Archiv

2008


Das Ende des Neoliberalismus wird durch die Banken- bzw. Finanzmarktkrise stark beschleunigt. Es zeigt sich nicht nur endlich, daß die Ideologie unkontrollierter Märkte sogar für die Märkte schädlich ist, sondern es ist auch an der Zeit, die Rolle des Sozialismus im Neoliberalismus zu erläutern. Der Begriff ist übrigens im “Lexikon” der INSM nicht zu finden, was verwundert. Schließlich ist er einer der häufigsten im Sprachgebrauch der Neolibs. Dort stellt er eine Art Negativ des freien Marktes dar, also staaliche Kontrolle, Verteilung der Ressourcen nach anderen als marktwirtschaftlichen Kriterien und Alimentierung der Menschen, die nicht vom Markt profitieren.
Exakt dieser Sozialismus aber, der politisch oder von Staats wegen als verwerflich betrachtet wird, ist hochwillkommen und gefordert, wenn es aus “wirtschaftlichen” Gründen opportun erscheint. In einer Krise, die durch Gier, Fehlspekulation, Betrug, Dilettantismus und Rücksichtslosigkeit ausgelöst wurde, soll der Staat
- als Kontrolleur des Marktes herhalten, weil dieser zur Selbstkontrolle unfähig ist,
- Ressourcen, d.h. letztlich Steuermittel einsetzen, um das System “Markt” zu retten und
- damit diejenigen alimentieren, die in profitablen Zeiten den Gewinn für sich beanspruchen.
Die Einsicht, daß nur “der Staat”, also eine nicht wirtschaftlich legitimierte und nach Rechtsnormen ausgerichtete Instanz, für Ordnung sorgen soll, ist auch und gerade in einer Marktwirtschaft völlig richtig. Der Staat muß dabei unbedingt frei sein von wirtschaftlichen Interessen und darf sich ausschließlich nach Kriterien richten, die dazu geeignet sind, für Ordnung zu sorgen. Dies bedeutet, daß er dabei das wohl aller Bürger berücksichtigen muß. In einer Demokratie, die der Zustimmung der Bürger für die Ordnung bedarf, ist dies wiederum unmittelbar mit einem Bezug auf Gerechtigkeit verbunden.
Dieser fundamentale Unterschied zwischen “Staat” und “Wirtschaft” befähigt den Staat erst dazu, für Ordnung zu sorgen.
Die Einsicht, daß soviel “Sozialismus” unabdingbar ist, resultiert sogar aus der Lehre des Liberalismus und vor allem aus den Fakten, die die Weltwirtschaft aktuell bestimmen. Eine Diskussion um eine dauerhaft funktionierende Wirtschaft ist also ebenso wie das Wohl des Staatswesens eine Frage des richtigen Sozialismus.
Die Tatsache, daß das Chaos der Finanzmärkte letztlich auf die massenhafte Zahlunsunfägigkeit verführter Privatleute zurückgeht, deutet ebenfalls auf dieses Problem hin. Der Markt hat versagt, weil seine Verteilungsmechanismen versagt haben. Eine stabile Basis für eine Wirtschaft ist nur dann gegeben, wenn der Erwerb von Eigentum sich nach Kriterien von Gerechtigkeit richtet. Es müssen mehr Menschen partizipieren, und das wirtschaftliche Wachstum muß auf einer breiten Basis geschaffen werden, wenn es stabil sein soll. Die enorme Spanne zwischen den Einkünften weniger großer Profiteure und der Masse ist fatal, vor allem deshalb, weil auch die Dynamik des Wachstums sich so ungleich verteilt. Letzteres heißt ganz einfach, daß Zuwächse des Einkommens beim Großteil der Bevölkerung nicht mehr stattfinden. Darum ist jeder Ruf nach niedrigen Löhnen und Kosteneinsparungen zu Lasten der “Massenkaufkraft” ökonomisch widersinnig.
In einem politischen Sinne wäre es durchaus diskutabel, die Reichsten zu einem großen Teil zu enteignen, es wäre wirtschaftlich auch alles andere als schädlich. Damit wäre das Pferd aber falsch herum aufgezäumt. Es brächte nämlich gar nichts, wenn sich an der Dynamik des Wachstuns und der Verteilung der Einkommen strukturell nichts ändern würde. Im Gegenteil kann man den Reichen getrost ihren Reichtum lassen. Unabdingbar für eine stabile Wirtschaft ist aber die Beteiligung der Massen am Wachstum. Es ist blanker Unsinn, zu behaupten, eine breitere Verteilung verhindere Wachstum. Was verhindert würde, wäre lediglich ein rein mathematisch vorhandenes Wachstum bzw. dessen Größe. Wenn eine nationale Wirtschaft etwa um 1% wächst anstatt um 3%, davon aber nicht wenige, sondern möglichst viele profitieren, ist das Wachstum stabiler und langfristig sogar größer. Allein eine Wirtschaft, die auf Tagesgewinne aus ist, immer auf den größten Haufen scheißt und kein Morgen kennt, hat dabei das Nachsehen.
Es gibt also zwei Wege des Sozialismus in der Marktwirtschaft, um die es zu streiten gilt: Den einen, der die große Mistschaufel bedeutet, die immer dann von allen bedient wird, wenn wenige den Karren in den Dreck gefahren haben, und den anderen, der das politische Moment von vornherein in die Wirtschaft einbringt. Nur Gerechtigkeit sorgt dauerhaft für Wachstum. Es sei denn, man fände alles so gut, wie es derzeit ist und sorgte dafür, daß das Volk das mitmacht und nicht aufbegehrt. Dazu müße man ihm freilich mit Gewalt das Maul stopfen.

