider gibt es immer noch solche Menüs, daher muss ich (vorläufig) auf ein anderes Design als das coole schwarze umsteigen. Immerhin hat man eine Wahl.

Einzig die Belegung der 4. und 5. Maustaste bedurfte eines gewisses Mehraufwands. Eine Microsoft-Maus (jaja, soll ich das Ding wegwerfen?) nimmt sich das Recht auf Widerstand, wenn sie unter den Pinguin gezwungen wird. Dafür wurde kein passender Treiber beigelegt, komisch!
Da ich sowohl in WinXP als auch unter Linux den Thunderbird benutze, war es auch kein Problem, die Mailkonten zu überführen. Man muss wohl wissen, wo der “Profile” Ordner hingehört – in beiden Systemen. Keine große Kunst. Ein wenig ärgerlich ist die Bedienerfreundlichkeit, wenn bei der Installation bestimmte Netzwerkeinstellungen eingetragen werden, die man dann nicht mehr so leicht loswird. Ich muss allerdings gestehen, dass drei hintereinander geschaltete Router wie in meinem Haus auch nicht der Regelfall sind. Und welcher “User” richtet sich unter Win ein Netzwerk selbst ein? Das läuft da keineswegs geschmeidiger.

Der Konsument und das liebe Monopol

Vollends überzeugt hat mich dann die aktuelle Version von GIMP, das schon ewig zur Linux-Serienausstattung gehört. Die Bedienung ist anders als bei Adobe-Produkten, aber nachvollziehbar, die Resultate der Bearbeitung lassen sich absolut sehen. Für mein bisschen Gebastel im Blog reicht das völlig. GIMP gibt es übrigens auch für Windows.
Kenner wissen, dass es überdies eine ganze Masse von Open-Source Programmen gibt, die man mit einem einfachen Befehl installieren kann – ohne viel Geld oder einen Keygenerator zu bemühen. Ein sehr guter Dateimanager ist ebenfalls im Paket, Office-Pakete und der ganze Kram, den man sonst teuer bezahlen müsste.

Fazit: Es geht nicht nur ohne Redmond, es sieht sogar besser aus, es ist in vielem besser und nur noch in einigen Belangen schlechter. Kein Grund, einen Milliardär noch reicher zu machen. Und selbst wer glaubt, absolut nicht auf die eine oder andere Anwendung verzichten zu können, die nur auf päpstlicher Software läuft, sollte sich beizeiten mal ein kleines Linux extra gönnen – was auf demselben Rechner problemlos geht. Das ist dann schon nicht mehr bloß labern, es ist ein kleiner Nadelstich gegen ein großes Monopol.

 
5sinnEr rettet Deutschland: Hans-Werner Sinn weiß was. Wir brauchen ein neues Zockerpapier, das den Ausstieg Deutschlands aus dem Euro vorbereitet. Nachdem die Exportindustrie eingesammelt hat, was die Euroländer an Schulden machen können und die Zocker ein Land brauchen, in dem ihre Casinos noch durch harten Cash über die Runden gebracht werden, machen wir was anderes. Eine Anleihe, die nicht vom Schicksal der Euroversager abhängt, eine deutschnationale Anleihe, die nahtlos in die neue D-Mark überführt werden kann. Bis dahin gibt es noch niedrigere Zinsen für die BRD, noch höhere für den Rest der Welt. Und “steuerfrei” steht auch noch drin. Her damit!

Als wir Europa nämlich den Wettbewerb empfahlen als allein seligmachendes Mittel der Wirtschaft, meinten wir genau diesen Wettbewerb. Keine Gnade, keine Hilfe für Versager. Solidarität ist etwas für Wettbewerbsfähige. Hätten sie doch bloß das Manual gelesen in Süd- und Resteuropa, sie hätten gewusst, was kommt. Hatten wir nicht ganz deutlich von “Standortwettbewerb” gesprochen? Von globalem gar? Und hat sie das wirklich davon abgehalten, den Blick auf die direkte Nachbarschaft zu werfen? Oder gehört die etwa nicht zum Globus? Die Konkurrenz sind wir, liebe Europäer. Danke für eure tatkräftige Mithilfe, für niedrige Kurse hier und höhere Kosten bei euch. Danke für das blinde Vertrauen. Viel Glück noch, ihr werdet es brauchen. Wir sind dann mal weg.


