Oliver Gehrs beschreibt in der TAZ das traurige Geschäft mit der RAF durch den Groschenromancier Stefan Aust und seine Komparsen aus der deutschen Filmbranche. Was er nicht beschreibt ist die letzte Szene der für Aust persönlich geschnittenen Fassung. Hier reitet er selbst auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang, in enger Umschlingung mit der halbnackten Ulrike M., die ihn leidenschaftlich küßt.
Der “Baader-Meinhof-Komplex” ist also ein Märchen, das jetzt verfilmt wird. Das ist völlig in Orndung. Warum ist er aber je als “Sachbuch” erschienen? Die Karikaturen, die Aust in seinem Buch zeichnet, haben mit realen Personen wenig zu tun. Dazu muß man die Protagonisten nicht einmal kennen. Die Konstruktion ist zu glatt, allein, daß alle eine feste Rolle haben, ist schon unglaubwürdig, zumal, wenn sie von jemandem beschrieben werden, der nicht dabei war.
Viel mehr ins Gewicht fällt aber der Mangel an Aufklärung vor dem Hintergrund scheinbarer Fakten. Der Titel weist schon darauf hin: Als sei es je um Baader und Meinhof gegangen. Im Selbstverständnis der Gruppe war das Gegenteil der Fall. Hier war niemand eine Führungsfigur, sondern ein “Kader”, die Funktion fürs Kollektiv war relevant, keine persönlichen Motive. Daß dieses Selbstverständnis brüchig ist und an der Realität scheitern muß, hätte Aust herausarbeiten können. Er hätte sich mit dem Weg der Theorie (und ihrer kryptischen Verschriftung) zur Praxis durch die RAF auseinandersetzen können. Die “Texte der RAF” (seinerzeit als Buch erschienen und in der BRD verboten) sind zun geringen Teil marxistisch fundiert, terminologisch grotesk, von einer oft simplen und binären Analytik geprägt und eine Strapaze selbst für linksradikale Marxanbeter. Befaßt man sich vor allem mit Texten, die nicht ob ihres parolenhaften Rumpelmarxismus eingängig wirken wie ein Che-T-Shirt auf einer Modelbrust, sondern gerade mit solchen, bei denen man sich fragen muß, worum es eigentlich geht, kommt man der RAF schon deutlich näher als mit einer Baader-Homestory. Sie zeugen von einem verwirrten Geist, der irgendwo um Theorie bemüht ist, aus zum großen Teil lächerlichen Versatzstücken besteht und vor allem das gelebte Konzept “Stadtguerilla” widerspiegelt: Die Paranoia von isolierten Mördern, die das Gute wollten und sich ihre Heillosigkeit ohne Punkt und Komma zurechtlabern.
Wer soll so etwas verfilmen? Dies scheint eine der wichtigsten Fragen zu sein, die Aust schon beim Verfassen des Buches bewegt haben. Perfide werden seine Vereinfachungen, wo sie Verständnis für die Handelnden aus der RAF wecken. Die unfaßbaren Blößen, die sich ein “Rechtsstaat” gegeben hat, um die Borniertheit der RAF in den Schatten zu stellen. Das Erschrecken darüber, daß der Staat, der da bekämpft wurde, tatsächlich die “faschistische Fratze” zeigte, die ihm “aus dem Gesicht gemeißelt” werden sollte. Ohne je ins Detail zu gehen, kocht Aust daraus ein Süppchen, aus dem sich jeder seine Lieblingswurst fingern kann. Linksextreme Romantiker ebenso wie erschreckte Demokraten und entsetzte Feinde der Staatsfeinde. So viel Gewese ohne den Hauch einer Antwort auf die Frage: “Wie kam es dazu?” Diese wird in Schlüsselszenen abgehandelt, wie in jeder unterhaltsamen Geschichtsklitterung, die sonst Guido Knopp so gern besorgt. Der Tod von Benno Ohnesorg, die Kaufhausbrandstiftung, die Eskalation auf beiden Seiten, Medienhetze und Fahndungswahn hie, Brutalisierung dort – was erklärt das? Am Ende nichts. Warum sind Millionen anderer, die ebenso entsetzt waren und verhetzt wurden, nicht in den Untergrund gegangen? In welchem Zusammenhang steht eine militante Radikalisierung zu einer Ideologie? Ein Detail dazu: Aust läßt den Terrokasper Bommi Baumman von der “Bewegung 2. Juni” erzählen:
Erstmal waren wir Haschisch-Raucher, die haben nur Speed-Tabletten gefressen, was ja eigentlich Paranoia ja nur noch fördert, das genau wurde uns auch immer vorgehalten, dass wir in dem Sinne Lust betont sind, wir sollten ganz rigide Berufsrevolutionäre sein, wie ein Fabrikarbeiter, der frühmorgens zu Siemens geht und damit basta.
Baumann ist eine Rampensau wie Aust, die auch gern mal was erklärt. Im Zitat ist alles drin, was der Boulevard zur Erklärung braucht: Berufsrevolutionäre, der gemeine Arbeiter, Drogen und Paranoia. Haschisch macht harmlos, deshalb also war der “2. Juni” vergleichsweise ungefährlich. Benno sieht das so und Stefan offenbar auch.
Wer sich nun der Kärrnerarbeit einer soziologischen Untersuchung nicht stellen mag, kann bei den Handelnden ansetzen – warum nicht? Dies bedürfte freilich einer gewissen Mindestmühe mit der biographischen Arbeit. Es dürfte in jedem einzelnen Lebenslauf der RAF-Prominenz Punkte geben, an denen wegweisende Entscheidendungen so und nicht anders getroffen wurden. Es wäre sogar spannend, denn es würde sich zeigen, daß da jeder für sich aus sehr unterschiedlichen Motiven und Situationen heraus gehandelt hat. Diese Diskrepanz zwischen individuellen Geschichten und kollektiven Fehlentscheidungen hätte sehr viel zur Aufklärung beitragen können. Die Lebenslüge der RAF, eins zu sein und aus rein politischen Motiven im Kollektiv aufzugehen, könnte so entlarvt werden. Daß die RAF marschiert ist und die Individualität ihrer Mitglieder ebenso zerstört hat wie das System von Befehl und Gehorsam, das sie bekämpft hat, davon hätte ich gern etwas gehört und gelesen. Stattdessen präsentiert der unsägliche filmische Aufguß uns endgültig Cowboys und Indianer, Helden und Antihelden.
Sei’s drum, der journalistische Leichenfledderer Aust hat Schlimmeres zu verantworten als diesen Schießfilm. Lesen Sie dies und mehr am Montag im “Spiegel”.