Meine Lebensgefährtin mag Hunde. “Seltsam”, dachte ich heute, “genau wie Hitler!”.
Lafontaine hat einen französischen Vornamen, genau wie Le Pen. Goebbels, Gorbatschow und Gysi fangen mit “G” an. Das kann doch alles kein Zufall sein!
Wir alle sind übrigens “charismatische Redner”. Also meine Frau und ich und die anderen da oben. Bei Le Pen würde ich allerdings Abstriche machen, sein Deutsch ist miserabel und seine Reden plump und inhaltslos, aber mei, was soll’s, irgendwas wird schon dran sein, wenn der Herr Schmidt das sagt. Der Herr Schmidt konnte seine eigene Partei kaum je überzeugen. Als er noch in Amt und Würden war, mußte ein gewisser “Seehemeir Kreis” ständig verlautbaren, was er doch für ein Toller sei, und auf der anderen Seite disziplinierte ein Ex-Kommunist seine Fraktion mit härtesten Bandagen – immer im Sinne der Demokratie, versteht sich.
Verstanden hat das damals trotz aller Nachhilfe nicht einmal die SPD, danach kamen deshalb 16 Jahre Kohl. Den haben die Leute besser verstanden.
Noch besser haben die Leute allerdings den Herrn Schröder verstanden. Vor allem die Leute von der Wirtschaft und den Medien. Der hat zwar viel versprochen und einige höchst publikumswirksame Versprecher gemacht, vor allem vor Bundestagswahlen. Das war allerdings kein Populismus, denn er wollte ja nicht dem “Populus”, dem Volk, gefallen, sondern seinen vielen wichtigen Freunden. Es ging ihm nicht darum, beliebt zu sein, sondern das Richtige zu tun. Da hat er sich vom Volk nix erzählen lassen, genau wie der Herr Schmidt dunnemals vor ihm. Populistisch war hingegen der Herr Brandt gewesen. Der konnte nicht nur reden, der ist sogar auf die Knie gefallen. Ein Bundeskanzler auf den Knien, das geht gar nicht. Auf den Knien, das ist für Koksnutten in Ordnung, aber nicht für einen Bundeskanzler.
An solchen Vergleichen sollte sich eine gute Politik unbedingt orientieren und vor allem natürlich der Wähler. Darum erklärt man ihm ja auch den Lafontaine. Dem sollte man tunlichst nicht zu zuhören, sonst wirkt das Charisma mit dem Populismus und vernichtet Arbeitsplätze.
Die Entwicklung der meisten Parteien in Deutschland ist von daher sehr positiv zu beurteilen. Charsima und Redetalent, die dunklen Künste, sind dort absolut tabu. Die wahren Antifaschisten erkennt man an sinnlosem Genuschel, ödem Geschwafel und einer Rhetorik, die einem Versicherungsvertreter die Schamesröte ins Gesicht triebe. Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und wollen der Nachwelt einen Schwur leisten:
Von deutschem Boden soll nie wieder eine überzeugende politische Rede ausgehen!

