Das Ende des Neoliberalismus wird durch die Banken- bzw. Finanzmarktkrise stark beschleunigt. Es zeigt sich nicht nur endlich, daß die Ideologie unkontrollierter Märkte sogar für die Märkte schädlich ist, sondern es ist auch an der Zeit, die Rolle des Sozialismus im Neoliberalismus zu erläutern. Der Begriff ist übrigens im “Lexikon” der INSM nicht zu finden, was verwundert. Schließlich ist er einer der häufigsten im Sprachgebrauch der Neolibs. Dort stellt er eine Art Negativ des freien Marktes dar, also staaliche Kontrolle, Verteilung der Ressourcen nach anderen als marktwirtschaftlichen Kriterien und Alimentierung der Menschen, die nicht vom Markt profitieren.
Exakt dieser Sozialismus aber, der politisch oder von Staats wegen als verwerflich betrachtet wird, ist hochwillkommen und gefordert, wenn es aus “wirtschaftlichen” Gründen opportun erscheint. In einer Krise, die durch Gier, Fehlspekulation, Betrug, Dilettantismus und Rücksichtslosigkeit ausgelöst wurde, soll der Staat
- als Kontrolleur des Marktes herhalten, weil dieser zur Selbstkontrolle unfähig ist,
- Ressourcen, d.h. letztlich Steuermittel einsetzen, um das System “Markt” zu retten und
- damit diejenigen alimentieren, die in profitablen Zeiten den Gewinn für sich beanspruchen.
Die Einsicht, daß nur “der Staat”, also eine nicht wirtschaftlich legitimierte und nach Rechtsnormen ausgerichtete Instanz, für Ordnung sorgen soll, ist auch und gerade in einer Marktwirtschaft völlig richtig. Der Staat muß dabei unbedingt frei sein von wirtschaftlichen Interessen und darf sich ausschließlich nach Kriterien richten, die dazu geeignet sind, für Ordnung zu sorgen. Dies bedeutet, daß er dabei das wohl aller Bürger berücksichtigen muß. In einer Demokratie, die der Zustimmung der Bürger für die Ordnung bedarf, ist dies wiederum unmittelbar mit einem Bezug auf Gerechtigkeit verbunden.
Dieser fundamentale Unterschied zwischen “Staat” und “Wirtschaft” befähigt den Staat erst dazu, für Ordnung zu sorgen.
Die Einsicht, daß soviel “Sozialismus” unabdingbar ist, resultiert sogar aus der Lehre des Liberalismus und vor allem aus den Fakten, die die Weltwirtschaft aktuell bestimmen. Eine Diskussion um eine dauerhaft funktionierende Wirtschaft ist also ebenso wie das Wohl des Staatswesens eine Frage des richtigen Sozialismus.
Die Tatsache, daß das Chaos der Finanzmärkte letztlich auf die massenhafte Zahlunsunfägigkeit verführter Privatleute zurückgeht, deutet ebenfalls auf dieses Problem hin. Der Markt hat versagt, weil seine Verteilungsmechanismen versagt haben. Eine stabile Basis für eine Wirtschaft ist nur dann gegeben, wenn der Erwerb von Eigentum sich nach Kriterien von Gerechtigkeit richtet. Es müssen mehr Menschen partizipieren, und das wirtschaftliche Wachstum muß auf einer breiten Basis geschaffen werden, wenn es stabil sein soll. Die enorme Spanne zwischen den Einkünften weniger großer Profiteure und der Masse ist fatal, vor allem deshalb, weil auch die Dynamik des Wachstums sich so ungleich verteilt. Letzteres heißt ganz einfach, daß Zuwächse des Einkommens beim Großteil der Bevölkerung nicht mehr stattfinden. Darum ist jeder Ruf nach niedrigen Löhnen und Kosteneinsparungen zu Lasten der “Massenkaufkraft” ökonomisch widersinnig.
In einem politischen Sinne wäre es durchaus diskutabel, die Reichsten zu einem großen Teil zu enteignen, es wäre wirtschaftlich auch alles andere als schädlich. Damit wäre das Pferd aber falsch herum aufgezäumt. Es brächte nämlich gar nichts, wenn sich an der Dynamik des Wachstuns und der Verteilung der Einkommen strukturell nichts ändern würde. Im Gegenteil kann man den Reichen getrost ihren Reichtum lassen. Unabdingbar für eine stabile Wirtschaft ist aber die Beteiligung der Massen am Wachstum. Es ist blanker Unsinn, zu behaupten, eine breitere Verteilung verhindere Wachstum. Was verhindert würde, wäre lediglich ein rein mathematisch vorhandenes Wachstum bzw. dessen Größe. Wenn eine nationale Wirtschaft etwa um 1% wächst anstatt um 3%, davon aber nicht wenige, sondern möglichst viele profitieren, ist das Wachstum stabiler und langfristig sogar größer. Allein eine Wirtschaft, die auf Tagesgewinne aus ist, immer auf den größten Haufen scheißt und kein Morgen kennt, hat dabei das Nachsehen.
Es gibt also zwei Wege des Sozialismus in der Marktwirtschaft, um die es zu streiten gilt: Den einen, der die große Mistschaufel bedeutet, die immer dann von allen bedient wird, wenn wenige den Karren in den Dreck gefahren haben, und den anderen, der das politische Moment von vornherein in die Wirtschaft einbringt. Nur Gerechtigkeit sorgt dauerhaft für Wachstum. Es sei denn, man fände alles so gut, wie es derzeit ist und sorgte dafür, daß das Volk das mitmacht und nicht aufbegehrt. Dazu müße man ihm freilich mit Gewalt das Maul stopfen.