 
Warum der explosive Anstieg und Verfall von Nahrungsmittelpreisen kein Naturphänomen ist. Weitere Informationen hier.

 
ostsee

Jährliches Treffen festangestellter Fachkräfte an der Ostsee

Eine Meldung mit Gewohnheitswert ist heute der Aufmacher bei FR-Online: Die “Nettolöhne sinken”. Eine Studie des DIW belegt nicht nur dies, sondern auch, dass Einkommenssteigerungen in den letzten zehn Jahren (der Zeitraum davor wurde nicht untersucht) Reichen vorbehalten blieben. Wer arm war und ist, wird es bleiben: Die Geringstverdiener haben die größten Verluste zu tragen. Sie haben Reallohneinbußen in Höhe von 22% zu verkraften. Das sind dann übrigens in aller Regel die, denen man keine Erhöhung ihres Regelsatzes zubilligt.

Die Politik hat die Reformschraube überdreht“, kommentiert der DIW-Forscher dies. Merke: “Reform” ist alles, was neoliberal ist, vor allem alles, was Kosten auf Kosten der Mitarbeiter senkt. So etwas ist ein Kahlschlag und keine “Reform”, aber auch das DIW trötet gern die modernen Weisheiten in die Welt hinaus und ist dem Neusprech entsprechend verfallen. Interessant übrigens auch, dass es für das DIW jetzt “die Politik” ist, der mehrfach die Schuld zugesprochen wird. Als seien Arbeitgeber, Vorstände und Teilhaber Opfer der politischen Ideologie. Ein Treppenwitz.

Humankapital, Stückgut

Flankiert wird die ja immerhin löbliche Erkenntnis, dass man von den Löhnen hier nicht mehr leben kann, durch eine weitere Studie des DIW zur Leiharbeit. Das Resultat: “Steigt der Anteil der Leiharbeitskosten an den Personalkosten kontinuierlich weiter, wirkt sich dies negativ auf die Lohnstückkosten aus“. Wer nicht der Religionsgemeinschaft Hayek angehört, hat auch das geahnt. Auch hierin zeigt sich die Irrationalität der Ideologie: Es wird weiter marschiert, selbst wenn alle wissen, dass die Richtung nicht stimmt. Rückwärts nimmer!

Die nähere Begründung für diesen Umstand eröffnet einen tiefen Blick ins Denken solcher Ökonomie:
Schließlich wird zunehmend die Bedeutung des firmenspezifischen Humankapitals der Mitarbeiter für den Erfolg der Unternehmen erkannt. Leiharbeiter verfügen in der Regel aber nicht über dieses sehr spezifische Wissen.

Es schüttelt mich noch immer, wenn ich Vokabeln wie “Humankapital” lese. Eine sich durch und durch individualistisch gebende Ideologie betrachtet die Menschen, die den Reichtum erarbeiten, als formlose Verfügungsmasse. Das ist der Kern eines Weltbildes, das Menschen zu Stückgut macht. Es ist kein Nazivergleich, darauf hinzuweisen, dass dies die notwendige Bedingung für Massenvernichtung ist. Egal übrigens, wem man die Waffen dazu liefert.

Paradiesischst mögliches Paradies

Dass Leiharbeit “spezifisches Wissen” zerstört, ist völlig klar. Nomaden wissen halt nicht allzu viel von “Standort”. Gerade eben das, was sie brauchen, um beim Abgrasen zuzuschauen und weiter zu ziehen. Da ist der Arbeiter tatsächlich so zugerichtet wie das Kapital und seine Eigner, ein einig Schwarm von Heuschrecken. Und dann wird geschrien, man habe keine “Fachkräfte”. Die Alten werden aussortiert, die Jungen herumgestoßen. Wo sind jetzt bloß die Leute, die sich hier auskennen? Da haben Politik und Hochschulen versagt, ja sicher.