Beck ist weg, die SPD auf einem guten Weg. 4 % an einem Tag, das macht bis zur Wahl etwa 1550 % für die Agenda 2010, die daher bis ins Jahr 3030 fortgeschrieben wird.
Pakistan erfreut sich häufiger Besuche amerikanischer Touristen. Nein, Terroristen. Nein, die Terroristen in Pakistan werden von den amerikanischen Touristen heimgesucht. Diese hätten gern die NATO dabei, die will aber nicht. Wieso eigentlich nicht? Was haben nur die alteuropäischen NATO-Mitglieder gegen Interventionen bei Atommächten? Weicheier!
Piech kloppt sich mit Wiedeking, und zwar in Abwesenheit. Während diejenigen, die die Autos bauen, glauben, sie hätten damit etwas gewonnen, beschmeißen sich die Teilhaber-und Vorstandsgranden samt ihrer Familien mit Kaviar, damit der Plebs drüber ausrutscht.
Ackermann kauft sich die Postbank. “Welch eine Freude, die Postbank bleibt deutsch”, denken sich die Hohlhanseln der Politeska, während der Schweizer ein Bad in seinen Liechtensteiner Kontoauszügen nimmt. Was will er mit der Post? Erstens den längsten haben, ehe ein anderes Wichshähnchen mit mehr Federn protzt, und dann natürlich einem beinahe seriösen Konkurrenten den ganzen Dreck verramschen, den er nirgends sonst mehr loswird. Die nächste Krise kann kommen, dann geht die Postbank für einen Euro an die China Commmercial, den Rest legt der doofe Steuermichel dazu.
Ficht mich alles nicht an, ich hab “Wochenende” und kuriere einen höchst überflüssigen Schnupfen aus. Das Beste sind doch immer noch die alten Hausmittel, leicht abgewandelt: Kaltes Bier. Prost!

