Kultur


Oliver Gehrs beschreibt in der TAZ das traurige Geschäft mit der RAF durch den Groschenromancier Stefan Aust und seine Komparsen aus der deutschen Filmbranche. Was er nicht beschreibt ist die letzte Szene der für Aust persönlich geschnittenen Fassung. Hier reitet er selbst auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang, in enger Umschlingung mit der halbnackten Ulrike M., die ihn leidenschaftlich küßt.
Der “Baader-Meinhof-Komplex” ist also ein Märchen, das jetzt verfilmt wird. Das ist völlig in Orndung. Warum ist er aber je als “Sachbuch” erschienen? Die Karikaturen, die Aust in seinem Buch zeichnet, haben mit realen Personen wenig zu tun. Dazu muß man die Protagonisten nicht einmal kennen. Die Konstruktion ist zu glatt, allein, daß alle eine feste Rolle haben, ist schon unglaubwürdig, zumal, wenn sie von jemandem beschrieben werden, der nicht dabei war.
Viel mehr ins Gewicht fällt aber der Mangel an Aufklärung vor dem Hintergrund scheinbarer Fakten. Der Titel weist schon darauf hin: Als sei es je um Baader und Meinhof gegangen. Im Selbstverständnis der Gruppe war das Gegenteil der Fall. Hier war niemand eine Führungsfigur, sondern ein “Kader”, die Funktion fürs Kollektiv war relevant, keine persönlichen Motive. Daß dieses Selbstverständnis brüchig ist und an der Realität scheitern muß, hätte Aust herausarbeiten können. Er hätte sich mit dem Weg der Theorie (und ihrer kryptischen Verschriftung) zur Praxis durch die RAF auseinandersetzen können. Die “Texte der RAF” (seinerzeit als Buch erschienen und in der BRD verboten) sind zun geringen Teil marxistisch fundiert, terminologisch grotesk, von einer oft simplen und binären Analytik geprägt und eine Strapaze selbst für linksradikale Marxanbeter. Befaßt man sich vor allem mit Texten, die nicht ob ihres parolenhaften Rumpelmarxismus eingängig wirken wie ein Che-T-Shirt auf einer Modelbrust, sondern gerade mit solchen, bei denen man sich fragen muß, worum es eigentlich geht, kommt man der RAF schon deutlich näher als mit einer Baader-Homestory. Sie zeugen von einem verwirrten Geist, der irgendwo um Theorie bemüht ist, aus zum großen Teil lächerlichen Versatzstücken besteht und vor allem das gelebte Konzept “Stadtguerilla” widerspiegelt: Die Paranoia von isolierten Mördern, die das Gute wollten und sich ihre Heillosigkeit ohne Punkt und Komma zurechtlabern.
Wer soll so etwas verfilmen? Dies scheint eine der wichtigsten Fragen zu sein, die Aust schon beim Verfassen des Buches bewegt haben. Perfide werden seine Vereinfachungen, wo sie Verständnis für die Handelnden aus der RAF wecken. Die unfaßbaren Blößen, die sich ein “Rechtsstaat” gegeben hat, um die Borniertheit der RAF in den Schatten zu stellen. Das Erschrecken darüber, daß der Staat, der da bekämpft wurde, tatsächlich die “faschistische Fratze” zeigte, die ihm “aus dem Gesicht gemeißelt” werden sollte. Ohne je ins Detail zu gehen, kocht Aust daraus ein Süppchen, aus dem sich jeder seine Lieblingswurst fingern kann. Linksextreme Romantiker ebenso wie erschreckte Demokraten und entsetzte Feinde der Staatsfeinde. So viel Gewese ohne den Hauch einer Antwort auf die Frage: “Wie kam es dazu?” Diese wird in Schlüsselszenen abgehandelt, wie in jeder unterhaltsamen Geschichtsklitterung, die sonst Guido Knopp so gern besorgt. Der Tod von Benno Ohnesorg, die Kaufhausbrandstiftung, die Eskalation auf beiden Seiten, Medienhetze und Fahndungswahn hie, Brutalisierung dort – was erklärt das? Am Ende nichts. Warum sind Millionen anderer, die ebenso entsetzt waren und verhetzt wurden, nicht in den Untergrund gegangen? In welchem Zusammenhang steht eine militante Radikalisierung zu einer Ideologie? Ein Detail dazu: Aust läßt den Terrokasper Bommi Baumman von der “Bewegung 2. Juni” erzählen:
Erstmal waren wir Haschisch-Raucher, die haben nur Speed-Tabletten gefressen, was ja eigentlich Paranoia ja nur noch fördert, das genau wurde uns auch immer vorgehalten, dass wir in dem Sinne Lust betont sind, wir sollten ganz rigide Berufsrevolutionäre sein, wie ein Fabrikarbeiter, der frühmorgens zu Siemens geht und damit basta.