Man braucht schon viel Humor, um nicht dauernd zu lachen. Der Neoliberalismus schafft an allen Enden Probleme, die er dann durch mehr vom Selben zu lösen versucht. Seine Methoden widerlegen sich selbst, die Resultate widersprechen stets den Prognosen, er fördert maximale Ungleichheit, generiert Krisen in atemberaubendem Maß und Tempo und das alles im Rahmen eines Menschenbildes, das die Würde zur Ware macht. Willkommen im best möglichen Paradies auf Erden, Ihrer Sozialen Marktwirtschaft®.

 
strafObdachlose, Zigeuner, Nomaden, keiner will sie haben. Man kennt sie nicht, man will sie nicht kennen, sie gehören nicht dazu. Sie sind verdächtig. Sicher darf man ihnen ein unstetes Verhältnis zu Recht und Eigentum unterstellen. Nicht zufällig wurden und werden sie in unterschiedlichsten Gesellschaften stigmatisiert und oft schon präventiv und für die Sünde ihrer Existenz bestraft. Landstreicherei ist keine Bagatelle.

Nils Minkmar rezensiert bei FAZ.net das Buch von Katja Kullmann: “Echtleben” unter dem gelungenen Titel “Es lohnt sich nicht, fleißig und gebildet zu sein“. Das “kreative Prekariat” schildert die Autorin als ein ebenso rastloses wie oft gescheitertes Strebertum in einem brutalen Kampf um die wenigen Plätze an den Futtertrögen. Hier wird unter anderem ein völlig anderes Bild gezeichnet von selbständigen “Aufstockern” als in der obskuren Kampagne der letzten Woche.

Kreativ, flexibel, arm

Studiert, kreativ, flexibel, arm. Das ist immer öfter das Schicksal jener, die eigentlich allen Anforderungen der angeblichen Leistungsgesellschaft entsprechen. Personal ist halt teuer, ganz allgemein zu teuer. Man kann sich heute kaum mehr etwas anderes leisten als Praktikanten, Leih- Kurz- und Billigarbeiter. Die wissen daher nie, wieviel Monat am Ende des Geldes noch übrig ist. Frau Kullmann schildert ihre Geschichte bis zur finalen Verweigerung und hat sich dafür just den richtigen Verlag gewählt: Eichborn, frisch in Konkurs gegangen.

Das Bild, das sie zeichnet, wird andernorts ergänzt durch eine Studie, die sich mit Menschen befasst, die bereits auf dem Boden aufgeschlagen sind und denen man dasselbe abverlangt wie jenen, die noch fallen: Arbeitslose. Die sollen bekanntlich auf alles verzichten, was die “soziale Hängematte” eben nicht zu bieten hat.

Sie sollen jederzeit überall zu allem bereit sein – und das ohne die Aussicht, ihre Lage könnte sich realistisch bessern. Im Gegenteil befördert aber die erzwungene Unsicherheit dauerhaft Krankheit, Rückzug und weitere Unsicherheit. Die Prozesse werden zwanghaft beschleunigt, was voll zu Lasten nachhaltiger Beschäftigung geht. Der Druck auf Arbeitslose dürfte derart Arbeitslosigkeit sogar schaffen anstatt sie zu mindern.

Landstreicherei, neu definiert

So teilt sich die Gesellschaft der “Leistungsträger” zunehmend in erschöpfte Versager, die ihre noch vorhandene Kraft einsetzen, um die damit verbundenen Demütigungen zu ertragen und gehetzte Jobzigeuner, die sich in der Konkurrenz durchsetzen, eine Weile bleiben und dann weiterziehen, um woanders die Ellbogen auszufahren. Eine Klasse, die wenig Menschliches mehr erkennen lässt. Entwurzelte Leistungsroboter vs. faule Sozialschmarotzer. Darüber erhaben ist nur, wer als unverzichtbar gilt oder das Ganze finanziert.

Konsequent wäre es doch daher, die neoliberale Doktrin vom allseits bereiten Niedriglöhner durch eine strafgesetzliche Regelung zu ergänzen. Anstatt bloß sogenannte “Sanktionen” in Form von Leistungskürzungen auszusprechen, könnte man Landstreicherei neu definieren. Wer arbeitslos ist und kein Land besitzt, macht sich schuldig im Sinne des StGB. Sollte dieser Anreiz durch Freiheitsstrafen allein nicht effizient genug sein, wird man auch das Strafrecht flexibilisieren müssen. In einem globalisierten Wettbewerb ist das alternativlos.

brdgrausb
Wer muss eigentlich vor wem gerettet werden? Es ist nicht leicht, noch eine entschiedene Meinung zur Eurokrise zu haben. Das liegt daran, dass man sich inzwischen zuerst entscheiden muss, ob man noch ‘Informationen’ verarbeiten will oder den analytischen Blick beibehalten, sich von Zahlenspielchen blenden lässt oder hinter die Kulissen schaut. In der Tat eine gewöhnungsbedürftige Situation: Informieren oder denken – beides zusammen geht nicht.