Wenn man gegen geltendes Recht wirtschaftet, braucht man Argumente. Zum Beispiel die einmillionste Erhebung, Studie, Befragung, die besagt, wie viele Arbeitsplätze “vernichtet werden“, wenn man Menschen für ihre Arbeit bezahlt. Daß es der Europäischen Sozialcharta widerspricht, wenn man sie, zumal massenhaft, ausbeutet, muß durch große Zahlen und schauerlichen Grusel übertüncht werden.
“Focus” langweilt mit einer weiteren “Studie” von “Wirtschaftsforschern”, deren Weisheit allein schon qua ihrer Autorität unzweifelhaft ist.
1,2 Millionen Arbeitsplätze vernichten” würde also ein flächendeckender Mindestlohn. Ein “Wirtschaftsforscher”, der von der “Vernichtung” von Arbeitsplätzen spricht, sitzt vermutlich in einer Kneipe und macht Experimente mit seinem zwölften Bier. Von Ökonomie hat er nicht den geringsten Dunst. Ist ein Arbeitsplatz “vernichtet”, wenn ich mit einem Bulldozer über meinen Schreibtisch fahre? Oder wenn ich den Bäcker erdolche? Wenn jemand arbeitslos wird oder eine Firma Konkurs anmeldet?
Ökonomie ist ein äußerst komplexes Geschehen. Vor allem in Deutschland, dem Giganten des Exports, wird ein auf Außenhandel angewiesener Arbeitsplatz, der wegfällt, in der Regel sehr schnell durch einen anderen ersetzt. Ist der Bedarf an Produkten vorhanden, wird produziert. Nirgends effizienter als hierzulande. Selbst das “Abwandern” von Arbeitsplätzen, auch eine mißlungene Metapher neoliberaler Gruselgranden, ist unwahrscheinlich. Billiger konnten andere schon immer, haben aber in der Masse nie so viel Erfolg gehabt wie deutsche Unternehmen. Hausaufgabe für die Wirtschaftforscher: Recherchieren Sie, woran das liegt!
Daß der deutsche Binnenmarkt immer noch dahinsiecht, wird hier in jeder Schwächephase der Weltwirtschaft zum Problem, und es wird immer schlimmer. Bislang ging das noch so gerade eben gut, und was häufig übersehen wird, ist der Einfluß, den der deutsche Binnenmarkt auf die Exportfähigkeit hat. Wenn sich hier niemand mehr die Produkte leisten kann, die er selbst herstellt, wird die Produktion als Ganze darunter leiden. Je größer die Masse derer wird, die von einer realen Teilhabe ausgeschlossen sind, desto ineffizienter wird die Produktion. Das Prekariat verliert völlig den Anschluß an die Arbeitswelt, Bildung erreicht immer weniger Menschen, weil sie keine Zeit, kein Geld und keine Vorbildung haben. Für einen “Wirtschaftsstandort”, dessen Angestellte effizient arbeiten sollen, eine Katastrophe. Niedrige Löhne werden überdies dazu führen, daß Arbeitskräfte aus dem Ausland keinen Grund mehr haben, hier ihr Geld zu verdienen – schon gar nicht solche, von denen wesentlich mehr erwartet wird als “Dienst nach Vorschrift”. Damit sind wir noch immer nicht bei dem Problem, daß deutsche Unternehmen vor allem in den europäischen Binnenmarkt exportieren. Der deutsche gehört dazu, und welche Auswirkungen ein toter deutscher Binnenmarkt aufs Gesamtsystem hat, ist die Hausaufgabe für fortgeschrittene “Forscher”.
Selbst, wenn man es nicht begrüßt, daß ausbeuterische Arbeitsverhältnisse abgebaut werden (und es gibt auch sehr gute ökonomische Gründe dafür), ist das Wort von der “Vernichtung” blanker Unfug. Die meisten Unternehmen müßten ihre Mitarbeiter schlicht besser bezahlen, ihre Gewinne würden lediglich bei gleichem Umsatz schrumpfen. Selbst, wenn man glaubt, daß viele Unternehmen dann nicht überleben würden, ist die Behauptung, die Arbeitsplätze würden wegfallen, also falsch. Sie würden in Unternehmen neu entstehen, die bereit sind, mit weniger Gewinn solide zu wirtschaften. Freilich sind Gewinnmargen von 25% nicht mehr drin, aber mit so etwas rechnet, darf gern auswandern.
Löhne, die in vom Export unabhängigen Branchen gezahlt werden, sind eine noch bessere Investition. Hier wandert niemand ab. Dienstleister und Handwerker, die anständig bezahlt werden, können andere Dienstleister und Produzenten anständig bezahlen. Das rechnet sich doppelt, weil dabei auch noch etwas für die öffentlichen Kassen abfällt und sich ganz nebenbei die gesamte Wirtschaftsleistung steigert.
Wie wissenschaftlich solche “Studien” sind, belegt die Astrologie, die dahinter steht:
Die RWI-Studie stützt sich auf Modellrechnungen. Außerdem wurden 800 Unternehmer aus acht Branchen befragt. Demnach rechnen zum Beispiel in Ostdeutschland 40 Prozent der Betriebe mit Entlassungen, sollte es einen flächendeckenden Mindestlohn geben.”
“Modellrechnungen” bedeutet so etwas wie Pi mal Daumen, streng linear und an einem Nachmittag zusammengeschustert.
Wenn “ein Betrieb” “mit etwas rechnet”, wird es schlicht komisch. Achja, es sind “die Unternehmer”. Wer genau ist das? Aufsichtsratsvorsitzende? Aktionäre? Manager? Pförtner? Und was bedeutet “Entlassungen”? Daß ein paar Leute gehen müssen? Ein Leiharbeitszug nach Hause geschickt wird? Daß der Betrieb dicht macht? Nichts Genaues weiß man nicht, aber auf Basis dieser Rumpelstatistik errechnet sich eins fix drei:
Die öffentlichen Haushalte müssten in diesem Fall Mehrkosten von neun Milliarden Euro im Jahr schultern – unter anderem, weil die Ausgaben für das Arbeitslosengeld steigen und die Einnahmen aus der Unternehmenssteuer sinken würden“.
Man hätte sich auch die Mühe machen können, zu errechnen, was an Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen gewonnen wird, wenn 2-Euro-Jobs durch echte Arbeitsplätze ersetzt würden. Aber das hieße ja, man müßte den ganz großen Rechner anschmeißen, wirklich kluge Köpfe, echte Wissenschaftler damit beschätigen und eine seriöse Arbeit leisten, die Monate oder Jahre in Anspruch nimmt. Doppelt uncool. Es käme dabei wohl nicht heraus, was der politisch-publizistische Komplex hören will, und das Geschäft ist immer in Eile. Heute auf den Schreibtisch gewürfelt, morgen veröffentlicht und immer am Puls der Macht – so wird ein neoliberaler Schuh draus.
Zieht ihn euch selbst an, geht ins Wasser und kommt nicht wieder raus!