Baumann ist eine Rampensau wie Aust, die auch gern mal was erklärt. Im Zitat ist alles drin, was der Boulevard zur Erklärung braucht: Berufsrevolutionäre, der gemeine Arbeiter, Drogen und Paranoia. Haschisch macht harmlos, deshalb also war der “2. Juni” vergleichsweise ungefährlich. Benno sieht das so und Stefan offenbar auch.
Wer sich nun der Kärrnerarbeit einer soziologischen Untersuchung nicht stellen mag, kann bei den Handelnden ansetzen – warum nicht? Dies bedürfte freilich einer gewissen Mindestmühe mit der biographischen Arbeit. Es dürfte in jedem einzelnen Lebenslauf der RAF-Prominenz Punkte geben, an denen wegweisende Entscheidendungen so und nicht anders getroffen wurden. Es wäre sogar spannend, denn es würde sich zeigen, daß da jeder für sich aus sehr unterschiedlichen Motiven und Situationen heraus gehandelt hat. Diese Diskrepanz zwischen individuellen Geschichten und kollektiven Fehlentscheidungen hätte sehr viel zur Aufklärung beitragen können. Die Lebenslüge der RAF, eins zu sein und aus rein politischen Motiven im Kollektiv aufzugehen, könnte so entlarvt werden. Daß die RAF marschiert ist und die Individualität ihrer Mitglieder ebenso zerstört hat wie das System von Befehl und Gehorsam, das sie bekämpft hat, davon hätte ich gern etwas gehört und gelesen. Stattdessen präsentiert der unsägliche filmische Aufguß uns endgültig Cowboys und Indianer, Helden und Antihelden.
Sei’s drum, der journalistische Leichenfledderer Aust hat Schlimmeres zu verantworten als diesen Schießfilm. Lesen Sie dies und mehr am Montag im “Spiegel”.

Er fühlt sich so unverstanden, der Gute. Er ist gegen “Gutmenschen“, “schleichende Islamisierung“, “Terrorismus im Namen des Propheten“, “xenophile Einäugige, Gutmenschen vom Dienst, Beschwichtigungsapostel” und “Totschlagargumente der Political Correctness“. Es geht ihm “um die kulturelle Selbstbehauptung Europas“.
Als “Schriftsteller und Publizist” führt er das gesamte Vokabular der rechten Haßprediger im Munde und glaubt, er distanziere sich “scharf von rechtsextremen Islamhassern“. Genau wie diese treibt er sein Geschäft mit Assoziationen und Konnotationen, für die er sich nicht verantwortlich machen lassen will. Seine Feind-Welt kennt den gefährlichen Djihad-Terrorismus, die Ehrenworde, die furchtbare Bedrohung “unserer” Kultur und “Rechtsordnung” und die verblendeten gefährlichen Idioten, die so etwas nicht täglich in der Presse lesen wollen. Was unterscheidet ihn von Neonazis, die gegen alles hetzen, was “anders” ist?
