Als Kurt Beck SPD-Chef wurde, nachdem innerhalb eines halben Jahres zwei Vorsitzende verbraucht waren, schrieb ich:
Das letzte Aufgebot quasi ist das letzte Schwergewicht der SPD. Nicht nur deshalb, so sei hier wieder ein Orakel gewagt, wird er lange ihr Chef bleiben.
Ich hatte mit einigem gerechnet, den Intrigen der Agenda-Fraktion und der Presse etwa, setzte aber darauf, daß es nach Beck keine Alternative gäbe. Zumindest damit behielt ich recht. Wer hätte gedacht, daß die SPD derart rückwärtsgewandt ist, einen bereits verschlissenen Vorsitzenden noch einmal ins Rennen zu schicken? Zumal die Voraussetzungen noch dieselben sind: Nahles und die Kohorten, die Münte damals seinen Generalsekretär vorschreiben wollten, sitzen noch immer fest im Sattel. Was mich damals bewog, zu prognostizieren, man müsse sich den Namen des Neuen (Platzeck) nicht lange merken, war die Substanzlosigkeit der SPD 2010 und ein Personal, das weder Inhalt noch Charakter zu bieten hat. Heute serviert man also einen Aufguß dessen, in der ernsthaften Hoffnung, damit etwas, nämlich die Bundestagswahl, zu retten.
Das Symbol, das ein Vorsitzender Müntefering darstellt, ist die schiere Resignation. Er ist bereits verbraucht und mit 68 Jahren kein Mann für die Zukunft. Er und die Agenda-Kumpels fahren seit Jahren den Kurs “nach uns die Sintflut”, und mit ihm bringen sie einen nach vorn, dem tatsächlich alles wurscht sein kann. Dazu paßt auch das Verfahren: Ein kleiner Kreis klüngelt erst den Kanzlerkandidaten aus, wobei dem Vorsiztenden offenbar hintenrum übel mitgespielt wird. Als nächstes kungelt wiederum ein durch nichts legitimiertes Klübchen denjenigen aus, der den Vorsitz übernehmen soll. Die Partei wird nicht gefragt, sie hat das gefälligst abzunicken. Müntefering ist kein Kandidat, sondern die Lösung der Agenda-Fraktion, die sich inzwischen ganz offen als Entscheidungsmacht von Gottes Gnaden aufspielt.
Der Gedanke, der dahinter steht, ist halbwegs nachvollziehbar: Münte ist bei den Seeheimern und der Presse beliebt und gilt bislang auch als ein “Mann der Partei”. Strategisch betrachtet also der einzig Richtige. Darin aber liegt noch immer das Problem: Die 2010er kennen keine Diskussion, keine andere Meinung und schon gar keine Menschen, die sie überzeugen müßten. Das gilt für die Partei ebenso wie die Wähler. Sie sind das Fleisch gewordene Schrödersche “Basta”, und Müntefering ist das Mittel, die Partei ruhigzustellen.
Es wird nicht funktionieren. Die ganze Mannschaft stinkt der Partei. Steinmeier, Steinbrück, Scholz, Heil und wie sie alle heißen, sind politische Funtktionsmöbel ohne jeden Esprit. Münte haftet jetzt auch noch der Makel an, Kurt Beck gemeuchelt zu haben, gemeinsam mit seinen Weggefährten aus der Hartz-IV-Schmiede. Zu glauben, er könnte unter den aktuellen Bedingungen die Partei hinter die Führung bringen, ist nicht mehr naiv, sondern schon debil. Und als sei das noch nicht dumm genug, macht sich die Führungsclique noch immer nicht klar, daß Steinmeier, Müntefering und Co. die falsche Politik verkaufen. Die Besetzung der Hauptrollen ist da nur Symptom, wenngleich ein deutliches.
Vielleicht gelingt es Münte dennoch, die Partei ein wenig zu einen. Am besten holt er dazu Wolfgang Clement wieder ins Boot. Das würde ihm noch einmal so viele Parteiaustritte bescheren wie zu seiner letzten Amtszeit und vielleicht endlich die Befreiung bringen – von den letzten Sozialdemokraten in der SPD.