“Meine Leute und ich kennen die Büchsenspanner”, überschreibt SpOn ein wohlfeiles Werk des Herrn Matthias Bartsch, das auf Beck zielt und sich selbst trifft. Das Artikelchen endet mit den Worten:
Das immerhin hat Kurt Beck in seinen zweieinhalb Jahren dort erkannt: ‘Meine Welt ist das nicht.’
Nein, es ist nicht seine, es ist die Welt der Bücklinge, die der Spiegel-Verlag bezahlt, um die politische und journalistische Kultur zu ruinieren, die einst eine passable Demokratie ausmachten. Becks Rücktritt steht im unmittelbaren Zusammenhang zu einem aktuellen “Spiegel”-Artikel. Wenn jemand die Intriganten kennt, von denen Beck sprach, ist es das Nachrichtenurinal, das da über die Causa zu berichten vorgibt. Das System, das von einem Zirkel schamloser Desinformanten aus Parteien und Journaille inzwischen solche Fakten schafft, ist das größte Problem der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2008. Wo noch vor einigen Jahren Journalisten ihre Arbeit machten, die Politik wachsam kontrollierten, sitzen jetzt willfährige Zuträger einer neoliberalen Sekte, die das Volk kontrollieren. Die Art und Weise, wie der “Spiegel” inzwischen seine Leser zu verarschen versucht, ist mit Worten kaum mehr zu beschreiben. Wer zur Hölle trägt noch sein Geld zum Kiosk, um diesen erbärmlichen Zirkus zu finanzieren?

Selbstkritik ist eine Kunst, die in der Politik selten zum Zuge kommt. Die journalistische Zunft ist da professioneller. Sie ist von höheren Gnaden dazu berufen, in den Himmel zu loben oder zur Hölle zu schreiben und dank ihres Qualitätsanspruchs jederzeit eine integere Instanz. Selbstkritik wäre da völlig fehl am Platze, denn das hieße ja, man hätte womöglich gar nicht das Zeug dazu, andere zu beurteilen.
In der “Analyse” zum Fall Kurt Becks tun sich zwei hervor, den Mann und die Welt zu erklären, die zwar keinen langfristigen Vertrag mit der Wirklichkeit haben, aber einen gut dotierten mit ihrem Verlag. Letzteres qualifiziert eben zu den Urteilen, die sie über andere fällen, ohne vorherige Beweisaufnahme, versteht sich.
Was CC Mahlzahn seinen Lesern ins trübe Licht schiebt, hat der Morgen angemessen gewürdigt. Wenn Kampagnenjournalisten nachkarten, steht eine Runde Ramsch an, die man sich gut sparen kann.
In der Sueddeutschen erklärt Gustav Seibt den Beck und sein Schicksal: Becks “Charakterschwäche” habe zu seinem Sturz geführt, seine “Dünnhäutigkeit”. Zur Erklärung liefert er uns einen Pott Püree, in dem er Merkels “Farblosigkeit”, Kohls Provinzialität und eine “ästhetische Postmoderne” zu einer faden politischen Erklärung zusammen stampft.
Daß Kohl unter Bedingungen an die Macht gekommen ist, die nicht zu vergleichen sind mit der heutigen Medienpräsenz, fällt ihm nicht auf. “Medienpräsenz” heißt dabei vor allem die Präsenz der Medien in der Politik, ihr Mitgewurschtel auf allen Ebenen.
Merkel ist durchaus farblos und hat der CDU immerhin ein historisch schlechtes Wahlergebnis beschert. Der Hauptunterschied zwischen Merkel und Beck ist allerdings, daß die beiden auf zwei Seiten eines Kampganenjournalismus stehen, sie eben im Himmel und er in der Hölle. Das Dauerfeuer aus allen Richtungen, das auf Beck losgelassen wurde, hätte kaum jemand so lange aushalten wie er. Ausgerechnet Kohl zu nennen, der bei jeder Majestätsbeleidigung grantig wurde und nur journalistische Hofschranzen an sich heranließ, ist abenteuerlich.
Die Attacken der vergangenen Monate, die erst erfolgreich wurden, als Beck bemerkt hat, daß die Genossen mit den gewetzten Messern sich immer enger um ihn scharten, sollen also nicht der Grund für den Rücktritt gewesen sein. Beck war falsch, so einfach ist das. Seibt, der sich bereits als großer Kenner Lafontaines und anderer Demagogen hervorgetan hat, macht also das, was er am besten kann: PR, die sich das vorgepinselte Weltbild nicht von langweiligen Fakten verunzieren läßt.