Er meint es nicht so. Er möchte seinen irrationalen Ängsten ganz demokratisch Ausdruck verleihen. Er möchte seine Demokratie und seine Meinungsfreiheit behalten. Er möchte, daß gute Ausländer hier bleiben dürfen, solange sie sich nicht erdreisten, die Kultur, aus der sie stammen, mit Stolz zur Schau zu stellen. Er will nur das verbieten, was seine Angst entfacht.
Vor allem aber: Er hat gelernt, sich zu artikulieren, mit Worten zu kämpfen. Daß ihm nichts anderes einfällt, als mit dem Vokabular und den Feindbildern der Rechtsradikalen zu Werke zu gehen, kann viele Ursachen haben. Ich will darüber nicht spekulieren. De facto ist er ein Nützlicher Idiot für Neonazis. Seine halbgaren Distanzierungen, das begreift er offenbar nicht mehr, bestätigen das nur, denn auch solche gehören zum Intrumentarium der Brandstifter. Sollte er wirklich verstanden werden wollen, müßte er nur dazu übergehen, sich unmißverständlich zu äußern.

Ein höchst interessantes Thema schneidet Wolfgang Koydl bei Sueddeutsche.de an: Der britische Geheimdienst MI5 will gezielt bekennende Homososexuelle anwerben.
Zwei Gegensärtliche Aspekte spielen dabei angeblich eine Rolle:
- “Seit den Terroranschlägen auf die Londoner U-Bahn im Juli 2005 hat sich die Zahl der MI5-Mitarbeiter mehr als verdoppelt. Vor allem britische Muslime und Kandidaten mit Kenntnissen orientalischer Sprachen wurden gezielt angeworben. Ben Summerskill, Vorsitzender von Stonewall ["Großbritanniens führende Homosexuellen-Lobby"], glaubt, dass der Geheimdienst nun Homosexuelle umwirbt, weil auch sie mehr “Erfahrung darin haben, mit Leuten umzugehen, die anders sind”, als die Mehrheit der Gesellschaft” und
- “Ein ungenannter Sprecher, der offenbar MI5 vertrat, stimmte zu: “Der Dienst strebt an, das ganze Spektrum der britischen Gesellschaft widerzuspiegeln, der er dient.” Auch Summerskill glaubt allerdings nicht an eine rasche Transformation. “Ich bin optimistisch, dass das Personalprofil von MI5 dem des modernen Britannien ähneln wird”, meinte er. Wann? “In zehn bis 15 Jahren.”
Wenn ein Inlandsgeheimdienst neben Muslimen auch Homosexuelle anwirbt, läßt das in Zeiten des Terrowahns und der Aufrüstung im Überwachungssektor nichts Gutes ahnen. Während Homosexuelle und andere diskriminierte Minderheiten sich organisieren und damit offener werden, mag dahinter die Furcht stecken, daß sich Netzwerke bilden, zu denen die Geheimdienste bislang keinen Zugang haben. Man traut ihnen nicht. Solange sie im Verborgenen ihren unmoralischen Neigungen nachgingen und als erpressbar galten, wähnte sich die staatliche Sicherheit sicher vor ihnen. Jetzt, da sie sich nicht mehr schämen und selbstbewußter leben, bilden sie eine offensive Subkultur. So etwas muß überwacht werden können.
Ein bißchen weniger Staat im Staate wäre andererseits eine Exekutive, die sich nicht mehr in einer Atmosphäre des Common-Sense, der schulterklopfenden Einheitsmeinung einbunkern könnte. Gerade in der neuen Blütezeit des Feindstrafrechts kann es den Bürgerrechten Vorschub leisten, wenn nicht des Spießers Abneigung unmittelbar in die Verfolgung der “Anderen” mündet – weil diese mit am Tisch sitzen.
Es wäre hilfreich gewesen, hier den Zusammenhang mit internationalen Überwachungsmaßnahmen herzustellen: “Zur Terrorabwehr sollen Deutschland und die USA künftig auch Informationen über das Sexualleben eines Verdächtigen oder seine Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft austauschen können“,heißt es in einer Meldung von April dieses Jahres. Wenn sich also “Verdachtsmomente” und Anwerbungskriterien von Geheimdiensten decken, kann ich darin nicht wirklich einen “Meinungsumschwung” entdecken. Das Gegenteil steht zu befürchten.