Das liegt daran, dass das Spiel sich selbst erfüllender Prophezeiungen und Erwartungserwartungen denselben Regeln zu folgen scheint wie alles andere an den Finanzmärkten. Es gibt keine Rationalität, sondern bloß noch Stochastik. Wer sie beherrscht, macht Gewinn, die anderen zahlen drauf. Was die plappernden Diskutanten auf allen Kanälen darüber inzwischen völlig verdrängen: Griechenland ist kein Finanzmarkt, Griechenland ist real.

Real Ya

Das Motto der spanischen Leidensgenossen “Democracia Real Ya” heißt nicht nur “echte Demokratie jetzt”, es ist auch ein Ruf der Realität, der realen Menschen hinein in die losgelassene Welt der Zahlenvirtuosen. Hier und jetzt, zum Anfassen. Da ist nichts weg zu definieren oder bilanziell auszugleichen. Man kann die Leute erschießen oder ihnen weichen, man kann die Probleme lösen oder an ihnen scheitern. Menschen leiden darunter, und schon kurzfristig wird die Frage sein, wer genau und auf welche Weise.

Es wird immer noch diskutiert über Entschuldung, Sparprogramme oder Währungsaustritt, die Rolle der Ratingagenturen oder der Spekulanten. Natürlich sind die Ratingagenturen ein Teil des Problems, sie haben mehr Macht als Jochen Hoff oder Frank Lübberding einräumen. Das liegt aber daran, dass sie Teil einer virtuellen Geldwertproduktion sind, in der jeder seinen Vorteil sucht und nach seinen eigenen Regeln spielt.

Dass dieser Eigennutz eben keine Konstante ist, zeigt sich beispielhaft an den Ratingagenturen. Auch deren Bewertungen sind nachweisbar Einzelinteressen gefolgt. Hier geht die Stochastik dann unmittelbar in Betrug über. Dieser gelingt, weil die Ratingcodes sogleich in Parameter einfließen, die quasi automatisch zu Gewinnen und Verlusten führen. “Vertrauen” ist hier eine stochastische Größe neben anderen.

Wenn der Glaube weicht

Auch dies ist aber noch nicht des Pudels Kern, sondern höchstens eine ethische Betrachtung. Es entwickelt sich allmählich eine Entsprechung dieser Vorgänge in der sozialen Wirklichkeit. Auf der einen Seite kann man kaum mehr begreifen, was der Wert des Geldes eigentlich abbildet. Das Treiben an den Börsen und in den Banken hat nichts mehr mit Kaufkraft oder Warenwert zu tun. Eine völlig abgehobene Sphäre der Wertermittlung zeitigt Ergebnisse, die gewisse Machtverhältnisse andeutet. Die Milliardäre sind reich, einkaufen können sie mit ihrem Geld aber nicht. Immerhin glauben die Menschen noch, dass diese Leute eine Menge zu sagen haben – und kaufen könnten.

Da draußen aber geschieht der umgekehrte Prozess: Menschen machen nicht mehr mit, stellen sich real und physisch in den Weg und tun deutlich kund, dass sie nicht mehr glauben. Nicht an diese Zahlen, nicht an dieses Recht und nicht dass irgend etwas davon in ihrem Namen stattfindet. Da spielt es überhaupt keine Rolle mehr, ob Griechenland, Irland, Spanien, Portugal, Italien oder sonstwas noch zu “retten” ist, wie hoch die Schulden sind und ob sie steigen oder fallen. Niemand weiß, wie es real weitergehen soll. Offenbar kann alles Geld der Welt nicht die Wirklichkeit ändern. Das Spiel ist aus.

akw„Deckel“ will Tepco jetzt auf die Reaktorgebäude ihrer geplatzten Atomkochtöpfe drücken. Das ist angesichts der inzwischen trotz alledem bekannten Zustände beinahe amüsant. Waren da nicht mal welche drauf? Die chicen Kästen hatten doch ursprünglich nicht nur Decken, sondern sogar richtige Wände. Das hat bloß nichts genützt, als die strahlende Suppe explodiert ist.