Als Kurt Beck SPD-Chef wurde, nachdem innerhalb eines halben Jahres zwei Vorsitzende verbraucht waren, schrieb ich:
Das letzte Aufgebot quasi ist das letzte Schwergewicht der SPD. Nicht nur deshalb, so sei hier wieder ein Orakel gewagt, wird er lange ihr Chef bleiben.
Ich hatte mit einigem gerechnet, den Intrigen der Agenda-Fraktion und der Presse etwa, setzte aber darauf, daß es nach Beck keine Alternative gäbe. Zumindest damit behielt ich recht. Wer hätte gedacht, daß die SPD derart rückwärtsgewandt ist, einen bereits verschlissenen Vorsitzenden noch einmal ins Rennen zu schicken? Zumal die Voraussetzungen noch dieselben sind: Nahles und die Kohorten, die Münte damals seinen Generalsekretär vorschreiben wollten, sitzen noch immer fest im Sattel. Was mich damals bewog, zu prognostizieren, man müsse sich den Namen des Neuen (Platzeck) nicht lange merken, war die Substanzlosigkeit der SPD 2010 und ein Personal, das weder Inhalt noch Charakter zu bieten hat. Heute serviert man also einen Aufguß dessen, in der ernsthaften Hoffnung, damit etwas, nämlich die Bundestagswahl, zu retten.
Das Symbol, das ein Vorsitzender Müntefering darstellt, ist die schiere Resignation. Er ist bereits verbraucht und mit 68 Jahren kein Mann für die Zukunft. Er und die Agenda-Kumpels fahren seit Jahren den Kurs “nach uns die Sintflut”, und mit ihm bringen sie einen nach vorn, dem tatsächlich alles wurscht sein kann. Dazu paßt auch das Verfahren: Ein kleiner Kreis klüngelt erst den Kanzlerkandidaten aus, wobei dem Vorsiztenden offenbar hintenrum übel mitgespielt wird. Als nächstes kungelt wiederum ein durch nichts legitimiertes Klübchen denjenigen aus, der den Vorsitz übernehmen soll. Die Partei wird nicht gefragt, sie hat das gefälligst abzunicken. Müntefering ist kein Kandidat, sondern die Lösung der Agenda-Fraktion, die sich inzwischen ganz offen als Entscheidungsmacht von Gottes Gnaden aufspielt.
Der Gedanke, der dahinter steht, ist halbwegs nachvollziehbar: Münte ist bei den Seeheimern und der Presse beliebt und gilt bislang auch als ein “Mann der Partei”. Strategisch betrachtet also der einzig Richtige. Darin aber liegt noch immer das Problem: Die 2010er kennen keine Diskussion, keine andere Meinung und schon gar keine Menschen, die sie überzeugen müßten. Das gilt für die Partei ebenso wie die Wähler. Sie sind das Fleisch gewordene Schrödersche “Basta”, und Müntefering ist das Mittel, die Partei ruhigzustellen.
Es wird nicht funktionieren. Die ganze Mannschaft stinkt der Partei. Steinmeier, Steinbrück, Scholz, Heil und wie sie alle heißen, sind politische Funtktionsmöbel ohne jeden Esprit. Münte haftet jetzt auch noch der Makel an, Kurt Beck gemeuchelt zu haben, gemeinsam mit seinen Weggefährten aus der Hartz-IV-Schmiede. Zu glauben, er könnte unter den aktuellen Bedingungen die Partei hinter die Führung bringen, ist nicht mehr naiv, sondern schon debil. Und als sei das noch nicht dumm genug, macht sich die Führungsclique noch immer nicht klar, daß Steinmeier, Müntefering und Co. die falsche Politik verkaufen. Die Besetzung der Hauptrollen ist da nur Symptom, wenngleich ein deutliches.
Vielleicht gelingt es Münte dennoch, die Partei ein wenig zu einen. Am besten holt er dazu Wolfgang Clement wieder ins Boot. Das würde ihm noch einmal so viele Parteiaustritte bescheren wie zu seiner letzten Amtszeit und vielleicht endlich die Befreiung bringen – von den letzten Sozialdemokraten in der SPD.