Wir hatten bereits eine Diskussion darüber: Die Armen werden aus den Städten verdrängt. Beim Interview mit SpOn macht Hartmut Häußermann Vorschläge, wie man die Bevölkerung nicht völlig auseinander fallen läßt. Wenn es schon nicht aufzuhalten ist, daß eine soziale Säuberung der Städte durch hohe Kosten stattfindet, will er wenigstens die Möglichkeit erhalten, daß Kinder unterschiedlicher Schichten gemeinsam unterrichtet werden. Gemeinsamer Unterricht für die Unterschicht, Teilhabe by bus, sozusagen. Dies wird auf wenig Gegenliebe stoßen, es wäre ein doppelter Affront gegen das Volk der Innenstädte. Wenn schon Kinder, dann all inclusive, erklärt Häußermann:
Heute haben in jüngeren Haushalten oft beide studiert, der Akademikeranteil bei Frauen ist rasant gestiegen – und die wollen ihre Qualifikationen auch einsetzen. Also fahren zwei Leute ins Büro. Kommen Kinder dazu, wird die Logistik komplizierter: Die Kleinen müssen zur Schule, dann zur Nachhilfe oder zum Ballett. Wenn kein Personal da ist, das das organisiert, ist die Innenstadt der Wohnort der Wahl – deshalb entstehen überall diese familienfreundlichen Townhouses.
Diese “familienfreundliche” Infrastruktur will er auch dem Prekariat zugänglich machen, freilich nur den Pflichtteil. Beim Ballett werden die hamburgergeschwängerten HartzIV-Würstchen außen vor bleiben. Immerhin dürften sie so ein bißchen nicht ganz so unheile Welt schnuppern.
“Familienfreundlich” ist in diesem Sinne natürlich weit ausgelegt. Double income no kids dürfte die Regel bleiben, ggf. ein Stammhalter oder zwei gut gebürstete Reithof- und Tennisclubsteppkes sind Familie genug, und man muß es auch nicht übertreiben mit dem fortgepflanzten Teil der Städter, sonst wird es nur laut und lästig.
In Potsdam hat das Volk dem ausufernden Kinderwahn just aktiv einen Riegel vorgeschoben. Eine Schule in bester Lage, dazu noch Unterricht in unverständlichen ausländischen Sprachen, das paßt nun einmal nicht zwischen die ehrenwerten Häuser. Ganz konsequent wurde die Schule also abgefackelt – wie schon zuvor der Jugendclub an derselben Stelle. Das Volk greift zu revolutionären Mitteln, die Solidarität ist beispielhaft: Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Daß es schon so weit kommt, ist alarmierend, die Innere Sicherheit in Gefahr. Die kulturelle Notwehr der Leistungsträger unterstreicht die Forderung nach mehr Schutz für die Innenstädter. Man muß auf der Hut sein, denn der Pöbel könnte glauben, er hätte nun auch ein Recht auf außergesetzliche Maßnahmen.

Ich ärgere mich seit der Installation von FF3 über diese behämmerte Eingabezeile, die awful URLbar. Heute habe ich mir die Zeit genommen, nach Besserung zu suchen. Diese Forenbeiträge liefern alle notwendigen Innformationen, um das wilde Ding in den Griff zu kriegen. Ich frage mich allerdings, welcher Teufel Mozilla reitet. Ich wollte einen schlanken, flotten und übersichtlichen Browser und kein Monster, das mir das Denken und Tippen abnimmt. Diesen Mist kann ich auch von Billys Ruckelrampe haben. Vielleicht ist das ja jetzt Web 3.0, aber ich werde weiterziehen und mir einen neuen Browser suchen, der sich aufs Wesentliche beschränkt.