Die bildliche Vorstellung davon, wie jemand einen Deckel auf eine brodelnde Ruine setzt, ist eine passende Allegorie auf das durchschaubare Bestreben so zu tun, als sei irgendwer noch Herr der Lage. Die Kernschmelzen haben schon vor Wochen die Böden der Reaktorkammern durchgebraten, da ist ein Deckel natürlich das Mittel der Wahl. Überdies ist die Umgegend weiträumig auf Jahrtausende verseucht, und das Gros des strahlenden Giftes wurde ohnehin im Pazifik verklappt oder in der Stratosphäre entsorgt. Da kommen dann auch überall Deckel drauf. Sobald wir so weit sind.

Aber eins ist sicher

Überhaupt wurde ein Deckel nach dem anderen in den Dampf geworfen, seit diese Tragikomödie von den Leuten in den ulkigen Trainingsanzügen gespielt wird. Es ließ sich dennoch nicht ganz drunter halten, was nicht heraus kommen sollte: Information, Verantwortung, Wahrheit. Es habe keine Kernschmelze stattgefunden, hieß es zuerst. Dann war es eine begrenzte, vielleicht eine, dann doch wieder nicht, dann eine, zwei, drei.

Die Katastrophe wurde als beherrschter Unfall einer Kategorie drei vier fünf sechs verkauft. Ein irgendwie dreivier-größter anzunehmender Unfall. Ach nein, doch ein Super größter anzunehmender Unfall. Okay, wir geben es ja zu. Und jetzt schnell wieder den Deckel drauf.

Wenn morgen Godzylla höchstselbst der Jauche vor Fukushima entsteigt, werden sie ihm ein Mützchen stricken und der Bevölkerung sogleich mitteilen, es sei wie immer alles unter Kontrolle. Die Medien werden das berichten, die Mehrheit der Japaner und der Rest der Jünger einer sicheren Technik ihnen das glauben.

Das ist ja auch die Hauptsache, denn bei der Kernkraft wie an den Finanzmärkten ist Vertrauen das Wichtigste. Der unerschütterliche Glaube, dass sich alles stets zum Besten wendet, wenn der Mensch nur beharrlich nach dem Höchsten strebt: Der Rendite.

Bei dem Begriff könnte man es bewenden lassen. Lohnsklaverei ist real, und die verstrahlten Wanderarbeiter der Kernreaktor-Putzkolonnen sind nur ein Beispiel von vielen. Wer jetzt mit dem Argument kommt, die paar Millisievert mehr oder weniger seien der Rede nicht wert, hat den Kern der Sache nicht kapiert: Es gibt Dreck, tief, widerlich und giftig, manchmal auch tödlich, den wollen wir nicht mal in einer versiegelten Mülltonne vor unserer Tür haben. Andere lassen wir darin waten.

“Es gibt doch Arbeit!”, tönen die Selbstgefälligen so gern, die solche nie erledigen würden, die es da noch gibt. Nein, schaut’s euch an: Selbst solche Jobs sind schon vergeben. Dabei geht es uns noch verdammt gut, internationale Solidarität können wir uns schon gar nicht leisten, wir konkurrieren nämlich im globalen Markt. In Rio und Mexiko leben sie auf Müllhalden, da müssen wir uns schon gut überlegen, ob wir die Grenzen der Zumutbarkeit nicht noch viel zu hoch ansetzen.

Die einen steh’n im Dunkeln

Die betroffenen Arbeiter glauben vermutlich noch, der Job sei ‘gut bezahlt’. Sie machen sich wahrscheinlich nicht die Mühe, Euro in Sievert umzurechnen und den Betrag zu ermitteln, der für sie tödlich wäre. Wäre das schon Reichtum? Noch weniger kommen sie aber auf die Idee nachzufragen, was ihr “Arbeitgeber” zur gleichen Zeit ‘verdient’, ohne dafür einen Finger krumm zu machen – geschweige denn Gift zu atmen oder fleißig seltene Isotope zu sammeln. Nur die einen steh’n im Dunkeln – und leuchten.