Die Sommerposse geht weiter: SpOn, in Besitz intimster “Spiegel-Informationen” weiß zu berichten, daß Steinmeier K-Kandidat wird. Dies habe er aktiv und in einem Gespräch mit Kurt Beck durchgesetzt und “Beide vereinbarten Stillschweigen“.
Das ist bis hierhin ja schon amüsant genug. Zwei Leute vereinbaren Stillschweigen, und der “Spiegel” weiß sofort bescheid. In der SPD können sich also nicht einmal zwei Leute für mehr als eine Stunde an getroffene Vereinbarungen halten? Es ist nicht anzunehmen, daß Kurt Beck besonders scharf darauf ist, den “Spiegel” mit Informationen zu versorgen. Steinmeier hätte hingegen allen Grund, dem Vorderlader der Agenda-Presse dankbar zu sein. Zeigt er sich also erkenntlich? Oder lanciert der Hamburger Komödienstadel bloß dreist, was ohnehin zu erwarten ist?
Wie dem auch sei, die Entscheidung für Steinmeier ist alternativlos, ich wundere mich nur ein wenig darüber, daß er das mitmacht. Er ist dümmer als ich dachte. Kanzlerkandidat der SPD 2009, das ist ein Job für jemanden, dem das Versagen Herzensangelegenheit ist. Von daher wäre Peer Steinbrück noch passender, aber Forsa mag nun mal den Außenmini lieber. Was auf der Brücke der Sozen derzeit von sich hin dilettiert, ist zum Absaufen geboren. Wenn sich nun wirklich einer gefunden hat, der auf einer grotesken Irrfahrt den Kapitän mimt und sich für alle Zukunft zum historischen Horst machen will, ist das gut so – für die, an denen der Kelch vorüber ging.
Kurt Beck wird wie immer unterschätzt. Er wird sich genüßlich anschauen können, wie die unvermeidliche Meuterei spätestens nach der Wahl einen anderen trifft. Es gibt keine inhaltliche Unterstüzung für Steinmeier in der Partei. Er ist eine Symbolfigur für das Scheitern der Agenda 2010 und wird von “Freunden” genau so ausgeweidet werden wie vom außerparteilichen Gegner. Entweder läßt er sich für ein Programm vor den Karren spannen, das er vehement ablehnt, oder er zieht einen Streifen durch, den in seiner Partei niemand mehr sehen und hören möchte. Das niederschmetternde Wahlergebnis und die Aussicht, im “besten” Falle Anhängsel einer Union zu werden, die gar keine Koalition mit diesem Juniorpartner mehr will, werden zum Fanal für die Stones und den Rest der Schröderbande werden. Danach wäre ein Neuanfang möglich. In der Opposition.

[update:] Nun hat sich diese Gurkentruppe doch tatsächlich dafür entschieden, nicht nur einen weiteren Wechsel an der Parteispitze herbeizuführen, sondern auch noch diesen! Ernsthaft wollen die Agenda-Piloten Münte wieder nach vorn bringen – der absehbar ob seines Alters den Job nicht wirklich lange wird machen können. Derweil können sie die Partei weiter ruinieren, die genau so wenig Zukunft hat wie ihr Vorsitzender. Mal sehen, was die Basis sagt, denn immerhin muß der Chef ja noch gewälht werden. Egal – lächelt und seid froh, es kann kaum noch schlimmer kommen.