Die nächste Tour ohne mich fängt schon gut an: Der seit Jahren schwer des Dopings verdächtige Star Alejandro Valverde hat die erste Etappe im Sprint gewonnen. Der Mann, der in Höchstform Bergetappen gewinnen kann und inzwischen auch ein guter Zeitfahrer ist, gewinnt jetzt auch noch im Sprint. Das Problem des Dopings im Radsport ist zu einer solchen Farce verkommen, daß nur noch Ahnunglose Interesse an dem ganzen Karneval haben. Radrennen sind das schon lange nicht mehr. Die Spanier tun vielleicht gerade einmal so viel wie nötig, um den Alibikontrollen nachzukommen. Deshalb gewinnen nur noch Spanier die großen Rennen. In den meisten anderen Ländern wirkt die Abschreckung einigermaßen, und die Dopingkunden alter Schule haben einen schweren Stand heutzutage. Wenn man aufpaßt, gut informiert ist und die bekannten Dopingmittel meidet, lebt es sich gut mit den Kontrollen. Es gibt kein wirksames Mittel gegen Doping, es werden dadurch im Gegenteil nur immer raffiniertere Methoden angewandt.
dope
Die Hatz gegen die Sportler und die mögliche Lösung, eine Freigabe wirksamer leistungssteigernder Mittel, habe ich bereits zur Genüge diskutiert. Mal sehen, wie sich die Sache entwickelt, wenn Ullrich (der ein Buch angekündigt hat) und Pevenage (der nach der Tour auspacken will) aus dem Nähkästchen plaudern.
Derweil gibt es keinen Wettberwerb mehr, ein Kollateralschaden, über den kaum jemand spricht. So lange alle mit den gleichen Mitteln gedopt waren, gab es einen fairen Wettbewerb, deshalb besteht Ullrich zurecht darauf, nie jemanden betrogen und seine Erfolge fair erkämpft zu haben. Das hat sich inzwischen geändert. Der Druck, die Kontrollen zu umgehen, ist noch größer. Während nach wie vor nur die Erfolgreichsten gutes Geld machen, ist das Risiko, sich diesen Erfolg zu ermöglichen, für die meisten enorm gestiegen. Nur, wer die Kontrollen im Griff hat, kann noch eine große Rundfahrt gewinnen. Jeder weiß, daß die Sieger noch immer gedopt sind. Ihr Lohn ist der für den besten Betrüger. Erst durch die hysterische und sinnbefreite “Anti-Doping”-Politik ist Dopig nicht mehr nur ein lästiges, aber unumgängliches Phänomen im Spitzensport. Es ist, zumindest im Radsport, auch endlich Betrug.
Das wird sich übrigens sukzessive wieder ändern. EPO war gestern, und die neuen Mittel sowie deren Vertuschung bei den Kontrollen werden sich durchsetzen, so daß in einigen Jahren wieder Chancengleichheit herrscht.

Gerd Nowakowski stellt im Tagesspiegel eine ganz normale Entwicklung vor: Es wird teuer, in der Stadt zu wohnen, und die einheimische Bevölkerung kann sich das nicht leisten. Im Kern ist etwas dran an der Meinung, dergleichen ließe sich nicht aufhalten. Dies unwidersprochen hinzunehmen, kann man freilich von den Betroffenen nicht erwarten, das kann sich allenfalls der überlegene Chronist erlauben, der über den Dingen schwebt und es besser weiß. Dieser wäre, wie Chat Atkins sagt, “Fatalist”.
Ist er aber nicht, weder das eine noch das andere. Er ist vielmehr ein Claqeur der Macht, einer, der zustimmt, um dabei zu sein. Er ist der Herr Schmidt, der alles mitmacht, weil er gern regiert wird und alles gut und richtig findet, was der Zeitgeist ihm zuflüstert.
Der Artikel ist ein Leuchtsignal neoliberaler Unmenschlichkeit, weil er die Wirklichkeit benennt und opportunistisch gutheißt, obwohl ihm die Tragik für die Betroffenen völlig bewußt ist:
Im Trendbezirk Prenzlauer Berg, so sagen Untersuchungen, ist die frühere Bevölkerung nahezu ausgetauscht.”
