Infotainment ist ein zweischneidiges Schwert. “Politische” Talkshows sind längst zu einer Piste geworden, auf der sich eine eitle Szene präsentiert, deren Akteure sich allesamt auch noch als Regisseure betätigen wollen. Ihre vorab zurechtgelegten Phrasen sind weder unterhaltsam noch informativ, sie sind Verlautbarungen. Gegensätzliche Verlautbarungen führen regelmäßig dazu, daß sie den Begriff auf ihren Ursprung zurückführen: Sie werden in den Saal gerufen, das allgemeine Geschnatter überbrüllt. Bis dann der nächste Marktschreier sich dasselbe rausnimmt. Wir kennen das von Sabine C. und Maybritt I., jetzt auch von Anne Will. Daß die Damen mehr oder weniger ihre eigenen politischen Süppchen kochen, ist ebenfalls nichts Neues. Guter Journalismus ist etwas anderes, ein gepflegtes Gespräch auch, aber Quote macht offenbar das Schaulaufen der Quälgeister.
Selbst solche Veranstaltungen sind im internationalen Vergleich schon ein Stück Freiheit. Die staatlich geforderte und geförderte Selbstzensur feiger Hofjournalisten unter Putin ist das mahnende Beispiel dessen, wie ein Land aussieht, in dem Zensur nicht mehr nötig ist. Dem Russen pinkelt SpOn dafür mit Recht ans Bein. Sie mögen ihn halt nicht.
Etwas anderes ist für dieselbe Redaktion der angekündigte Machtmißbrauch eines CDU-Politikers, dem eine Talkshow nicht paßt. Friedbert Pflüger will Anne Will ausbooten:
Als Mitglied des Rundfunkrates des RBB Berlin werde er sich nun für ihre Ablösung einsetzen.”
Dies erklärt SpOn so:
Man könnte das also parteipolitisches Geplänkel abtun.
Allerdings gründet Pflügers Ärger nicht allein auf parteipolitischer Empfindlichkeit, sondern er wirft der Redaktion vor, das journalistische Handwerk nicht zu beherrschen und mit Fakten fahrlässig umzugehen. [...] Ganz unrecht hat Pflüger da nicht
“.
Das Genöle eines Politikers, der an einer rituellen Inszenierung angeblich unerfüllte Qualitätsansprüche stellt, ist also Grund genug, die Freiheit der Programmplanung einzuschränken. Keine Einwände der Qualitätsjournalisten des “Spiegel”, der Zensor hat ja irgendwie auch recht.
Warum auch aufbegehren, sie haben sich längst dafür entschieden, halbamtliche Regierungssprecher zu spielen. Es geht ihnen nicht um die Freiheit der Meinung, sondern um den Transport der richtigen Meinung. Wie man das kriecherisch und stilistisch entlarvend vollstreckt, demonstriert einmal mehr Reinhard Mohr. Dessen von Hass triefende Karikatur des Dämonen Lafontaine weckt Erinnerungen an ganz dunkle Zeiten. Sein Vokabular ist eines näheren Kommentars unwürdig.
Anne Will wird an vielen anderen Stellen, sei es von Journalisten oder Bloggern, treffend kritisert, aus ganz Unterschiedlichen Perspektiven und Gründen. “Spiegel Online” und seinem Mohr aber bleibt es vorbehalten, Tendenzjournalismus und Hetze in eine Melange zu verrühren, die sie gefälligst selber saufen sollen. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch überwinden kann, quasi täglich diesen Hanswursten ins Gesicht zu pinseln, daß sie ein gefährliches Spiel spielen. Wer so schreibt, macht sich gemein und damit überflüssig. Sie betteln geradezu darum, selbst abgesetzt zu werden, sobald das, was sie als “Meinung” machen, der Herrschaft einmal mißfällt. Der Unterschied zwischen dem furchtbaren Zustand der organisierten russischen Öffentlichkeit und deutschem Journalismus à la SpOn ist ein gradueller. So weit immerhin sind wir schon wieder.