Je näher man hinschaut, desto deutlicher tritt hervor, wie wir alle doch teilhaben am Wachstum. Bei den einen wächst das Einkommen, bei den anderen die Tumoren. Das Schöne: Beides sieht man nicht, und wenn es doch mal rauskommt, hat das alles seine Ordnung. So ist halt der Wettbewerb, das ist das Risiko. Alles andere wäre Sozialismus.

eurofaschQuasi ans Fernsehen gefesselt, blieb ich gestern an Maischbergers PR-Stuhlkreis für Entscheider hängen. Das begann damit, dass ich mich wieder einmal über die Anwesenheit des BDI-INSM-Gurus Henkel erregte. Wenn die neoliberalen Kampfquatscher schon ständig Gratis-Werbung für ihre kognitiv entkernte Ideologie machen, so denke ich, dann sollen sie das wenigstens bezahlen. Stattdessen kommt die Gebühren-Stasi zu jeder Einweihungsparty und nimmt uns dafür auch noch Geld ab.

Auch Frau Wagenknecht muss ich nicht ständig als Vorzeige-Linke dabei haben, es gibt da sicher noch andere, die auch etwas zu sagen haben. Wie dem auch sei, die Runde aus den Besagten, Wilhelm Hankel, Frank Lehmann und CDU-Mann Frank Steffel verlief anders als ich mir das hätte vorstellen können. Am Ende keimte gar der Verdacht auf, dass der Diskurs den Diskutanten eine Vernunft aufzwingt, die sie eigentlich mit allem Mitteln zu meiden versuchen.

Beachtliches Problembewusstsein

Die traurigste Figur machte daher auch Steffel, der nichts anderes zu bieten hatte als Kanzlerinnen-Funk, Gesundbeterei und alternativloses Beharren darauf, dass nicht gesagt werden dürfe, was nicht wahr sein darf. Es gibt keine Krise. Alles im Griff. Wir haben eine gemeinsame Lösung.

Alle anderen, das schließt ausdrücklich auch Henkel ein, boten zwar äußerst unterschiedliche Lösungsansätze an, zeichneten sich aber durch beachtliches Problembewusstsein aus und waren sich sogar weitgehend einig in den wichtigsten Analysen. Selbst Henkel machte keinen Hehl daraus, dass auch eiserner Sparwille und eine Entschuldung Griechenland nicht in den Stand setzen würde, sich wirtschaftlich zu erholen. Dass in einer gemeinsamen Währung mit Exportmonster Deutschland die Südländer ausgeblutet werden, erkennen inzwischen auch diejenigen an, die sonst glauben machen, man müsse den Staat nur genug verschlanken, dann blühten die Landschaften schon.

Niemand widersprach Sahra Wagenknecht, die erläuterte, dass Griechenland sich derzeit nur tot sparen könne, dass es nicht Ziel sein könne, einen Lohndumping-Wettbewerb loszutreten und dass Deutschlands ‘Erfolge’ bei den Exporten auf Kosten der Konkurrenzfähigkeit anderer Euroländer stattfindet. Sogar ihre Feststellung, dass die Banken als Auslöser der Krise und des großen Schubs der Staatsverschuldung gleichzeitig davon profitieren, stieß eher auf Zustimmung als auf keifenden Gegenwind. Na gut, Arnulf Baring fehlte ja auch unentschuldigt.

Deutschlands Egotrip

Eine Überraschung war der weitgehende Konsens nicht nur darüber, dass Sparen für die Südländer keine Lösung ist, sondern dass eine koordinierte Wirtschaftspolitik der Euroländer die einzige Möglichkeit (gewesen) ist, den Euro zu einer tauglichen Gemeinschaftswährung zu machen. Dass dies nicht der Fall ist, wurde bislang zumeist bejubelt, denn die tollen Exportrekorde Deutschlands sind nichts anderes als der Ausdruck eines gewaltigen Egotrips ausgerechnet der entscheidenden Volkswirtschaft in Euroland. Die neoliberalen Konzepte, die maßgeblich dazu geführt haben, sind gescheitert, bzw. der Euro ist an ihnen gescheitert. Letzteres erkennen alle, egal ob sie wieder Einzelwährungen bevorzugen, einen Nord/Süd-Split des Euros oder eine deutlich höhere Besteuerung von Gewinnen, Vermögen und Höchsteinkommen.

Ganz Gallien? Nein. Ein kleiner unbefestigter Geist in der Runde glaubt immer noch, man könne von einem Rettungsschirm zum nächsten gleiten, Schulden per Gesetz für unmöglich erklären, und dann werde ganz von selbst alles wieder gut. Ob Leuchten wie Frank Steffel allerdings am Ende wirklich entscheiden, wie es weitergeht, daran darf glücklicherweise gezweifelt werden.

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