Es ist wahr, und es ist dramatisch. Hinter diesem Satz verbergen sich tausende von Einzelschicksalen und das Schicksal einer Stadt, die einmal eine von Menschen war und nunmehr eine des Geschäfts ist. Wohin gehen die Leute? Was nehmen sie mit? Was bleibt zurück? Sie müssen nicht um ihr Leben fürchten, trotzdem müssen sie flüchten, vor dem Ruin. Das hätte mich interessiert: Wie sich das Leben verändert, wenn keiner mehr den anderen kennt. Wenn die alten Nachbarn fort sind und der neue aus einer anderen Welt kommt. Nichts dergleichen. Es ist, wie es ist, und das ist auch gut so:
Berlin leuchtet – wer hier investiert und kreativ wird, kann helfen, jene Arbeitsplätze zu schaffen, die Berlin so dringend braucht. Zum Besten der Stadt. Mehr Wohlstand für alle, das wäre ein Schmierstoff gegen soziale Reibungen: ein akzeptabler Preis für Veränderung. Aufzuhalten ist die Entwicklung nicht. Wie in jeder normalen Metropole eben. Daran muss sich Berlin gewöhnen. Es gibt eben kein Recht darauf, im Zentrum zu wohnen.
Nein, es gibt kein Recht, zu wohnen. Es gibt ein Recht, die Heimat von Menschen zu kaufen und sie zu vertreiben. Soziale Reibungen finden da nicht mehr statt, wo sich der Yuppie seine Zweitwohnung leistet. Wo die Menschen hingehen, wird es umso mehr “Reibung” geben und sehr wenig Wohlstand. Aus den Banlieues, die so entstehen, kann derselbe Chronist dann bald fasziniert vom marodierenden Pöbel berichten und seine Wohlstandsthese bestätigt finden.
Nowakoswki spricht tatsächlich von einer Stadt ohne Menschen. Die Straßen und Häuser meint er. Dort verortet er “Soziales”, nicht da, wo die Menschen sind. “Zum Besten der Stadt” meint eine Metropole auf Koks, für die es kein Morgen gibt, weil sie kein Gestern hat. Normal für eine Metropole? Mag sein. Nicht aufzuhalten? Wohl richtig. Aber ein “akzeptabler Preis”? Die Vertriebenen des Kapitals sind ein akzeptabler Preis, weil man sie nicht fragt. Sie sind ein “Preis”, weil sie gehandelt werden wie Stückgut. Wer so etwas “Wohlstand” nennt, ist angekommen. Er empfindet nichts mehr für die Verlierer und hat sich völlig der normativen Kraft der Besitzverhältnisse hingegeben. “Ihr Opfer!” ruft er den Leuten zu, und sein Cabrio sagt: “Eure Armut kotzt mich an”.

Es ist zum Schießen: Spiegel Online hat entdeckt, daß es Seilschaften, Abhängigkeiten und Kungelei im Modejournalismus gibt. Ersetzt man Designer durch Politiker, Agenten durch Lobbyisten und Anna Wintour durch Liz Mohn, erhält man eine feinsinnige Beschreibung der Berliner Verhältnisse. Eine wunderbare Allegorie!
Es ist allerdings zu befürchten, daß Christian Krug mit “Kollektiv der Rückgratlosen” gar nicht seine Kollegen von der politischen Klatschspalte meinte, sondern daß der Spiegel sich als kritisches Modejournal etablieren will. Wenn man zur Kenntnis nimmt, daß Schweini und die Spielerfrauen neuerdings titelwürdig sind, spricht einiges dafür. Meinen Segen haben Sie, zum Nachrichtenmagazin taugt der Laden ja schon lange nicht mehr.