Die Tagesschau meldet, daß jeder Zehnte ein Sozialschmarotzer ist. Dieser Typus Mensch ist Gegenstand einer Kampagne für Anstand und Sitte, welche derzeit von Springer und anderen betrieben wird. Empörenderweise erwarten die Lobbygruppen der Faulenzer noch mehr Geld fürs Nichtstun, obwohl die Wissenschaft festgestellt hat, daß sie schon jetzt zuviel bekommen. 345 € jeden Monat, obwohl 132 €auch genug wären!

asicard

Originalbild: Commons.Wikimedia

Aber macht es Sinn, auf halbem Wege stehen zu bleiben? Wer nicht arbeitet, muß auch nicht essen, braucht vor allem nicht auch noch Geld, das er für Drogen und Vergnügungen ausgeben kann. Zurecht haben die fleißigen Wissenschaftler darauf hingewiesen, daß es Möbel von der Caritas und Futter bei der Tafel gibt. Warum nicht alles aus einem zweiten Wirtschaftkreislauf, der den ersten nicht mit Abgaben belastet? Wer nachweisen kann, daß er bedürftig ist, bekommt eine Kreditkarte für Bedürftige (siehe oben). Mit dieser tut er kund, daß er nicht kreditwürdig ist und der Almosen bedarf. Diese werden ihm dann in Naturalien von gemeinnützigen Organisationen verabreicht. Im Gegenzug und als Bedingung darf man den Bedürftigen jederzeit unterstützende Tätigkeiten abverlangen. Dies wäre gerecht, kostenlos und würde auch diejenigen in Arbeit bringen, die auf dem Markt nicht zu vermitteln sind. Es hätte obendrein den Vorteil, daß diese einzige Kreditkarte, die ein Bedürftiger führen darf, ihn, die Banken und den Handel vor Überschuldung schützt. Wer den Weg in die Gemeinschaft der Tätigen und Selbstsorgefähigen zurück gefunden hat, tauscht die Karte einfach gegen eine handelsübliche Bankkarte aus – erhält aber keine Almosen mehr. Kein anständiger Mensch kann sich diesem Vorschlag verweigern. Achten Sie einmal darauf: Es werden sich vor allem wieder Linke und Arbeitslose darüber echauffieren. Ein guter Hinweis darauf, daß dies der richtige Weg ist!

Allmählich amüsiert es mich. Aus dem Sommerloch steigen die Blasen nicht mehr einzeln hoch, der ganze Kessel “SPD” dampft. Die Agenda-Journaille reagiert souverän darauf und versucht, den Deckel drauf zu pressen: Jetzt muß Steinmeier ganz schnell K-Kandidat werden, meinen die eifrig zitierten Seeheimer, die pauschal als “Wirtschaftspolitiker” verkauft werden, und Herr Müntefering wird zur “Legende” hochgejubelt, die “ins Gewissen redet” – und ich hab Lenor genommen!

pinin

Ypsilanti schmiedet ihre Koalition, der soziale Rest der Partei fordert laut und deutlich eine Abkehr von der Agenda 2010, im Saarland schickt sich die LINKE an, mehr Stimmen zu holen als die SPD. Da kann der unermüdliche Hermann Scheer noch so zäh die nötige Zeit für eine nötige Diskussion einfordern, es soll nicht sein. “Weiter so” ist das Motto, bloß nicht auf die Wähler hören, geschweige denn Realitäten akzeptieren. Die Neoliberalen wissen es so viel besser, machen sie uns weis, und geraten doch sichtlich in helle Panik.
Der wie immer souverän ratlose Kurt Beck findet, die Forderung der “SPD-Linken” sei ein “wichtiger Beitrag”. Ebenso wichtig und gut wie das Gekläff von Clement, das Geschlinger von Steinmeier und die Rosenkränze der Seeheimer. Alles “wichtig”, “interessant” und “wertvoll”. Mit seiner nicht vorhandenen Meinung steht er gar nich mal so schlecht da, so lange es eben keine Diskussion geben darf. Die Experten, die angesichts der Lage noch immer zum “Augen zu und durch” raten, sind an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Etwas lebt noch in der SPD. Wenn sie es töten wollen, sollen sie es tun. Die Würmer lebendig zu begraben, ist freilich ein putziges Unterfangen.

« Vorherige SeiteNächste Seite »