Thomas Knüwer berichtet über merkwürdige Anstrengungen der EU, Blogs quasi zu zertifizieren. Die Argumente, die für eine Kontrolle von Blogs angeführt werden, sind zum Teil abstrus und zeugen wie immer von grober Unkenntnis der Netzöffentlichkeit. Im Kern steht die Frage, ob Blogs eine Bedrohung darstellen. Was sie denn genau bedrohen sollen, wäre die Frage. Einen Hinweis gibt die Aussage:
…we do not see bloggers as a threat. They are in position, however, to considerably pollute cyberspace. We already have too much spam, misinformation and malicious intent in cyberspace“.
Die Vorstellung eines duch Blogs “beschmutzten” Internets will mir nicht recht gelingen. Allein der Begriff läßt nichts Gutes ahnen, impliziert er doch die Idee eines “sauberen” Internets und läßt nur die Folgerung zu, daß gesäubert werden soll. Das empfinde ich allemal als größere Bedrohung denn alle Hetzblogs zusammen.
Thomas Knüwer stellt in dem Zusammenhang die konsequente Frage, ob sich der Boulevardjournalismus nun “Sorgen machen” müsse, wenn “Prinzipientreue” abgefragt werden solle.
Überhaupt läßt sich (auch das ist üblich für solche Vorstöße) nicht erkennen, wo die Grenze zwischen Blogs und Journalismus verläuft, wer denn gemeint wäre und was das Ganze mit einer Öffentlichkeit zu tun hat, die nicht mehr in der Hand der Medienkonzerne wäre. Die Sorge sei, daß ausgrechnet Blogs Lobbyismus befördern könnten:
Bloggers cannot automatically be considered a threat, but imagine pressure groups, professional interests or any other groups using blogs to pass on their message. Blogs are powerful tools, they can represent an advance form of lobbyism, which in turn can be seen as a threat… any blogger representing or expressing more than their personal view should be affected by this report.
Selten so gelacht. Fehlt nur noch die Befürchtung, Blogger könnten ihre Leser überwachen.
Niedlich ist auch der Ansatz, die Aufrichtigkeit der Blogosphäre retten zu wollen, der die Öffentlichkeit so blind vertraut:
“I think the public is still very trusting towards blogs, it is still seen as sincere. And it should remain sincere. For that we need a quality mark, a disclosure of who is really writing and why.”
Mehr Unkenntnis der Wirklichkeit kann man kaum in paar Zeilen pressen. Ich denke vielmehr, die Öffentlichkeit schert sich bislang herzlich wenig um Blogs. Von “Vertrauen” zu sprechen, ist allgemein unsinnig und auf deutsche Verhältnisse angewandt die dümmst mögliche Behauptung. Auch hier der alte Quark: Der Zeitungsleser frißt, was das Papier hergibt, und nun sollen die armen Schäfchen vor den Raubtieren des Internets geschützt werden, die solche Naivität ausnutzen könntne. Ahnungslos, dumm oder verlogen? Eine akademische Frage.
Und natürlich auch wieder die schreckliche Drohung der anonymen Schmierfinken, die das Handwerk der ehrlichen Journalisten nutzen, um Übles zu verbreiten. “Wer schreibt da wirklich und warum”? Ja, wer puzzelt die Agenturmeldungen zusammen, und verdreht Fakten? Wer zahlt dafür? Welche Anzeigenkunden, welcher Verleger, welche Redakteure nehmen Einfluß und warum? Fragen, die der professionelle Journalismus mit unerschütterllicher Transparenz täglich auf die Titelseiten hievt.
Warum schreiben Blogger? Was sind ihre Motive? Es läßt sich, ganz einfach und offen, in ihren Artikeln lesen. Sie tun es, weil sie sagen, was sie sagen wollen. Niemand hindert sie daran. Das gilt für rechtsradikale Drecksäcke ebenso wie für Katzenblogger und Hobbyjournalisten. Wer auf einen gekauften Blogger nicht tausend korrumpierte Journalisten findet, hat sie nie gesucht. Selbst, letztere hinweg säubern zu wollen, wäre das Ende der Meinungsfreiheit. Ausgerechnet Blogger mit diesem Firlefanz zu terrorisieren, läuft auf das generelle Verbot von Meinungen hinaus.

Infotainment ist ein zweischneidiges Schwert. “Politische” Talkshows sind längst zu einer Piste geworden, auf der sich eine eitle Szene präsentiert, deren Akteure sich allesamt auch noch als Regisseure betätigen wollen. Ihre vorab zurechtgelegten Phrasen sind weder unterhaltsam noch informativ, sie sind Verlautbarungen. Gegensätzliche Verlautbarungen führen regelmäßig dazu, daß sie den Begriff auf ihren Ursprung zurückführen: Sie werden in den Saal gerufen, das allgemeine Geschnatter überbrüllt. Bis dann der nächste Marktschreier sich dasselbe rausnimmt. Wir kennen das von Sabine C. und Maybritt I., jetzt auch von Anne Will. Daß die Damen mehr oder weniger ihre eigenen politischen Süppchen kochen, ist ebenfalls nichts Neues. Guter Journalismus ist etwas anderes, ein gepflegtes Gespräch auch, aber Quote macht offenbar das Schaulaufen der Quälgeister.
Selbst solche Veranstaltungen sind im internationalen Vergleich schon ein Stück Freiheit. Die staatlich geforderte und geförderte Selbstzensur feiger Hofjournalisten unter Putin ist das mahnende Beispiel dessen, wie ein Land aussieht, in dem Zensur nicht mehr nötig ist. Dem Russen pinkelt SpOn dafür mit Recht ans Bein. Sie mögen ihn halt nicht.
Etwas anderes ist für dieselbe Redaktion der angekündigte Machtmißbrauch eines CDU-Politikers, dem eine Talkshow nicht paßt. Friedbert Pflüger will Anne Will ausbooten:
Als Mitglied des Rundfunkrates des RBB Berlin werde er sich nun für ihre Ablösung einsetzen.”
Dies erklärt SpOn so:
Man könnte das also parteipolitisches Geplänkel abtun.
Allerdings gründet Pflügers Ärger nicht allein auf parteipolitischer Empfindlichkeit, sondern er wirft der Redaktion vor, das journalistische Handwerk nicht zu beherrschen und mit Fakten fahrlässig umzugehen. [...] Ganz unrecht hat Pflüger da nicht
“.
Das Genöle eines Politikers, der an einer rituellen Inszenierung angeblich unerfüllte Qualitätsansprüche stellt, ist also Grund genug, die Freiheit der Programmplanung einzuschränken. Keine Einwände der Qualitätsjournalisten des “Spiegel”, der Zensor hat ja irgendwie auch recht.
Warum auch aufbegehren, sie haben sich längst dafür entschieden, halbamtliche Regierungssprecher zu spielen. Es geht ihnen nicht um die Freiheit der Meinung, sondern um den Transport der richtigen Meinung. Wie man das kriecherisch und stilistisch entlarvend vollstreckt, demonstriert einmal mehr Reinhard Mohr. Dessen von Hass triefende Karikatur des Dämonen Lafontaine weckt Erinnerungen an ganz dunkle Zeiten. Sein Vokabular ist eines näheren Kommentars unwürdig.
Anne Will wird an vielen anderen Stellen, sei es von Journalisten oder Bloggern, treffend kritisert, aus ganz Unterschiedlichen Perspektiven und Gründen. “Spiegel Online” und seinem Mohr aber bleibt es vorbehalten, Tendenzjournalismus und Hetze in eine Melange zu verrühren, die sie gefälligst selber saufen sollen. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch überwinden kann, quasi täglich diesen Hanswursten ins Gesicht zu pinseln, daß sie ein gefährliches Spiel spielen. Wer so schreibt, macht sich gemein und damit überflüssig. Sie betteln geradezu darum, selbst abgesetzt zu werden, sobald das, was sie als “Meinung” machen, der Herrschaft einmal mißfällt. Der Unterschied zwischen dem furchtbaren Zustand der organisierten russischen Öffentlichkeit und deutschem Journalismus à la SpOn ist ein gradueller. So weit immerhin sind wir schon wieder.

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